Ettendorf (Elsass)
Die im Unterelsass liegende kleine Ortschaft Ettendorf mit derzeit ca. 800 Einwohnern ist das gleichnamige frz. Ettendorf (Kanton Hochfelden) - ca. 15 Kilometer westlich von Hagenau/Haguenau gelegen (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905 ohne Eintrag von Ettendorf, aus: wikipedia.org, gemeinfrei).
Die Entstehung einer jüdischen Gemeinde reicht in die Zeit des ausgehenden Mittelalters zurück. In den nachfolgenden Jahrhunderten sollen angeblich mehrere hundert jüdische Bewohner hier gelebt haben. Von großer Bedeutung war eine Jeschiwa, die zeitweilig mehr als 100 Schüler gehabt haben soll.
Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörten eine Synagoge, eine jüdische Schule und ein Ritualbad. Ein im 17.Jahrhunderte erbautes Synagogengebäude, das auf Grund von Baufälligkeit einzustürzen drohte, wurde Ende der 1860er Jahre durch einen Neubau ersetzt; allerdings dauerte dessen Nutzung nur zwei Jahrzehnte; danach stand das Gebäude leer und wurde später als Scheune bzw. Lagerraum benutzt. Über dem Eingang befand sich die Portalinschrift aus Psalm 55,15: "Zum Hause Gottes gehen wir inmitten der Menge" mit Jahreszahl 5628 (= 1867/1868).
Der gesamten Region stand seit dem 15.Jahrhundert in Ettendorf ein Friedhof zur Verfügung, der an einem Hang etwa 500 Meter nördlich des Ortes auf einer Fläche von ca. 18 Hektar Tausende von Grabstätten besaß. Noch in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts begruben hier mehr als 20 Gemeinden ihre Verstorbenen. Aus einem Artikel der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 24.März 1875:
Aufruf zu Gunsten des isr. Begräbnißplatzes zu Ettendorf
Geliebte Brüder!Unter den aus dem Mittelalter stammenden ehrwürdigen Denkmälern des isr. Elsaß, die unsererseits eine achtungsvolle Sympathie verdienen, und deren Erhaltung uns theuer sein sollte, befindet sich unstreitig der Begräbnißplatz zu Ettendorf. Dieses heilige Stück Land mit seinen oft mehrere hundert Jahren alten Steinen, die uns an die finstern Zeiten erinnern, in der die über die Erde zerstreuten Israeliten aus der Gesellschaft gestoßen, der Luft und des Raumes beraubt, nur da leben und sterben konnten, wo die Intoleranz der damaligen Gesellschaft es ihnen erlaubt, hat ehemals fast allen isr. Gemeinden des Unter-Elsaß zum Ruheplatz gedient und ist noch jetzt für 24 Gemeinden dieser Gegend, die hier ihre Todten bestatten, ein gemeinsamer Friedhof. Hier finden sich die irdischen Ueberreste vieler berühmten Rabbinen und anderer durch ihr Wissen und ihre Frömmigkeit ausgezeichneter Glaubensgenossen, deren Gräber uns theuer sein und durch unsere Sorge von der Vernichtung der Menschen und der Zeit erhalten werden sollen. Um dahin zu gelangen, sind große Reparaturen, die Erwerbung eines neuen Terrains und eine Mauer um diesen weiten Begräbnißplatz unvermeidlich, deren Kosten nach einer provisorischen Schätzung ungefähr 40.000 Frs. erfordern, eine enorme Ausgabe, die die Kräfte und Mittel genannter Gemeinden übersteigt, da die meisten derselben klein und arm sind und nicht einmal das genügende Einkommen haben, um den Gehalt eines Chasan, eines Lehrers, ja selbst um den Unterhalt der Synagoge zu bestreiten. In dieser traurigen Lage findet sich die Administration des genannten Begräbnißplatzes in die Nothwendigkeit versetzt, sich an die isr. Gemeinden aller Länder zu wenden, und sie dringend zu bitten, ihr durch freiwillige Gaben zu Hilfe zu kommen, auf daß die unten genannte Verwaltung im Stande sei, das von ihr gesteckte Ziel zu erreichen. Die Erhaltung dieses Friedhofes ist von allgemeinem Interesse für eine große Anzahl unserer Glaubensgenossen; viele isr. Familien aus Frankreich, Deutschland, selbst aus Amerika kommen periodisch dahin, um auf den ehrwürdigen Gräbern ihrer Eltern, deren Gebeine hier ruhen, zu beten, sowie auf denjenigen frommer und berühmter Männer, deren Andenken ihnen gleich teuer ist. ...
jüdischer Friedhof Ettendorf (hist. Postkarte)
Ettendorfer Friedhof (Rabbinergräber) mit Taharahaus (Aufn. J. Hahn, 2011)
Die Gemeinde gehörte dem Rabbinat in Buchsweiler (Bouxwiller) an.
Juden in Ettendorf:
--- um 1785 ...................... 20 jüdische Familien,
--- 1807 ......................... 60 Juden,
--- 1846 ......................... 45 “ ,
--- 1861 ......................... 45 “ ,
--- 1893 ......................... 12 " (in 3 Familien),
--- 1900 ......................... 8 “ ,
--- 1910 ......................... 5 “ ,
--- 1936 ......................... 4 “ .
Angaben aus: Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire
aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1.Febr. 1900
In den 1930er Jahren lebten nur noch vier jüdische Personen in Ettendorf, dessen Gemeinde sich bereits um die Jahrhundertwende aufgelöst hatte. Die Deportation nach Südfrankreich unter der deutschen Besatzung 1940 beendete dann jegliches jüdische Leben am Ort
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sollen drei in Ettendorf ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der Shoa geworden sein (namentliche Angaben siehe: alemannia-judaica.de/ettendorf_synagogue.htm).
Auf einer Fläche von ca. 18.000 m² befinden sich auf dem jüdischen Friedhof in Ettendort noch viele Gräber; nahezu 30 jüdische Gemeinden haben hier bis ins ausgehende 19.Jahrhundert ihre verstorbenen Gemeindeangehörigen begraben.
Eingangstor (Aufn. J. Hahn, 2011) und Blick auf das alte Begräbnisgelände (Aufn. 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Ein aus fünf Steinen gefertigtes Mahnmal erinnert auf dem Begräbnisgelände namentlich an die aus den umliegenden Orten stammenden Personen, die Opfer der Shoa geworden sind.
Denkmal für die Holocaust-Opfer (Aufn. J.Hahn, 2011)
Weitere Informationen:
Dagobert Fischer, Coup d'oeil sur l'ancienne école rabbinique d'Ettendorf , o.o. ?
Michel Rothé/Max Warschawski, Les synagogues d’Alsace et lieur histoire, Jerusalem 1992
Jean Daltroff, La route du judaïsme en Alsace, ID-L’Édition, 2. Aufl., Bernardswiller 2010, S. 83/84
Ettendorf, in: alemannia judaica.de (mit zahlreichen Aufnahmen des jüdischen Friedhofs)