Fechenbach/Main (Unterfranken/Bayern)
Gemeinsam mit Reistenhausen gehört das am Südrand des Spessarts gelegene Fechenbach seit 1971 zur politischen Gemeinde Collenberg - Landkreis Miltenberg (Kartenskizzen der unterfränkischen Landkreise, aus: bezirke-unterfranken.de und 'Landkreis Miltenberg', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die Bildung einer israelitischen Gemeinde in Fechenbach geht in die Zeit des 18.Jahrhunderts zurück. Bei der Erstellung der Matrikel (1817) sind für Fechenbach und Reistenhausen zwölf Familienvorstände aufgelistet; Hausierhandel, oft in Verbindung mit Viehhandel, wurde dort als vorrangiger Erwerbszweig genannt.
Im Jahre 1811 weihte die Gemeinde ein neu erbautes, bescheidenes Synagogengebäude ein; auch eine eigene Schule und eine Mikwe gehörten zu den gemeindlichen Einrichtungen, die alle in einem zweigeschossigen Gebäudeensemble untergebracht waren.
Einen jüdischen Lehrer, der auch die rituellen Verrichtungen vornahm, hatte die kleine Gemeinde seit den 1830er Jahren verpflichtet; vermutlich war dieser auch in den Nachbargemeinden tätig. Seit dem ausgehenden 19.Jahrhundert verrichteten „Wanderlehrer“ diese Aufgabe.
Der an einem Steilhang gelegene jüdische Friedhof der zu Beginn des 19.Jahrhunderts untergegangenen Gemeinde von Reistenhausen - er lag etwa einen Kilometer nordwestlich von der Ortschaft entfernt - wurde von der Kultusgemeinde Fechenbach übernommen und ab 1859 als jüdischer Bezirksfriedhof genutzt. Auf ihm fanden verstorbene Juden aus zahlreichen Orten der Region, z.B. aus Eschau, Freudenberg, Hobbach, Klingenberg, Laudenbach, Mechenhard, Mönchberg, Röllfeld, Schmachtenberg, Streit, Wörth u.a. ihre letzte Ruhe. Im Volksmund wurde der Friedhof „der Kaiphas“ genannt.
Alte Grabsteine (Aufn. aus: hdbg.de)
Die Gemeinde gehörte zum Distriktrabbinat Aschaffenburg.
Juden in Fechenbach:
--- 1671 ........................ 2 Schutzjuden,
........................ 18 " ,* * in Reistenhausen
--- 1739 ........................ 6 " ,
--- 1782 ........................ 8 " ,
--- 1814 ........................ 68 Juden (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1837 ........................ 70 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1856 ........................ 12 jüdische Familien,
--- 1867 ........................ 61 Juden,
--- 1880 ........................ 32 “ (ca. 4% d. Bevölk.)
--- 1897 ........................ 32 “ ,
--- 1910 ........................ 32 “ ,
--- 1933 ........................ 11 “ ,
--- 1939 ........................ 4 “ ,
(Dez.) ................. keine.
Angaben aus: Helmuth Lauf, Das Schicksal jüdischer Gemeinden im Main-Spessart-Tauber-Gebiet, S. 13
und Synagogen-Gedenkband Bayern (Unterfranken), Band III/113, Mehr als Steine …, S. 402
Lehrstellengesuche zweier Familien (1898/1902)
Bis ins frühe 20.Jahrhundert ging die Zahl der jüdischen Familien bis auf sechs zurück.
Die Synagoge in Fechenbach wurde bis in die 1920er Jahre genutzt; als kein Minjan mehr zustande kam, nahmen die wenigen Gemeindeangehörigen an Gottesdiensten in der Miltenberger Synagoge teil.
Mit der Niederlegung seines Amtes als Gemeindevorsitzender machte Leopold Strauß im Jahre 1937 das Ende der Kultusgemeinde Fechenbach auch offiziell.
Letzte Eintragung im Synagogenbuch der Gemeinde vom 18.7.1937
Obwohl die israelitische Gemeinde nicht mehr existierte, kam es in den Novembertagen 1938 auch in Fechenbach zu antijüdischen Ausschreitungen. So wurde die komplette Inneneinrichtung des (nicht mehr genutzten) Synagogengebäudes zerstört und die Wohnung der letzten Fechenbacher Juden demoliert. Das Synyagogengebäude selbst blieben erhalten, ebenso wie die danebenstehende Schule und die Mikwe.
Von den elf jüdischen Bewohnern Fechenbachs zogen neun in Großstädte, zwei wurden direkt von Fechenbach deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 18 aus Fechenbach stammende Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/fechenbach_synagoge.htm).
Ohne greifbares Ergebnis blieben die nach Kriegsende durchgeführten staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Beteiligte der „Vorgänge“ der Novembertage 1938; 1950 wurden die Ermittlungen eingestellt.
Das einst in Fechenbach als Synagoge genutzte Gebäude an der Kleinen Gasse diente jahrzehntelang als Werkstatt, bis es in ein Wohnhaus umgebaut wurde; das Gebäude befindet sich heute in einem sehr guten Zustand.
Ehemaliges Synagogengebäude als Werkstatt (Aufn. I. Schwierz, um 1990) - nach der Sanierung als Wohnhaus (Aufn. J. Hahn, 2008)
Auch Fechenbach beteiligt sich mit einer „Koffer-Skulptur“ am zentralen "DenkOrt Deportationen 1941-1944" nahe des Hauptbahnhofs in Würzburg (siehe: Würzburg).
Aufn. Bildhauerwerkstatt Alexander Schwarz, 2020
Die jüdische Ansiedlung in Reistenhausen und Fechenbach soll die erste in der Region gewesen sein. So hatte der Reichsritter Eberhard Rüdt von Kollenberg, Dorfherr von Fechenbach und einer Hälfte von Reistenhausen, 1555 das Privileg von Kaiser Karl V. erhalten, Juden in seinen Dörfern aufzunehmen. Ein „Juden Gartten“ - ein Friedhof - ist bereits schon in der Dorfordnung Reistenhausens aus dem Jahr 1542 genannt; das Areal wurde auch von verstorbenen Juden aus dem nahen Umland belegt.
In Reistenhausen lebten in der Folgezeit aber stets nur einzelne Familien, die bis ca. 1740 Schutzgelder an die Freiherren von Reigersberg entrichten mussten, danach trat die Verwaltungsgemeinde an deren Stelle. Versuche, sich der jüdischen Familien zu entledigen, schlugen aber fehl.
Die jüdische Gemeinschaft in Reistenhausen löste sich in den 1820er Jahren auf; letztmalig ist eine Familie 1848 genannt.
Auf dem ehemaligen jüdischen Verbandsfriedhof - nordwestlich von Reistenhausen an einem Steilhang gelegen - sind heute noch ca. 430 Grabsteine erhalten; die ältesten sollen noch aus dem 16.Jahrhundert stammen..
jüdischer Friedhof in Reistenhausen (Aufn. Carl-Robert Kümpers, aus: landjudentum-unterfranken.de und J. Hahn, 2008)
alte Grabsteine (Aufn. J. Hahn, aus: alemannia-judaica.de)
2013/2013 erfolgte eine fotografische Dokumentation des jüdischen Friedhofs.
Weitere Informationen:
Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 121
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 56
Helmuth Lauf, Das Schicksal jüdischer Gemeinden im Main-Spessart-Tauber-Gebiet, in: "Monatszeitschrift Spessart", No.11/1992, S. 3 - 23
Helmuth Lauf, Der ehemalige jüdische Bezirksfriedhof Reistenhausen - ein besonderes Kulturdenkmal, in: 800 Jahre Reistenhausen/Main - Ein Dorf feiert seinen Geburtstag, 2001
Fechenbach mit Reistenhausen, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 235
Lothar Mayer, Jüdische Friedhöfe in Unterfranken, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2010, S. 150 − 155
Ludwig-Andreas Riedel/Lothar Romstöck, Fechenbach. Ein fränkisches Dorf mit 800jähriger Geschichte, Collenberg 2014, S. 269 - 272
Axel Töllner/Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Fechenbach, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G.Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 395 - 403
Dokumentation: Jüdischer Friedhof Reistenhausen, online abrufbar unter: landjudentum-unterfranken.de