Frankenwinheim (Unterfranken/Bayern)
Frankenwinheim ist eine kleine Kommune mit derzeit ca. 1.000 Einwohnern (Ortsteil der Verwaltungsgemeinschaft Gerolzhofen) im Südteil des unterfränkischen Landkreises Schweinfurt (Kartenskizze 'Landkreis Schweinfurt', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Erste Hinweise auf Ansässigkeit einiger jüdischer Familien stammen aus der Zeit um 1650; sie sollen damals ihren kärglichen Lebensunterhalt vom Handel mit Leinen bestritten haben. Um ihre ökonomische Situation zu verbessern, erlaubte die adlige Ortsherrschaft den Zuzug weiterer Schutzjuden-Familien nach Frankenwinheim; gegen Mitte des 18.Jahrhunderts sollen im Dorf mehr als 20 Familien mosaischen Glaubens gelebt haben, die sich zu einer organisierten Gemeinde zusammenfanden. In den Jahren um 1830/1840 erreichte die Kultusgemeinde mit ca. 100 Angehörigen ihren personellen Zenit. Die jüdischen Familien bestritten ihren Lebensunterhalt nun überwiegend vom Handel mit Vieh und Waren, seit der Mitte des 19. Jahrhundert betrieben einige Handelsgeschäfte am Ort.
Neben der in Backsteinbauweise errichteten Synagoge mit angeschlossenem Gemeindehaus (am Südostrand des Dorfes) befand sich auch eine Mikwe.
Innenaufnahme der Synagoge (hist Aufn. um 1930, aus: Th. Harburger)
Etwa ein halbes Jahrhundert übte Joseph Kissinger, Onkel des ehem. US-Außenministers das Amt des Religionslehrers, Vorbeters und Schächters in Frankenwinheim aus.
Der jüdische Lehrer Joseph Kissinger u. Ehefrau Ida (aus: Webseite der Fam. Kissinger)
Aus Anlass seines 50jährigen Dienstjubiläums berichtete die Zeitschrift "Der Israelit" vom 29. April 1926: "Frankenwinheim, 23. April. Zu einer Kundgebung, wie sie nur vom Herzen kommen kann, gestaltete sich das 50-jährige Ortsjubiläum unseres Lehrers Herrn Jos. Kissinger hier. Den Auftakt zur Feier bildete ein Festakt am Schabbat Schmini in der Synagoge. In einer trefflichen Rede schilderte Herr Vorstand Kahn das mustergültige Wirken des Jubilars als vorzüglicher Lehrer, als Fachmann im Schächten und als ausgezeichneter Chasan (Vorbeter). Besonders gerühmt wurde das seltene Gemilut Chässäd (Wohltätigkeit) des Gefeierten gegenüber den Lebenden und gegenüber den Toten. Als Beweis, wie der Jubilar die Mizwa der Gastfreundschaft übte, sei nur erwähnt, daß derselbe seit 40 Jahren ein Zimmer für Schlafgelegenheit für die Gäste stets bereit hält und sie zum Frühstück einlädt. Der Sonntag war ein Festtag für die ganze Dorfgemeinde. Der Jubilar wurde von allen Vereinen mit ihren Fahnen unter Musikbegleitung, umringt von Ehrendamen in weißer Kleidung, ins Festlokal abgeholt, das im Nu überfüllt war. In prächtigen Ansprachen des Bürgermeisters und der Vereinsvorstand und andere prominente Persönlichkeiten wurde das edle Wirken des Jubilars gefeiert. In bewegten Worten dankte der Jubilar für all die Ehre und Liebe, die ihm erwiesen wurde. ...“
*Anm.: Einige Begriffe sind in hebräischen Schriftzeichen wiedergegeben.
Verstorbene Frankenwinheimer Juden wurden auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Gerolzhofen beerdigt. - Zuletzt unterstand die Gemeinde, der auch damals die wenigen jüdischen Bewohner Lülsfeld angehörten, dem Bezirksrabbinat Schweinfurt.
Juden in Frankenwinheim:
--- 1655 ........................ 5 jüdische Familien,
--- 1720 ........................ 14 " " ,
--- 1740 ........................ 20 " " ,
--- 1798 ........................ 76 Juden,
--- 1813 ........................ 71 " (ca. 13% d. Bevölk.)
--- 1830 ........................ 95 “ ,
--- 1848 ........................ 78 " (in 23 Familien),
--- 1875 ........................ 82 “ (ca. 14% d. Bevölk.),
--- 1910 ........................ 58 “ ,
--- 1925 ........................ 51 “ ,
--- 1933 ........................ 54 “ ,* * andere Angabe: 24 Pers.
--- 1938 (Frühjahr) ............. 36 " ,
--- 1939 ........................ 29 “ ,
--- 1942 (Sept.) ................ keine.
Angaben aus: Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 291
und Werner Steinhauser, Juden in und um Prichsenstadt, S. 12
und W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, S. 1319
Zu Beginn der NS-Zeit wohnten noch ca. 55 Personen jüdischen Glaubens im Dorf und stellten damit ca. 8% der Gesamtbevölkerung. Im Zusammenleben mit der christlichen Bevölkerungsmehrheit änderte sich zunächst wenig; Bauern machten weiter Geschäfte mit jüdischen Viehhändlern – allerdings zunehmend nicht mehr unter aller Augen, um nicht öffentlich als „Judenknechte“ abgestempelt zu werden. Zunehmende Diskriminierung und vereinzelt auch Repressalien führten ab Ende 1935/Anfang 1936 zur Abwanderung jüdischer Familien aus dem Dorf.
Bereits Ende Oktober 1938 inszenierten NSDAP-Angehörige Demonstrationen und Gewaltakte gegen die noch im Dorfe lebenden Juden. Am Morgen des 10.November wurden alle jüdischen Bewohner Frankenwinheims und des Nachbardorfes Lülsfeld in der Synagoge zusammengetrieben. Unter der ‚Aufsicht’ von SA-Angehörigen aus Gerolzhofen und Volkach wurden die in Gebetsmäntel gehüllten Frauen gezwungen, die Inneneinrichtung der Synagoge samt der Ritualien auf die Straße herauszuschleppen und anzuzünden; dabei schaute die Polizei und eine vielköpfige Menschenmenge zu. Anschließend wurden alle Juden ins Gefängnis von Gerolzhofen gebracht; fünf Männer überstellte die Polizei ins KZ Dachau. Während des Pogroms wurden auch die jüdischen Wohnungen verwüstet und ausgeraubt; an den Gewalttaten waren auch zahlreiche Jugendliche beteiligt.
... In Frankenwinheim und Lülsfeld war an den Aktionen auch die SA. von Volkach beteiligt. Dort mußten die Juden den Inhalt der Synagoge in Frankenwinheim (Schriften, Bücher u. Tücher etc.) auf die Straße auf einen Haufen zusammentragen, wo diese verbrannt wurde. In den Wohnungen wurde bei der Durchsuchung nach Waffen die Wäsche etc. herausgeworfen, sonstige Zerstörungen in den Wohnungen jedoch nicht begangen. ...
(aus: Bericht der Gendarmerie Gerolzhofen über die ‚Aktion’ in Frankenwinheim - Ende Nov. 1938)
Die letzten Juden Frankenwinheims wurden Ende April 1942 nach Izbica/bei Lublin deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 36 gebürtige bzw. längere Zeit in Frankenwinheim lebende jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/frankenwinheim_synagoge.htm).
Fünf Jahre nach Kriegsende fanden vor dem Landgericht Schweinfurt zwei Prozesse gegen 27 in Gerolzhofen und Umgebung aktiv Beteiligte am Novemberpogrom 1938 statt; sechs wurden zu kurzen Freiheitsstrafen verurteilt.
(Aufn. Jürgen Hanke) Die Straße, an der einst die Synagoge stand, heißt heute noch „Judengasse“.
Das ehemalige rituelle Bad wurde gegen Ende der 1980er Jahren abgebrochen.
Ehem. Mikwe in Frankenwinheim (Aufn. aus: frankenwinheim.de)
Im November 1999 ließ die Kommune vor dem Rathaus ein kleines Gedenkstein-Ensemble für die ehemaligen jüdischen Bewohner Frankenwinheims aufstellen.
(Aufn. aus: frankenwinheim.de)
Seit 2013 sind im Gehwegpflaster in der Schallfelderstraße – zur Erinnerung an Angehörige zweier jüdischer Familien – sog. „Stolpersteine“ verlegt. In den Jahren danach wurden in mehreren 'Aktionen' weitere "Stolpersteine" in das Gehwegpflaster eingefügt; inzwischen sind es ca. 40 Steine (Stand 2023).
„Stolpersteine“ für Fam. Friedmann und Fam. Gottlieb (Aufn. Stefan Polster, 2013 und Chr. Michelides, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
verlegt für Fam. Kolb in der Rosenbergstraße (Aufn. Chr. Michelides, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Auf Beschluss des Gemeinderates beteiligt sich auch Frankenwinheim am Projekt „DenkOrt Deportationen 1941-1944“, das der Erinnerung an die Deportation der unterfränkischen Juden gewidmet ist. Die Kommune hat sich bei diesem Projekt für die Fertigung eines Schulranzen entschieden, dessen Doublette sich beim Gedenkstein-Ensemble am Rathaus befindet; diese bronzene Skulptur - geschaffen vom Pater Meinrad Dufner - soll an den 13jährigen aus Frankenwinheim verschleppten Walter Friedmann und zugleich auch an die vier aus Lülsfeld deportierten Juden erinnern. (siehe dazu: Würzburg)
Schulranzen-Skulptur (Aufn. St. Polster, 2020)
In Öttershausen – einem Weiler auf der Gemarkung des Volkacher Ortsteils Gaibach - lebte bis ins ausgehende 19.Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinschaft. Bereits in der zweiten Hälfte des 15.Jahrhunderts sollen sich angeblich hier Juden aufgehalten bzw. kurzzeitig hier ansässig gewesen sein. Doch eine Gemeinde bildete sich erst im Laufe des 18.Jahrhunderts heraus. Bei der Erstellung der Matrikel (1817) waren fünf Familienvorstände aufgelistet, die ihren Lebenserwerb zumeist vom Viehhandel und einer kleinen Landwirtschaft bestritten. Trotz der geringen Zahl der Gemeindemitglieder erstellte die Gemeinde um 1860 einen Mehrzweckbau, in dem sich der Betraum mit Religionsschule befand; vermutlich gab es auch eine Mikwe. Doch bereits um 1875 wurde die Synagoge aufgegeben und die Gemeinde alsbald aufgelöst, als nur noch zwei jüdische Familien im Dorfe lebten.
Im südwestlich von Frankenwinheim gelegenen kleinen Dorf Rimbach (heute Ortsteil der Stadt Volkach/Main) sind um 1600 erstmals jüdische Familien erwähnt, die unter dem Schutz eines Adelsgeschlechts standen. Nachdem das Dorf Rimbach verschiedene Schutzherren - geistliche und weltliche – erlebt hatte, übernahmen um 1665 die Grafen von Schönborn die Ortsherrschaft.Ob im 17./18.Jahrhundert Juden im Dorf gelebt haben, lässt sich nicht nachweisen. Erst im beginnenden 19.Jahrhunderts lebten wenige jüdische Familien in Rimbach; 1817 sollen es neun Haushalte gewesen sein, die in den Matrikellisten geführt wurden. Lebenserwerb der Familien waren Handel mit Ellen- u. Kramwaren, Vieh- und Hausierhandel. In einem Privathaus gab es eine Betstube, die aber nicht häufig genutzt wurde, da Gottesdienste abwechselnd in Brünnau und Järkendorf aufgesucht wurden. Jüdische Kinder suchten im nahen Frankenwinheim die Religionsschule auf. Der dortige Lehrer war auch für dass rituelle Schlachten in Rimbach zuständig.
Um 1850/1860 löste sich die kleine jüdische Gemeinschaft in Rimbach auf; das letzte hier lebende Ehepaar mosaischen Glaubens verzog 1881 nach Frankfurt/M.
Weitere Informationen:
Sebastian Pfriem, Das Dorf Frankenwinheim, o.O. 1926
Baruch Z.Ophir/F. Wiesemann (Hrg.), Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 291 - 293
Georg Werner, Frankenwinheim im Spiegel seines geschichtlichen Werdegangs, in: Gemeinde Frankenwinheim (Hrg.), 1200 Jahre Frankenwinheim – Jubiläumsschrift des Festjahres, Gerolzhofen 1979, S. 14 - 41
Günter Roth, Frankenwinheim im 20.Jahrhundert bis 1979, in: Gemeinde Frankenwinheim (Hrg.), 1200 Jahre Frankenwinheim – Jubiläumsschrift des Festjahres, Gerolzhofen 1979, S. 67 - 114
Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Deportationen Würzburger Juden, in: "Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens", Band 1, Verlag Max Rötter, Bad Neustadt a.d.Saale 1980, S. 222/223
Gudrun Theuerer, Geschichte der Juden in Frankenwinheim seit 1349, Facharbeit in Geschichte, Gaibach 1988
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 57
Werner Steinhauser, Juden in und um Prichsenstadt, Selbstverlag, Prichsenstadt 2002, S. 12
Frankenwinheim, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie, viele Aufnahmen aus der jüngsten Vergangenheit)
Öttershausen, in: alemannia-judaica.de
Rimbach, in: alemannia-judaica.de
Stefan Polster (Red.), Aktive Erinnerungsarbeit (2. Stolpersteinverlegung), in: „Main-Post“ vom 30.5.2014
Stefan Polster (Red.), Vertrieben und ermordet. Dritte Verlegung von Stolpersteinen in Frankenwinheim, in: "Main-Post" vom 2.6. 2015
Stefan Polster (Red.), Heimatdorf und Heimatland – Stolpersteinverlegung in Frankenwinheim, in: „Main-Post“ vom 7.8.2015
Auflistung der in Frankenwinheim verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Frankenwinheim
Stefan Polster (Red.), Frankenwinheim. Gemeinderat beteiligt sich am "DenkOrt Aumühle", in: "Main-Post" vom 28.7.2018
Stefan Polster (Red.), Frankenwinheim. Gemeinderat beteiligt sich am „DenkOrt Aumühle“, in: „Main-Post“ vom 2.4.2019
DenkOrt Deportationen e.V. (Hrg.), Jüdischer Wohnort Frankenwinheim. Wir wollen uns erinnern. DenkOrt Deportationen, online abrufbar unter: denkort-deportationen.de/jg-luelsfeld/
Stefan Polster (Red.), Ein Schulranzen als bleibende Erinnerung, in: „Main-Post“ vom 20.10.2020
Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Frankenwinheim, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 1297 - 1325