Gauersheim (Rheinland-Pfalz)
Das nordpfälzische Dorf Gauersheim mit derzeit ca. 600 Einwohnern ist heute ein Ortsteil der Verbandsgemeinde Kirchheimbolanden – ca. 25 Kilometer westlich von Worms gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, ohne Eintrag von Gauersheim, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Donnersbergkreis', aus: ortsdienst.de/rheinland-pfalz/donnersbergkreis).
In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte die israelitische Gemeinde ihren personellen Zenit und stellte zeitweilig mehr als 20% der dörflichen Bevölkerung.
Die Wurzeln einer jüdischen Gemeinde in Gauersheim liegen vermutlich um 1700. Ein „Bethhauß“ im Dorfe an der Eselsgasse gibt es seit ca. 1770; die Absicht, es durch einen Neubau zu ersetzen, wurde aber nicht realisiert; dafür erfolgten im Laufe der Zeit mehrere Umbauten. Der nahezu quadratische Betsaal besaß 40 Männer- und auf der Empore ca. 20 Frauenplätze.
Ein jüdischer Friedhof in Gauersheim wurde um 1720 bzw. 1770 angelegt; die Fläche wurde in den 1870er Jahren deutlich erweitert. In den letzten Jahren ihres Bestehens waren der Gemeinde auch die jüdischen Bewohner von Albisheim angeschlossen.
Religiös-rituelle Aufgaben besorgte ein zeitweilig ein von der Gemeinde angestellter Religionslehrer.
aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 1.Mai 1893
Die Kultusgemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Kaiserslautern.
Juden in Gauersheim:
--- 1802 ......................... 111 Juden (ca. 20% d. Dorfbev.),
--- 1808 ......................... 133 " ,
--- 1821 ......................... 169 “ (in 31 Familien),
--- 1835 ......................... 173 “ ,
--- 1848 ......................... 171 “ (in 34 Familien),
--- 1869 ......................... 140 “ ,
--- 1875 ......................... 62 “ ,
--- 1890 ......................... 80 “ ,
--- 1900 ......................... 25 “ ,
--- 1936 ......................... 38 “ ,
--- 1938 ......................... 23 “ ,
--- 1939 (Sept.) ................. keine.
Angaben aus: Nordpfälzer Geschichtsverein (Hrg.), Jüdisches Leben in der Nordpfalz - Dokumentation, S. 140
und Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “, S. 161
Nach der Mitte des 19.Jahrhunderts setzte dann eine rasche Abwanderung der jüdischen Familien aus Gauersheim ein; die einst relativ große Landgemeinde hatte sich bis zu Beginn des 20.Jahrhunderts auf nur noch wenige Gemeindeangehörige reduziert.
Schon Monate vor dem Novemberpogrom wurden Fensterscheiben des Bethauses eingeworfen. Im Monatsbericht des Reg.präsidenten Pfalz (Okt. 1938) wurde auch auf „Vorkommnisse“ in Gauersheim aufmerksam gemacht. Darin hieß es: „ ... In Gauersheim (Bezirk Kirchheimbolanden) kam es, wie bereits als besonderes Vorkommnis gemeldet, zu Ausschreitungen gegen Juden. Dabei wurden den Juden die Fenster eingeschlagen, das Hoftor aufgedrückt und in das Haus eingebrochen. Im Innern des Hauses wurden verschiedene Gegenstände beschädigt und angeblich Silberzeug gestohlen. An einem anderen Haus wurde das Dach eines Stalls und des Aborts eingeschlagen. Der Grund zu all diesen Vorkommnissen liegt ebenfalls wieder in dem Verhalten der Juden in der Spannungszeit. ...”
Während der „Kristallnacht“ wurde das Bethaus schwer demoliert, Dachstuhl und Inneneinrichtung wurden zerstört; ein Jahr später ging es in den Besitz der Kommune über, die es niederreißen ließ und die entstandenen Kosten mit dem Kaufpreis des Grundstücks verrechnete. Bis Ende 1939 hatten alle jüdischen Bewohner das Dorf verlassen.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind nachweislich 28 gebürtige bzw. länger in Gauersheim wohnhaft gewesene Bürger jüdischen Glaubens Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betrffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/gauersheim_synagoge.htm).
Einzige Erinnerung daran, dass in Gauersheim einstmals viele jüdische Familien zuhause waren, ist der hiesige jüdische Friedhof.
Eingangstor zum Friedhof (Aufn. M. Ohmsen, 2010) und Teilansicht des Begräbnisgeländes (Aufn. J. Hahn, 2004)
[vgl. Kirchheimbolanden (Rheinland-Pfalz)]
Im Nachbardorf Albisheim existierte eine kleine jüdische Gemeinde seit dem beginnenden 18.Jahrhundert. Juden wurden 1722 erstmals erwähnt; mit ca. 45 Angehörigen erreichte die Albisheimer Judenschaft um 1860/1870 ihren zahlenmäßigen Höchststand. Gottesdienstliche Zusammenkünfte in einer privaten Betstube sind seit ca. 1740 nachweisbar; bis in die 1850er Jahre soll in Albisheim ein Synagogenraum bestanden haben. Auch ein kleines Begräbnisareal nördlich des Ortes zählte seit den 1860er Jahren zu den gemeindlichen Einrichtungen; zuvor waren Verstorbene auf dem Friedhof in Kirchheimbolanden begraben worden. Zu Beginn der 1930er Jahre lebten in der Ortschaft noch acht jüdische Familien, die mit dem benachbarten Gauersheim eine gemeinsame Gemeinde bildeten. Nachweislich wurden sieben jüdische Bewohner Albisheims Opfer der Shoa.
[vgl. Albisheim (Rheinland-Pfalz)]
In Ilbesheim – heute der Verbandsgemeinde Kirchheimbolanden zugehörig – gab es zu keiner Zeit eine jüdische Kultusgemeinde; die sehr wenigen Familien waren der Gemeinde Gauersheim angeschlossen. In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts sind alle jüdischen Bewohner von Ilbesheim abgewandert.
Heute erinnert noch das ca. 170 m² große Friedhofsgelände, das vermutlich im beginnenden 19.Jahrhundert angelegt wurde, an ehemals hier beheimatete Juden; auf dem kleinflächigen Areal zählt man noch drei Grabsteine
Jüdischer Friedhof in Ilbisheim (Aufn. M. Ohmsen 2012)
Weitere Informationen:
Gemeinde Gauersheim (Hrg.), 1150 Jahre Gauersheim 835 – 1985, Gauersheim 1985, S. 54 – 56
Nordpfälzer Geschichtsverein (Hrg.), Jüdisches Leben in der Nordpfalz - Dokumentation, Verlag F. Arbogast, Otterbach 1992, S. 31, S. 54/55 und S. 60 - 62
Bernhard Kukatzki, Jüdische Kultuseinrichtungen in der Verbandsgemeinde Kirchheimbolanden. Synagogen, Friedhöfe, Ritualbäder in Gauersheim, Ilbesheim, Kirchheimbolanden, Marnheim, Schifferstadt 1997, S. 5 - 11
Rüdiger Unger, Die jüdischen Friedhöfe von Albisheim und Gauersheim, in: "Donnersberg-Jahrbuch", No.21/1998, S. 130 ff.
S. Fischbach/I. Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels “ Synagogen. Rheinland-Pfalz Saarland , Hrg. Landesamt für Denkmalpflege, Mainz 2005, S. 69 und S. 161/162
Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 40/41 und S. 74
Gauersheim, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Aufnahmen vom jüdischen Friedhof)