Glückstadt (Schleswig-Holstein)

Datei:Schleswig-Holstein, administrative divisions - de - colored.svgBildergebnis für steinburg landkreis ortsdienst karte Mit derzeit knapp 12.000 Einwohnern ist Glückstadt an der Unterelbe die nach Itzehoe zweitgrößte Stadt des Kreises Steinburg – gelegen in der Metropolregion Hamburg (Kartenskizzen 'Schleswig-Holstein', TUBS 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0  und  'Landkreis Steinburg', aus: ortsdienst.de/schleswig-holstein/kreis-steinburg).

 

In der unter dänischer Herrschaft stehenden, 1617 gegründeten Hafen- und Festungsstadt Glückstadt an der Unterelbe ließen sich ab 1619 sephardische Juden aus Hamburg und Amsterdam nieder; es waren Kaufleute, Ärzte, Münzmeister und Gelehrte. Als erster portugiesischer Jude hatte sich 1619 Álvaro Dionis angesiedelt; er richtete die Münzstätte von Glückstadt ein und war Vertrauensmann und Ratgeber des dänischen Königs. Im Jahre 1623 lebten in Glückstadt bereits 29 sephardische Familien.

http://www.geschichte-s-h.de/wp-content/uploads/2014/12/glueckstadt2.jpg Glückstadt - historischer Grundriss (Quelle: Stadt Glückstadt)

Der dänische König Christian IV., der seine neu gegründete Stadt als prosperierende Handelsort an der Südgrenze seines Herrschaftsgebietes und auch als Gegenpol zum wachsenden Hamburg machen wollte und deshalb auch an allen größeren Handelsplätzen in Westeuropa für eine Niederlassung in Glückstadt mit „Einladungsschreiben“ (1618/1622) warb, spekulierte insbesondere auf die Ansiedlung portugiesischer Juden, die über gute Handelsbeziehungen und oftmals über beträchtliches Kapital verfügten. Christian IV. gestand den Portugiesen - neben weitgehenden Freiheiten bezüglich der Ausübung ihrer Religion - für die damalige Zeit äußerst großzügige Privilegien zu; dazu zählten Niederlassungs-, Handels- und Gewerbefreiheit.

Für die portugiesischen Juden stellte Glückstadt angesichts der von der Hamburger Geistlichkeit geschürten Judenfeindschaft ein attraktiver Zufluchtsort dar. Die Portugiesen wohnten in der Kremper Straße (war bis 1623 die Hauptstraße), am Fleth, in der Portugiesenstraße, später auch am Hafen. Einige erwarben auch Land, zumeist in der Nähe des portugiesischen Friedhofs.

Die jüdischen Zuwanderer trugen zum wirtschaftlichen Aufbau der Stadt bei; so gründeten sie eine Zucker-Raffinerie, eine Seifenfabrik, ein Salzwerk und betrieben Außenhandel; doch sie kehrten Glücksburg den Rücken, als ihre Handelsaktivitäten nicht umgesetzt werden konnten. Zwischen 1630 und 1700 wurden die Privilegien noch beträchtlich erweitert; so wurde den Portugiesen u.a. eine (teilweise) Befreiung von Einquartierung, Erlaubnis zum Bau einer Synagoge, die Konzession zum Betreiben einer Druckerei, zum Bau von Schiffen und die Erlaubnis zum Besuch von privaten und öffentlichen Schulen des Landes gewährt. 1732 liefen die Privilegien jedoch aus, da keine der alten Familien in Glückstadt mehr ansässig war.

In einem Privileg des dänischen Königs (1628/1630) hatte es u.a. geheißen:

„ ... Damit sie auch ... ihre todten auf ihre weiß zur erden bestattigen, und densleben die letzte ehr erweisen mögen, so soll ihnen darzu ein geraumer platz, vor die gebühr von Unsern befehlshaber außgewiesen werden, welchen sie auch mit einer mawer, crafft dieses umbgeben, oder sonsten mit etlichen häusern befriedigen, ihre todten alle dahin ohne einige behinderung transportiren, wie dan auch von dannen, nach ihrem gefallen, anderstwohin verführen mögen. ...”

 Der sephardische Arzt, Mathematiker, Philosoph und Rabbiner Joseph Salomo Delmedigo lebte von 1625 bis 1628 in Glückstadt.

Bildergebnis für jüdische siegel Rabbinats-Siegel der jüdischen Gemeinde (Abb. Detlefsen-Museum, in: glueckstadt.de)

Der jüdische Friedhof in Glückstadt wurde im Jahre 1622 im Bereich der Befestigungsanlagen angelegt; dieser zunächst nur von Sepharden genutzte Begräbnisplatz diente später auch verstorbenen aschkenasischen Juden als „Guter Ort“. Im Jahre 1895 wurde der Friedhof auf ein Viertel verkleinert, die Grabsteine nun der Höhe nach aufgestellt; in der NS-Zeit wurde alle Steine abgeräumt und das Gelände planiert.

Die handelserfahrenen portugiesischen Juden erkannten jedoch bald, dass Glückstadt für die Zukunft kein wirtschaftliches Pendant zum nahen Hamburg werden würde; deshalb verlagerten sie ab Ende des 17./beginnenden 18.Jahrhunderts mehrheitlich ihre Geschäfte nach Amsterdam, Antwerpen, Kopenhagen, London und Hamburg. Da die Glückstadter Gemeinde aber finanziell nun nicht allein bestehen konnte, war sie auf die Hilfe der Hamburger Juden angewiesen; als eine Art Gegenleistung mussten die Glückstadter Juden der Sephardengemeinde in Hamburg ihre Synagoge und ihren Friedhof übereignen.

Anfang der 1780er Jahre war ein Teil der Gemeindeangehörigen durch eine Epidemie ums Leben gekommen, die Überlebenden verließen kurz danach die Stadt. Um 1785 war die sephardische Synagogengemeinde völlig aufgelöst. Etwa zeitgleich wurde die Synagoge auf Abbruch verkauft, da nun keine Portugiesen mehr in der Stadt lebten und sich die Hamburger Muttergemeinde als Rechtsnachfolgerin nicht bereit erklärte, für die notwendigen Restaurierungsarbeiten aufzukommen.

Parallel zur Abwanderung der portugiesischen Familien war mit Genehmigung des Glückstädter Magistrats nun der Zuzug deutscher und polnischer Juden erfolgt – allerdings ohne die vollständigen Rechte der sephardischen Abwanderer zu besitzen. Ab dem Jahre 1769 existierte in Glückstadt eine aschkenasische Kultusgemeinde; der Bau einer Synagoge - auf dem Grundstück Königsstraße 6 (ehemals Juden- bzw. Portugiesenstraße) - erfolgte fast zeitgleich.

File:Synagoge Glückstadt by Ferdinand Oesau.jpg

Synagoge und Synagogenraum (Abb. Ulf Heinsohn, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Juden in Glückstadt:

         --- 1623 ............................  29 jüdische Familien (Sepharden),

    --- um 1640 .........................  20     "       "   ,

    --- 1691 ............................  10     "       "   ,

    --- um 1800 ......................... 120  Juden (Aschkenasen),

    --- 1835 ............................ 188   "   ,

    --- 1850 ........................ ca. 200   "   ,

    --- 1895 ............................   6   "   ,

    --- 1925 ............................   4   "   .

Angaben aus: Elke Imberger, Jüdische Gemeinden in Schleswig-Holstein

 

Ak Glückstadt an der Unterelbe, Marktplatz Marktplatz in Glückstadt - hist Postkarte (Abb. aus: akpool.de)

Gegen Mitte des 19.Jahrhundert setzte der Niedergang der aschkenasischen Gemeinde ein. Mitte der 1920er Jahre gab es in Glückstadt dann keine Gemeinde mehr; offiziell wurde aber erst im Jahre 1931 aufgelöst.

1895 hatte die Kommune Glückstadt von der jüdischen Gemeinde bereits das Synagogengelände an der Königsstraße mit der einsturzgefährdeten Synagoge erworben; mit dem Erlös ließ die jüdische Gemeinde ihren Friedhof restaurieren. Gleichzeitig verpflichtete sich die Stadt, künftig für die Instandhaltung der Begräbnisstätte zu sorgen. Das Synagogengebäude wurde alsbald abgerissen.

 

Nach 1945 wurde das während der NS-Zeit von den Grabsteinen abgeräumte Friedhofsgelände - so gut es eben ging - wieder hergerichtet; etwa 100 Grabsteine (davon ca. 90 sephardische Grabplatten) konnten geborgen und wieder auf das Areal gebracht werden. Heute ist das Begräbnisgelände der einzige Hinweis darauf, dass in Glückstadt einst eine größere jüdische Gemeinde beheimatet war.

Das mit zwei Davidsternen versehene Eingangstor zum wiederhergestellten Jüdischen Friedhof Der jüdische Friedhof in Glückstadt (Pentzstraße) zählt zu den ältesten jüdischen Begräbnisplätzen in Schleswig-Holstein und ist der einzige einer Sephardengemeinde im nördlichsten deutschen Bundesland (Eingangspforte, Aufn. P. Krummeisen, 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0). Manche der alten Grabmäler - Meisterwerke der Steinmetzkunst - stellen biblische Szenen, Wappenschilder und andere Symbole dar; in der Mehrzahl handelt es sich um liegende Grabplatten. Das Friedhofsgelände an der Pentzstraße steht heute unter Denkmalschutz; eine Gedenktafel informiert:

Jüdischer Friedhof

‘Haus der Ewigkeit’ der jüdischen Gemeinde Glückstadt.

Die Grabsteine aus dem 17. und 18.Jahrhundert zeigen hebräische und portugiesische Inschriften sowie zahlreiche Symbole (...).  Christian IV. lud die aus Portugal eingewanderten sephardischen Juden ein, in Glückstadt Handel zu betreiben. Nach 1861 fanden ausschließlich deutsche Juden (Aschkenasim) hier ihre letzte Ruhestätte. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Friedhof im Jahre 1941 geschändet.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2074/Glueckstadt%20Friedhof%20111.jpg  

Sephardische Grabmale (links: Aufn. Hans-Peter Laqueur, 2006 - rechts: Aufn. U. Barghaan, 2009)

     http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2074/Glueckstadt%20Friedhof%20104.jpg

Symbolhafte Motive auf Grabplatten: Totenschädel mit Knochen -- Zwei Engel mit Sanduhr -- Pfeil u. Bogen (Aufn. H.-P. Laqueur, 2006)

Anm.: Das jüngste Grabmal ist das auf der Grabstätte des Ehepaares Jenny und Semmy Levy; der Kaufmann und Schuhwarenfabrikant u. dessen Ehefrau hatten ihr Haus und Geschäft in der Schlachterstraße. Als einer der beiden einzigen männlichen Mitglieder der Glückstädter Gemeinde unterzeichnete Semmy Levy 1907 einen Vertrag mit der Kommune, wonach beim Erlöschen der jüdischen Gemeinde deren gesamtes Vermögen an die Stadt Glückstadt fallen soll; als Gegenleistung verpflichteten sich die kommunalen Behörden, den jüdischen Gemeindefriedhof zu unterhalten.

Im Jahre 2014 erfolgte eine Grundsanierung des jüdischen Friedhofs, die mit Mitteln aus dem Denkmalschutzfonds des Landes bestritten wurde.

 

Vor Häusern in der Schlachterstraße erinnern drei sog. „Stolpersteine“ an gebürtige Glückstädter Jüdinnen, die deportiert und ermordet wurden.

Stolperstein für Paula ‚Pauline‘ MeyerStolperstein für Lea Laura SelckeStolperstein für Magda LevyAufn. NNW, 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0

 

 

 

Weitere Informationen:

Alfonso Cassuto, Die portugiesischen Juden in Glückstadt, Frankfurt/M. 1930

Peter Hirsch/Billie Ann Lopez, Reiseführer durch das jüdische Deutschland, Verlag Roman Kovar, München 1995, S. 46 - 48

Elke Imberger, Jüdische Gemeinden in Schleswig-Holstein, Hrg. Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Wachholtz Verlag, Neumünster 1996

M.Faust/M.Studemund-Halévy, Betahaim. Sefardische Gräber in Schleswig-Holstein, Glückstadt 1997

Michael Studemund-Halévy, Die portugiesisch-spanischen Grabinschriften in Norddeutschland: Glückstadt und Emden, in: "Aschkenas – Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden", 7/1997, Heft 2, S. 389 - 440

Michael Studemund-Halévy, Ungeliebtes Erbe - Glückstadt und sein jüdischer Friedhof, in: Gerhard Paul/Miriam Gillis-Carlebach (Hrg.), Menora und Hakenkreuz. Zur Geschichte der Juden in und aus Schleswig-Holstein, Lübeck und Altona 1918 - 1998, Wachholtz Verlag, Neumünster 1998, S. 743 ff.

M.Brocke/Chr. Müller, Haus des Lebens - Jüdische Friedhöfe in Deutschland, Reclam Verlag, Leipzig 2001, S. 200/201

Mario Meisberger, Glückstadt unter dem Hakenkreuz: Die Herrschaft der NSDAP 1933 bis 1945, o.O. 2001

Gerhard Paul, “Die jüdischen Bewohner der meerumschlungenen Provinz sind fast nur auf sich selbst angewiesen”. Juden und Judenverfolgung in Schleswig-Holstein im allgemeinen und im Kreis Steinfurt im besonderen, in: "Steinburger Jahrbuch", Band 46/2001, o.O. 2002, S. 13 - 35

M.Brumlik/R.Heuberger/C.Kugelmann (Hrg.), Reisen durch das jüdische Deutschland, DuMont Literatur- u. Kunstverlag, Köln 2006, S. 264

Tanja Schlie (Red.), Das Erbe der Juden in Glückstadt, in: „Norddeutsche Rundschau“ vom 13.3.2009

Der jüdische Friedhof in Glückstadt, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Aufnahmen)

Christine Reimers (Red.), Jüdischer Friedhof jetzt unter Denkmalschutz - Restaurierung des Glückstädter Friedhofes schreitet voran, in: „Norddeutsche Rundschau“ vom 16.7.2014

Kay Blohm (Red.), Stadtgeschichte. Das 400jährige Erbe Christian IV., in: „Norddeutsche Rundschau“ vom 26.1.2017

Ausstellung zur Geschichte der Juden in Glückstadt 1619 - 1915 – anlässlich des 400jährigen Stadtjubiläums. Flyer, hrg. vom Detlefsen-Museum Glückstadt 2017

Joachim Jacobs (Bearb.), Der jüdische Friedhof von Glückstadt, in: Chr. Boldt (Hrg.), 400 Jahre Glückstadt. Festschrift der Detlefsen-Gesellschaft zum Stadtjubiläum, books on demand, Norderstedt 2017, S. 89 - 105

Manfred Jakubowski-Tiessen (Bearb.), Die ersten jüdischen Gemeinden in den Herzogtümern Schleswig und Holstein im 17.Jahrhundert, in: ders., Religiöse Weltsichten, Matthiesen-Verlag Husum 2020, S. 83 - 102

Christian Boldt (Bearb.), Glückstadt als Rückzugsort: Die jüdische Gemeinde in Glückstadt, in: „Wissenstransfer und Kulturimport in der Frühen Neuzeit" - Tagungsband, 2020, S. 121 - 129

Christine Reimers (Red.), Glückstadt: Am Jüdischen Friedhof wird Straßenname, in: „Norddeutsche Rundschau“ vom 13.1.2021

Christine Reimers (Red.), Erinnerung an jüdische Nachbarn. Peter-Harry Carstensen unterstützt Verlegung von Stolpersteinen in Glückstadt, in: „Norddeutsche Rundschau“ vom 2.8.2021

Herbert Frauen (Red.), Wie Glückstadt einst zum Rückzugsort für Juden aus Portugal wurde, in: „Norddeutsche Rundschau“ vom 12.9.2021

Kay Blohm, Das Haus der Ewigkeit in Glückstadt: Die jüdische Gemeinde und ihr Friedhof, Selbstverlag Glückstadt 2021

Auflistung der in Glückstadt verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Glückstadt