Gronau/Leine (Niedersachsen)
Die Kleinstadt Gronau (Leine) mit derzeit fast 5.500 Einwohnern (mit Eingemeindungen ca. 10.800 Einw.) liegt im Landkreis Hildesheim und ist Verwaltungssitz der Samtgemeinde Leinebergland (Reliefkarte 'Weser-Leine-Bergland', 2010, aus: commons.wikimedia.org, GFDL und Kartenskizze 'Landkreis Hildesheim', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Erstmals wurden Juden in Gronau, einem Dorfe im Stift Hildesheim, gegen Ende des 14.Jahrhunderts urkundlich erwähnt. Als Schutzjuden zunächst des Hildesheimer Bischofs, später zeitweilig des Hildesheimer Rates, durften sie sich in Gronau ansiedeln und von hier aus ihren Geschäften nachgehen. Im Jahre 1428 wurden die Juden Gronaus durch ihren Schutzherrn Bischof Magnus an den Altstädter Rat zu Hildesheim verpfändet, dem sie in Folge abgabenpflichtig waren. Ende der 1450er Jahre sollen die jüdischen Familien aus Gronau vertrieben worden sein. Ob Juden ununterbrochen in Gronau wohnten, kann nicht belegt werden; nachweisbar sind jüdische Familien erst wieder in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts.Der Gronauer Magistrat wehrte sich mehrfach gegen neue Ansiedlungen jüdischer Familien. Er fürchtete wirtschaftliche Konkurrenz, war aber auch von antijüdischen Ressentiments getrieben.
So hieß es in einer Bittschrift des Gronauer Magistrats aus dem Jahre 1795:
„ ... Seit den ältesten Zeiten her scheint unsere Stadt von Juden-Familien bestürmt zu sein, welche sich hier häuslich niedergelaßen haben. Durch laute Beschwerden ist es nun freilich dem hiesigen Stadtrathe oftmals geglückt sothanes Übel von der Stadt abzuwenden; wodurch laut gnädigster Resoslution vom 7.July 1757 zweyen Juden-Familien ... der Schutz versagt, und deren Aufenthalt hieselbst verweigert worden ist. ... Die hiesige Stadt ist bereits mit 7ben Juden-Familien - ohne den großen Anhang derselben zu rechnen - gesegnet. ... , ... so glauben wir doch uns an den hiesigen Knochenhauern zu sehr zu versündigen, wenn wir diesen gewiß schweren Lasten tragenden Unterthanen ihren bereits zu sehr geschmälerten Erwerbszweig noch den letzten tödlichen Stoß geben zu lassen, geruhig ansehen sollten.”
Diese wirtschaftlich begründeten Konflikte wurden in Gronau bis weit ins 19.Jahrhundert hinein ausgetragen; sie endeten letztlich mit der Übernahme Hannovers in das preußische Staatswesen.
Im Jahre 1830 wurde Gronau zur selbstständigen Synagogengemeinde im Landrabbinat Hildesheim erhoben; dieser schlossen sich die Orte Betheln und Wallenstedt an, 1853 auch Banteln und 1855 Eime; letztere deshalb, weil die bisherige ‚Muttergemeinde’ Salzhemmendorf zu weit entfernt war. Die Abhaltung von Gottesdiensten erfolgte anfänglich in einem angemieteten Hinterhaus; Ende der 1820er Jahre errichteten die Gronauer Juden eine Synagoge mit Unterrichtsraum und angeschlossener Lehrerwohnung; das Fachwerkgebäude unterschied sich äußerlich kaum von den Nachbarhäusern. Die jüdische Elementarschule Gronaus bestand bis 1908; sie konnte auf Grund ausreichender Schülerzahlen bis ca. 1880 allein betrieben werden, danach teilten sich die Gronauer und Elzer Gemeinde einen Lehrer.
Einen Begräbnisplatz besaßen die Gronauer Juden im 18.Jahrhundert an unbekanntem Ort jenseits der Stadtmauern. Seit 1819 verfügte die Judenschaft über ein neues Beerdigungsgelände im "Hoher Escher".
Juden in Gronau:
--- 1732 ......................... 3 jüdische Familien,
--- 1765 ......................... 6 “ “ ,
--- 1795/1800 .................... 8 “ “ (ca. 65 Pers.),
--- 1816 ......................... 46 Juden (in 8 Familien),
--- 1836 ......................... 80 “ ,
--- 1842 ......................... 64 “ ,
--- 1861 ......................... 92 “ (ca. 5% d. Bevölk.),
--- 1871 ......................... 49 “ ,
--- 1895 ......................... 31 “ ,
--- 1905 ......................... 20 “ ,
--- 1933 ......................... 12 “ ,
--- 1938 (Juni) .................. 11 “ ,
--- 1942 (Juli) .................. 2 “ .
Angaben aus: Andrea Baumert, Spuren jüdischen Lebens in Gronau
Die Juden Gronaus lebten im 18./19.Jahrhundert vom Handel mit Vieh, Fleisch und Fellen, aber auch mit Altwaren. Ihre Vermögensverhältnisse müssen sich durch umfangreichen Immobilienbesitz im Laufe des 19.Jahrhunderts deutlich verbessert haben. Als um 1870 wohlhabende jüdische Familien auswanderten, kam die bis dato relativ wohlhabende Gemeinde in finanzielle Schwierigkeiten; Gottesdienste konnte nur noch dann abgehalten werden, wenn Glaubensgenossen aus den Nachbarorten teilnahmen.
Bis zur Jahrhundertwende waren die Gronauer Juden weitgehend in die kleinstädtische Gesellschaft integriert; trotzdem fand die antisemitische Agitation des „Deutsch-Sozialen Reformvereins“ in den 1890er Jahren hier Gehör. Um 1900 und in den ersten Jahrzehnten danach verdienten die wenigen noch übrig gebliebenen jüdischen Bewohner Gronaus ihren Lebensunterhalt zumeist im Landwaren- und Manufakturwarenhandel.
Geschäftsanzeigen Gronauer Juden (um 1910):
Zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch zwölf jüdische Einwohner in Gronau. Ihre Lebensgrundlage wurde ihnen in den Folgejahren durch Boykott ihrer drei Geschäfte entzogen. Im Sommer 1935 wurden die Gronauer Bürger von den lokalen NSDAP-Funktionären öffentlich dazu aufgerufen, nicht mehr bei jüdischen Geschäftsleuten einzukaufen.
Während des Novemberpogroms kam es auch hier zu einzelnen gewalttätigen Ausschreitungen. Von einer Inbrandsetzung der Synagoge wurde nur wegen der Gefahr eines sich ausweitenden Feuers Abstand genommen; die Inneneinrichtung wurde dagegen herausgerissen und öffentlich auf dem Marktplatz verbrannt. Die Lokalpresse berichtete am 11.11.1938 über die Vorgänge in Gronau wie folgt:
Gronau, 11. Nov. Wie an anderer Stelle berichtet, machte sich die Empörung des deutschen Volkes über die feige Mordtat in Paris überall im Reiche durch Kundgebungen und scharfe judenfeindliche Maßnahmen Luft. So kam es denn auch in Gronau zu einem Vorgehen gegen die hiesigen Einrichtungen des Judentums. Man verschaffte sich u.a. Eingang in den Synagogenraum, holte die verschiedenen Gegenstände heraus und verbrannte sie auf dem Adolf-Hitler-Platz ... Der einzige zur Zeit in Gronau anwesende männliche Jude wurde in Schutzhaft genommen.
Nach 1938 verließen fast alle jüdischen Bewohner die Kleinstadt; die letzten beiden wurden Ende Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert.
Das 1940 an die Kommune übergegangene Synagogengebäude wird heute als Wohnhaus genutzt.
In Gronau lassen sich nur noch wenige Spuren der jüdischen Geschichte des Ortes finden; der restaurierte Friedhof in der Straße "Hoher Escher" - belegt bis Anfang der 1930er Jahre und während der NS-Zeit schwer geschändet - bezeugt die Existenz der früheren jüdischen Gemeinde. Seit Mitte der 1990er Jahre steht das kleine Friedhofsgelände mit seinen nahezu 60 Grabsteinen unter Denkmalschutz.
jüdischer Friedhof (Aufn. Frank Achhammer, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Der kleinflächige jüdische Friedhof in Banteln, einer Gemeinde in der Samtgemeinde Gronau (Leine), weist heute noch 13 Grabsteine auf. Belegt wurde das Begräbnisgelände von 1817 bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges ausschließlich von Verstorbenen der Familie Meyerhof.
Die jüdischen Bewohner Bantelns waren seit 1853 der Kultusgemeinde Gronau angeschlossen, zuvor gehörten sie zu der von Salzhemmendorf.
Jüdischer Friedhof in Banteln (Aufn. F. Achhammer, 2022, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Louis Oppenheimer, Lebensgeschichte unseres seligen Vaters Hirsch Oppenheimer, Hannover 1922 (Anm.: Auszüge in: Monika Richarz, Bürger auf Widerruf - Lebenszeugnisse deutscher Juden 1780 - 1945, Verlag C.H. Beck, München 1989, S. 103 – 107)
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Niedersachsen II (Reg.Bez. Hannover und Weser-Ems), Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986, S. 82/83
Germania Judaica, Band III/1, Tübingen 1987, S. 472
Andrea Baumert, Spuren jüdischen Lebens in Gronau, in: Beiträge zur Geschichte der Stadt Gronau (Leine), Schriftenreihe des Stadtarchivs, Hrg. Stadt Gronau, Hefte 1991/1993, S. 51 - 87, 1995, S. 13 - 78 und 1996, S. 22 - 67
Andrea Baumert, Gronau. Entwurf für das ‘Synagogen-Projekt’ der Universität Hannover, 1997
Andrea Baumert, Vom Schutzjuden zum gleichberechtigten Staatsbürger - Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in der Kleinstadt Gronau, in: Herbert Reyer/Herbert Obenaus (Hrg.), Geschichte der Juden im Hildesheimer Land, in: Veröffentlichungen des Landschaftsverbandes Hildesheim e.V., Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich/New York 2003, S. 29 ff.
Andrea Baumert (Bearb.), Gronau, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 664 – 670
Niedersächsisches Amt für Denkmalpflege (Bearb.), Jüdischer Friedhof Hoher Escher, online abrufbar unter: denkmalatlas.niedersachsen.de/viewer/
Kilian Milatz, Jüdische Bürger in Gronau, in: Vernetztes Erinnern – Nationalsozialistische Gewaltherrschaft in Stadt und Landkreis Hildesheim, online abrufbar unter: vernetztes-erinnern-hildesheim.de
Jens-Christian Wagner (Bearb.), GRONAU – Novemberpogrome 1938 in Niedersachsen, Hrg. Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, online abrufbar unter: pogrome1938-niedersachsen.de/gronau/
Larissa Zimmer (Red.), Reichspogromnacht: Gronauer Synagoge steht noch heute, in: "Leine-Deister-Zeitung" vom 8.11.2023