Großeicholzheim (Baden-Württemberg)

Datei:Seckach in MOS.svg Großeicholzheim mit derzeit ca. 1.400 Einwohnern ist seit 1972 ein Ortsteil von Seckach im Neckar-Odenwald-Kreis ca. 35 Kilometer nördlich von Heilbronn gelegen (Kartenskizze 'Neckar-Odenwald-Kreis', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Ein Jude wird in Großeicholzheim erstmals gegen Mitte des 16.Jahrhunderts urkundlich erwähnt; in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts bildete sich im Dorfe eine ansehnliche jüdische Gemeinde mit ca. 15 Familien. Eine Ansiedlung war für Juden hier recht attraktiv, da Großeicholzheim über das Marktrecht verfügte. Die meisten jüdischen Familien bestritten ihren Lebensunterhalt vom Vieh- und Kramhandel mit den Bauern aus dem Odenwald.

Eine um 1800 eingerichtete alte, baufällige Synagoge in der Wettgasse wurde in den 1880er Jahren durch einen Neubau an gleicher Stelle ersetzt. Das Gebäude wurde durch eine Kollekte und zudem durch eine Spende des badischen Großherzogs mitfinanziert.

   Spendenaufruf der Gemeinde für den Synagogenbau 

Im Sommer 1887 wurde die Synagoge eingeweiht; in einem Artikel der Zeitschrift "Der Israelit" vom 30.Juni 1887 wurde wie folgt darüber berichtet:

"Groß-Eichholzheim (Baden). Verrauscht sind die Töne des Jubels und Stille ist wieder in unserem Dorfe eingekehrt. Die Einweihung der neu gebauten Synagoge, die in den Tagen des 10. und 11. Juni stattfand, gestaltete sich zu einem Feste, wie es großartiger hier noch nicht erlebt wurde. Unzählige Fremde waren von Nah und Fern herbeigeeilt, um Zeuge dieses religiösen Aktes zu sein. Im prächtigsten Kleide prangten die Straßen und Häuser. Kein christliches Haus war zu erblicken, das ungeschmückt gewesen wäre, ein Beweis, in welchem guten Einvernehmen wir hier mit unseren Andersgläubigen leben. … Freitag, morgens um 7 Uhr, fand der letzte Gottesdienst in dem bisher provisorisch benützten Betsaale statt. Eine kurze Abschiedsrede der Herrn Rabbiner Dr. Löwenstein aus Mosbach schloß die Feier. Um 10 Uhr bewegte sich ein stattlicher Zug, der Herr Rabbiner und noch 4 weitere Thorarollenträger unter einem Baldachin gehend, vom alten Betsaale, durch die Hauptstraße des Ortes ziehend, der neuen Synagoge zu. Erhebende Gesänge, ausgeführt von hiesigen Gemeindemitgliedern, leiteten die Feier ein. Ein Mädchen überreichte in einer passenden Ansprache dem Herrn Rabbiner den Schlüssel, worauf alsdann das Gotteshaus geöffnet wurde. In Schaaren strömte man hinein und in wenigen Minuten war die Synagoge, deren schöner Bau und prachtvolle Einrichtung und innere Ausstattung alle Anwesenden in Staunen versetzte, bis auf den letzten Platz gefüllt. … Nachmittags war Bankett, abends 7 ½ Uhr der erste Gottesdienst in der neuen Synagoge. Morgens früh ging man zum Frühgottesdienst, um 9 ½ Uhr war Hauptgottesdienst, dem sich wieder eine treffliche Predigt, den Geist, der in einem Gotteshause herrschen soll, behandelnd, anschloß. Noch lange werden diese schönen Tage in guter Erinnerung sein. A. Fröhlich."

Bauplan des Synagogengebäudes (Erdgeschoss) http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2039/Grosseicholzheim%20Synagoge%20242.jpg aus: alemannia-judaica.de

Der Betsaal befand sich im hinteren Teil des Gebäudes, während zur Straßenseite der Schulraum und die Lehrerwohnung gelegen waren.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20178/Grosseicholzheim%20Israelit%2027091876.jpg    

Stellenanzeigen für eine Lehrerstelle aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 27.9.1876 und vom 27.4.1885

Die Judenschaft des Ortes begrub ihre Verstorbenen auf dem jüdischen Friedhof der Nachbargemeinde Bödigheim. 

Die jüdische Gemeinde Großeicholzheim gehörte seit 1827 zum Rabbinatsbezirk Mosbach.

Juden in Großeicholzheim:

         --- um 1760 ......................  14 jüdische Familien,

    --- 1825 .........................  99 Juden,

    --- 1843 .........................  93   "  ,

    --- 1855 .........................  87   “  ,

    --- 1875 ......................... 111   “  ,

    --- 1887 .........................  95   "  (ca. 11% d. Bevölk.)

    --- 1900 ......................... 112   “  (ca. 15% d. Bevölk.),

    --- 1925 .........................  56   “  ,

    --- 1933 ..................... ca.  55   “  ,

    --- 1939 ..................... ca.  20   “  ,

    --- 1941 .........................  keine.

Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, ..., S. 115

 

Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten reduzierte sich die Zahl der Gemeindemitglieder um mehr als die Hälfte, sodass zu Beginn der 1930er Jahre nur noch knapp 60 Personen der Kultusgemeinde angehörten. Neben einem größeren Viehhandel gab es in Großeicholzheim wenige kleinere Einzelhandelsbetriebe in jüdischem Besitz: Metzgerei und Kolonialwarengeschäft Simon Freudenthal (Friedhofstraße), Viehhandlung u. Schuhgeschäft Max Kälbermann (Kirchgasse), Gasthaus "Lamm", Inh. Moses Marx (Hauptstraße), Textilwarengeschäft Siegfried Rosenthal (Hauptstraße) und Woll- und Weißwarengeschäft Westheimer (Wettgasse).

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20178/Grosseicholzheim%20Israelit%2019011893.jpg  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20178/Grosseicholzheim%20Israelit%2016091897.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20271/Gross-Eicholzheim%20Israelit%2013061901.jpg

Kleinanzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 19.1.1893, 16.9.1897 und 13.6.1901

Trotz der Boykottaufrufe der NSDAP ging der Geschäftsverkehr mit Juden hier nur langsam zurück; nach 1935 zeigte die antijüdische Hetze auch hier Wirkung: Geschäfte wurden aufgegeben und ihre Eigentümer wanderten aus. Etwa 30 jüdischen Bewohnern von Großeicholzheim gelang die Emigration nach Übersee.

Während des Novemberpogrom wurden am Ort einzelne "Aktionen" durchgeführt: die Fenster der Synagoge wurden eingeworfen und die Inneneinrichtung teilweise zerstört, jüdische Bewohner wurden misshandelt und ihre Wohnungen demoliert.

Im Rahmen der sog. „Aktion Bürckel“ wurden am 22.Oktober 1940 insgesamt 16 jüdische Bewohner von Großeicholzheim ins südfranzösische Lager Gurs deportiert; die allermeisten kamen ums Leben bzw. gelten als verschollen.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ haben mindestens 30 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum hinweg in Großeicholzheim ansässig gewesene jüdische Bewohner die NS-Zeit nicht überlebt (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/grosseicholzheim_synagoge.htm).

 

                   Ehem. Synagoge (Aufn. aus: Hundsnurscher/Taddey, um 1965)

Das ehemalige Synagogengebäude wurde nach 1945 als Wohngebäude genutzt. Eine Gedenktafel erinnert dort seit dem Jahre 1994 mit dem folgendem Text:

Ehemalige Synagoge der jüdischen Gemeinde Grosseicholzheim 1886 - 1938

Denn mein Haus wird ein Haus des Gebets für alle Völker genannt

Inschrift über der Eingangstüre

ZUR ERINNERUNG AN DIE JÜDISCHEN MITBÜRGER,

DEREN LEIDEN + STERBEN UNS MAHNT.

Gemeinde 1994 Seckach

Gedenkstein in GroßeicholzheimSchüler/innen der Seckachtalschule und Mitglieder der Jugendgruppe der katholischen Filialkirchengemeinde haben - unter Anleitung eines Bildhauerehepaares - im Rahmen des landesweiten Mahnmal-Projektes für die deportierten Juden Badens einen Memorialstein entworfen, der 2009 in der Gedenkstätte Neckarzimmern aufgestellt wurde (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de). Die Doublette des Gedenksteins steht im Schlosspark.

 

 

Weitere Informationen:

Karl M. Schmitt, Geschichte des Pfarrdorfes Großeicholzheim, o.O. 1957

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden - Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 115/116

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 395/396

Großeicholzheim, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 436 - 438 

Rudolf Landauer/Reinhart Lochmann, Spuren jüdischen Lebens im Neckar-Odenwald-Kreis, hrg. vom Landratsamt NOK, 2008