Grüsen (Hessen)

Der Landkreis Frankenberg 1905Datei:Gemünden (Wohra) in KB.svg Grüsen ist seit der Eingemeindung von 1971 ein Stadtteil von Gemünden (Wohra) im mittelhessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 mit Eintrag von Gemünden, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Waldeck-Frankenberg', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Jüdische Bewohner sind seit dem 18.Jahrhundert im Dorfe Grüsen nachweisbar. Bis in die 1880er Jahre gehörten sie zur Kultusgemeinde Gemünden; ab 1885 bildeten sie dann eine eigenständige Gemeinde (offizielle Trennung geschah erst ein Jahrzehnt später). Bereits zwei Jahre zuvor hatten die Grüsener Juden eine kleine Synagoge errichtet, die neben der Scheune des Gasthauses Marx* gelegen war. * Fast alle Familien trugen den Nachnamen „Marx“.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20362/Gruesen%20Synagoge%20150.jpg Skizze der Synagoge – aus dem Gedächtnis von Jakob Gunst gezeichnet (2012)

Über einen eigenen Vorbeter/Lehrer verfügte die Kleinstgemeinde nicht; während die Vorbeterdienste von Gemeindemitgliedern übernommen wurden, erfolgte die religiöse Unterweisung der Kinder durch den jüdischen Lehrer aus Gmünden.

Über einen kleinen Friedhof, der unmittelbar an den kommunalen angrenzte, verfügte die Grüsener Judenschaft erst seit Anfang des 20.Jahrhunderts.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20252/Gruesen%20Friedhof%20472.jpghttp://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20252/Gruesen%20Friedhof%20475.jpg

jüdischer Friedhof in Grüsen (Aufn. J. Hahn, 2010)

Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Oberhessen mit Sitz in Marburg.   

Juden in Grüsen:

    --- um 1750 ......................... eine jüdische Familie,

    --- 1835 ........................... 24 Juden,

    --- 1861 ........................... 34   “  ,

    --- 1885 ........................... 55   "  ,

    --- 1905 ........................... 44   “  ,

    --- 1924 ....................... ca. 25   "  ,

    --- um 1930/35 .....................  6 jüdische Familien,

    --- 1942 (Okt.) ....................  keine.

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 299

 

Die Juden Grüsens lebten im 19./20.Jahrhundert vom Handel mit Vieh und Manufakturwaren; zumeist betrieben sie noch ein wenig Landwirtschaft im Nebenerwerb.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20362/Gruesen%20Ort%20157.jpg Wohnhaus des Lebensmittelhändlers Bernhard Marx (hist. Aufn., Quelle G. Bingel)

Als die Zahl der Grüsener Juden zu Beginn der 1930er Jahre rückläufig war, löste man die nur wenige Jahrzehnte bestehende Gemeinde wieder auf und schloss sich erneut der Gemeinde Gemünden an.

Während der „Kristallnacht“ wurden Fenster und Türen des Synagogengebäudes von SA- und SS-Angehörigen eingeschlagen; von einer Brandlegung sah man aber ab, weil das Feuer angrenzende Gehöfte hätte bedrohen können. Die letzten jüdischen Bewohner wurden im September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ wurden 13 Angehörige der in Grüsen ansässig gewesenen jüdischen Familien (alle namens "Marx") Opfer der „Endlösung(namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/gruesen_synagoge.htm).

Im Jahre 1934 wurde in Grüsen eine landwirtschaftliche Ausbildungsstätte für auswanderungswillige junge Juden eingerichtet; der von der „Reichsvereinigung der Juden“ betriebene Kibbuz bediente sich dabei Flächen, die von jüdischen Grüsener Emigranten angekauft bzw. gepachtet wurden. Bis 1938 wurden in Grüsen mehr als 100 junge Leute für ihre Aufgaben in ihrer neuen Wahlheimat Palästina ausgebildet.

                       Haschara-Standort - Anwesen von Jacob Marx  

Während des Novemberpogroms attackierten aus Gemünden und Haina herantransportierte Nationalsozialisten auch die jungen Juden des hiesigen Kibbuz; sie wurden aufgegriffen und ins KZ Buchenwald verfrachtet. Nach einigen Tagen wurden sie wieder auf freien Fuß gesetzt, durften nach Grüsen zurückkehren, um ihre baldige Auswanderung zu organisieren.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind 13 aus Grüsen stammende bzw. längere Zeit hier wohnhaft gewesene Juden Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/gruesen_synagoge.htm).

Das ehemalige Synagogengebäude in Grüsen wurde in den 1950er Jahren abgebrochen.

 

[vgl. Gemünden (Wohra)/Hessen]

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 299/300

Heinz Brandt, Der Kibbuz Hagschamah in Grüsen (1934), in: Alfred Höck (Hrg.), "Judaica Hassaica - Hessische Blätter für Volks- und Kulturforschung, Neue Folge", Band 9, Gießen 1979, S. 70 - 81

Grüsen (Gemeinde Gmünden/Wohra), in: alemannia-judaica.de (mit diversen Bilddokumenten von Anwesen jüdischer Bewohner)

Im Kibbuz aufs Siedlerleben in Palästina vorbereitet, in: "Frankenberger Zeitung" vom 6.7.2002

Erst seit 1885 eigenständig - Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde Grüsens, in: "Frankenberger Zeitung" vom 6.7.2002 

Karl-Heinz.Stadtler (Bearb.), Sie lebten unter uns – Verzeichnis der Grüsener Juden, online abrufbar unter: synagoge-voehl.de

Horst Hecker (Red.), Viehhandel in der Bunstruth – Benno Max ist ein unbekanntes Opfer des Holocaust aus Grüsen, in: „HNA – Hessische Niedersächsische Allgemeine“ vom 11.5.2014

Liane Theiß (Bearb.), Heimatgeschichten. Grüsen – Heimat für 6 jüdische Familien bis 1938, in: „Kirchenfenster" – Gemeindebrief der Evang. Kirchengemeinde Gemünden-Bunstruth. Gemeindebezirk Grüsen-Mohnhausen, Juni/Aug. 2014, S. 19 ff.