Hermannstadt (Siebenbürgen/Rumänien)

  Hermannstadt - eine mittelalterliche Gründung von Kolonisten aus der Rhein- und Moselregion – ist die heutige Kreisstadt Sibiu, eine von mehr als 150.000 Menschen bewohnte Großstadt in zentraler Lage Rumäniens (Karte: BK, aus: explorermagazin.de). Noch im Jahr 1930 lebten in Hermannstadt mehrheitlich deutsche Einwohner, darunter auch ca. 1.300 deutsch-sprachige Juden.

 

Erste Hinweise für die Anwesenheit jüdischer Familien in Hermannstadt reichen bis in die Zeit des ausgehenden 15.Jahrhunderts zurück: In einer Urkunde von 1481 wurden jüdische Bewohner in Hermannstadt erstmals genannt. In späteren Dokumenten sind Juden hier als Handwerker und Kaufleute erwähnt, die aber außerhalb der Stadtmauer wohnten. Allerdings handelte es sich bei den hier lebenden jüdischen Familien nur um eine geringe Zahl.

Franz Neuhauser, Sibiul la 1808.jpg

Blick auf Hermannstadt - um 1810 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

 

Eine Kultusgemeinde in Hermannstadt konstituierte sich offiziell erst im Jahre 1869 (andere Angabe: 1878).

In der Stadt gab es zwei Synagogen; während die eine für die aschkenasischen (deutschen) Juden zur Verfügung stand, war die andere sephardischen (türkischen) Juden vorbehalten. Das von der deutschen religiös-orthodoxen Gemeinde besuchte Bethaus befand sich in der Unterstadt.

In der Salzgasse (heute Strada Constututiei) konnte die jüdische Gemeinde 1898/1899 ihre neue Synagoge errichten – ein prachtvoller Bau, den der ungarische Architekt Ference Szalay konzipiert hatte.

In der Unterstadt (in der Hammersdorfer Straße im sog. Lazarettviertel) gab es einen 1855 eingeweihten (älteren) jüdischen Friedhof, der zu Beginn des 20.Jahrhunderts wegen Belegung aufgegeben wurde. 1907 wurde eine neue Begräbnisstätte am Stadtrand – als Teil des kommunalen Zentralfriedhofs - zur Verfügung gestellt.

Juden in Hermannstadt:

--- 1850 .......................   wenige (?),

--- 1869 ................... ca.   170 Juden,

--- 1880 ................... ca.   590   "  ,

--- 1910 ................... ca.   600   "  ,*  *andere Angabe: ca. 1.300 Pers.

--- um 1925 ................ ca. 1.300   "  ,

--- 1930 ................... ca. 1.400   "  (ca. 3% d. Bevölk.),

--- 1942 ................... ca. 1.350   " ,

--- 1945/46 ................ ca. 2.000   "  ,

--- 1956 ................... ca.   760   "  ,

--- 1966 ................... ca.   210   "  ,

--- 2007 ................... ca.    20   "  .

Angaben ausSiniu, in: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, Vol. 3, New York 2001, S. 1175/1176

und                   Maja Wassermann (Red.), Jüdische Präsenz in Sibiu – ... in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 74 (Sept. 2007)

         Straßenzug - Bahngasse, hist. Aufn. (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Eine der ersten zionistischen Organisationen auf (damaligen) ungarischem Gebiet wurde 1898 in Hermannstadt gegründet.

Eine kurze Blütezeit erlebte die Hermannstädter jüdische Gemeinde in der Zeitspanne zwischen den beiden Weltkriegen, als hier ca. 1.300 Menschen mosaischen Glaubens lebten.

Deportationen aus Sibiu in die Vernichtungslager hat es während des Krieges nicht gegeben; allerdings wurden viele jüdische Männer in Arbeitslager untergebracht und zum Straßenbau eingesetzt.

 

Nach Kriegsende verließen die meisten Juden ihre Heimatstadt/die Region und wanderten nach Palästina/Israel und in andere westliche Staaten aus; darunter waren auch Hunderte, die aus sowjetischen Lagern freigekommen waren. Der staatlich betriebene Antisemitismus im kommunistischen Rumänien beschleunigte noch die Abwanderung der jüdischen Bevölkerung. In diesem Kontext wurden zahlreiche jüdische Kulturgüter in Sibiu unwiederbringlich zerstört – nur die Synagoge blieb baulich erhalten.

In Hermannstadt/Sibiu lebt heute nur eine winzige jüdische Minderheit – vor allem ältere Menschen. Eine eigentlich funktionierende Gemeinde mit den dafür notwendigen Kultuseinrichtungen besteht hier aber nicht mehr (nach Auskunft des derzeitigen Gemeindevorsitzenden Otto Deutsch). Zusammenkünfte der wenigen Juden Hermannstadts finden in einem Raum des Gemeindeamtes statt.

Seit 2004 ist das Synagogengebäude – es wird schon seit Jahren nicht mehr zu Gottesdiensten benutzt - ein geschütztes Kulturdenkmal, nachdem es in den Jahrzehnten zuvor keinerlei Würdigung gefunden hatte und deshalb in seiner Bausubstanz im Laufe der Zeit verfiel. Genutzt wird das Gebäude – eine der schönsten Synagogenbauten in Siebenbürgen – für kulturelle Veranstaltungen.

                     Hermannstadt, Synagoge, 14.jpeg

  Synagogengebäude (Aufn. R., 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)   -   Innenraum (Aufn. A. Kokelburg, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Am Ort erinnern heute - neben der Synagoge – zwei jüdische Friedhöfe an die einst zeitweise recht große Gemeinde; allerdings befinden sich die Begräbnisstätten in einem recht verwahrlosten Zustand.

                                           File:Sibiu cimitir evreiesc2.JPG Aufn. E., 2011, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0

Im Jahre 2007 fand erstmals in Hermannstadt/Sibiu - der Europäischen Kulturhauptstadt 2007 - ein internationales EuroJudaica-Festival statt; Veranstalter waren das rumänische Ministerium für Kultur und Kultus und die Föderation Jüdischer Gemeinden (FCER).

 

 

 

 

 In Temeswar/Temeschburg (rum. Timișoara) - der Metropole des Banat im Westen Rumäniens gelegen, derzeit ca. 250.000 Einwohner - existierte eine große jüdische Gemeinde, die ihren personellen Zenit in den ersten Nachkriegsjahren erreichte.

Anm.: Die sog. 'Donauschwaben' stellten hier bis zum 2.Weltkrieg die größte ethnische Gruppe in der Stadt.

 

Temeswar, Stich um 1685 (aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Ältestes Zeugnis der Anwesenheit von Juden in Temeswar ist das Grabmal des 1636 verstorbenen Rabbiners des Azriel Assael.

Waren im 18.Jahrhundert nur maximal 49 jüdische Familien in der Stadt zugelassen, so führte das Toleranzpatent von 1783 zu einer gewissen Emanzipation der damals noch kleinen jüdischen Gemeinde. Doch erst mit der Gewährung des allgemeinen Bürgerrechts (1867) wurde die völlige rechtliche Gleichstellung der jüdischen Bewohner erreicht. In der Folge engagierten sich die hiesigen Juden auf allen Gebieten des Handels- und Wirtschaftslebens, gründeten Unternehmen und waren besonders in freien Berufen – als Ärzte, Rechtsanwälte und Künstler – erfolgreich tätig.

Nach 1860 wurden in Temeswar insgesamt sechs Synagogen für die überwiegend konservativ ausgerichtete Judenschaft errichtet.

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Synagoge in der Innenstadt (Aufn. T., 2008  und  M.N. 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

       2010

Synagoge in der Fabrikstadt, um 1900 und in der Gegenwart (aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei  und  E. Packi, 2010, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)  

                     Grafik aus: wikipedia.org


historische Postkarten von Temesvar, um 1910/1915 (aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)

Anfang der 1920er Jahre lebten mehr als 8.000 Juden in der Stadt (etwa 10% d. Bevölkerung).

Nach dem Übergang Temeswars und des östlichen Banats an Rumänien garantierte auch die neue Verfassung von 1923 den Juden gleiche Rechte. Dass der Südteil Siebenbürgens und des Banats - nach dem sog. Wiener Schiedsspruch von 1940 - bei Rumänien verblieben, bedeutete die Rettung für die Juden Temeswars, da sie dadurch vor einer Deportation in die Vernichtungslager bewahrt wurden. Allerdings waren sie von einer Reihe antisemitischer Gesetze der Antonescu-Regierung betroffen: jüdisches Eigentum an Grund und Boden wurde vielfach konfisziert und Tausende in Zwangsarbeitslager verschleppt.

1947 lebten etwa 13.500 Juden in der Stadt; deren Zahl hatte sich noch in den letzten Kriegsjahren durch Flüchtlinge aus Ungarn vergrößert, die hier auf ein Überleben hofften.

Erst die kommunistische Nachkriegsherrschaft Rumänien veranlasste eine massenhafte Auswanderung – zumeist in den neugegründeten Staat Israel.

Von den ehemals sechs Synagogen bestehen heute noch die große Synagoge in der Innenstadt (mit ca. 3.000 Plätzen) und die beiden Gotteshäuser in der Fabrikstadt und in der Josefstadt. Während die beiden erstgenannten geschlossen und die Bausubstanz der Gebäude mittlerweile deutlich vom Verfall bedroht ist, ist die 1895 erbaute Synagoge in der Josefstadt die einzige heute noch gottessdienstlich genutzte in der Stadt.

Synagoge in der JosefstadtSynagoge in der Josefstadt (Aufn. Chainwit 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Bei der Volkszählung von 2002 wurden 367 jüdische Bewohner in der Stadt ermittelt; derzeit sollen es etwa 600 Personen sein (2020).

 

 

 

Weitere Informationen:

Sibiu, in: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, Vol. 3, New York 2001, S. 1175/1176

Ladislau Gyémánt (Bearb.), Die Juden in Siebenbürgen bis zum 18. Jahrhundert, in: Volker Leppin/Ulrich A. Wien (Hrg.), Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit.,Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 2005, S. 191 – 200

Harald Roth, Hermannstadt. Kleine Geschichte einer Stadt in Siebenbürgen, Böhlau-Verlag, Köln/u.a. 2006

Veronica Wengert (Red.), Rumänien: In Hermannstadt wird die Synagoge saniert – aber die Gemeinde stirbt aus, in: „Jüdische Allgemeine“ vom 16.11.2006

Maja Wassermann (Red.), Jüdische Präsenz in Sibiu – Internationale EuroJudaica-Tage in der europäischen Kulturhauptstadt, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 74 (Sept. 2007)

J.Roubischek, Old Jewish cemetery in Sibiu, Roamnia, online abrufbar unter: cja.huij,ac.il

Christel Wollmann-Fiedler (Red.), Die Synagoge in Hermannstadt/Sibiu Siebenbürgen/Transilvanien, in: „Israel-Nachrichten“ vom 23.12.2018

Getta Neumann, „Destine evreiesti în Timisoara - Jüdische Schicksale in Temeswar“, Hasefer-Verlag, Bukarest, 2. Aufl. 2018

Anda Reuben, Jewish Sibiu – An almost forgotten story, online abrufbar unter: jewish-heritage-europe.eu/have-your-say/sibiu/ (2019)

Klaus Philippi (Red.), Abschluss der Wartungsarbeiten an der Synagoge Hermannstadt, in: „Allgemeine Deutsche Zeitung  für Rumänien“ vom 27.9.2019

Mariana Hausleitner, Selbstbehauptung gegen staatliche Zwangsmaßnahmen – Juden und Deutsche in Rumänien seit 1830, Verlag Frank & Timme 2021

Getta Neumann, Auf den Spuren des jüdischen Temeswar – Mehr als ein Stadtführer, Schiller-Verlag Bonn-Hermannstadt, 2021 (Übersetzung aus dem Rumänischen von Werner Kremm)

Jürgen Henkel (Red.), „Auf den Spuren des jüdischen Temeswar“, in: „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien" vom 9.6.2023