Heinsberg (Nordrhein-Westfalen)

Datei:Heinsberg in HS.svg Heinsberg ist die Kreisstadt im westlichsten Kreis der Bundesrepublik Deutschlands (im Regierungsbezirk Köln) südwestlich von Mönchengladbach gelegen, sie hat derzeit ca. 41.000 Einwohner (Ausschnitt aus hist. Landkarte von 1905, aus: wikipedia.org CCO und Kartenskizze 'Kreis Heinsberg', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

Heinsberg cw.jpgHeinsberg um 1720 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges lebten in Heinsberg mehrere jüdische Familien.

Vom 19.Jahrhundert bis in die NS-Zeit hinein blieb die Zahl der jüdischen Einwohner von Heinsberg weitestgehend konstant.

Erstmalige Erwähnung einer Synagoge erfolgte im Jahre 1771; 1811 weihte die kleine Gemeinde ein schlichtes Synagogengebäude auf dem hinteren Teil eines Gelände an der Hochstraße ein; das Haus lag innerhalb der dichtbebauten Altstadt und grenzte an ein Fabrikgelände.  

Ein altes Bestattungsareal an der Linderner Straße, nahe der „Judengasse“, war zeitweilig geschlossen, wurde aber immer wieder für Beerdigungen freigeben. Dort finden sich Gräber, die in mehreren Schichten übereinander liegen. Ein jüngerer Friedhof, der nach 1800 belegt wurde, lag an der Erzbischof-Philipp-Straße.

Zur Synagogengemeinde, die ihren Sitz in Geilenkirchen hatte, zählten auch die Ortschaften Gangelt, Dremmen, Straeten und Waldenrath; im Jahre 1808 umfasste die Gemeinde mehr als 200 Angehörige.

[vgl. Gangelt (Nordrhein-Westfalen)]

Juden in Heinsberg:

    --- um 1640 ......................   4 jüdische Familien,

    --- 1808 ......................... 213 Juden,*       * gesamte Kultusgemeinde

    --- 1811 .........................  69   “  ,

    --- 1857 .........................  70   “  ,

    --- 1872 .........................  78   “  ,

    --- 1895 .........................  94   “  ,

    --- 1905 .........................  87   “  ,

    --- 1911 .........................  88   “  ,

    --- 1927 .........................  65   “  , (im Kreis Heinsberg: 118 Pers.)

    --- 1933 .........................  92   “  ,*

    --- 1939 .........................   ?   “  .

Angaben aus: Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Reg.bez. Köln, S. 438

undefinedHeinsberg um 1850, Gemälde Oscar Begas (aus: wikipedia.org, CCO)

 

Die meisten der in Heinsberg lebenden Juden waren Einzelhändler mit kleinen und mittleren Geschäften, Viehhändler, Metzger und Makler. Ende der 1920er Jahre lebten in Heinsberg etwa 65 jüdische Bürger.

Während der Boykottaktion am 1.April 1933 wurden mehrere Juden von SA-Hilfspolizisten festgenommen und einige Tage in Haft gehalten.

In den Morgenstunden des 10.November 1938 wurde unter Führung des NSDAP- Kreisleiters Konrad Volm das Synagogengebäude ausgeräumt bzw. die Inneneinrichtung zertrümmert, die Kultgeräte zerstört und auf die Straße geworfen. Feuerwehrleute sollten bei der geplanten Brandlegung des Gebäudes die nahe stehenden Häuser schützen; doch der Leiter der Heinsberger Feuerwehr weigerte sich und man verzichtete auf die Brandsetzung der Synagoge. Die Ausschreitungen verfolgten angeblich mehrere hundert Menschen. Ebenfalls wurden Fenster jüdischer Geschäfte zertrümmert und mehrere Juden „in Schutzhaft“ genommen. Die noch in Heinsberg und Wassenberg verbliebene jüdische Bevölkerung wurde nun in einer alten Gerberei in der Westpromenade untergebracht; sie durften nur stundenweise die Unterkunft verlassen. Ende März 1942 wurden die Heinsberger Juden - via Eschweiler - vermutlich nach Izbica/b. Lublin deportiert. Danach schändeten NSDAP-Angehörige den jüdischen Friedhof und zerstörten die alten Grabsteine.

Das Synagogengebäude wurde 1944 durch einen Bombenangriff total zerstört; heute befindet sich an seiner Stelle ein Wohnhaus.

 Jüdischer Friedhof (Aufn. B. u. K. Limburg, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auf dem (jüngeren) jüdischen Friedhof an der Erzbischof-Philipp-Straße/Linderner Straße sind elf Grabsteine im Halbkreis um einen Gedenkstein herum gruppiert, ein zwölfter Stein steht am Eingang; eine Gedenktafel am -stein erinnert an die Opfer des NS-Regimes.

Anlässlich des 60.Jahrestages der Reichspogromnacht wurde am ehemaligen Standort der Synagoge ebenfalls eine Gedenktafel angebracht.

20 Jahre später wurde in der Innenstadt (auf dem Gelände des Krankenhauses) ein weiterer Ort des Gedenkens geschaffen: dabei handelt es sich um eine quadratische Betonstele, die an die deportierten jüdischen Bewohner erinnert. An dieser Stelle befand sich die ehemalige „Manasses Lues“ genannte Lohgerberei, in der vor ihrem Abtransport aus Heinsberg die jüdischen Bewohner regelrecht zusammengetrieben worden waren.

            Stele Heinsberg Auf dem BrandGedenkstele auf dem Krankenhausgelände (Aufn. Gmbo 2019, aus: wikipedia.org CCO)

In zwei Verlegeaktionen wurden im Laufe des Jahres 2018 an verschiedenen Standorten im Stadtgebiet diverse sog. „Stolpersteine“ ins Gehwegpflaster eingelassen; weitere 26 Steine fanden dann 2019 ihren Platz vor den ehemaligen Wohnsitzen der NS-Opfer. 2023 wurden in der Apfelstraße zehn messingfarbene Gedenkquader verlegt, die Angehörigen der jüdischen Familie Schwarz gewidmet sind.

Stolperstein Heinsberg Hochstraße 38 Joseph KaufmannStolperstein für Ella Kaufmann geb. SchwarzStolperstein für Leo KaufmannStolperstein für Therese Kaufmannverlegt für Fam. Kaufmann, Hochstraße

... und für Ehepaar Menasses, Hochstraße Stolperstein Heinsberg Hochstraße 66 Erich ManassesStolperstein für Hildegard Manasses (alle Aufn. Gmbo, 2018, aus: wikipedia.org, CCO)

Stolperstein von Maria Schwarz in HeinsbergFoto des StolpersteinsFoto des Stolpersteins drei von zehn Steinen für Fam. Schwarz (Abb. aus: stolpersteine-wdr.de)

Anm.: Im gesamten Kreis Heinsberg sind insgesamt ca. 260 „Stolpersteine“ verlegt worden (Stand 2023).

 

 

Im heutigen Stadtteil Randerath hat es bis ins ausgehende 19.Jahrhundert auch eine kleine jüdische Gemeinde gegeben, deren Wurzeln bis ins Jahr 1514 zurückreichen. Siet Ende des 18.Jahrhunderts gab es eine Synagoge im Dorf. Wegen Abwanderung löste sich die Gemeinde um 1900 ganz auf; bis Mitte der 1930er Jahre lebten im Ort nur noch wenige Familien.

1996 wurde in der Asterstraße eine Gedenktafel zur Erinnerung an die jüdische Gemeinde Randerath und deren Bethaus angebracht. Nur einzelne Grabsteine bzw. -relikte befinden sich heute auf dem versteckt liegenden jüdischen Friedhof (in der Straße „Sandberg“), der bis um 1930 in Nutzung war. Vor 1855 gab es bereits einen jüdischen Begräbnisplatz am Ortsausgang (in Richtung Dremmen), der dem Straßenausbau weichen musste.

Jüdischer Friedhof Randerath 03.JPG Jüdischer Friedhof Randerath 04.JPG

Aufn. P., 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0

 

 

Zur jüdischen Gemeinschaft in Waldenrath (heute auch ein Stadtteil von Heinsberg) gehörten gegen Mitte des 19.Jahrhunderts ca. 50 Personen, in den 1880er Jahren waren es etwa 75. Eine am Ortsrand von Straeten gelegene Synagoge - vermutlich eine umgebaute Scheune - stand den jüdischen Familien ab ca. 1820 zur Verfügung. Im Untergeschoss befand sich der mit einigen Bänken ausgestattete Betraum; die Empore war mit einem Holzgitter abgeteilt. 

Zu Beginn der NS-Zeit lebten in Waldenrath noch etwa 20 jüdische Einwohner. Während des Novemberpogroms zündeten auswärtige SA-Angehörige das Gebäude an, das vollständig ausbrannte; das Inventar "verschwand". Das Grundstück wurde danach von einem Landwirt erworben. Nachweislich wurden zehn Personen jüdischen Glaubens Opfer der NS-Herrschaft.

Seit 2018 bzw. 2020 findet man an mehreren Standorten eine Reihe von sog. „Stolpersteinen“; die meisten sind in den Gehwegen der Vitusstraße und Kirchstraße in die Gehwegpflasterung eingelassen; allein sechs Steine erinnern an Angehörige der beiden Familien Lichtenstein.

 verlegt in der Hochstraße u. Kirchstraße (Aufn. Gmbo, 2021, aus: wikipedia.org, CCO)

 

 

 

 

In Wassenberg - wenige Kilometer nordöstlich von Heinsberg - gab es eine der vier ältesten israelitischen Gemeinden am Niederrhein; deren erste urkundliche Erwähnung erfolgte bereits in der ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts. Flurbezeichnungen wie „Judenbruch“, „Judenweg“ und „Judenpfad“ deuten auf die frühe Anwesenheit von Juden hin. Die Anlage des jüdischen Friedhofs an der Roermonder Straße erfolgte um 1690. Die jüdische Gemeinde Wassenbergs war stets recht klein und zählte auch im 19.Jahrhundert nicht mehr als 40 Personen; zu Beginn der 1930er Jahre setzte sich die Gemeinde aus knapp 30 Angehörigen zusammen. Am 10.November 1938 wurde die in „Storms Jätzke“ gelegene Synagoge - sie war 1867 am Fuße des Burgberges errichtet worden - in Brand gesteckt und eingeäschert, der jüdische Friedhof zerstört. 1942 erfolgte die Deportation der wenigen jüdischen Familien.

Der ehemalige Standort der Synagoge – nur ca. 250 Meter vom Wassenberger jüdischen Friedhof entfernt – ist eine unbebaute Fläche; eine Gedenktafel an einer Mauer trägt die knappe Inschrift „Standort der ehemaligen Synagoge – zerstört am 10. November 1938“. 2015 wurde der Platz an der Synagogengasse neu gestaltet und eine vom Heimatverein initiierte kleine Gedenkstätte ins Leben gerufen; diese soll als Mahnmal gegen das Vergessen, gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus dienen. 

Eine Stele auf dem Gelände des israelitischen Friedhofs an der Roermonder Straße - hier findet man noch ca. 20 Grabsteine - erinnert an das Schicksal der kleinen Gemeinde. 

Stolperstein für Betty Reis Die Gesamtschule in Wassenberg trägt seit 1991 den Namen des jüdischen Mädchens Betty Reis (geb. 1921); sie wurde als 17jährige im November 1938 in einem Solinger SA-Keller misshandelt und vergewaltigt, 1942 nach Lodz verschleppt; ihr Leidensweg endete schließlich in Bergen-Belsen, wo sie 1944 starb. Auf dem Schulhof der Betty-Reis-Schule in Wassenberg wurde 1993 ein Denkmal des Künstlers Hans Brockhage aufgestellt; die aus Eichenholz gefertigte Skulptur steht symbolhaft für den Leidensweg der Häftlinge in die Konzentrationslager.

Vor einigen Gebäuden Wassenbergs sind in die Gehwege sog. "Stolpersteine" eingelassen.

vgl.  Wassenberg (Nordrhein-Westfalen)

 

 

In Hückelhoven – einer Kleinstadt ca. zehn Kilometer östlich von Heinsheim - wurden 2023 die ersten „Stolpersteine“ verlegt; acht Steine sind im Stadtteil Baal und weitere in Ratheim aufzufinden.

 

 

 

Weitere Informationen:

Wilhelm Frenken, Vom gelben Ring zum gelben Stern - Die Geschichte der Juden im Heinsberger Land, in: "Heimatkalender des Kreises Heinsberg 1980", S. 103 ff.

Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken (Hrg.), Widerstand und Verfolgung im Kreis Heinsberg, o.O. 1981

Heinz-Peter Funken, Schicksal der Juden im Kreis Heinsberg, in: "Museumsschriften des Kreises Heinsberg", No. 4/1983, S. 93 – 100

Heribert Heinrichs, Wassenberg. Geschichte eines Lebensraumes, Mönchengladbach 1987, S. 423 - 432

Heribert Heinrichs, Betty Reis (1921 – 1944). Leben und Leiden eines jüdischen Mädchens aus Wassenberg, Geilenkirchen 1993

Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil I: Regierungsbezirk Köln, J.P.Bachem Verlag, Köln 1997, S. 438 – 445

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 in Nordrhein-Westfalen, Salomon Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 232/233

Hans Beythen, Zum Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft während der NS-Zeit“, Heinsberg

17 Grabsteine erinnern an eine lange Geschichte (jüdischer Friedhof Wassenberg), online abrufbar unter: heimatverein-wassenberg.de

Daniel Gerhards (Red.), Stolpersteine sollen an Heinsbergs jüdisches Leben erinnern, in: „Aachener Zeitung“ vom 25.6.2015

Willi Spichartz (Red.), Heimat entdecken: Kreis Heinberg. Erinnern und mahnen, in: rp-online vom 24.3.2016

Anna Petra Thomas (Red.), Stolpersteine sollen an die Juden in Heinsberg erinnern, in: „Aachener Zeitung“ vom 28.7.2017

Anna Petra Thomas (Red.), Stolpersteine geben Opfern ihre Namen zurück, in: „Aachener Nachrichten“ vom 4.2.2018

Anna Petra Thomas (Red.), Gedenkstätte am Krankenhaus Heinsberg. Stele erinnert an deportierte Juden, in: „Aachener Nachrichten“ vom 17.10.2018

Anna Petra Thomas (Red.), Menschen bewusst zum Stolpern bringen, in: „Aachener Zeitung“ vom 7.12.2018

Anna Petra Thomas (Red.), 26 Stolpersteine in Heinsberg verlegt, in: „Aachener Nachrichten“ vom 8.7.2019

Auflistung der in Heinsberg verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Heinsberg

Stolpersteine im Kreis Heinsberg, online abrufbar unter: arcgis.com (aktueller Stand von 2023)

Johannes Maximilian Nießen, Sieben jüdische Friedhöfe aus dem Kreis Heinsberg in die epigraphische Datenbank des Steinheim-Instituts aufgenommen, in: "Kalonymos – Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte aus dem Salomon Ludwig Steinheim-Institut", 23. Jg, Heft 1/2020

N.N. (Red.), Mit Akribie und Würde an NS-Opfer erinnern, in: „Aachener Zeitung“ vom 16.12.2020 (betr. Stolpersteinverlegung in Heinsberg-Waldenrath)

Anna Petra Thomas (Red.), Stolpersteine jetzt auch in Dremmen verlegt, in: „Aachener Zeitung“ vom 8.10.2021

Daniel Gerhards (Red.), Stolpersteine - Projekt verbindet Vergangenheit und Zukunft, in: „Aachener Nachrichten“ vom 14.12.2021

Marvin Wibbeke (Red.), Erste Stolpersteine werden verlegt – Hückelhoven arbeitet NS-Geschichte auf, in: „Rheinische Post“ vom 23.5.2023

N.N. (Red.), Zehn Stolpersteine erinnern an das Schicksal der Familie Schwarz, in: "Aachener Zeitung" vom 4.9.2023

Kurt Lehmkuhl (Red.), Gegen das Vergessen – Stolpersteine nun auch in Hückelhoven, in: „Rheinische Post“ vom 16.12.2023

Willi Görtz (Red.), Jüdisches Leben hat eine lange Tradition im Kreis Heinsberg - „Gegen das Vergessen“, in: „Aachener Zeitung“ vom 3.1.2024