Horn/Waldviertel (Österreich)

Datei:Karte A Noe HO 2017.svg Horn ist eine Bezirkshauptstadt im gleichnamigen Bezirk Horn im östlichen Waldviertel in Niederösterreich mit derzeit ca. 6.500 Einwohnern (Kartenskizze 'Niederösterreich' mit Bezirk Horn dunkel markiert, A. 2016, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Nachweisbar haben sich die ersten Juden bereits im 14.Jahrhundert in der Ortschaft Horn angesiedelt. Wegen einer angeblichen Hostienschändung wurden 1338 einige jüdische Gemeinden in Niederösterreich, darunter auch die in Horn, ausgelöscht, d.h. die jüdischen Bewohner umgebracht. Erst seit Mitte des 16.Jahrhunderts sollen wieder Juden in Horn gelebt bzw. sich zu Handelszwecken hier aufgehalten haben. Auseinandersetzungen mit heimischen Kaufleuten führten dazu, dass der Rat der Stadt weiteren Zuzug unterband, mit der Begründung, „weil die Juden in dergleichen khleinen Städtlein wenig fromben mit sich bringen, der Handwercksleuth gewerb schmelern und die armen leuth biß auff den eüssersten grad aussaugen ...” Als 1670 alle Juden aus Österreich ausgewiesen wurden, endete auch das jüdische Leben in Horn. Erst das „Toleranz-Patent“ Kaiser Josephs II. von 1782 erlaubte wieder jüdische Ansiedlungen; allerdings ließ sich erst im Jahre 1857 die erste Familie in der Kleinstadt Horn nieder; ihr folgten weitere nach – vor allem aus Böhmen und Mähren. Zuvor hatten sich nur jüdische Wanderhändler aus Mähren zeitweilig in Horn aufgehalten. Mitte der 1860er Jahre bildeten die nur wenigen jüdischen Familien Horns eine „Betgenossenschaft“; ein verpflichteter Religionslehrer aus Mähren übernahm auch die Funktionen des Vorbeters und Schächters. 1874 konstituierte sich dann offiziell die „Israelitische Cultus-Gemeinde in Horn“; zu dieser gehörten später auch die Gerichtsbezirke Eggenburg, Gera, Haugsdorf, Oberhollabrunn, Ravelsbach und Retz.

Gottesdienste fanden zunächst in angemieteten privaten Räumlichkeiten statt. Erst 1903 konnte die Kultusgemeinde ein Gebäude am Stadtgraben erwerben, das fortan als religiöses Zentrum der Gemeinde diente; auch ein Schulraum und eine Mikwe waren hier untergebracht.

                               

                                       Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde Horn                                                             Siegel der Kultusgemeinde Horn

Kennzeichnend für die Jahre nach 1900 war ein häufiger Wechsel im Rabbinat; ab 1920 blieb die Rabbinatsstelle unbesetzt.

Eine jüdische Begräbnisstätte existierte in Horn seit den 1870er Jahren; gegen dessen Anlage gab es Protest seitens der Stadtgemeinde, weil an gleicher Stelle einst eine katholische Kirche mit Friedhof gestanden hatte; der Einspruch wurde aber verworfen. Etwa zur gleichen Zeit gründeten Gemeindemitglieder eine Chewra Kadischa. Der jüdische Friedhof Horns wurde im Laufe der folgenden Jahrzehnte mehrfach geschändet.

Juden in Horn:

         --- 1857 ..........................   eine jüdische Familie,

    --- 1863 ..........................    9      “        “   n,

    --- 1880 ..........................   89 Juden (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1910 ..........................   52   “  ,

    --- 1930 ..........................   62   “  ,

             ..........................  250   “  ,*      * Bezirk Horn, gesamte Kultusgemeinde

    --- 1938 (Mai) ....................   35   “  ,

             (Okt.) ...................   keine.

Angaben aus: Erich Rabl, Der jüdische Friedhof in Horn

http://davidkultur.at/fotos/h103_038.jpg Horn um 1875 (hist. Aufn., Stadtarchiv Horn)

 

Um 1900/1920 verdienten die Juden Horns ihren Lebensunterhalt zumeist als Handels- und Kaufleute in unterschiedlichen Branchen; den größten Betrieb am Ort, eine Farb- u. Lackfabrik, besaßen die Gebrüder Mandl.

In der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts vertrat das deutsch-nationale Bürgertum zunehmend offen antisemitische Positionen. Ihr publizistisches Sprachrohr war „Der Bote aus dem Waldviertel”, eine 14tägig erscheinende Regionalzeitung im Waldviertel.

„... Fast in allen Orten der Umgebung Horns haben sich schon Juden angesiedelt, was wohl seinen Grund darin findet, daß sie in Horn ihr Hauptquartier haben. Welche Folgen die Ansiedlung der Juden in den Dörfern hat, ist schon oft eingehend besprochen worden und die bäuerliche Bevölkerung scheint nunmehr bereits vorsichtiger zu werden. - Das in der Nähe Horns romantisch gelegene Mödring sollte in der Vorwoche auch mit einem kürzlich zugewanderten Juden bedacht werden, welcher sich daselbst häuslich einrichten wollte und bereits eine Wohnung aufgenommen hatte. Nun scheinen aber die Mödringer den Wohnungsvermiether dahin bestimmt zu haben, daß er den Miether nicht einziehen läßt, somit bleibt Mödring vorderhand ohne Juden. Man sollte den Juden, wie es Bismarck den Socialdemokraten angetragen hat, eine Provinz zur Verwaltung übergeben, wo sie ganz unter sich wären, dann würden sie gewiß zur Ueberzeugung kommen, daß sie nicht alle schachern können, sondern daß auch schwere physische Arbeitsleistung nothwendig ist, vor welcher auch der ärmste Jude bekanntermaßen eine gewaltige Scheu hat.”

(aus: „Der Bote aus dem Waldviertel” vom 15.12.1884)

Auch andere Regionalzeitungen publizierten wiederholt antisemitisch ausgerichtete Artikel, die in der Leserschaft nicht ohne Wirkung blieben; so gehörte Antisemitismus bald zur Grundhaltung in großen Teilen der Bevölkerung des Waldviertels. Gegen Ende der 1920er Jahre sollen Jugendliche grölend durch die Straßen Horns gezogen sein und Parolen wie „Juda verrecke, Juda verrecke” und „Horuck nach Palästina” skandiert haben.

Unmittelbar nach dem sog. „Anschluss” an das Deutsche Reich (März 1938) kam es zum Boykott jüdischer Geschäfte, der von den nun mit NSDAP-Mitgliedern besetzten Ortsbehörden überwacht wurde. Die jüdischen Geschäftsleute mussten bald ihre Unternehmen aufgeben. Bereits Ende Mai 1938 standen die Betriebe unter „kommissarischer Verwaltung“; somit war den Horner Juden innerhalb nur weniger Wochen ihre Existenzgrundlage genommen. Mitte September 1938 wurden die noch in Horn verbliebenen Juden von der NSDAP-Kreisleitung aufgefordert, die Stadt innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Von der Sammelstelle an der Synagoge am Stadtgraben wurden sie tags darauf per LKW nach Wien abtransportiert. Horn war damit ab 19.September 1938 „judenfrei” - wie es im NS-Jargon hieß.

Anm.: Vor dem Hintergrund der "Sudetenkrise" war die Vertreibung der Juden aus den Grenzbezirken begründet worden, um entlang der Grenze einen 50 Kilometer breiten "judenfreien Streifen einzurichten.

                 In einem Bericht an den SD vom 19.9.1938 war zu lesen:

„ ... Der hiesige Notar wurde von der Judenschaft bevollmächtigt, ihren Realbesitz zu veräußern. Der Tempel wurde der Gemeinde gespendet. Für den Besitz, es sind dies vor allem Häuser mit Geschäftskonzessionen, sind bereits Käufer vorhanden; ein Teil der Häuser wird wahrscheinlich von der Gemeinde für Wohnzwecke und Amtsräume erworben werden. Die Aktion verlief (von einigen mehr heiteren als tragischen Zwischenfällen, die besonders durch Frauen hervorgerufen wurden) ruhig. Die Bevölkerung steht dem Ereignis von kleinen Minderheiten abgesehen (rote Richtung, Ratenkäufer) sympathisch gegenüber. ...“

Der Großteil des zurückgelassenen jüdischen Besitzes ging ins Eigentum der Kommune Horn über. Obwohl sich zum Zeitpunkt des Novemberpogroms keine jüdischen Bewohner mehr in Horn aufhielten, sollen NS-Angehörige randalierend durch die Straßen gezogen sein. Hunderte von Fensterscheiben sollen dabei zu Bruch gegangen sein; das in den Wohnhäusern noch vorhandene Mobiliar wurde von der SA „in Verwahrung“ genommen. Der jüdische Friedhof war bereits Monate zuvor von Jugendlichen geschändet worden; dabei wurden alle Grabsteine und -tafeln umgeworfen.

Die Israelitische Kultusgemeinde Horn wurde 1940 offiziell aufgelöst. Vermutlich ist etwa ein Drittel der Horner Juden in den NS-Vernichtungslagern umgekommen. Nur eine einzige jüdische Bewohnerin, die emigriert war, kehrte nach Kriegsende in ihre Heimatstadt zurück.

 

Nach 1945 wurde der jüdische Friedhof instandgesetzt. In den 1950/1960er Jahren schändeten jugendliche Vandalen erneut die Gräber. Das mit mehr als 100 Grabsteinen besetzte großflächige Friedhofsareal ist heute wieder in einem ansehenswerten Zustand.

GuentherZ 2012-09-16 0097 Horn israelitischer Friedhof.jpgJüdische Friedhofskapelle (Aufn. G.Z., 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 at)

 

h103_032  Moriz Winternitz er machte sich später als Indologe und Ethnologe einen Namen - wurde 1863 als Sohn einer aus Böhmen eingewanderten jüdischen Familie, die in Horn ein kleines Geschäft betrieb, geboren. Nach Besuch des Horner Landesgymnasiums – hier legte er 1880 sein Abitur ab – absolviert er von 1880 bis 1886 ein Studium an der Universität Wien – zunächst in Philologie, danach Sanskrit und vergleichende Sprachforschung. Seine Dissertation verfasste er über ein indisches Hochzeitsritual. Nach einem zehnjährigen Aufenthalt als Gelehrter in Oxford habilitierte sich Winternitz 1899 an der Deutschen Universität Prag für Sanskrit und Ethnologie und lehrte hier vorwiegend altindische Literaturgeschichte - in den Jahren von 1911 bis 1934 als ordentlicher Professor. Sein Hauptwerk ist die bisher unersetzte „Geschichte der indischen Litteratur" in drei Bänden. Moritz Winternitz verstarb 1937.

 

 

 

In der Ortschaft Weitersfeld – an der Grenze zwischen Wald- und Weinviertel gelegen - war im Laufe des 17.Jahrhunderts eine relativ große jüdische Gemeinde entstanden, die um 1660/1670 immerhin mehr als 30 Familien umfasste. Der erste archivarische Hinweis auf jüdische Ansässigkeit in Weitersfeld stammt aus dem Jahr 1619; ökonomische Interessen des Grundherrn hatten die Zuwanderung ermöglicht. Die Juden in Weitersfeld lebten in den bedingt durch Kriegswirren leer stehenden Häusern verstreut im Dorf, ihre Haupttätigkeit war der Handel mit Schafen und Wolle; manche waren als fliegende Händler („Pinkeltrager“) unterwegs. Bereits 1671 sollen die jüdischen Familien nach dem Verkauf ihrer Häuser Weitersfeld verlassen und sich im nur ca. 20 Kilometer entfernten südmährischen Dorfe Schaffa niedergelassen haben.

 

[vgl. Eggenburg (Österreich)]

 

 

 

Weitere Informationen:

Friedrich B. Polleroß, 100 Jahre Antisemitismus im Waldviertel, in: "Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes", Band 25/1983, Krems 1983

Robert Kurij, Nationalsozialismus und Widerstand im Waldviertel. Die politische Situation 1938 - 1945, in: "Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes", Band 28/1987, Krems 1987

Wolf Gerson, Die israelitische Cultusgemeinde in Horn in Niederösterreich, in: "Die Neuzeit. Monatsschrift für politische, religiöse und Culturinteressen", No. 3/1988

Erich Rabl, Die jüdische Bevölkerung Horns - vertrieben und ausgelöscht, in: "Horner Kalender - Jahrgang 118/1989"

Erich Rabl, Der jüdische Friedhof in Horn, in: Beiträge zur Geschichte des Taffatales - Festschrift des Gemeindeverbandes Horn für Abwasserbeseitigung, Horn 1990, S. 46 ff.

Pierre Genée, Synagogen in Österreich, Löcker Verlag, Wien 1992, S. 82/83

Gerhard Eberl, Die Israelitische Kultusgemeinde Horn und die Geschichte des provisorischen Bethauses in Retz, in: "Das Waldviertel", 42/1993, S. 263 f.

Erich Rabl, Die Juden in Horn, in: "DAVID- Jüdische Kulturzeitschrift", 5/1993, No. 18, S. 18 - 35

Klaus Lohrmann, Das Waldviertel und die Juden im Mittelalter, Horn 1995

Erich Rabl, Die Juden in Horn, in: Friedrich Polleroß (Hrg.), “Die Erinnerung tut zu weh” - Jüdisches Leben und Antisemitismus im Waldviertel, in: "Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes", Band 37/1995, Horn/Waidhofen 1996, S. 183 - 220

Ulrike Kerschbaum, Horner Judenfriedhof wieder zugänglich, in: "Horner Zeitung" vom 1.9.1988

Walter Baumgartner/Robert Streibel, Juden in Niederösterreich: ‘Arisierungen’ und Rückstellungen in den Städten

Amstetten, Baden, Hollabrunn, Horn ... und Wiener Neustadt, in: "Veröffentlichungen der österreichischen Historikerkommission", Band 18, Wien 2004

Christoph Lind, “Der letzte Jude hat den Tempel verlassen ...” - Juden in Niederösterreich 1938 - 1945, Mandelbaum-Verlag, Wien 2004, S. 116 – 125

Eva Zeindl, Die Israelitische Kultusgemeinde Horn (Diplomarbeit), Wien 2008.

Christoph Lind, Die Zerstörung der jüdischen Gemeinden Niederösterreichs 1938-1945, in: H. Arnberger/C. Kuretsidis-Haider (Hrg.), Gedenken und Mahnen in Niederösterreich. Erinnerungszeichen zu Widerstand, Verfolgung, Exil und Befreiung, Mandelbaum Verlag, Wien 2011, S. 46 ff.

Alfred Damm, Weitersfeld/Schaffa. Zur Geschichte einer jüdischen Landgemeinde an der mährischen Grenze in der Neuzeit. Eine Spurensuche, Verlag Bibliothek der Provinz, 2012

Erich Rabl (Red.), Zur Geschichte des Jüdischen Friedhofs in Horn, in: "DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift", Heft 96/2013

Erich Rabl (Red.), Moriz Winternitz (1863 - 1937) – ein Indologe aus dem Waldviertel. Eine Sklizze zum 150.Geburtstag, in: "DAVID - Jüdische Kulturzeitschrift", Heft 103/2014

H. Schwameis (Red.), Die Geschichte der Juden von Horn und der jüdische Friedhof, in: meinbezirk.at vom 2.4.2015

Hanns Haas (Red.), Auf Spurensuche: Jüdische Präsenz in der Stadt Horn im frühen 17.Jahrhundert, in: „Das Waldviertel - Zeitschrift für Heimat- und Regionalkunde des Waldviertels und der Wachau", Heft 1/2016

Friedrich Polleroß (Hrg.), Jüdische Familien im Waldviertel und ihr Schicksal, in: "Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes", No. 58, Waidhofen a.d.Thaya 2018 (Sonderausstellung mit gleichem Titel im Museum Neupölla, Mai/Sept. 2018)

Hanns Haas (Red.), Die „Arisierung“ der ländlichen Gemischtwarenhandlungen im politischen Bezirk Horn, in: „Das Waldviertel - Zeitschrift für Heimat- und Regionalkunde des Waldviertels und der Wachau", Heft 1/2018

Erich Rabl (Bearb.), Das Schicksal der jüdischen Familien Kummermann, Perger und Stein in der Stadt Horn im Waldviertel, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 125 (Juli 2020)