Karlstadt/Main (Unterfranken/Bayern)

Der Main: Eine faszinierende Wasserstraße | Events & Konzerte | Bayern 2 |  Radio | BR.de Karlstadt in MSP.svg Karlstadt ist mit ca. 15.000 Einwohnern die Kreisstadt des unterfränkischen Landkreises Main-Spessart und liegt rund 30 Kilometer nördlich von Würzburg (Karte von Verlauf des Main, aus: br.de  und  Kartenskizze 'Landkreis Main-Spessart', TUBS 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Bereits im späten Mittelalter sollen in Karlstadt jüdische Familien gelebt haben; sie bildeten eine kleine Gemeinde und verfügten über einen Betraum in der damaligen Hauptstraße; dort erinnert eine um 1600 angebrachte Inschrift an die "Jüdenschuel".

                                http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2081/Karlstadt%20Judenschule%20100.jpg alte Hinweistafel (Abb. aus: alemannia-judaica.de)

Über die Anfänge jüdischer Ansiedlung in der im 12.Jahrhundert gegründeten Stadt schreibt H. Leopold Müller in seiner 2011 erschienenen Publikation „Mit jüdischem Eckstein. Die Gründung der Stadt Karlstadt“; darin heißt es: „Die ersten Einwohner Karlstadts waren Juden, und sie waren bereits beim Gründungsvorgang zur Stelle. Man geht sicher nicht fehl, in ihnen auch die Kapitalgeber des Bischofs für seine Stadtgründung zu sehen. Dafür erhielten sie Aufenthalts- und Wohnrecht, wurden mit Grundbesitz und Lehen ausgestattet. Ihre geschäftliche Tätigkeit war es dann, die die Stadt zum raschen Aufschwung brachte, den Zuzug förderte, die Wurzeln zum frühen Wohlstand legte und schon um 1219 den Beginn des Mauerbaus ermöglichte".

Nach ersten Verfolgungen (1298 und 1348/49) lebten dann wieder wenige jüdische Familien in Karlstadt. 1559/1560 ließ Bischof Friedrich von Wirsberg alle Juden aus seinem unmittelbaren Herrschaftsbereich vertreiben, vermutlich auch aus Karlstadt. Die Vertriebenen fanden in nahen reichsritterschaftlichen Dörfern Unterschlupf, so in Thüngen, Laudenbach und Wiesenfeld - natürlich gegen entsprechende Schutzgeldzahlungen.

Carlstadt 1847.jpgKarlstadt um 1850 - Stahlstich (Abb. aus: commons.wikimedia.org, CCO)

In Karlstadt selbst gab es erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wieder eine kleine israelitische Gemeinde; sie hatte sich nach Zuzügen aus den umliegenden Dörfern gebildet. Ihren Höchststand erreichte sie mit ca. 70 Angehörigen im Jahre 1910.

Gottesdienstliche Zusammenkünfte fanden in einem Raume eines Hauses einer jüdischen Familie statt; nur an hohen Feiertagen suchten die Karlstadter Juden die Synagoge im benachbarten Laudenbach auf.

                                                                            Siegel der Israelitischen Kultusgemeinde      

Religiöse Aufgaben der Gemeinde erledigte ein angestellter Lehrer, der neben der Unterweisung der Kinder auch als Vorbeter und Schochet tätig war.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20138/Karlstadt%20Israelit%2025061891.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20138/Karlstadt%20Israelit%2025071901.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2081/Karlstadt%20Israelit%2018071904.jpg

Stellenausschreibungen: Kleinanzeigen aus den Jahren 1891, 1901 und 1904

Die Judenschaft Karlstadts unterstand dem Bezirksrabbinat Würzburg, ab Frühjahr 1937 dem von Aschaffenburg.

Ihre Verstorbenen beerdigten die Karlstadter Juden auf dem jüdischen Bezirksfriedhof im nahen Laudenbach.

Juden in Karlstadt:

         --- um 1870 ......................  ? Juden,

    --- 1880 ......................... 12   "  ,

    --- 1890 ......................... 41   "  ,

    --- 1900 ......................... 37   "  ,

    --- 1910 ..................... ca. 70   “  ,

    --- 1925 ......................... 38   “  ,

    --- 1933 ......................... 48   “   (1,3% d. Bevölk.),*   * andere Angabe: 35 Pers.

    --- 1938 (Nov.) .................. 21   “  ,

    --- 1939 (Jan.) ..................  6   “  ,

    --- 1942 (Mai) ...................  2   "  .

Angaben aus: Andrea Gehring, Die Karlstadter Juden unter dem Hakenkreuz. Analyse einer antisemitischen Politik

und                 Synagogen-Gedenkband Bayern (Unterfranken), Band III/1, Mehr als Steine , S. 231

 

Die Angehörigen der kleinen jüdischen Gemeinde lebten um 1900/1930 in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen; sie waren zumeist völlig in das Leben der Kleinstadt integriert.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20240/Karlstadt%20Israelit%2011121890.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20240/Karlstadt%20FrfIsrFambl%2006041906.jpg  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20240/Karlstadt%20FrfIsrFambl%2001061906.jpg

Lehrstellenangebote jüdischer Gewerbetreibender von 1890 (links) und 1906 (Mitte und rechts)

Nach der NS-Machtübernahme wurden auch in Karlstadt die jüdischen Bewohner zunehmend wirtschaftlich-sozial ausgegrenzt; ihre Läden wurden als „Jüdische Geschäfte“ markiert und - unter der Kontrolle von SA-Angehörigen - für einige Tage im April 1933 boykottiert. Doch trotz ihrer zunehmenden Entrechtung änderte sich an der wirtschaftlichen Situation der Karlstadter Juden in den folgenden Jahren zunächst wenig. Ab Mitte der 1930er Jahre begann sich aber die Gemeinde aufzulösen.

Vorläufiger Höhepunkt der antijüdischen Maßnahmen war auch in Karlstadt der Novemberpogrom von 1938. Unter den Augen zahlreicher Schaulustiger drangen SA-Angehörige in alle Häuser jüdischer Familien ein, plünderten und demolierten diese; anschließend schleppte man Waren bzw. Inventar zum Marktplatz, um diese unter den Augen zahlreicher Ortsbewohner auf einem Scheiterhaufen anzuzünden. Auch die Inneneinrichtung des Betsaals mitsamt den Ritualien wurde zerstört. Jüdische Männer aus Karlstadt wurden - zusammen mit denen aus Laudenbach und Orten der näheren Umgebung - zunächst im Rathaus, dann im hiesigen Gefängnis festgesetzt; von hier aus wurden einige ins KZ Dachau verschleppt.

Seit Dezember 1938 gab es in Karlstadt kein in jüdischem Eigentum befindliches Geschäft mehr. Zu Beginn des Jahres 1939 lebten hier nur noch sechs jüdische Einwohner; im Herbst des gleichen Jahres sollen bereits alle Juden ihren Heimatort verlassen haben. Wer nicht mehr emigrieren konnte, der wurde in der Regel von seinem neuen Wohnort in die „Lager des Ostens“ deportiert. Auf Anfrage der Parteidienststelle Würzburg erklärte der Karlstadter Bürgermeister am 21.März 1941: „Die Stadt Karlstadt ist judenfrei."

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..."  wurden nachweislich elf gebürtige jüdische Bürger Karlstadts Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/karlstadt_synagoge.htm).

1949 fand vor dem Landgericht Würzburg ein Prozess gegen 15 der am Pogrom von 1938 Beteiligten von Karlstadt statt. Während fünf Personen mangels Beweisen freigesprochen wurden, erhielten die anderen Haftstrafen bis zu einem Jahr.

 

An einem Gebäude in der Hauptstraße ist heute eine unscheinbare Gedenktafel angebracht, die kurze Inschrift lautet:

In diesem Haus befand sich bis zum 9.November 1938

die Synagoge der ehem. Karlstadter Judengemeinde.

 

2009/2010 hat man in Karlstadt sieben sog. „Stolpersteine“ an den letzten Wohnsitzen ehemaliger jüdischer Bewohner verlegt; insgesamt sind inzwischen im Stadtgebiet Karlstadts -  eingeschlossen Laudenbach und Wiesenfeld – mehr als 50 messingfarbene Steinquader ins Gehwegpflaster eingefügt (Stand 2023).

Stolpersteine in Karlstadt Bertha Strauss.JPGStolpersteine in Karlstadt Moses Strauss.JPG Stolpersteine in Karlstadt Siegfried Bamberger.JPGStolpersteine in Karlstadt Meta Bamberger.JPG Stolperstein für Israel Rosenbaum (Kirchplatz 7)

fünf "Stolpersteine" verlegt in der Hauptstraße und am Kirchplatz (Aufn. S., 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auch Karlstadt beteiligt sich - wie zahlreiche andere Kommunen auch - am unterfränkischen Projekt „DenkOrt Deportationen 1941-1944“ mit Koffer-Skulpturen, die von Schüler/innen der Konrad-von-Querfurt-Mittelschule entworfen und im Karlstadter Ringpark sowie in Laudenbach und Wiesenfeld aufgestellt wurden.

  Denkmal Deportation in Karlstadt

 Koffer-Skulpturen aus Karalstadt (Aufn. Martina Dittmeier, 2021, aus: denkort-deportationen.de und Gerhard Kraft, 2023, aus: gruene-bezirkstag-unterfranken.de/)

 

 

In Karlburg – heute ein Stadtteil von Karlstadt – ist erstmals ein jüdischer Viehhändler im Jahre 1631 nachweisbar. In den Folgejahrzehnten sind weitere Familien ansässig geworden, die vermutlich unter dem Schutz des Würzburger Juliusspitals standen; um 1700 sind sieben jüdische Haushaltungen im Ort verzeichnet. Gemeinsam mit den Glauabensgenossen aus Mühlbach suchten sie zu Gottesdiensten die Synagoge in Laudenbach auf. Verstorbene wurden ebenfalls in Laudenbach beerdigt. Die kleine jüdische Gemeinschaft löste sich vermutlich gegen Ende des 18.Jahrhunderts auf.

 

[vgl.  Wiesenfeld (Bayern)]

[vgl.  Laudenbach und Thüngen (Bayern)]

 

 

Im nahen, mainaufwärts gelegenen Himmelstadt gab es vermutlich seit dem 17.Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinde; in den Jahrzehnten vor 1800 sollen im Dorf bis zu 25 jüdische Familien* gelebt haben, die dem Hochstift Würzburg als Schutzjuden unterstanden. Im Laufe des 19.Jahrhunderts ging deren Zahl stark zurück; so sind bei der Matrikelerhebung (1817) nur noch vier Familien genannt. 1871 lebten noch 16 Personen in Himmelstadt; alsbald muss sich die Synagogengemeinde aufgelöst haben. Um 1900 war nur noch eine einzige Familie im Dorf ansässig - nämlich die kinderreiche Familie des Viehhändlers Gideon Mannheimer. * Vermutlich ist obige Angabe nicht korrekt.

Ein Betsaal soll in einem der Privathäuser bereits um 1675 bestanden haben; ein eigenes Begräbnisgelände war jedoch nicht vorhanden

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden drei gebürtige jüdische Bewohner Himmelstadts Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/himmelstadt_synagoge.htm). 

 

 

 

In Zellingen – einer Kommune mit derzeit ca. 6.500 Einwohnern wenige Kilometer südlich von Karlstadt gelegen – soll angeblich im 19.Jahrhundert eine kleine jüdische Gemeinschaft bestanden haben, die sich maximal aus etwa 20 Personen zusammensetzte. In einem Privathaus in der Hinteren Gasse soll es einen Betraum gegeben haben. Einer Volkszählung von 1875 zufolge haben damals im Ort fünf Bewohner mosaischen Glaubens gelebt.

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag München/Wien 1979, S. 328/329

Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Deportationen Würzburger Juden, in: "Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens", Band 1, Verlag Max Rötter, Bad Neustadt a.d.Saale 1980, S. 313

Andrea Gehring, Die Karlstadter Juden unter dem Hakenkreuz. Analyse einer antisemitischen Politik. Seine Auswirkungen und Folgen auf das Leben der Juden in Karlstadt, in: Historischer Verein Karlstadt (Hrg.), "Beiträge zur Geschichte der Stadt Karlstadt und des Umlandes", Heft 8/1985 (3. erw. Auf., 2003)

Reiner Strätz, Biographisches Handbuch - Würzburger Juden 1900 - 1945, Würzburg 1989, Band 1, S. 370/371

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 80

Werner Zapotetzky, Karlstadt. Geschichte einer Stadt in Franken, Karlstadt 1994

Leonard Scherg, Jüdisches Leben im Main-Spessart-Kreis. Orte, Schauplätze, Spuren, Hrg. Förderkreis Synagoge Urspringen e.V., Haigerloch 2000, S. 19 und S. 22/23

Manfred Schneider, “ ... auf Ansuchen bestätigt, dass er Nichtarier ist !” - Jüdische Familien und Personen in Karlstadt 1901 – 1939, in: Historischer Verein Karlstadt (Hrg.), "Beiträge zur Geschichte der Stadt Karlstadt und des Umlandes", Heft 8, 4. Aufl. 2003, Kulturamt Stadt Karlstadt, Karlstadt 2003, S. 55 - 92

Gustav Eichler/Manfred Schneider, Jüdische Spuren in der Altstadt, in: Gerhard Kralik (Hrg.), Jahrbuch. Beiträge zu Geschichte und Gegenwart, Karlstadt 2008, S. 140 - 159

Karlstadt, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Textdokumenten zur jüdischen Gemeindehistorie)

Michaela Moldenhauer (Red.), Stolpersteine. Zeichen für eine offene Stadt, in: „Main-Post“ vom 10.3.2009

Michaela Moldenhauer (Red.), Abschluss der Stolperstein-Aktion, in: „Main-Post“ vom 20.1.2010

Auflistung der in Karlstadt, Laudenbach und Wiesenfeld verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Karlstadt

Hans Leopold Müller, Mit jüdischem Eckstein. Die Gründung der Stadt Karlstadt, Karlstadt 2011

Hans Schlumberger/Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Karlstadt mit Karlburg, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G.Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 225 - 233

Günter Roth (Red.), Wenn Nummern Namen haben, in: “Main-Post” vom 28.1.2020

N.N. (Red.), Karlstadt. Gepäckstücke für den Weg der Erinnerung nehmen Gestalt an, in: “Main-Post” vom 16.7.2021

Jürgen Kamm (Red.), Koffer aus rotem Sandstein erinnern an drei kleinen Denkorten an die Deportation, in: “Main-Post” vom 6.7.2023