Kleinlangheim (Unterfranken/Bayern)
Kleinlangheim ist eine Marktgemeinde mit derzeit ca. 1.600 Einwohnern im unterfränkischen Landkreis Kitzingen und Mitglied der Verwaltungsgemeinschaft Großlangheim (Kartenskizze 'Landkreis Kitzingen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
In der ersten Hälfte des 19.Jahrhundert erreichte die jüdische Gemeinde ihren personellen Höchststand; zeitweilig machte der Anteil der Ortsbewohner mosaischen Glaubens ca. 10% aus.
Die Entstehung einer jüdischen Gemeinde geht ins 18.Jahrhundert zurück; doch sollen bereits zu Beginn des 15.Jahrhunderts einige Familien vorübergehend hier gelebt haben. Um 1620 stritten sich die beiden Dorfherren (der Markgraf von Brandenburg-Ansbach und der Graf von Castell) um den 'Judenschutz', der ihnen finanzielle Einkünfte brachte.
In der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts brachte es der im Dorf lebende Jude Isaac Nathan Ischerle wegen seiner Geschäfte mit dem Ansbacher Markgrafen zu erheblichem Wohlstand.
Bis zur zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts waren die Juden Kleinlangheims und Großlangheims in einer Gemeinde zusammengeschlossen. Laut den bayrischen Urmatrikel (1817) für Kleinlangheim waren15 Familienvorstände ausgewiesen, die mehrheitlich als Viehhändler (und Schmuser), als Ellenwaren- und Landproduktenhändler ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verdienten. 1824/25 wurden in der Matrikelliste zwei weitere Haushaltsvorstände hinzugefügt. Zu den regelmäßig stattfindenden Viehmärkten fanden sich zahlreiche Juden im Ort ein; diese im 19.Jahrhundert abgehaltenen großen Viehmärkte waren die Basis für die Blütezeit der hiesigen jüdischen Gemeinde.
Zu den Einrichtungen der jüdischen Gemeinde gehörten neben einer 1838 erbauten Synagoge - sie ersetzte ein älteres Bethaus aus dem Jahre 1725 - auch eine einklassige Schule (vermutlich nur als Religionsschule geführt) und eine Mikwe. Die Einweihungspredigt hatte der Welbhausener Rabbinatskandidat David Einhorn (geb. 1809) gehalten, der später einer der bedeutendsten Rabbiner in den USA war.
Anzeigen aus: „Der Israelit“ vom 7.1.1909 und vom 5.9.1913
Verstorbene wurden auf dem großen jüdischen Verbandsfriedhof in Rödelsee beigesetzt.
Die Kultusgemeinde Kleinlangheim unterstand um 1930 dem Bezirksrabbinat Kitzingen.
Juden in Kleinlangheim:
--- 1739 ........................ 6 jüdische Familien,
--- 1813 ........................ 71 Juden (ca. 7% d. Bevölk.)
--- 1830 .................... ca. 90 “ ,
--- 1837 ........................ 118 " (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1867 ........................ 116 " (ca. 9% d. Bevölk.),
--- 1875 ........................ 115 “ (ca. 9% d. Bevölk.),
--- 1880 ........................ 105 " ,
--- 1900 ........................ 83 “ ,
--- 1910 ........................ 62 “ ,
--- 1925 ........................ 50 " ,
--- 1933 ........................ 38 “ ,
--- 1939 ........................ 13 “ ,
--- 1940 (Dez.) ................. keine.
Angaben aus: Werner Steinhauser, Juden in und um Prichsenstadt, Selbstverlag, Prichsenstadt 2002, S. 12
und Baruch Z.Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 338
und W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, S. 1114
eine Anzeige des Landesproduktenhändlers Löb Hahn von 1892
Schon ab den 1920er Jahren lassen sich in Kleinlangheim antisemitisch motivierte Vorfälle nachweisen, die von Teilen der dortigen Bevölkerung geduldet bzw. hingenommen wurden: so wurden Fenster von jüdischen Familien bewohnter Häuser eingeworfen, Wände beschmiert und auch Brände gelegt; nur der Einsatz von Polizei verhinderte noch Schlimmeres.
Diese antijüdische Haltung verstärkte sich nach der NS-Machtübernahme noch.
Während des Novemberpogroms von 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge vernichtet; viele Ortsbewohner hatten sich den dafür verantwortlichen SS-Leuten aus Kitzingen angeschlossen. Das jüdische Schulhaus und die gemeindeeigene Scheune blieben unangetastet, die die Gebäude bereits in 'arischem' Besitz waren. Danach plünderte der Mob - unter Leitung des NSDAP-Ortsgruppenleiters - von Juden bewohnte Häuser; dabei wurde der Keller eines jüdischen Weinhändlers völlig ausgeraubt. Zwei Männer wurden „in Schutzhaft“ genommen und ins KZ Dachau verschleppt.
Die letzten drei im Dorfe verbliebenen Juden verzogen 1940 nach Würzburg; zwei Jahre später wurden sie von hier nach Theresienstadt deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind nachweislich 42 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum ansässig gewesene Juden Kleinlangheims Opfer der NS-Herrschaft geworden (namentliche Nennung der Opfer in: alemannia-judaica.de/kleinlangheim_synagoge.htm).
Das ehemalige Synagogengebäude - es war während der Kriegsjahre als Gefangenenunterkunft genutzt worden - wurde nach 1945 abgerissen; auf seinen Grundmauern wurde ein Neubau (Postgebäude) errichtet. An der Außenmauer des Rathauses erinnert heute eine Tafel an die frühere jüdische Gemeinde.
Gedenktafel am Rathaus (Aufn. J. Hahn)
2010 wurden in Kleinlangheim sog. „Stolpersteine“ verlegt, die am ehemaligen Wohnsitz der beiden jüdischen Ehepaare Arno u. Irma Levin und Hermann u. Getta Sondhelm (Wiesenbronner Straße), die Opfer der „Endlösung“ geworden ist, zu finden sind. Ob inzwischen weitere Steine verlegt wurden, ist nicht bekannt.
Mit einem symbolischen Holzkoffer wurde 2024 am Rathaus in Kleinlangheim eine kleine Gedenkstätte für diejenigen jüdischen Ortsbewohner eingeweiht, die im Sept. 1942 abtransportiert, von Würzburg aus deportiert und später ermordet wurden.
vgl. dazu: Großlangheim (Unterfranken/Bayern)
Weitere Informationen:
David Einhorn, Predigt bei der Einweihungsfeier der Synagoge zu Kleinlangheim, den 31ten August 1838, o.O., o.J.
Baruch Z.Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 338/339
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern, Hrg. Bayr. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 86
Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 177/178
J. Hahn/E.Böhrer, Kleinlangheim, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Ralf Weiskopf (Red.), Den Mantel des Schweigens lüften - Auch in Kleinlangheim erinnern jetzt Stolpersteine an ehemalige jüdische Mitbürger, in: "Main-Post" vom 14.11.2010
Auflistung der Stolpersteine in Kleinlangheim, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Kleinlangheim
Lena Berger (Red.), Kleinlangheim. Auf den Spuren der Vorfahren, in: „Main-Post“ vom 28.8.2020
Hans Schlumberger/Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Kleinlangheim, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 1103 - 1118
Wolf-Dieter Gutsch (Red.), Kleinlangheim. Juden im Landkreis Kitzingen: Die Lügen der Nazis über Familie Ackermann, in: „Main-Post“ vom 12.11.2021
Stefan W. Römmelt (Bearb.), Kleinlangheim – Jüdisches Leben in Bayern, Hrg. Haus der Bayrischen Geschichte, 2022
Winfried Worschech (Red.), Eichen-Koffer als Erinnerung an die Deportation Kleinlangheimer Jüdinnen und Juden, in: „Main-Post“ vom 7.10.2024