Königsbach-Stein (Baden-Württemberg)
Königsbach-Stein ist eine Kommune mit derzeit ca. 9.500 Einwohnern im Enzkreis - nur wenige Kilometer nordwestlich von Pforzheim bzw. knapp 30 Kilometer östlich von Karlsruhe gelegen (topografische Karte mit Eintrag von Königsbach, aus: wikiwand.com/de/Bahnstrecke_Karlsruhe–Mühlacker und Kartenskizze 'Enz-Kreis', F. Paul 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Königsbach stand ab dem 16.Jahrhundert unter der Herrschaft zweier ‘Herren’: der kleinere Teil gehörte zur Herrschaft der Markgrafen, der größere Teil zur Herrschaft der Freiherren von Saint André.
Um 1700 soll die erste jüdische Familie in Königsbach durch den badischen Markgrafen ansässig gemacht worden sein; weitere folgten gegen Zahlung eines jährlichen Schutzgeldes. Gleichzeitig ließen auch die Freiherren von St. André vermehrt Ansiedlungen von Juden zu und lösten damit einen Konflikt mit dem badischen Markgrafen aus.
Um die Mitte des 18.Jahrhunderts besaß die Königsbacher Judenschaft auf dem Gebiet der Freiherren bereits ein Bethaus; auf badischer Seite sollte ebenfalls eine Synagoge errichtet werden; doch wegen Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde wurden diese Pläne nicht realisiert. Die wenigen Juden aus dem benachbarten Stein besuchten ebenfalls die Gottesdienste in der Königsbacher Synagoge. Das dann bis in die NS-Zeit genutzte Gotteshaus wurde 1834 in der Pforzheimer Straße, der heutigen St. Andréstraße, errichtet, nachdem der Vorgängerbau durch ein Feuer zerstört worden war. Das neue Synagogengebäude war ein zweistöckiger Bau mit einem Betsaal, einer Mikwe und einem Schulraum.
Synagoge Bildmitte (Ausschnitt aus Luftaufnahme, 1928) Synagogengebäude (virtuelle Rekonstruktion, J. Mehne)
Zur Finanzierung der neuen Synagoge hatte auch der Großherzog mit einer Spende beigetragen.
aus: "Karlsruher Zeitung" vom 30.7.1833
Religiös-rituelle Aufgaben der Gemeinde besorgten zeitweise sowohl ein Lehrer als auch ein Vorbeter (Kantor); letzterer übte auch das Amt eines Schächters aus. Der seit 1907 in der Gemeinde tätige Kantor/Schächter Abraham Srog hatte sein Amt mehr als drei Jahrzehnte (bis 1938) inne.
Stellenangebot aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 9. April 1907
An der Gemarkungsgrenze zum Nachbardorf Bilfingen wurde in den 1870er Jahren der jüdische Friedhof angelegt; in der Zeit zuvor waren Verstorbene auf dem Verbandsfriedhof in Obergrombach beerdigt worden. In Königsbach wurden Frauen, Männer und Kinder - bis auf wenige Ausnahmen - in getrennten Reihen bestattet.
Die Kultusgemeinde Königsbach war seit 1827 dem Rabbinatsbezirk Karlsruhe, ab 1885 dem von Bretten zugeordnet.
Juden in Königsbach:
--- 1699 .......................... eine jüdische Familie,
--- 1743 .......................... 23 jüdische Familien,
--- 1825 .......................... 156 Juden (ca. 9% d. Bevölk.),
--- 1839 .......................... 162 “ ,
--- 1875 .......................... 220 “ (ca. 11% d. Bevölk.),
--- 1885 .......................... 190 “ ,
--- 1900 .......................... 167 “ ,
--- 1910 .......................... 160 “ (ca. 7% d. Bevölk.),
--- 1925 .......................... 162 “ ,
--- 1933 .......................... 102 “ (nach anderen Angaben mindestens 160 Pers.),
--- 1940 (Sept.) .............. ca. 15 “ ,
(Dez.) ................... keine.
Angaben aus: F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden, Denkmale, ..., S. 160
Das dörfliche Leben in Königsbach soll nach 1850 für christliche und jüdische Bewohner sehr belastet gewesen sein: der relativ hohe Anteil an sozial Schwachen soll „außer den gewöhnlichen Ursachen” auch als Folge von „Arbeitsscheu, Müssiggang, Lüderlichkeit aller Art, Hang zum Betteln” gewesen sein. Auch der sittliche Verfall im Dorf soll sich in der großen Anzahl unehelicher Kinder und „wilder Ehen“ widergespiegelt haben. Ein offizieller Bericht des Durlacher Bezirksamtes aus dem Jahre 1854 schloss mit dem Satze: „Eine großartige Abwanderung wäre eine Wohltat für die Gemeinde.” Auch von der hiesigen Synagogenvorstandes wurde das „müßige Herumlungern erwachsener junger Israeliten” beklagt. In einem Bericht aus den 1880er Jahren hieß es: „ ... Verbrechen und Vergehen aller Art kommen in keiner anderen Gemeinde des Bezirks so häufig vor. ... Zu den schlimmen Einwohnern gehören einige israelitische Familien, deren Unwesen öfters dem Staatsanwalt Gelegenheit zum Einschreiten gibt.”
Nach der großen Brandkatastrophe von 1857 begann sich das Verhältnis zwischen christlicher und jüdischer Bevölkerung zu entspannen, und die beiden Bevölkerungsteile rückten näher zusammen. Die jüdischen Bewohner wurden nun allmählich in die Dorfgesellschaft eingebunden; sie wurden Mitglieder in Feuerwehr und anderen Vereinen.
Der überwiegende Teil der in Königsbach lebenden Juden verdiente bis in die NS-Zeit seinen Lebensunterhalt im Vieh- und Pferdehandel. Einige Königsbacher Juden reisten als Vertreter der Pforzheimer Schmuckwarenbranche durchs Land; gering dagegen war die Zahl der jüdischen Einzelhandelsgeschäfte am Ort.
Von den bis noch Anfang der 1930er Jahre bestehenden Handels- und Gewerbebetrieben im Besitz jüdischer Familien sind zu nennen: die Pferdehandlungen von Julius Benjamin, Siegmund Benjamin und Abraham Tiefenbronner (alle Bahnhofstraße), die Viehhandlungen Elias Daube (Schulstraße), Max Daube (Brettener Straße), Louis Dreifuß (Durlacher Straße), Jakob u. Hermann Dreifuß (Schulstraße), Lothar Dreifuß (Leopoldstraße), Ludwig Dreifuß jun. (Marktstraße), Adolf Maier (Ankerstraße), Moritz Maier (Ankerstraße), David Maier (Marktstraße), Isidor Maier (Leopoldstraße), Max u. Moses Maier (Leopoldstraße), Moritz Maier Wwe. (Ankerstraße), Samuel Stern (Pforzheimer Straße), Emil Reutlinger u. Jakob Wassermann (Brettener Straße) und Sigmund Wolf (Leopoldstraße). Zudem gab es die Haustierhandlung mit Manufakturwaren Jakob Dreifuß (Marktstraße), Fleischerei- u. Lebensmittelgeschäft Aron/Bernhard Kilsheimer (Marktstraße), die Fellhandlung Moses u. Frieda Reutlinger (Steiner Straße) und die Lederhandlung Leo Stern (Marktstraße).
zwei gewerbliche Anzeigen von 1903 und 1908
Der nach der NS-Machtübernahme reichsweit durchgeführte Boykott schien in Königsbach wenig Wirkung gezeigt haben, wie aus einem Protokoll der evangelischen Kirchengemeinde entnommen werden kann; danach war das Verhältnis zwischen Katholiken und Juden am Ort gut. „Auch sind Ausschreitungen gegen Juden, wie sie in den letzten Monaten des Judenboykottes hätten möglich sein können, nicht vorgekommen.”
Aus einer Zeitungsmeldung des „Pforzheimer Anzeiger” vom 6.Okt.1933:
Sali Kilsheimer in Schutzhaft.
Königsbach, 6.Oktober. Auf Veranlassung des Geheimen Staatspolizeiamtes wurde der sattsam bekannte und in 13 Fällen bereits vorbestrafte jüdische Metzger Sali Kilsheimer aus Königsbach wegen aufhetzender Aeußerungen gegen den nationalsozialistischen Staat und Verbreitung von Greuellügen in Schutzhaft genommen. Mit dieser Verhaftung hat das Geheime Staatspolizeiamt erfreulicherweise wieder einmal einem jüdischen Hetzer tatkräftig das Handwerk gelegt. ...
Bis zum Novemberpogrom von 1938 hatte mehr als die Hälfte der jüdischen Einwohner Königsbach verlassen; teilweise waren sie emigriert - zumeist in überseeische Länder - und teils in größere deutsche Städte verzogen, besonders nach Pforzheim.
Während des Pogroms verwüsteten auswärtige SA- und SS-Angehörige das Innere der Synagoge und demolierten jüdischen Besitz. Jüdische Einwohner mussten dabei Ritualien aus der Synagoge heraustragen und diese in ein vor der Synagoge angefachtes Feuer werfen. In der folgenden Nacht wurde das Synagogendach größtenteils abgedeckt und versucht, die Mauern zu schleifen. Monate später wurde die Synagogenruine abgerissen, das Abbruchmaterial zum Bau von Feldwegen genutzt. Bürger aus Königsbach sollen sich an den antijüdischen Ausschreitungen angeblich nicht beteiligt haben. Zehn Königsbacher Juden wurden „in Schutzhaft“ genommen und einige Wochen im KZ Dachau festgehalten. Ende Oktober 1940 wurden die letzten zehn Königsbacher Juden nach Gurs deportiert; damit endete die Geschichte der jüdischen Gemeinde Königsbach.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind 45 gebürtige bzw. über einen längeren Zeitraum hinweg in Königsbach ansässig gewesene Juden während der Verfolgungen in der NS-Zeit ums Leben gekommen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/koenigsbach_synagoge.htm).
Im Frühjahr 1947 fand vor der Strafkammer in Karlsruhe ein Prozess gegen vier ehemalige SS-Angehörige statt, die am Pogrom in Königsbach aktiv beteiligt waren; sie wurden zu einjährigen Haftstrafen verurteilt.
Auf Initiative der aus Schüler/innen des Lise-Leitner-Gymnasiums bestehenden „AG Spurensuche” in Königsbach-Stein wurde 1998 eine Gedenkplatte in die Pflasterung der St. André-Straße am ehemaligen Standort der Königsbacher Synagoge eingelassen:
An dieser Stelle, unmittelbar vor ihrem Gotteshaus,
mussten die Königsbacher Juden unter dem Druck von Gewalttätern am 10.November 1938,
ihre heiligen Schriften dem Feuer übergeben.
Die Zerstörung der Synagoge erfolgte wenig später.
Gedenkplatte für die ehem. Synagoge (Aufn. W. Schüle, 2021, aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Mehrere sog. „Stolpersteine“ erinnern an ehemalige jüdische Bewohner.
Auf dem jüdischen Friedhof, der in fünf Reihen insgesamt etwa 130 Grabstellen aufweist, erinnert auch ein Gedenkstein an die Opfer der NS-Zeit.
jüdischer Friedhof in Königsbach (Aufn. Klaus Martin Bardey, 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Mit einem etwas eigenwillig gestalteten Erinnerungsmal beteiligten sich Schüler/innen des Lise-Meither-Gymnasiums am Mahnmal-Projekt für die deportierten badischen Juden in Neckarzimmern (Abb. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).
Weitere Informationen:
F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1968, S. 159 - 161
Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 167 f.
Monika Preuß (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Königsbach-Stein, Unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, 1994
U.Rommel/J.Mehne, Auf den Spuren jüdischer Mitbürger: Eine Arbeitsgemeinschaft des Bildungszentrums Königsbach berichtet, in: "Der Enzkreis", No. 6/1995, S. 172 - 186
U.Rommel/J.Mehne, "Ob die Erne wohl noch lebt ?" Ein Bericht aus dem Projekt 'Spurensuche: Die Königsbacher Juden, in: 25 Jahre Bildungszentrum Königsbach, 1996, S. 21 - 26
J.Mehne/D.Wolf, Spuren jüdischen Lebens in Königsbach - Eine Einführung, Hrg. Gemeinde Königsbach-Stein, Königsbach 1998 (Ergebnis der AG “Spurensuche” des Lise-Meitner Gymnasiums Königsbach)
Joachim Mehne, Jüdisches Königsbach. Einladung zu einem Rundgang, Königsbach 2002
Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 256 - 258
Königsbach, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen, zumeist personenbezogenen Textdokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Jeff Klotz (Bearb.), Die jüdische Gemeinde von Königsbach – Eine Spurensuche, in: Thorsten Trautwein, (Hrg.) Jüdisches Leben im Nordschwarzwald, Verlagshaus J.S.Klotz Neulingen 2021, S. 165 - 181 (Band enthält Aufsätze zahlreicher Autoren)