Kunreuth (Oberfranken/Bayern)

 Datei:Kunreuth in FO.svg Kunreuth (bis 1952 "Cunreuth") mit seinen derzeit ca. 1.400 Einwohnern gehört heute zur Verwaltungsgemeinschaft Gosberg/Pinzberg - etwa zehn Kilometer östlich von Forchheim in der Fränkischen Schweiz gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Forchheim', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In Kunreuth bestand eine zeitweise zahlenmäßig relativ große israelitische Gemeinde, deren Angehörige im ersten Viertel des 19.Jahrhunderts immerhin ein Drittel der Dorfbevölkerung stellte.

Einen ersten Hinweis auf Existenz eines Juden in Cunreuth stammt aus dem Jahre 1448. Möglicherweise haben sich aber bereits ein Jahrhundert früher einzelne jüdische Familie in Kunreuth aufgehalten, die von den Herren von Schlüsselfeld aufgenommen worden waren.

Gesicherte Kenntnisse über die Ansiedlung jüdischer Familien in Cunreuth liegen seit der Zeit des Dreißigjährigen Krieges vor. Seit Mitte des 17.Jahrhunderts existierte hier eine recht große jüdische Gemeinde. Das reichsritterliche Adelsgeschlecht von Egloffstein gewährte den hiesigen Juden Schutz, sorgte aber auch später dafür, dass der Zuzug weiterer Familien begrenzt wurde; höchstens 28 jüdischen Haushalten war ein Leben in Kunreuth gestattet. So durfte nach dem Tod eines jüdischen Familienoberhauptes kein weiteres nachrücken; außerdem wurde das „Rezeptionsgeld“, das zugezogene Juden für ihr Niederlassungsrecht zu entrichten hatten, drastisch erhöht. Hintergrund dieser restriktiven Maßnahme waren Streitigkeiten zwischen christlichen und jüdischen Bewohnern. Von wenigen ‚Handelsmännern’ abgesehen lebte das Gros der hiesigen Kultusangehörigen in recht ärmlichen Verhältnissen.

1764 wurde eine neue Synagoge „beym Steg“ am Troppbach gebaut; zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte auch eine Mikwe. Von 1830 bis 1876 gab es in Kunreuth eine jüdische Religionsschule; der dortige Lehrer übernahm die rituellen Aufgaben innerhalb der Gemeinde.

  letztmalige Ausschreibung einer Lehrerstelle, aus: „Der Israelit“ vom 25.9.1872

Verstorbene wurden auf dem jüdischen Friedhof in Baiersdorf beerdigt.

Juden in Kunreuth:

         --- 1639 ..........................   9 jüdische Familien,

    --- 1680 ..........................  14     “       “    ,

    --- 1706 ..........................  12     "       "    ,

    --- 1728 ..........................  20     “       “    ,

    --- 1767 ..........................  28     “       “    ,

    --- 1811 .......................... 149 Juden (ca. 35% d. Dorfbev.),

    --- 1852 .......................... 105   “  ,

    --- 1875 ..........................  26   “  ,

    --- 1885 ...................... ca.  15   “  ,

    --- um 1895 .......................  ein   “ ().

Angaben aus: Gerhard Philipp Wolf, Kunreuth, S. 299 - 302

 

Bei der Erstellung der Matrikel waren für Kunreuth 25 Stellen bewilligt worden. Um 1840/1850 wanderten viele jüdische Familien aus Kunreuth ab, einige in nahegelegene größere Städte, u.a. nach Fürth, andere nach Übersee; fast 3/4 der Judenschaft verließ innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte den Ort. Um 1875 war die Kultusgemeinde bereits in Auflösung begriffen; denn zu diesem Zeitpunkt konnte bereits kein Minjan mehr erreicht werden.

            Anzeige in der Zeitschrift “Der Israelit” vom 23.4.1879

1890 wurde als einziger jüdischer Bewohner der Handelsmann Sigmund Sulzgeber genannt.

Die Kunreuther „Kehillah” wurde offiziell aber erst 1920 aufgelöst, obwohl schon jahrelang hier keine jüdischen Bewohner mehr gelebt hatten. Bereits 1906 war das der Kultusgemeinde gehörende Synagogengrundstück verkauft, zwei Jahre später das Gebäude abgerissen worden.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ ist eine aus Kunreuth stammende Jüdin genannt, die in Theresienstadt umgekommen ist (siehe: alemannia-judaica.de/kunreuth_synagoge.htm).

 

Heute sind keinerlei originale Zeugnisse ehemaliger jüdischer Gemeindeeinrichtungen (bis auf das Gebäude der ehem. israelitische Schule) im Ort mehr vorhanden

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20184/Kunreuth%20Schule%20100.jpgehem. jüdisches Schulhaus (J. Hanke, aus: alemannia.judaica.de)

Eine Tafel am sog. "Kunreuther Kulturweg" informiert über die "Spuren jüdischen Lebens" des Ortes wie folgt:

"Seit dem frühen Mittelalter lebten Juden auch in Franken. Erstmals 1298 kommt es in Ostfranken zu Verfolgungen (Pogrome) besonders in den Städten. In Folge beginnen sich die Juden von den Städten abzuwenden und sich in Dörfern und Märkten anzusiedeln. Nachdem 1349 in Nürnberg eine blutige Judenverfolgung auch das jüdische Stadtviertel (den heutigen Hauptmarkt) zerstört hatte, boten die Herren von Schlüsselberg (Burg Neideck) den Überlebenden Schutz in ihren Orten. Damit wird erstmals die Funktion des Adels als Schutzmacht über die Juden in der Region sichtbar.  
1548 übertrug Kaiser Karl V. in der 'Reichspoliceyordnung' der Reichsritterschaft das sogenannte Judenschutzrecht. Dieses bot den Rittern die Möglichkeit, Juden aufzunehmen und von ihnen Steuern und andere Abgaben zu erheben, die bald einen beträchtlichen Anteil an den Einnahmen der Reichsritter ausmachten. Diese Einnahmemöglichkeiten führten auch dazu, dass es in vielen reichsritterschaftlichen Siedlungen zu einer Politik der Judenansiedlung kam. Deshalb findet man noch heute in vielen ehemals reichsritterschaftlichen Orten Spuren von vergangenem jüdischen Leben. 
Erste Nachrichten über jüdische Einwohner in Kunreuth gibt es schon Mitte des 15. Jahrhunderts, doch erst während des 30-jährigen Krieges, seit 1638 ist eine kontinuierliche Ansiedlung belegbar. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wuchs daraus eine bedeutende jüdische Gemeinde mit eigener Synagoge und von 1830 bis 1876 mit eigener Religionsschule, jedoch ohne eigenen jüdischen Friedhof.  
Die Juden waren in Kunreuth teilweise Mitglieder der Gemeinde und konnten hier Grundbesitz erwerben. 1728 sind 13 von 56 Gemeinderechten in jüdischer Hand, und es leben bereits 20 jüdische Familien am Ort. Sie lebten von Klein-, Gewürz- und Viehhandel, waren Schneider, koscherer Metzger, Krämer, Tuchweber, Leinweber oder Seifensieder und trugen so zur handwerklich-gewerblichen Vielfalt Kunreuths entscheidend bei.
1764 wurde eine neue Synagoge 'beym Steg', also direkt am Trappbach gebaut. Nachdem 1815 ein Höchststand der jüdischen Gemeinde bestand, begann um 1850 in Kunreuth, wie in den meisten Dörfern der Fränkischen Schweiz, die Abwanderung der jüdischen Gemeindemitglieder in die aufstrebenden Städte (vor allem nach Fürth) und nach Übersee: 1845 gab es noch 106 Juden in Kunreuth, 1880 nur noch vier Familien, die Kultusgemeinde Kunreuth existierte ab dieser Zeit faktisch nicht mehr. Der Handelsmann Sigmund Sulzberger ist 1890 Kunreuths einziger Jude. Als die Kunreuther Judengemeinde 1920 juristisch aufgelöst wurde, war die Synagoge bereits abgerissen worden."   

 

 

 

Weitere Informationen:

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 227

Gerhard Philipp Wolf (Bearb.), Kunreuth, in: Jüdisches Leben in der Fränkischen Schweiz, in: "Schriftenreihe des Fränkische-Schweiz Vereins", Band 11, Palm & Enke, Erlangen 1997, S. 297 - 342

Kunreuth, in: alemannia-judaica.de

Kunreuther Spurensuche, online abrufbar unter: landesgeschichte.phil.uni-erlangen.de (u.a. auch Angaben zur jüdischen Geschichte des Dorfes)