Lundenburg/Thaya (Mähren)
Das von böhmischen Fürsten gegründete Lundenburg war im Mittelalter ein zentraler Ort in Südmähren; es ist das heutige tschechische Břeclav mit derzeit ca. 25.000 Einwohnern (Ausschnitt aus Bildkarte mit 'Luntenburg', aus: docplayer.org und Kartenskizze 'Tschechien' mit Břeclav rot markiert, K. 2005, aus: commons.wikmpedia.org, CC BY-SA 3.0).
Erste urkundliche Hinweise auf Anwesenheit von Juden in Lundenburg stammen aus dem beginnenden 15.Jahrhundert (1411). Jahre später sollen sich hier aus Wien vertriebenen jüdische Familien niedergelassen haben. Im folgenden Jahrhundert soll es dann bereits eine zahlenmäßig größere Gemeinde gegeben haben, die zu diesem Zeitpunkt auch über eine Synagoge und ein Begräbnisgelände verfügte. Im Jahre 1572 wurde in Lundenburg die Generalsynode der mährischen Juden abgehalten, bei der der berühmte Rabbiner Jehuda Löw ben Bezalel den Vorsitz führte.
Wie in anderen Städten Mährens wurden auch in Lundenburg 1574 die Juden vom einheimischen Mob verfolgt; kaiserlicher Schutz garantierte ihnen danach weitere Duldung in der Stadt. Erneute Gewalttätigkeiten sollen sich in Lundenburg noch mehrfach Bahn gebrochen haben, so 1574, 1605 und 1622. Während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges wurde die Stadt mehrfach von marodierenden Truppen heimgesucht, die auch die Synagoge und den Friedhof zerstörten (1643). Insgesamt nahm die Bevölkerung schweren Schaden, zumal wenig später eine Pestepidemie wütete; die jüdische Gemeinde wurde fast vollständig ausgelöscht. Doch bereits nach 1650 siedelten sich erneut Juden an; dabei handelte es sich um jüdische Flüchtlinge aus Österreich, denen die hiesige Grundherrschaft Wohn- und Bleiberecht zusprach; dies geschah allerdings nicht uneigennützig, sondern aus rein wirtschaftlichen Erwägungen heraus; denn die nach dem Krieg darniederliegende Wirtschaft sollte wieder aufgebaut werden. Die Zahl der in Lundenburg ansässigen Juden war - laut ‚Hofdekret’ aus dem Jahr 1726 - auf die Höchstzahl von 66 Familien begrenzt. Bis ins 18.Jahrhundert hinein wurde die Lundenburger Bevölkerung von Epidemien, Kriegseinwirkungen, Brandschatzungen und Stadtbränden heimgesucht, die auch die jüdischen Einwohner nicht verschonten. Ein Großbrand vernichtete 1812 alle Häuser der Judengemeinde, auch die Synagoge.
Das erste Gotteshaus der sich nach 1650 gebildeten Gemeinde wurde in den 1670er Jahren erbaut; zwei Jahrzehnte später erfolgte ein Teilneubau - die Dachkuppel war eingestürzt. Anstelle des alten Gotteshauses wurde im Jahre 1868 ein im maurischen Stile gestalteter Synagogenneubau eingeweiht; dieser bot mehr als 400 Personen Platz.
Synagoge in Lundenburg (Ausschnitt aus hist. Postkarte)
20 Jahre nach der Einweihung wurde das Synagogengebäude renoviert; für die Neugestaltung war der Wiener Architekt Max Fleischer verantwortlich.
Der neuzeitliche jüdische Friedhof stammt aus der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts.
Juden in Lundenburg:
--- um 1630/40 ....................... 20 Juden,
--- 1672 .......................... ca. 30 jüdische Familien,
--- um 1720 ....................... ca. 30 “ “ ,
--- 1787 .............................. 61 " " ,
--- um 1795 ........................... 66 “ “ (ca. 320 Pers.),
--- 1830 .............................. 363 Juden,
--- 1848 .............................. 434 “ ,
--- 1869 .............................. 532 “ (ca. 3% d. Bevölk.),
--- 1879 .............................. 649 “ ,
--- 1890 .............................. 740 “ ,
--- 1900 .............................. 759 “ ,
--- 1930 .............................. 589 “ (4,3% der Bevölk.),
--- 1942 (Dez.) ....................... keine.
Angaben aus: Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, S. 80
Nachdem Juden in der Mitte des 19.Jahrhunderts Bürgerrecht erlangt hatten, zogen vermehrt jüdische Familien aus den Landgemeinden nach Lundenburg und ließen die Gemeinde anwachsen. Von 1849 bis 1918 besaß die Judenschaft Lundenburgs auch den Status einer politischen Gemeinde. Um die Jahrhundertwende erreichte sie ihren zahlenmäßigen Höhepunkt.
hist. Straßenansichten von Lundenburg (Aufn. um 1900, aus: oldthing.de)
Als zwischen 1915 und 1917 einige tausend jüdische Flüchtlinge aus Galizien und der Bukowina aufgenommen wurden, wuchs die jüdische Bevölkerung Lundenburgs vorübergehend stark an; doch die allermeisten Flüchtlinge verließen die Stadt bald wieder. Die NS-Herrschaft besiegelte das Ende der jüdischen Gemeinde in Lundenburg. 1942 wurden die noch in der Stadt verbliebenen jüdischen Bewohner deportiert; fast alle sollen in den Vernichtungslagern umgekommen sein.
Zeugnis jüdischer Existenz legt noch heute der aus der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts stammende Friedhof ab, dessen Grabsteine - mit hebräischer, deutscher und tschechischer Beschriftung - eine reiche Ornamentik aufweisen; um dem Verfall entgegenzuwirken, ließ die Stadt Břeclav mit hohem Kostenaufwand das Friedhofsgelände mit seinen ca. 400 Grabsteinen wieder herrichten. Unter kommunistischer Herrschaft hatte man bereits begonnen, das Begräbnisgelände einzuebnen; doch die sog. "Wende" stoppte dieses Vorhaben.
Teilansichten des jüdischen Friedhofs in Břeclav (Aufn. F., 2012, aus: commons.wikipedia.org, CCO)
Jüdische Beerdigungshalle (Aufn. Fet`our, 2012, aus: wikipedia.org, CCO)
Von dem einstigen jüdischen Viertel sind nur noch ca. 25 Gebäude erhalten geblieben; dazu zählen die ehemalige Synagoge und die jüdische Grundschule, die hier bis 1923 betrieben wurde. Das Synagogengebäude ist Ende der 1990er Jahre grundlegend restauriert worden; es dient als Kulturhaus. Zudem ist das Gebäude Standort einer Ausstellung zur Geschichte der jüdischen Gemeinde.
Ehem. Synagoge (Aufn. Radek Linner, 2019, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
In der Vorhalle des Gebäudes befindet sich eine Gedenktafel, die an die ausgelöschte jüdische Gemeinde erinnert.
Eine der einflussreichsten jüdischen Familien Lundenburgs war die Familie Kuffner, deren Wurzeln hier bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen und die über Generationen hinweg sich in der Wirtschaftsgeschichte der Donaumonarchie einen Namen machte. Seit den 1830er Jahren besaßen die Gebrüder Kuffner die bisher landesfürstliche Brauerei in Lundenburg; später kam auch das Brauerei-Unternehmen in Ottakring in Familienbesitz. David Kuffner (1796-1871) errichtete in Lundenburg eine nach dem damals neuesten Stand der Technik arbeitende moderne Mälzerei, die in der Folge hohe Gewinne abwarf. Zudem engagierte er sich erfolgreich in der Landwirtschaft und schuf einen der größten und ertragreichsten Agrarbetriebe im damaligen Österreich-Ungarn. Als Bürgermeister von Lundenburg verhalf er der dortigen israelitischen Gemeinde, den lange geplanten Umbau der Synagoge zu verwirklichen.
Auch die Folgegeneration der Kuffners verfügte über bedeutende Wirtschaftsunternehmen. Drei Angehörige der Familie wurden vom Kaiser Franz Josef in den erblichen Adelsstand erhoben.
Im ca. 25 Kilometer nördlich von Lundenburg entfernt gelegenen Auspitz (tsch. Hustopeče, derzeit ca. 5.800 Einw.) gab es auch eine israelitische Gemeinde, deren Anfänge vermutlich bis in die Zeit des 15.Jahrhunderts zurückreichen. Um 1650 wurden die jüdischen Bewohner aus dem Ort verjagt. Erst in der Mitte des 19.Jahrhunderts soll sich erneut eine jüdische Gemeinde konstituiert haben. Diese verfügte über eine um 1880 erbaute Synagoge und ein Begräbnisgelände, das ebenfalls in den 1880er Jahren angelegt wurde.
Stadtplatz in Auspitz (hist. Postkarte, aus: oldthing.de)
Anfang der 1930er Jahre setzte sich die Judenschaft von Hustopeče aus etwa 100 Angehörigen zusammen; gemeinsam mit den umliegenden Ortschaften sollen es ca. 290 Personen gewesen sein. Die allermeisten wurden Opfer der Shoa.
Im Jahre 2013 wurde das bislang verwahrloste Friedhofsgelände in einen wieder ansehbaren Zustand versetzt; auf dem nun eingeebneten Begräbnisgelände findet man heute aber keine Grabsteine mehr. Ein Gedenkstein erinnert nun namentlich an die ehemaligen Gemeindeangehörigen, die Opfer des Holocaust geworden sind.
Eingang zum ehem. jüdischen Friedhof - Denkmal (Aufn. D. Kennedy, 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Das bis auf den heutigen Tag erhaltene Synagogengebäude dient als Werkstatt.
In der Ortschaft Landshut (tsch. Lanžhot, derzeit ca. 3.500 Einw.) - nur knapp zehn Kilometer von Lundenburg und etwa gleichweit vom Dreiländereck Tschechien/Österreich/Slowakei - hat es auch jüdische Ansässigkeit gegeben. So soll gegen Mitte des 19.Jahrhunderts die israelitische Gemeinde sich aus ca. 350 Angehörigen zusammengesetzt haben. Bedingt durch Abwanderung verlor dann die Gemeinde die meisten ihrer Angehörigen, so dass dann um 1920/1930 hier nur noch wenige Familien mosaischen Glaubens lebten.
Weitere Informationen:
Heinrich Schwenger (Bearb.), Geschichte der Juden in Lundenburg, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Buch- und Kunstverlag, Brünn 1929, S. 321 - 329
Hugo Einhorn (Bearb.), Geschichte der Juden in Znaim, in: H. Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Buch- und Kunstverlag, Brünn 1929, S. 579 – 586
Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, Olamenu-Verlag, Tel Aviv 1974, S. 79/80
Anton Kreuzer, Lundenburg – Geschichte einer südmährischen Grenzstadt, o.O. 1983
Jiri Fiedler, Jewish Sights of Bohemia und Moravia, o.O. 1991, S. 136
Georg Gaugusch, Die Familie Kuffner, in: "Adler – Zeitschrift für Genealogie und Heraldik", 20. (XXXIV.) Band (1999/2000), S. 243 - 251
The Jewish Community of Breclav (Lundenburg), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum oft the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/breclav
Jewish Families from Břeclav (lundenburg), South Moravia, Czech, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-B%25C5%2599eclav-Lundenburg-South-Moravia-Czech-Republic/11935
The Jewish Community of Hustopece (Auspitz), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/hustopece
Jewish Families from Hustopece (Auspitz), Moravia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Hustopece-Auspitz-Moravia-Czech-Republic/13171
Klaudia Einhorn, Die Familie Kuffner, hrg. vom Verein Kuffner-Sternwarte, 2017
Tina Walzer (Bearb.), Die Synagoge von Lundenburg, in: “DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift”, Heft 112 (2017)
Tina Walzer (Bearb.), Mehr als 500 Jahre jüdischer Vergangenheit in Lundenburg, in: “DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift”, Heft 112 (2017)