Lemberg (Ukraine)
Lemberg (ukr. Lwiw, poln. Lwów) ist eine Stadt im Westen der Ukraine, rund 70 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt - mit derzeit ca. 730.000 Einwohnern die siebtgrößte Stadt der Ukraine. 1356 erhielt die Stadt vom polnischen König Kasimir d. Gr. das Magdeburger Stadtrecht. Deutsche - Juden sowie Christen - siedelten sich an. Die „Amtssprache“ war fast 200 Jahre lang Deutsch. In der frühen Neuzeit entwickelte sich Lemberg zu einem wichtigen Handelsplatz und einem Zentrum polnischen Kultur- und Geisteslebens (hist. Landkarte von GALIZIEN, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze aus: Reisewelt-Ukraine.com).
Im 14.Jahrhundert waren viele Juden aus Mitteleuropa nach Polen geflohen, um den Pogromen während der großen Pestepidemie 1348/1349 zu entgehen.
Die erste jüdische Stadtgemeinde Lembergs wird im 14. Jahrhundert erwähnt; sie stand unter dem persönlichen Schutz des polnischen Königs. Eine „Judenstraße“ in der Stadtgemeinde in Lemberg ist bereits im Jahre 1387 urkundlich belegt. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts erlaubte der polnische König den Neubau und die Erweiterung von Synagogen. In diesem Jahrhundert erlebte die jüdische Kultur in Polen eine Blüte; so gab es in Lemberg eine Jeschiwa, die um 1600 von Jehoschua Falk geleitet wurde. Doch bald gewann die römisch-katholische Kirchenbehörde immer mehr Einfluss und verbot weitere Synagogenbauten.
Hinweis: Eine Ansiedlung einer jüdischen Vorstadtgemeinde in der Lemberger Vorstadt (Krakau) ist im Jahre 1352 urkundlich belegt; diese Vorstadtgemeinde (Karäer) existierte bis ca. 1460; sie bestand unabhängig von der Stadtgemeinde und hatte eigene Bethäuser, Kult- und Wohltätigkeitseinrichtungen.
1581 gestattete der polnische König – gegen den Willen des Erzbischofs - einen Synagogenneubau.
Die „Golden Rose-Synagoge“ (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Gemälde von Alfred Kamienobrodzki, um 1910 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Eine Sage erzählt, dass dank der Schwiegertochter des Isaak ben Nachman die Synagoge im Jahre 1609 von den Jesuiten an die Gemeinde zurückgegeben wurde; nach dieser Frau wurde die Synagoge „Goldene Rose“ genannt.
Die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen christlichen und jüdischen Kaufleuten führte zu Auseinandersetzungen, die in Pogromen mündeten, so z.B. im Jahre 1664, als ca. 100 Juden umkamen.
Die jüdische Gemeinde vergrößerte sich, als Lemberg im Zuge der Ersten Teilung Polens (1772) an Österreich fiel und bis 1914 Hauptstadt des österreichischen Teils von Galizien wurde. Die Juden wurden nun ins Ghetto zurückgedrängt.
Die neuen zugewanderten Gemeindemitglieder waren zumeist Chassiden, die ihre eigene „Schtibl“ (Betstuben) errichteten. Die erste Betstube wurde 1820 eingerichtet; zwei Jahrzehnte später waren es bereits sechs weitere.
Ehem. Chassidische Synagoge (Aufn. Klymenkoy, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Anm.: In den Jahren 1841 bis 1844 war diese Synagoge (genannt „Jakob Glanser Schul“) erbaut worden; in ihr befand sich auch eine Jeschiwa und eine Mikwe. In der NS-Zeit verwüstet und als Lagerhaus/Stallung benutzt, wurde das Gebäude nach 1945 zeitweise wieder für religiöse Zwecke benutzt. 1962 wurde es seitens der sowjetischen Behörden geschlossen; nach Nutzung als Sporthalle bzw. Unterrichtsstätte eines Gymnasiums beherbergt das Gebäude seit den 1990er Jahren ein jüdisches Kulturzentrum.
Die Synagoge „Beit Chasidim“ war 1791 errichtet worden; sie gehörte damit zu den ältesten und bekanntesten Synagogen in Lemberg (während der deutschen Okkupation zerstört).
Synagoge „Beit Chasidim" (Aufn. 1918, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Am Alten Marktplatz wurde in den 1840er Jahren die „Tempel-Synagoge“ (auch „Neue Synagoge“ der Reformbewegung genannt) erbaut, deren Einweihung im September 1846 stattfand; u.a. predigten dort die Rabbiner Abraham Kohn, Jecheskiel Caro, Bernard Loewenstein and Jecheskiel Lewin.
Tempel-Synagoge - Postkarte um 1915 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Im Jahre 1870 gab es in Lemberg 14 Synagogen und 80 Bethäuser (weitere Informationen mit Abbildungen: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Synagogues_in_Lviv?uselang=de).
Die „Tsori-Gilod“-Synagoge der religiösen Gemeinschaft "Beit-Aaron-we-Israel" wurde im Stile des Barock im Jahre 1925 errichtet.
Bauzeichnungen der "Tsori-Gilod"-Synagoge Aufn. aus: wikipedia.org, gemeinfrei bzw. CC BY-SA 2.5
Im Laufe der Jahrhunderte haben die Lemberger Juden über drei Friedhöfe verfügt:
--- der Alte Friedhof soll wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 14.Jahrhunderts angelegt worden sein; er wurde bis gegen Mitte des 19.Jahrhunderts genutzt (geschlossen nach einer Cholera-Epidemie, die viele Opfer forderte). Vom 1947 zerstörten Friedhof sind nur noch Grabsteinrelikte aus den 1850er Jahren erhalten.
--- der Neue Friedhof war 1855 angelegt worden; das Areal wurde während der deutschen Okkupation zerstört.
--- der Kleine Friedhof datiert von 1871.
Juden in Lemberg:
--- um 1550 .................... ca. 350 jüdische Familien (und ca. 560 in der Vorstadt)
--- 1765 ....................... ca. 6.100 Juden,
--- 1826 ....................... ca. 19.300 “ ,
--- 1857 ....................... ca. 22.600 “ (ca. 41% d. Bevölk.),
--- 1880 ....................... ca. 31.000 “ (ca. 28% d. Bevölk.),
--- 1890 ....................... ca. 36.100 “ ,
--- 1900 ....................... ca. 44.200 “ (ca. 28% d. Bevölk.),
--- 1910 ....................... ca. 57.400 “ (ca. 28% d. Bevölk.),
--- 1920 ........................... ?
--- 1939 ....................... ca. 109.500 “ ,
--- 1945 ........................... ?
--- 1960 ....................... ca. 28.000 “ ,
--- um 1990 .................... ca. 6.000 “ ,
--- 2001 ........................... 1.900 “ .
Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust , Vol. 2, S. 769 f.
Das Wirtschaftsleben der Stadt wurde seit dem 18.Jahrhundert von Juden stark dominiert.
In den 1880er Jahren organisierten sich erste zionistische Gruppen in Lemberg.
Marienplatz und Ringplatz in Lwów/Lemberg - hist. Postkarten (Abb. aus: wikipedia,org, gemeinfrei)
Im "Jüdischen Viertel" - um 1930 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Nachdem polnische Truppen die Stadt im November 1918 besetzt hatten, kam es unmittelbar danach zu einem Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung, bei dem etwa 60 Personen getötet, viele verletzt oder ausgeraubt wurden.
Drei Wochen nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde Lemberg - zusammen mit dem übrigen östlichen Galizien - infolge des Hitler-Stalin-Paktes vom 23.8.1939 durch die Sowjets annektiert und der Ukrainischen Sowjetrepublik eingegliedert. Inzwischen waren auch hierher etwa 100.000 jüdische Flüchtlinge aus Deutschland und aus den von Deutschen besetzten polnischen Gebieten geflohen und hatten in Lemberg Unterschlupf gefunden. Im Sommer 1940 wurden viele von ihnen von den Sowjets in andere Teile der UdSSR umgesiedelt.
Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion flohen weitere 10.000 Juden - zusammen mit den Roten Armee - nach Osten. Am 30.Juni/1. Juli 1941 wurde Lemberg (Lwów) von der deutschen Wehrmacht besetzt. Noch bevor die Deutschen einrückten, wurden ca. 3.000 bis 4.000 Ukrainer, Polen, Juden, Russen u.a. (Gefangene in den drei Lemberger Gefängnissen) von den abrückenden NKWD-Truppen der Sowjets exekutiert.
Weite Teile der ukrainischen Bevölkerung feierten die deutsche Besetzung, da sie auf eine ‚Befreiung’ von der Sowjetherrschaft hoffte. Der tief sitzende Antisemitismus in der hiesigen Bevölkerung brach sich nun Bahn mit einem ersten Pogrom gegen die hier lebenden Juden. Unter dem Vorwand, dass Juden an den Exekutionen der meist ukrainischen politischen Gefangenen teilgenommen hätten, wurden allein innerhalb von Tagen (bis 3.Juli 1941) von der schnell formierten ukrainischen Miliz (erkenntlich an blau-gelben Armbinden) zusammengetrieben und gezwungen, die Massengräber freizulegen und die leichengefüllten Gefängniskeller zu räumen. Bei dieser Gelegenheit plünderte der Pöbel jüdische Häuser und Wohnungen; anschließend wurden ca. 4.000 Juden ermordet. Diese "Aktion Petljura" wurde mit Zustimmung der SD durchgeführt; allerdings sollen Angehörige des „Sonderkommandos 4b“ nicht aktiv daran beteiligt gewesen sein (?). Weitere Pogrome, denen über 2.000 Juden zum Opfer fielen, wurden Ende Juli 1941 durch Ukrainer begangen.
Wenige Tage später, am 15.Juli 1941, wurde vom Höheren SS- und Polizeiführer im Distrikt Galizien, dem SS-Gruppenführer Friedrich Katzmann, das Tragen des „Davidsterns“ für alle Juden über 12 Jahren angeordnet:
1. Alle Juden vom 12.Lebensjahr an haben eine weiße Binde mit einem aufgenähten sechseckigen Stern zu tragen. Das Betreten der Straße ohne Armbinde wird mit dem Tode bestraft.
2. Juden ist es bei Todesstrafe verboten, ohne Genehmigung der deutschen Verwaltung für Judenangelegenheiten den Bereich der Wohngemeinde zu verlassen.
Dann erfolgte die Einrichtung eines Judenrates; an der Spitze stand Dr. Joseph Parnes. Auch eine jüdische Polizei wurde geschaffen, die für die Durchführung der von den Deutschen angeordneten Maßnahmen sorgen sollte. Dem Judenrat wurde die Zahlung von 20 Mill. Rubel auferlegt; um die Zahlung zu erwirken, wurden jüdische Geiseln genommen, die aber trotzdem getötet wurden, obwohl die geforderte Summe rechtzeitig bezahlt worden war.
Während des Sommers 1941 wurde jüdisches Eigentum geplündert, Synagogen niedergebrannt, jüdische Friedhöfe zerstört und Juden in Zwangsarbeiterlager gesteckt.
Im Oktober 1941 wurde der Judenälteste Dr.Joseph Parnes ermordet, weil er sich deutschen Forderungen (Juden ins Arbeitslager JANOWSKA zu schicken) widersetzt hatte. Sein Nachfolger wurde Abraham Rotfeld (bis Febr. 1942); ihm folgte Henryk Landsberg. Nach dessen Exekution wurde Eduard Eberson neuer Judenältester.
Über die Errichtung des Lemberger Ghettos verkündete der Distrikt-Gouverneur Karl Lasch am 21.Oktober 1941:
" ... Infolge des außerordentlich starken Wohnungsraumbedarfes der Stadt Lemberg kann mit der Errichtung eines jüdischen Wohnviertels nicht mehr gewartet werden. Lemberg ist die letzte mit echter Kultur behaftete Stadt bis weit in den Osten hinein. ... Es kann nicht angehen, daß in dieser Stadt die Juden anders behandelt werden sollen als in Krakau und Warschau. Die Juden sollen deshalb in den nächsten Tagen auch in Lemberg, wie in den übrigen Städten des Distrikts Galizien in jüdischen Wohnvierteln zusammengefaßt werden und aus dem Straßenbild der Stadt verschwinden. ... Das Stadtviertel für die annähernd 100.000 Juden ist bereits ausgesucht. ..."
Anfang November 1941 wurde dann die Errichtung eines Ghettos in Lemberg angeordnet und Mitte November wurde der Umzugsbefehl veröffentlicht: Ukrainer und Polen des ausgesuchten Viertels wurden angewiesen, in das übrige Stadtgebiet auszusiedeln. Alle Juden sollten sich bis Mitte Dezember 1941 dort (im Stadtteil Kleparow) einfinden. Doch wegen der chaotischen Vorgänge und unerträglichen Wohnumstände brach auf dem Ghettogebiet Typhus aus, der sich nun auf die ganze Stadt auszubreiten drohte; daraufhin wurde Anfang Dezember 1941 zunächst die Ghettoisierung abgebrochen.
Inzwischen waren schon etwa 60.000 Juden auf dem für sie bestimmten Ghettogebiet, während weitere 20.000 noch im restlichen 'arischen' Stadtgebiet lebten. Katzmann ließ - in Abstimmung mit der Distrikts- bzw. Stadtverwaltung - bereits Tausende ‘arbeitsunfähige’ Juden schon am Ghettoeingang aussortieren und in der Umgebung erschießen.
Erst im Frühjahr 1942 wurde erneut mit den Planungen begonnen.
Anschließend wurde das Ghetto abgeriegelt.
Im Ghetto Lemberg (Aufn. Frühjahr 1942, aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Aus dem Bericht des ehemaligen KZ-Häftlings Dr. Ludwig Fleck:
" ... Das Ghetto von Lemberg war zuerst in einem Stadtteil, der nicht weniger als ein Fünftel der Stadt ausmachte. Juden gab es in Lemberg etwa 140.000 oder 30 Prozent der Bevölkerung. Jeder Jude mußte sich die neue Ghetto-Wohnung kaufen, wobei sowohl Polen als auch Ukrainer die Zwangslage der Juden gut auszunützen verstanden. Für die ihrerseits geräumten Wohnungen und deren Einrichtungsgegenstände bekamen sie nichts. Mitnehmen durfte man Bettzeug, Kochgeschirr, Arbeitsanzüge; das übrige wurde Opfer des Pöbels. In diesem Ghetto gab es einige Geschäfte mit den einfachsten Sachen, ein Gemeindehaus, zwei allgemeine Spitäler und ein Infektionshospital. Das Leben war elend, alles sehr teuer. - Das Ghetto dauerte von Herbst 1941 bis zum August 1942, wobei man täglich Schikanen der ärgsten Art ausgesetzt war. Eine Selbstverständlichkeit war es, daß die SS oder die Wehrmacht, wenn sie irgend etwas brauchte - sei es an Einrichtung, Kleidung oder sonstigen Gegenständen - es einfach bei der Leitung des Ghettos anforderte, worauf es unentgeltlich beschafft werden mußte. ..." (aus: E.Kogon, Der SS-Staat - das System der deutschen KZs, S. 226/227)
Während der Wintermonate 1941/1942 begann die Verlegung der arbeitsfähigen Juden Lembergs in die Zwangsarbeitslager (ZAL), insbesonders in das Lager Lemberg- Janowskastraße. Hierher wurde auf Befehl Katzmanns auf dem an die Deutschen Ausrüstungswerke (DAW) angrenzenden Gelände ein großes Lager des SS- und Polizeiführers für ca. 10.000 Häftlinge errichtet, das neben handwerklicher Produktion aber auch als “Durchgangslager” für Deportationen ins Vernichtungslager Belzec genutzt wurde. Jeder hier eingesetzte Jude musste eine Armbinde mit dem Buchstaben “A” (= Arbeitsjude) und eine Arbeitsbestätigungsnummer tragen. Diejenigen, die bei deutschen Firmen arbeiteten, trugen zusätzlich noch einen weißen Flicken mit dem Buchstaben “W” (Wehrmacht) oder “R” (Rüstung). In kürzester Frist wurden im Distrikt Lemberg 15 Arbeitslager* errichtet, in denen etwa 20.000 Juden - vor allem im Straßenbau - eingesetzt wurden. Der Arbeitseinsatz wurde hauptverantwortlich vom Obersten SS- und Polizeiführer des Distrikts Galizien, Friedrich Katzmann, geleitet.
* Solche Arbeitslager befanden sich in: BOLECHOW, BORYSLAW, BROSCHNIOW, BORKI-WIELKIE, DROHOBYCZ, HLUBOCZEK, JAKTOROW, Lemberg-JANOWSKA-Straße, KAMIONKI, KOSAKI, KUROWICE, LACKIE, PLUHOW, OSTROW, STRYJ, TARNOPOL, WEINBERGEN.
Im März 1942 wurde der Judenrat angewiesen, Juden listenmäßig zu erfassen, die deportiert werden sollten. In der zweiten Märzhälfte wurden 15.000 Juden Lembergs in das Vernichtungslager Belzec deportiert. Weitere 50.000 folgten während der "Großen Aktion" Mitte August 1942. Fast täglich gingen vom 10. bis 22.August 1942 Züge von Lemberg nach Belzec. Die aus Lemberg stammenden Opfer wurden am Abend in die Züge gepfercht, damit die Vergasungen gleich am nächsten Morgen beginnen konnten.
Aus dem Bericht von Dr.Ludwig Fleck:
" ... Im August 1942 begann unter dem Kommando des SS-Gruppenführers und Generals der Polizei KATZMANN die antijüdische Massenaktion. Die erste Etappe dauerte etwa vierzehn Tage. Es wurden an die 50.000 Juden, hauptsächlich Alte, Kranke und Kinder, nach Belzec verschleppt, wo sie - wie später durchsickerte - vergast worden sind, darunter das ganze Infektionsspital samt allen Ärzten, Pflegern und Schwestern. Die Aktion, von einem SS-Sonderdienst durchgeführt, wiederholte sich alle paar Wochen. Das Ghetto wurde verlegt, und zwar an die Peripherie der Stadt, wo fast keine gemauerten Häuser standen. Für jeden Juden rechnete man zwei Quadratmeter Wohnfläche. Geschäfte gab es nicht, nur geschmuggelte Eßwaren. Die sanitären Verhältnisse waren entsetzlich. Etwa 70 Prozent der jüdischen Bevölkerung erkrankten an Fleckfieber. Täglich wurde seitens der SS geraubt und geplündert, in der Nacht spielten sich die Einzelaktionen und Morde ab. Ein Zwangsarbeitslager wurde eingerichtet, in das junge und gesunde Juden eingeliefert wurden. Die Alten und Kranken sowie Frauen und Kinder kamen zur Vergasung in ein KL bei Belzec.
Im Herbst 1942 gab es noch etwa 15.000 Juden im Ghetto - in das aus der Umgebung laufend Nachschub kam - und rund 12.000 im Arbeitslager. ... daß die Bewohner unter den größten Entbehrungen dahinsiechten, bis sie im März 1943 alle ermordet und die Gebäude niedergebrannt wurden." (aus: Eugen Kogon, Der SS-Staat - Das Sytem der deutschen KZs, S. 226/227)
Am Ende des Jahres 1942 war das Ghetto Lemberg nur noch jüdisches Arbeitslager ('Zwangsarbeitslager Lemberg-Weststraße'). Daneben lebten zu dieser Zeit noch 8.000 "wilde" Juden in Lemberg.
Neben dem Lager Lublin war eines der größten ZAL das von Lemberg-Janowska-Straße.
Zunächst mussten Tausende von Juden aus der Westukraine das hügelige Gelände für den Bau der Baracken und des Lagers einebnen (Herbst/Winter 1941/1942); während der Bauarbeiten mussten die Gefangenen im Freien übernachten; wer nicht mehr arbeiten konnte, wurde erschossen. Die Wege im Lager wurden mit Grabsteinen vom Jüdischen Friedhof gepflastert.
“ ... Vom Haupteingang führte eine Straße in den Lagerteil, in dem sich die Baracken und die Küche befanden, und eine andere zum “Todesplatz”; von dort wurden die Leute in die Sandgruben zum Erschießen geführt. Rund um das Lager waren ein- und zweistöckige Wachttürme errichtet worden; ... Das Lager machte einen düsteren Eindruck: Wachhäuser, kümmerliche Baracken, sich schweigend dahinschleppende Menschen und dazu der unerträglich süßliche Geruch der Leichen. Um einen großen kahlen Hof, auf dem die morgendlichen Zählappelle stattfanden, waren etwa 20 Baracken für die Lagerinsassen gruppiert. In jeder Baracke standen in mehreren Etagen übereinander Pritschen, die mit einer dünnen Schicht schmutzigen Strohs bedeckt waren. ...”
Bei der (ersten) Räumung des Ghettos im März 1943 stürmten deutsche und ukrainische Polizeieinheiten die Gebäude und brachten auf dem Ghettogelände etwa 3.000 Menschen um. Trotz jüdischer Gegenwehr (sie hatten sich von italienischen Soldaten Waffen beschafft) wurden über 7.000 Personen gefangengenommen und ins ZAL JANOWSKA-Straße gebracht, wo sie kurz danach ermordet wurden. In diesem Zusammenhang sollen sich die Ghetto-Verteidiger mit Fleckfieber infizierten Läusen (in Fläschen) gewehrt haben. 120 an der Aktion beteiligte SS-Männer sollen daraufhin erkrankt sein. (?) Dass diese "Fleckfieber-Waffe" kein bloßes Gerücht war, mag die Tatsache belegen, dass in Lemberg ein Forschungsinstitut (Behring-Institut) existierte, in dem von deutscher Wissenschaftlern infizierte Läuse für Experimente an KZ-Häftlingen gezüchtet wurden.
Ende Juni 1943 wurde in einer letzten großen "Aktion" das Ghetto-Lager endgültig liquidiert, wobei von brutalsten Grausamkeiten berichtet wird.
( ..." Ich kam vor zwei Tagen nach Lwow und sah die Hölle. Die Hölle existiert nicht in einer anderen Welt, die Hölle ist hier auf Erden. Das Ghettos von Lwow brannte. Ich stand dort inmitten einer Menschenmenge - nicht Menschen, sondern inmitten des Mobs, der einem Schauspiel zusah wie im Kino. ... Und dann fiel ein brennender Mensch aus einem brennenden Haus herunter. Ein uniformierter Deutscher ... hielt ein rennendes Kind fest und schleuderte es geradewegs ins Feuer. ..")
Am 23.Juni 1943 war die "Aktion" beendet. Im August begann noch eine "Nachlese": Die jüdische Frauenklinik einschließlich Kinderheim wurden in aller Öffentlichkeit 'ausgesiedelt'.
" ... Bei einem Spaziergang in der Nähe der Klinik in Lemberg erlebte ich, daß eine Unzahl von Kindern aus den höher gelegenen Geschossen zum Fenster hinausgeworfen wurden. Bis zur Sinnlosigkeit betrunkene SS-Leute, in einer Hand die Schnapsflasche, schossen auf die durch die Luft fliegenden Kinder. ..."
Damit waren bis Ende Juni 1943 insgesamt rund 40.000 Juden deportiert. Die im Ghetto verbliebenen 3.000 Juden, die sich in den Ruinen versteckt hatten, wurden anschließend ermordet. Am 23.6.1943 konnte Katzmann melden, dass der Distrikt Galizien "judenfrei" war (außer den in den Arbeitslagern sich befindenden Juden).
Einige wenige Juden, die dem "Kommandos Nr. 1005" angehörten (Verbrennung von Leichen), konnten entkommen; von ihnen stammten die Beschreibungen, die die sowjetische Anklage bei den Nürnberger Prozessen vorgelegt hatte.
Als am 26. Juli 1944 die sowjetische Armee Lemberg befreite, hatten nur 200 bis 300 Juden in Verstecken in der Stadt und Umgebung überlebt.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges hielten sich relativ wenige Juden in Lwów/Lwiw auf; sie hatten sowohl unter dem noch in der Ukraine verbreiteten Antisemeitismus als auch unter den restriktivenBedingungen des Sowjerregimes zu leiden (zahlreiche Verhaftungen). Trotzdem sollen in den 1960er Jahren mehr al s 25.000 Juden in der Stadt gelebt haben, zumeist aus anderen Gebieten der Sowjetunion kommend. Doch Abwanderung nach Israel und andere westliche Länder ließen die jüdische Bevölkerung deutlich zurückgehen.
Gezwungenermaßen mußte die Synagoge geschlossen werden, so dass jegliches Gemeindeleben erstarb.
Erst nach dem Ende der UdSSR konnte sich in der Ukraine wieder jüdisches Leben entfalten; Mitte der 1990er Jahre lebten in Lwow/Lwiw circa 6.000 Menschen jüdischen Glaubens, derzeit sind es nur noch etwa 1.000 Personen (2021).
Die von den Nazis 1941 als Pferdestall zweckentfremdete und von den sowjetischen Behörden als Lagerhaus benutzte Tsori Gilod Synagoge ist gegenwärtig die einzig funktionierende Synagoge der Stadt. Mit ihren Wand- und Deckenmalereien ist sie eine der wenigen ihrer Art in der Ukraine.
Tsori Gilod Synagoge (Aufn. Thomasz Lesniowski, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und 2007, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Am ehemaligen Standort der Tempel-Synagoge erinnert heute ein riesiger Findling mit zweisprachigen Gedenktafeln an das alte ehemalige jüdische Gotteshaus (Aufn. Michael Moll, 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Am Theaterplatz befindet sich heute noch das Gebäude der Chassidischen Synagoge (Jakob Glanzer Schul); der 1841/1844 errichtete Bau war die erste chassidische Synagoge in Lemberg, Nach dem Einmarsch der dt. Wehrmacht (1941) wurde diese zu einem Lagerhaus umgebaut. Nach 1945 mehrere Jahre wieder als Synagoge genutzt wurde diese dann 1962 von den sowjetischen Behörden geschlossen und teilweise in eine Sporthalle umfunkioniert. Nach 1990 wurde begonnen, im Gebäude ein Kulturzentrum einzurichten (Aufn. siehe oben).
Relikte des 1948 zerstörten alten jüdischen Friedhofs (Aufn. Julian Nica, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
... und am Neuen Friedhof (Aufn. Adressua, 2020, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
J. Bendo, Der Lemberger Judenpogrom November 1918 – Jänner 1919, Wien/Brünn 1919
Hugo Weczerka (Red.), Herkunft und Volkszugehörigkeit der Lemberger Neubürger im 15. Jahrhundert, in: "Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung", Heft 1-4, Marsberg 1955, S. 506 - 530
E.Klee/W.Dreßen/V.Rieß (Hrg.), “Schöne Zeiten” - Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer, Fischer-Verlag, Frankfurt/M., 1988, S. 88 ff. (Tagebuchaufzeichnungen von Felix Landau)
Gerald Reitlinger, Die Endlösung - Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas, 1939 – 1945, Colloqium-Verlag Berlin, 1979 (Die englische Orginalausgabe erschien 1953 unter dem Titel: " The Final Solution - The Attempt to Exterminate the Jews of Europa 1939 - 1945")
Arno Lustiger, Zum Kampf auf Leben und Tod ! - Vom Widerstand der Juden 1933 – 1945, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1994, S.177 ff.
vgl. auch den Bericht des SS- und Polizeiführers im Distrikt Galizien, Katzmann, an den Höheren SS- und Polizeiführer im Generalgouvernement, Krüger, über die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Distrikt Galizien vom 30.Juni 1943
Ralf Ogorreck, Die Einsatzgruppen und die "Genesis der Endlösung", Metropol-Verlag, Berlin 1996, S. 136/137
Beate Kosmala, Ungleiche Opfer in extremen Situationen - Die Schwierigkeiten der Solidarität im okkupierten Polen, in: W.Benz/J.Wetzel (Hrg), Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit, Regionalstudien Band 1, Metropol-Verlag, Berlin 1996, S. 78 f.
Thomas Sandkühler, "Endlösung" in Galizien - Der Judenmord in Ostpolen und die Rettungsinitiativen von Berthold Beitz 1941 – 1944, Dietz-Verlag, Bonn 1996, S. 114 ff., S. 219 f.
Dieter Pohl, Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien 1941 – 1944, in: "Studien zur Zeitgeschichte", Band 50, Oldenbourg-Verlag, München 1996, S. 68 f. und S. 158 f.
Bogdan Musial, “Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen” - Die Mordaktionen des sowjetischen NKWD nach dem Einmarsch der deutschen Truppen, in: "FAZ" Ausg. 253/1999 vom 30.10.1999, S. 11
Historical Atlas of the Holocaust, Unites States Holocaust Memorial Museum, Simon & Schuster Macmillan, New York 1996, S. 62
Thomas Sandkühler, Das Zwangsarbeitslager Lemberg-Janowska 1941 – 1944, in: Herbert/Orth/Dieckmann (Hrg.), Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, Wallstein-Verlag, Göttingen 1998, Band 2, S. 606 f.
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 769 - 775
Philipp Ther (Red.), Chancen und Untergang einer multinationalen Stadt. Die Beziehungen zwischen den Nationalitäten in Lemberg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Ph. Ther/H. Sundhaussen (Hrg.), Nationalitätenkonflikte im 20. Jahrhundert, in: Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, Band 59, Wiesbaden 2001, S. 123 - 146
Alexandra Binnenkade/Ekaterina Emeliantseva/Svjatoslav Pacholkiv, Vertraut und fremd zugleich: jüdisch-christliche Nachbarschaften in Warschau – Lengnau – Lemberg, in: "Jüdische Moderne", Band 8, Köln/Weimar/Wien 2009
Rena Jacob (Red.), Wider des Vergessens - Lemberg ✡ Ghetto & Zwangsarbeitslager & Massenmord, online abrufbar unter: wider-des-vergessens.org
Grzegorz Rossolinski-Liebe (Red.), Der Verlauf und die Täter des Lemberger Pogroms vom Sommer 1941. Zum aktuellen Stand der Forschung, in: "Jahrbuch für Antisemitismusforschung", Band 22 (2013), S. 207 - 243
Heleen Zorgdrager/Michiel Driebergen, The Jews of Lemberg. A journey to empty places, 2017
Tadeusz Zaderecki, Lwów under the Swastika. The Destruction of the Jewish Community Through the Eyes of a Polish Writer. Jerusalem – Yad Vashem Publications 2019
Arno Tausch (Red.), Lemberg unter dem Hakenkreuz aus polnischer Sicht, in: „DAVID – Jüdische Kulturzeitschrift“, Heft 138/Sept. 2023
Viktoria Prykhid (Red.), Erinnerungskultur. Wie die Sowjets jüdische Friedhöfe zerstörten, in: „DW – Deutsche Welle“ vom 1.8.2020 (Interview)
Heide-Marie Göbbel (Red.), Ein neuer, alter Ort für jüdisches Leben. Reportage über die Rettung ukrainischer Synagogen, in: audiatur-online.ch vom 1.11.2021
Michael Wildt (Red.), Lwiw – Das blutende Herz des Ostens, in: „Die Zeit“ vom 16.6.2023