Kirchdrauf/Spišské Podhradie (Slowakei)
Der 1283 gegründete Ort Kirchdrauf (auch Kirchdorf, im Norden der Slowakei zwischen Deutschendorf/Poprad und Eperies-Preschau/Prešov gelegen) entwickelte sich ursprünglich aus einer Siedlung unter der Zipfer Burg, die dem sächsischen Adelsgeschlecht von Zipf gehörte; zwischenzeitlich war der Ort polnischer Besitz. Kirchdrauf ist das heutige kleine Städtchen Spisské Podhradie mit derzeit ca. 4.000 Einwohnern.
Eine israelitische Gemeinde in Kirchdrauf gründete sich gegen Ende der 1860er Jahre; nachdem die Niederlassungsbeschränkungen für Juden ausgehoben worden waren, machten sich um 1840 die ersten jüdischen Familien hier ansässig. Jahrzehnte zeitweilig sollen im Ort mehr als 500 jüdische Bewohner gelebt haben.
Bereits wenige Jahre nach deren Entstehung ließ die hiesige Judenschaft im Jahre 1876 ein im Stile des Historismus gestaltetes Synagogengebäude errichten; dieses wurde durch einen Brand stark in Mitleidenschaft gezogen, doch im Jahre 1905/1906 wieder eingeweiht.
Synagoge, historische Postkarte (Abb. aus: judaica.cz)
Erstes geistliches Oberhaupt der Gemeinde war Rabbi Haim Shaul Eisenstadter; ihm folgte Pessach Singer, der der orthodoxen Richtung zuzurechnen war.
Neben einer Religionsschule bestand seit den 1880er Jahren im Ort auch eine jüdische Elementarschule.
Etwa drei Kilometer nördlich des Ortes legte die Judenschaft ihre Begräbnisstätte an.
Juden in Kirchdrauf/Spisské Podhradie:
--- 1869 .......................... 219 Juden,
--- 1880 .......................... 264 “ ,
--- 1922 ...................... ca. 400 “ (ca. 14% d. Bevölk.),
--- 1930 ...................... ca. 420 “ ,
--- 1940 ...................... ca. 460 " ,
--- 1948 ...................... ca. 50 " .
Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 3), S. 1228
Die hier ansässigen Juden bestritten ihren Lebensunterhalt als Händler, Handwerker und in der Landwirtschaft; zuweilen waren sie auf Wochenmärkten in umliegenden Ortschaften zu finden.
In den 1920er Jahren erreichte die zionistische Bewegung auch Spisské Podhradie; verschiedene Organisationen waren hier tätig.
Nach der Gründung des slowakischen Staates (März 1939) führte dessen faschistische Ausrichtung alsbald zur Repression des jüdischen Bevölkerungsteils, die mit dem Ausschluss der Juden aus dem wirtschaftlichen und sozialen Leben in der Stadt begann. Jüdische Kinder wurden aus den öffentlichen Schulen verwiesen, Unternehmen jüdischer Besitzer wurden „arisiert“ und Männer zur Zwangsarbeit herangezogen.
Ende März 1942 begannen die slowakischen Behörden mit der Deportation der jüdischen Bevölkerung, die zumeist in die Ghetto- und Konzentrationslager auf polnischem Boden führten. Die Juden von Spisské Podhradie mussten den Weg in die Vernichtung (Majdanek und Auschwitz-Birkenau) zwischen April und Juni 1942 antreten; die letzten Familien wurden noch im September 1944 deportiert. Nachweislich wurden mehr als 400 Juden aus Spisské Podhradie Opfer der „Endlösung“.
Nach Kriegsende kehrte nur jeder 10. jüdische Stadtbewohner zurück. Man versuchte nun wieder ein gemeindliches Leben aufzubauen, indem man die kultischen Einrichtungen wieder aktivierte. Doch bereits wenige Jahre später hatten fast alle hiesigen Juden die Kleinstadt verlassen und waren nach Palästina/Israel, einige auch in die USA ausgewandert.
Seitens der kommunistischen Stadtbehörden wurde das die Kriegsjahre überdauerte Synagogengebäude Standort eines Zimmereibetriebes.
Ehem. Synagoge (Aufn. Jozef Kotulic, 2016 und Smerus, 2006, aus: commons.wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Das aus dem beginnenden 20.Jahrhundert stammende Synagogengebäude blieb bis auf den heutigen Tag erhalten; es gehört heute - wie die gesamte Stadt - zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Das im Besitz der Kommune befindliche Gebäude, in dem neben einer Gedenkstätte auch ein Museum zur jüdischen Geschichte der Region untergebracht ist, konnte durch finanzielle Unterstützung des „Getty-Fonds“ restauriert werden. Besonderen Wert legte man auf der Restaurierung des Innenraumes, dessen kunstvolle Malereien erhalten geblieben waren.
Der mit einer Steinmauer umgebene, aus dem 19.Jahrhundert stammende Friedhof, auf dem Männer und Frauen in getrennten Abteilungen beerdigt wurden, weist heute nur noch wenige Grabdenkmäler auf. Das Gelände ist von Vegetation überwuchert.
Weitere Informationen:
Getty Funds in Spisska Podhradie Restoration, in: Jewish Heritage Report, Vol. I, No. 2 / Summer 1997
Geschichte der Jüdischen Gemeinde Spisské Podhradie (Slovakia), Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/spisske-podhradie
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 3), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 1228
Maros Borský, Synagogue Architecture in Slovakia towards creating a memorial landscape of lost community, Dissertation (Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg), 2005, S. 178
Spisské Podhradie, online abrufbar unter: slovak-jewish-heritage.org/spisske-podhradie-synagogue
Restaurierung des Synagogengebäudes, online abrufbar unter: wmf.org/project/spišské-podhradie-synagogue