Meppen/Emsland (Niedersachsen)
Meppen ist heute die Kreisstadt des Landkreises Emsland mit derzeit ca. 36.000 Einwohnern - nahe der Grenze zu den Niederlanden gelegen (Niedersachsen-Karte, aus: niedersachsen.de und Kartenskizze 'Landkreis Emsland', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Erst seit Anfang des 18.Jahrhunderts scheinen in Meppen vereinzelt Juden gewohnt zu haben; ihre Zahl blieb im allgemeinen gering und erreichte in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts mit knapp 100 Personen ihren Höchststand. Die jüdischen Bewohner sahen sich - besonders im 18.Jahrhundert - mit Ablehnung von Seiten der Stadt konfrontiert; diese versuchte, die ihnen in den Schutzbriefen garantierten Privilegien zu unterlaufen und zudem neue steuerliche Belastungen aufzuerlegen. Auch in der nach-napoleonischen Zeit wollten die Stadtoberen weitere Niederlassungen jüdischer Familien verhindern.
In den Anfängen jüdischer Ansässigkeit sollen Gottesdienste in einem Privathause abgehalten worden sein; doch auf Grund der geringen Zahl männlicher Beter erscheint diese Angabe mehr als fraglich. Nach 1750 bestand ein Betraum, den die kleine jüdische Gemeinschaft angemietet hatte. Knapp 100 Jahre später erwarb man von einem Meppener Bürger ein marodes Haus im Nagelshof; mit Genehmigung der Behörden wurde hier ein Bet- und Schulhaus eingerichtet - eingeweiht im Jahre 1855. Die Synagoge lag im vorderen Teil des zweistöckigen Hauses; im Hinterhaus befand sich der Schulraum; zudem wurde das Gebäude zu Wohnzwecken genutzt. Eine Kollekte hatte für die den Umbau notwendigen Finanzmittel gesorgt.
Synagoge Meppen (Skizze Ernst Cohen)
Um das Zustandekommen des Minjan zu gewährleisten, wurden alle religionsmündigen männlichen Gemeindemitglieder bei Androhung von Strafen verpflichtet, an den Gottesdiensten teilzunehmen. In der seit Mitte des 19.Jahrhunderts bestehenden kleinen Religionsschule war ein häufiger Lehrerwechsel zu verzeichnen; trotzdem gelang es der Gemeinde, die Schule am Leben zu erhalten. Der Lehrer übte - wie es in kleinen Gemeinden üblich war - auch das Vorbeteramt in der Synagoge aus.
Auf einer langgestreckten Sanddüne nordöstlich des alten Stadtkerns („An der Hütte“) befand sich vermutlich seit der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts die jüdische Begräbnisstätte; die meisten Grabsteine tragen hier hebräische Inschriften.
Juden in Meppen:
--- 1708 .......................... eine jüdische Familie,
--- 1749 .......................... 3 “ “ n,
--- 1795 .......................... 4 “ “ n,
--- 1816 .......................... 37 Juden,
--- 1833 .......................... 61 “ ,
--- 1854 ...................... ca. 60 “ ,
--- 1871 .......................... 95 “ ,
--- 1885 .......................... 87 “ ,
--- 1905 .......................... 76 “ ,
--- 1925 .......................... 63 “ ,
--- 1933 .......................... 49 “ ,
--- 1939 ...................... ca. 25 “ ,
--- 1942 (Aug.) ................... keine.
Angaben aus: Karl Pardey, Juden in Meppen
und Tamar Avraham (Bearb.), Meppen, in: H. Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ..., Bd. 2, S. 1042
Marktplatz in Meppen - Herzogstraße mit Postamt, hist. Ansichten (Abb. aus: akpool.de)
Die Meppener Juden arbeiteten bis ins 20.Jahrhundert hauptsächlich als Schlachter, Kleinhändler und Kaufleute.
Die auch in Meppen in den 1920er Jahren aufkommenden rechtsnationalen Strömungen wurden zunächst nur von einer Minderheit der Bevölkerung getragen; mehrheitlich neigte man der katholischen Zentrumspartei zu. Doch nach der NS-Machtübernahme änderte sich schnell das Bild; der Boykott jüdischer Geschäfte im April 1933 und die seit Frühjahr 1935 sich verschärfende Ausgrenzungspolitik - auch Bauern, die weiterhin mit jüdischen Viehhändlern Geschäfte machten, wurden gebrandmarkt - machte den Juden Meppens klar, dass ein sicheres Leben unter annehmbaren ökonomischen Bedingungen hier nicht mehr möglich war. Bis 1938 verließ mehr als die Hälfte der im Juni 1933 registrierten Juden Meppen; die meisten wanderten in nahegelegene Ortschaften jenseits der deutsch-niederländischen Grenze ab.
Am frühen Morgen des 10.November 1938 wurde die Synagoge in Meppen vom lokalen SA-Sturm in Brand gesetzt und bis auf die Grundmauern eingeäschert. Etwa zeitgleich drangen SA- und örtliche Polizeitruppen in die Wohnungen und Geschäfte der Meppener Juden ein, demolierten Einrichtungen und warfen das Mobiliar auf die Straße. Unter Drohungen wurden die verängstigten Bewohner abgeführt und im Haus der SA-Standarte festgehalten, wo sie gedemütigt und auch geschlagen wurden. Von hier aus verschleppte man einige Männer - über Lingen und Osnabrück - ins KZ Sachsenhausen. Der Brandschutt des Synagogengebäudes wurde alsbald abgefahren und das Gelände eingeebnet; bei den Arbeiten sollen auch einige Meppener Juden eingesetzt worden sein. Das Grundstück wurde später von der Kommune zu einem Spottpreis erworben.
Ende 1941 wurden die ersten Meppener Juden deportiert; im Sommer 1942 war die Stadt „judenrein”. Nachweislich wurden 43 Juden aus Meppen Opfer des Holocaust; sie wurden deportiert, ermordet oder gelten als "verschollen".
In der Nähe der ehemaligen Synagoge Meppens (am Nagelshof) erinnert seit 1996 ein in zwei Hälften gespaltener Findling an die vertriebenen und ermordeten Meppener Juden. Während in die linke Steinhälfte die Nachbildung eines Teils der Thora-Dekoration eingefügt ist, werden in der rechten innerhalb eines Davidsterns die Namen der Familien aufgeführt, die zwischen 1933 und 1945 in Meppen gewohnt haben.
Gedenkstätte in Meppen - Davidstern mit Namen (Aufn. Gmbo, 2019, aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Eine dort angebrachte Inschrift lautet: „Gebeugten Hauptes gedenken wir der jüdischen Familien und Mitbürger der Stadt , die in den Jahren des nationalsozialistischen Regimes 1933 – 1945 unschuldig verfolgt und ermordet wurden.“ Eine 2010 aufgerichtete Stele trägt eine Gedenktafel.
Neuer Gedenkstein am Nagelshof (Aufn. Gmbo, 2019, aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Ausgehend von der Meppener Gruppe Pax Christi bildete sich eine Initiative, die die Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ in den Gehwegen der Stadt realisierte; inzwischen sind insgesamt ca. 30 solcher Steinquader verlegt (Stand 2024).
Stolpersteine“ für Fam. Fiebelmann, Fullener Straße (Aufn. Gmbo, 2015, aus: wikipedia.org, CCO)
Zudem ist eine Straße nach dem 1873 in Meppen geborenen Kaufmann Max Fiebelmann und seine Familie benannt.
... und weitere vier "Stolpersteine"
Jüngst wurden auf Initiative von Schülern der Marienhausschule vor dem Stadioneingang des SV Meppen drei Stolpersteine verlegt, die an das Schicksal ehemaliger jüdischer Spieler aufmerksam machen sollen (2024).
Auf dem mehr als 3.000 m² großen jüdischen Friedhofsareal "An der Hütte" (direkt am Hase-Ufer) sind von ursprünglich etwa 100 nur noch 22 Grabsteine erhalten geblieben; der älteste dadiert von 1850/1851. Die letzte Beerdigung fand hier im Jahr 1991 statt.
Jüdischer Friedhof in Meppen (Aufn. J., 2019, aus: wikipedia.org, CCO)
2014 wurde seitens der Kommune eine vom Glaskünstler Mario Haunhorst entworfene Gedenkstele mit den Namen der 43 deportierten und ermordeten Juden Meppens auf dem Friedhof aufgerichtet.
oberer Teil der Gedenkstele (Aufn. M.Fickers, 2020)
In Haselünne - eine Kleinstadt mit derzeit ca. 13.000 Einwohnern - ist jüdische Ansässigkeit seit Beginn des 18.Jahrhunderts nachweisbar; der erste Bewohner mosaischen Glaubens war Jacob Salomon, der sich 1701 hier ansiedelte. Allerdings haben im Ort nie mehr als drei bis fünf Familien mosaischen Glaubens gelebt. Der winzigen Gemeinde gehörten die Juden aus Bakerde, Holte und Herzlake an; betreut wurden sie von der Synagogengemeinde Sögel. Ein Betraum war in einem Privathause vorhanden. Nachdem ein älterer Begräbnisplatz am Ufer der Hase geschlossen worden war, wurde um 1845/1850 ein neuer Friedhof an der Lähdener Straße angelegt.
In den 1930er Jahren lebten ca. 25 Juden in Haselünne; die meisten von ihnen wurden im Dez. 1940 via Osnabrück nach Riga deportiert. In der Pogromnacht von 1938 war es in Haselünne zu Ausschreitungen gegen die jüdischen Bewohner gekommen; so sollen auch die rituellen Gegenstände aus dem Betraum herausgeschleppt und öffentlich verbrannt worden sein.
Gräber in Haselünne (Aufn. Meppener Kunstkreis e.V.)
Seit 2001 erinnert ein Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof – dieser liegt etwa einen Kilometer nordöstlich des Ortes und weist heute noch 18 Grabsteine auf - an die Opfer der Shoa.
In den Straßen Haselünnes findet man an sieben Standorten seit 2004 bzw. 2006 nahezu 30 sog. „Stolpersteine“ (Stand 2023), die ausnahmslos an Angehörige jüdischer Familien erinnern, die Opfer der NS-Verfolgung geworden sind; dies betrifft die Familien Fiebelmann und Steinburg.
verlegt in der Petersilienstraße (Aufn. les, 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Herzlake – einige Kilometer östlich von Haselünne – erinnern in der Hubertusstraße fünf „Stolpersteine“ an Angehörige der jüdischen Familie Meyer; während die Kinder des Ehepaares sich in die Emigration retten konnten, wurden Max und Helene Meyer ins Ghetto Riga deportiert und dort ermordet
verlegt in der Hubertusstraße (Aufn. H.-J. Mammes)
Weitere Informationen:
Hans Kronenburg, Meppen und seine Bürger in alter Zeit, Meppen 1978 (3. Aufl. des Heimatbuches von Hermann Wenker, 1908)
Holger Lemmermann, Geschichte der Juden im alten Amt Meppen bis zur Emanzipation (1848), in: "Schriftenreihe des Emsländischen Heimatbundes", Band 2, Löningen 1975
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945 Niedersachsen II, Regierungsbezirke Hannover und Weser-Ems, Pahl-Rugenstein Verlag, Köln 1986, S. 133
Jüdische Friedhöfe im Emsland, hrg. vom Landkreis Emsland, Meppen 1991, S. 30 – 35
Heiner Schüpp (Bearb.), Synagogen und jüdische Bethäuser im Emsland, Hrg. Landkreis Emsland, Meppen 1998 (2. veränderte Aufl., 2001)
Hans-Peter Terfelde (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Meppen, in: Heiner Schüpp, Jüdische Friedhöfe im Emsland, Hrg. Landkreis Emsland, 2. veränderte Aufl., Meppen 2001, S. 30 - 33
Daniel Fraenkel (Bearb.), Haselünne, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 1, S. 812 – 815
Tamar Avraham (Bearb.), Meppen, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1042 – 1050
Stadt Meppen (Hrg.), Geschichte der Stadt Meppen, Meppen 2006
Karl Pardey, Juden in Meppen, o.J. (Manuskript)
Initiativkreis „Stolpersteine Meppen“ (Hrg.), „Euer Name lebt“ – Stolpersteine in Meppen, Meppen 2009
Auflistung der in Meppen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Meppen
Wilhelm Rülander/Bernhard Hebers/Heinz Struckmann (Bearb.), Zur Geschichte der Juden in Haselünne, Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte (Hrg.), „Emsländische Geschichte“, Band 9/2009, S. 15 - 62
Auflistung der in Haselünne verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Haselünne
Willi Rave (Red.), „Stolpersteine“ erinnern in Herzlake an das Schicksal der Familie Meyer, in: „Lingener Tagespost“ vom 20.8.2011
Auflistung der in Herzlake verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Herzlake
Petra Diek-Münchow (Red.), Ein Tor aus Eisen geschmiedet. Junge Leute gestalten neuen Eingang zum jüdischen Friedhof, in: „Kirchenbote - Wochenzeitung für das Bistum Osnabrück“ vom 4.6.2013
Gertrud Althoff, Vermächtnis eines jüdischen Familienclans aus dem Nordwesten Deutschlands, Selbstverlag, Münster 2013 (beinhaltet die Geschichte der jüdischen Familie Silbermann)
Emsländische Landschaft e.V. (Hrg.), Auf den Spuren jüdischen Lebens im Emsland, 2014, S.16/17 (Haselünne) und S. 26 – 29 (Meppen)
Manfred Fickers (Red.), Stele erinnert an die jüdische Gemeinde Meppen, in: "NOZ - Neue Osnabrücker Zeitung - Meppener Tagespost" vom 27.10.2014
Tim Gallandi (Red.), Stolperstein für Iwan Alexander in Meppen, in: „NOZ - Neue Osnabrücker Zeitung - Meppener Tagespost“ vom 23.11.2016
Markus Pöhlking (Red.), Vergessene Geschichte – Der jüdische Friedhof in Meppen, in: „Neue Osnabrücker Zeitung“ bzw. "Lingener Tagespost" vom 13.12.2016
Heiner Harnack (Red.), Weg der Erinnerung zu Stolpersteinen. Gedenken an Reichspogromnacht in Haselünne, in: "Lingener Tagespost" vom 10.11.2017
Auflistung der in Haselünne verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Stolpersteine_in_Haselünne
Initiativkreis Stolpersteine (Hrg.), Euer Name lebt - Stolpersteine in Meppen (Broschüre), Meppen 2019
Hermann-Josef Mammes (Red.), 26 Stolpersteine bereits verlegt. neue Erkenntnisse über Einzelschicksale Meppener Juden, in: "Lingener Tagespost" vom 4.4.2019
Lucie Wittenberg (Red.), Ausstellung in Meppen zeigt das jüdische Leben im Emsland, in: „Lingener Tagespost“ vom 16.6.2021
Stadtmuseum/Emsland Archäologisches Museum (Bearb.), Auf den Spuren jüdischen Lebens im Emsland – Ausstellung, Museen an der Koppelschleuse, Meppen 2021
Hermann-Josef Mammes (Red.), Alter Schrank erinnert an grausames Schicksal der Herzlaker Juden, in: „NOZ – Neue Osnabrücker Zeitung - Meppener Tagespost“ vom 1.10.2022
Manfred Fickers (Bearb.), Verwüstet und zwei Mal verkleinert: Der jüdische Friedhof in Meppen 1938 bis 1961, in: „Emsländische Geschichte", Band 31/2024, S. 484 - 499
Tobias Böckermann (Red.), Stolpersteine erinnern an das Schicksal ehemaliger Spieler des SV Meppen, in: "NOZ - Neue Osnabrücker Zeitung - Meppener Tagespost" vom 8.6.2024
Tobias Böckermann (Red.), Der jüdische Friedhof in Meppen: Einst zerstört und verkleinert mit Hilfe der Stadtspitze, in: "NOZ - Neue Osnabrücker Zeitung" vom 9.11.2024