Neubukow (Mecklenburg-Vorpommern)
Neubu(c)kow ist heute eine amtsfreie Kleinstadt mit derzeit ca. 4.000 Einwohnern im äußersten Nordwesten des Landkreises Rostock zwischen Wismar und Bad Doberan gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Landkreis Rostock' ohne Eintrag von Neubukow, aus: ortsdienst.de/mecklenburg-vorpommern/rostock).
Um 1770 siedelten sich nachweislich die ersten Juden im mecklenburgischen Neubukow an. Im 19.Jahrhundert zog die aufblühende Stadt immer mehr Familien an, sodass um 1820 hier eine jüdische Gemeinde gegründet wurde. Seit den 1840er Jahren bestand eine vom Großherzog bestätigte Gemeindeordnung für die jüdischen Einwohner Neubukows. In dieser Zeit wurde auch ein jüdischer Friedhof an der Wismarschen Straße angelegt; auf diesem Gelände (innerhalb der Stadt) mussten - laut einer großherzoglichen Anweisung aus dem Jahre 1870 - alle verstorbenen Juden aus dem Umkreis von Wismar beerdigt werden.
Um 1850 wurde in Neubukow mit dem Bau einer bescheidenen Synagoge in der Wollenweberstraße begonnen, der aber erst in den 1860er Jahren vollendet war. Anfang der 1930er Jahre wurde das Gebäude verkauft und diente danach Wohnzwecken.
Zur jüdischen Gemeinde Neubukow zählten auch wenige Juden aus Wismar und ab 1900 die aus Neukloster; ebenfalls traten aus dem Raum Bützow einige Juden dem Gemeindeverband bei.
Juden in Neubukow:
--- um 1780 ...................... 8 jüdische Familien*, * andere Angabe: 4 Fam.
--- 1819 ......................... 54 Juden,
--- 1830 ......................... 71 “ ,
--- 1840 ......................... 83 “ ,
--- 1850 ......................... 107 “ ,
--- 1860 ......................... 102 “ ,
--- 1867 ......................... 80 “ ,
--- 1880 ......................... 64 “ ,
--- 1900 ......................... 40 “ ,
--- 1910 ......................... 37 “ ,
--- 1933 ......................... 27 “ ,
--- 1941 ......................... ein “ ().
Angaben aus: Walter Haak, Neubukow - Zur Geschichte einer kleinen mecklenburgischen Stadt, Teil II
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts - die jüdische Gemeinde zählte damals mehr als 100 Angehörige - gehörte ein Drittel der im Ort bestehenden Handels- und Gewerbebetriebe jüdischen Eigentümern, deren Familien schon zwei oder mehr Generationen hier gelebt hatten. Vor allem die hier lebenden jüdischen Pferdehändler verfügten über weitreichende Handelsbeziehungen.
Einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg wurde eine Stiftung ins Leben gerufen, die von dem vermögenden, nach Brasilien ausgewanderten Juden Martin Burchard mit einer hohen Geldsumme ausgestattet war. Mit erheblichen, der Stadt zur Verfügung gestellten Finanzmitteln wurde 1909 das sog. „Burchard-Asyl“ am Kröpeliner Tor eingeweiht, in dem die Insassen freie Kost und Logis erhielten. Dieses Gebäude dient heute der Stadt Neubukow als Altenheim.
Im zweiten Jahr der NS-Diktatur wurde der jüdische Friedhof an der Wismarschen Straße geschändet. In den 1930er Jahren verließen fast alle noch in Neubukow lebenden Juden ihre Heimatstadt. Der letzte jüdische Bewohner, Mayer Burchard, verstarb hier 1941.
Etwa 20 Jahre nach Kriegsende begann man, das Areal des jüdischen Friedhofs an der Wismarschen Straße wiederherzustellen; von den alten Grabsteinen waren damals nur noch drei erhalten geblieben. Als Mahnmal und Gedenkstätte wird das Gelände heute von der Stadt Neubukow gepflegt. 1983 wurde hier eine Gedenktafel mit der folgenden Inschrift angebracht:
Ehemaliger jüdischer Friedhof
Im Jahre 1840 seiner Bestimmung übergeben
während des Faschismus im Jahre 1934 zerstört
nach 1947 wiederhergestellt und im Jahre 1976 zur Gedenkstätte umgestaltet.
Eingangspforte zum jüdischen Friedhof (Aufn. J.Hahn, 2017) - Gedenkstätte nach der Sanierung (Aufn. Juern-Jakob Gericke, 2024, aus: NDR)
Nach seiner Instandsetzung wurde der jüdische Friedhof Neubukow vom Landesverband der jüdischen Gemeinden als Gedenkstätte übernommen (2024).
"eigenartig" geformter Grabstein (Aufn. J. Hahn, 2017)
Der Neubukower Friedhof zeichnet sich durch eine Besonderheit aus; bei einem der dort aufgestellten Grabsteine handelt es sich vermutlich um eine sog. „Mordwange“, d.h. um einen Sühnestein, der im Mittelalter oft an Wegekreuzungen zu finden war und an erschlagene Reisende erinnern sollte. Dass diese „Mordwange“ später als jüdisches Grabmal benutzt wurde, zeigen rückseitig aufgebrachte hebräische Schriftzeichen.
Das Gebäude, in dem die ehemalige Synagoge untergebracht war (Wollenweberstraße), befindet sich heute in einem baulich gutem Zustand; allerdings erinnert nichts an dessen einstige Bestimmung.
Ein berühmter Sohn Neubukows war der 1876 geborene Hochfrequenztechniker Rudolf Goldschmidt. Er schuf die erste drahtlose Telegraphieverbindung in Hannover. Mit dem 1907 erfundenen Hochfrequenzgenerator konnten Nachrichten drahtlos über größere Entfernungen vermittelt werden; 1914 wurde über die Funkstelle Eilvese bei Hannover der transatlantische Telegraphendienst mit den USA aufgenommen. Rudolf Goldschmidt starb 1970 in London.
Im wenige Kilometer nordöstlich von Neubukow entfernten Kröpelin gab es seit Beginn des 19.Jahrhunderts eine kleine jüdische Gemeinde, die sich um 1865 aus mehr als 60 Angehörigen zusammensetzte; zu ihr zählten auch die Juden aus Doberan. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg lebten in Kröpelin nur noch sechs jüdische Bewohner. Offiziell aufgelöst wurde die Kröpeliner Gemeinde aber erst 1917; die wenigen verbliebenen Juden schlossen sich der Kultusgemeinde Rostock an.
Nördlich der Kleinstadt befindet sich ein großflächiges, um 1820 angelegtes Friedhofsgelände in den Kahlwiesen, auf dem auch verstorbene Glaubensgenossen aus (Bad) Doberan beerdigt wurden; bis dahin waren verstorbene Kröpeliner Juden in Neubukow beigesetzt worden.
Während der NS-Zeit wurde der Friedhof geschändet; in den Folgejahrzehnten verwahrloste er zunehmend. Heute findet man hier nur noch wenige Grabsteine bzw. -relikte.
2010 erhielt der Kröpeliner Friedhof einen neuen Gedenkstein, der in Anwesenheit des Landesrabbiners William Wolff aufgestellt wurde; in jüngster Zeit wurden hier mehrfach Schändungen vorgenommen.
Ehem. jüdischer Friedhof (Aufn. J. Hahn, 2017)
Auf einer dort angebrachten Informationstafel ist zu lesen: „Der erste Kröpeliner Einwohner jüdischen Glaubens war der Händler Salomon Hirsch. Er kam 1784 aus Neubukow. In den folgenden Jahren wuchs die Gemeinde. Verstorbene wurden in Neubukow beigesetzt. 1825 entstand der hiesige Friedhof, den Nazis 1938 verwüsteten. 1975 wurde er vom Hausmeister der Katholischen Kirche wieder instandgesetzt."
Weitere Informationen:
Walter Haak, Neubukow - Zur Geschichte einer kleinen mecklenburgischen Stadt, Hrg. Rat der Stadt Neubukow, Teil II , S. 68 - 78 und Teil III, S. S. 54 (Anmerkung: etwas 'gefärbte' Darstellung)
Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band III, S. 1072 f.
Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 40/41
Jürgen Borchert/Detlef Klose, Was blieb .... Jüdische Spuren in Mecklenburg, Verlag Haude & Spener, Berlin 1994, S. 66 - 68
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 441/442 und S. 516/517
Walter Haak, Neubukow – Zur Geschichte einer kleinen Mecklenburgischen Stadt, Hrg. Stadt Neubukow 2000
Norbert Francke/Bärbel Krieger, Schutzjuden in Mecklenburg. Ihre rechtliche Stellung, ihr Gewerbe ..., Hrg. Verein für jüdische Geschichte und Kultur in Mecklenburg u. Vorpommern e.V., Schwerin 2002
Ursel Brüsehaber, Die Juden in Neubukow (Manuskript vom April 2005, einzusehen in der Heinrich-Schliemann-Gedenkstätte in Neubukow)
Jüdischer Friedhof in Neubukow, in: alemannia-judaica.de
Jüdischer Friedhofin in Kröpelin, in: alemannia-judaica.de
Erneut jüdischer Friedhof in Kleinstadt Kröpelin geschändet, Pressemitteilung vom 28.1.2016
Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Neubukow, in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 13.5.2017, in: juden-in-mecklenburg.de/Orte/Neubukow
Jürgen Gramenz/Sylvia Ulmer, Ehemaliges jüdisches Leben in Kröpelin, in: Geschichte der Juden in Mecklenburg, Aufsatz vom 20.4.2017, in: juden-in-mecklenburg.de/Orte/Kröpelin
Thomas Hoppe (Red.), Neubukow. Historischer Friedhof wird saniert, in: "OZ – Ostsee-Zeitung" vom 20.7.2018
Michael Buddrus/Sigrid Fritzlar (Bearb.), Juden in Mecklenburg 1845-1945. Lebenswege und Schicksale. Ein Gedenkbuch, Band 1, Schwerin 2019, S. 217/218 (Kröpelin) und S. 234/236 (Neubukow)
N..N. (Red.), Antisemitismus: Eine Stadt steht am Pranger, in: "OZ – Ostsee-Zeitung" vom 11.7.2021 (betr. jüdischer Friedhof Kröpelin)
NDR1 (Red.), Jüdischer Friedhof in Neubukow fertig instandgesetzt, in: ndr.de vom 16.11.2024