Neustadtl am Klinger (Böhmen)
Die böhmische Ortschaft Neustadtl am Klinger südlich von Tachau/Tachov ist das tschechische Stráž u Tachova mit derzeit ca. 1.100 Einwohnern (Kartenskizze 'Tschechien' mit Stráž u Tachova rot markiert, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0 und Ausschnitt aus hist. Landkarte, ohne Eintrag von N.).
Neustadtl gehört zu den ältesten jüdischen Ansiedlungen auf dem heutigen Staatsgebiet Tschechiens.
Jüdische Familien siedelten sich erstmals im 14. Jahrhundert in dem 1331 zur Stadt erhobenen Neustadtl an; Flüchtlinge waren nach den Pogromen in Deutschland hierher verschlagen worden. Im Zusammenhang der Erlangung der Stadtrechte war vom böhmischen König Johann vertraglich zugesichert worden, dass die Stadt die Einnahmen der hier lebenden Juden für sich beanspruchen konnte. Die jüdischen Familien wohnten damals westlich der Stadtmauer in der sog. "Judenvorstadt".
Eine organisierte Gemeinde soll sich aber erst im Laufe des 16.Jahrhunderts herausgebildet haben. Schriftliche Zeugnisse der jüdischen Gemeinde von Neustadtl mehren sich in der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts; ob sich auch unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Kriege im Orte Juden aufgehalten haben, kann nicht belegt werden. Sicher hingegen ist der Aufenthalt jüdischer Familien im ausgehenden 17.Jahrhundert; sie bildeten nun erneut eine Gemeinde.
Bei einem großen Stadtbrand wurde 1876 auch das gesamte jüdische Viertel vernichtet; auch der ca. 200 Jahre alte Tempelbau mitsamt eines Teils wertvoller Ritualien und historischer Schriften fiel den Flammen zum Opfer. 1883 ließ die Gemeinde einen Synagogenneubau errichten; zudem wurde auch ein Gemeindehaus mit Schule und Mikwe neu gebaut. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur noch eine Religionsschule; die jüdische Elementarschule hatte bereits um 1850 ihre Pforten geschlossen.
Innenraum der Synagoge (hist. Aufn.)
Der jüdische Begräbnisplatz wurde bereits in der ersten Hälfte des 14.Jahrhunderts angelegt; das Areal befindet sich abseits der Ortschaft auf einem Hügel. Auf diesem Gelände soll es im Laufe der Jahrhunderte mehr als 1.000 Begräbnisse gegeben haben. Eigens für die Kohanim und die Leviten wurden eigene Gräberreihen angelegt. Auf dem Neustadtler Friedhof sind auch zahlreiche Verstorbene aus den Dörfern des Böhmerwaldes bestattet worden.
Juden in Neustadtl:
--- um 1580 ......................... ca. 15 jüdische Familien,
--- 1620 ................................ 2 “ “ ,
--- 1724 ................................ 18 “ “ ,
--- um 1820/30 ...................... ca. 45 “ “ ,
--- um 1880 ......................... ca. 75 Juden,
--- um 1900 ......................... ca. 80 " ,
--- 1921 ................................ 45 " ,
--- 1930/1938 ....................... ca. 30 " .
Angaben aus: W. Klimsa/J. Polák-Rokkycana, Geschichte der Juden in Neustadtl am Klinger
Seit Mitte des 19.Jahrhunderts wanderten vermehrt jüdische Familien in größere Städte ab. In den 1930er Jahren hielten sich nur noch sehr wenige jüdische Einwohner in Stráž auf. Gottesdienste fanden hier bis 1938 statt. Im November 1938 wurde die Synagoge in Brand gesetzt (und in den 1950er Jahren die Ruine abgerissen).
Von den Deportierten kehrte nur ein einziger zurück.
Heute zeugen nur noch eine geringe Anzahl von Grabsteinen und -relikten vom alten, mit einer Bruchsteinmauer umgebenen jüdischen Friedhof. Denn während der NS-Zeit waren die allermeisten Grabsteine entfernt und im Wegebau verwendet worden. Nach Kriegsende waren nur noch etwa 50 Grabsteine vorhanden, in den 1970er Jahren nur noch 14 Grabsteine auffindbar. Im Jahre 2009 wurde der Friedhof von der "Aktion Sühnezeichen" - so gut es eben ging - hergerichtet und ca. 35 wieder aufgefundene Grabsteine aufgestellt; der älteste noch erhaltene Grabstein stammt aus dem Jahr 1579 (!).
Umfassungsmauer mit Eingangstür zum Friedhof (Aufn. Jitka Erbanovà, 2010, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Zahlreiche Häuser in der ehemaligen "Judenvorstadt" haben die Zeiten überdauert.
In der Nähe von Neustadtl gab es eine alte Judengemeinde im Dorfe Bernartitz (tsch. Bernartice, derzeit ca. 1.200 Einw.), die sich um 1900/1910 auflöste. Verstorbene wurden auf dem Friedhof in Neustadtl begraben. Reste des jüdischen Viertels sind im Ort bis heute erhalten geblieben.
Weitere Informationen:
W. Klimsa/J. Polák-Rokkycana (Bearb.), Geschichte der Juden in Neustadtl am Klinger, in: H. Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn/Prag 1934, S. 457 – 460
Jiří Fiedler, Jewish Sights of Bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 167/168
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust, New York University Press, Washington Square, New York 2001, Vol. 3, S. 1251
Pavel Frýda, Z historie židovského osídlení městečka Stráž, in: Verschwundene Orte und Objekte, in: zanikleobce.cz (in tschech. Sprache)
Jewish Families from Stráž u Tachova (/Neustadtl) Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Str%25C3%25A1%25C5%25BE-Bohemia-Czech-Republic/25855 (Anm. enthält nur sehr wenige Informationen)
Wolf-Dieter Hamperl (Bearb.), Jüdische Spuren im ehemaligen politischen Bezirk Tachau (tsch. Tachov), in: Wilfried Heller (Hrg.), Jüdische Spuren im ehemaligen Sudetenland - Beiträge einer internationalen Tagung in Cheb (Eger), 2017, S. 129 - 132