Oberthulba (Unterfranken/Bayern)

Datei:Karte Landkreis Bad Kissingen.png – Wikipedia Datei:Oberthulba in KG.svg Oberthulba ist heute eine Marktgemeinde mit ca. 5.000 Bewohnern im unterfränkischen Landkreis Bad Kissingen - ca. 25 Kilometer nordwestlich von Schweinfurt gelegen (Ausschnitt aus topografischer Karte, Lencer 2009 aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0  und Kartenskizze 'Landkreis Bad Kissingen', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In dem ehemals zum Stiftsgebiet Fuldas gehörenden Thulba sollen seit dem 16.Jahrhundert auf den Gütern des Benediktinerinnenklosters vereinzelt jüdische Familien gelebt haben. Im nah gelegenen, etwa fünf Kilometer entfernten Oberthulba ist der Aufenthalt/Ansässigkeit einzelner Juden erst gegen Mitte des 17.Jahrhunderts nachweisbar; 1699 lebten zwei Schutzjuden mit ihren Familien im Ort. In den Folgejahrzehnten änderte sich deren Anzahl nur unwesentlich.

Bei der Erstellung der Matrikel (1817) waren für Oberthulba fünf Familienvorstände aufgelistet; alle waren im Viehhandel tätig.

In einem Ende des 18.Jahrhunderts errichteten privaten Gebäude befanden sich der Betraum und das Schulzimmer der jüdischen Gemeinde. Anfang der 1870er Jahre weihte die Judenschaft in der Oberthulbaer Ledergasse ihr neues Synagogengebäude ein; in diesem wurden bis 1938 regelmäßig Gottesdienste abgehalten.

                           aus der Zeitschrift „Der Israelit" vom 6.März 1872

Bis Anfang des 20.Jahrhunderts unterhielt die Gemeinde eine kleine Religionsschule; der von ihr besoldete Lehrer übte gleichzeitig das Amt des Vorbeters und des Schächters aus.

  aus: „Der Israelit“ vom 12.11.1893 und 18.7.1904

Verstorbene Juden Oberthulbas wurden auf dem Verbandsfriedhof in Pfaffenhausen beerdigt, dessen Anlage vermutlich in der Zeit um 1580 erfolgt sein muss.

Die Kultusgemeinde Oberthulba unterstand dem Bezirksrabbinat Kissingen.

Juden in Oberthulba:

         --- um 1650/60 ................. ca. 40 Juden,*    * andere Angabe: eine Familie

    --- 1731 ..........................   3 jüdische Familien,

    --- 1746 ..........................   3     "        "   ,

    --- 1763 ..........................   3     "        "   ,

    --- 1803 ..........................   9     "        "    (mit 34 Pers.),

    --- 1817 ..........................   5     "        "   ,

    --- 1833 ..........................  36 Juden,

    --- 1848 ..........................  51   "   (in 11 Familien),

    --- 1867 ........................... 57   “   (ca. 7% d. Bevölk.),

    --- 1871 ........................... 64   "  ,

    --- 1892 ........................... 63   "  ,

    --- 1910 ........................... 55   “  ,

    --- 1924 ........................... 42   "  ,

    --- 1933 (Jan.) .................... 42   “  ,

    --- 1934 ........................... 37   “  ,

    --- 1935 ........................... 36   “  ,

    --- 1939 (Sept.) ................... 17   “  ,

    --- 1942 (März) .................... 11   “  ,

             (Mai) ..................... keine.    

Angaben aus: Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung ..., S. 281

und                  W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken,  S. 249

Anm.: In den beiden Publikationen differieren die Angaben teilweise recht erheblich voneinander.

 

Die jüdischen Familien Oberthulbas wohnten zumeist in der Judengasse, der heutigen Ledergasse. Ihren Lebensunterhalt bestritten sie als Viehhändler und Kaufleute; im Nebenerwerb wurde meist eine kleine Landwirtschaft betrieben.

Infolge der politischen Entwicklung in den 1930er Jahren gerieten auch die hiesigen jüdischen Familien immer mehr ins gesellschaftliche Abseits und in wirtschaftliche Not. 1938 gab es in Oberthulba noch drei von Juden betriebene Einzelhandelsgeschäfte. Während des Novemberpogroms von 1938 zog eine „größere Anzahl von Volksgenossen“ durch den Ort, verschaffte sich Zugang in die von jüdischen Familien bewohnten Häuser und demolierte deren Inventar. Die Inneneinrichtung der Synagoge mitsamt der Ritualien wurde zerstört und verbrannt; Fensterscheiben der Synagoge und jüdischen Schule wurden eingeworfen. Vier Männer wurden „in Schutzhaft“ genommen und ins KZ Dachau überstellt.

„ ... Da die Menge, die sehr erregt war, beim Eindringen in die jüdischen Häuser Drohungen ausstieß und die Menge es hauptsächlich auf die männlichen Juden abgesehen hatte, wurden dieselbe - insgesamt fünf Mann - zum Schutz ihrer Person ... in polizeilichen Gewahrsam genommen und am 10.11.1938 gegen 24 Uhr in das Amtsgerichtsgefängnis Hammelburg eingeliefert. ... Die Bevölkerung begrüßte es gewissermaßen, daß den Juden einmal die Zähne gezeigt und ihr Eigentum teilweise vernichtet wurde, mißbilligte aber, daß einige lichtscheue Elemente diese Aktion zu ihrem Vorteil ausnützten und aus den Häusern der Juden Einrichtungsgegenstände usw. stahlen.”

(aus: Polizeibericht vom November 1938)

Ende April 1942 wurden die letzten noch in Oberthulba lebenden jüdischen Bewohner - über Würzburg - ins besetzte Polen deportiert; dort sollen alle ums Leben gekommen sein. Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden insgesamt 25 aus Oberthulba stammende bzw. längere Zeit am Ort ansässig gewesene jüdische Bürger Opfer der NS-Gewaltherrschaft; die meisten gehörten der verzweigten Familie Schiff an (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/oberthulba_synagoge.htm).

                         Bei einem Spruchkammerverfahren mussten sich dem Krieg mindestens fünf Männer aus Oberthulba verantworten; mangels Beweisen wurde das Verfahren eingestellt.

 

Neben einer älteren Gedenktafel wurde auf Initiative von Schüler/innen im Jahre 2003 eine neue angebracht, die die folgenden Text trägt:

              http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20107/Oberthulba%20Synagoge%20132.jpg Gedenktafel (Aufn. J. Hahn, 2007)

Die hebräische Inschrift lautet in Übersetzung: "Zum ewigen Gedenken - Den jüdischen Personen, die Opfer der Shoa wurden, Einwohner von Oberthulha, die verfolgt wurden, vertrieben und ermordet unter der nationalsozialistischen Herrschaft  - es sei Ihnen ein ewiges Gedenken"

Am ehemaligen mehrfach umgebauten Synagogengebäude in der Ledergasse erinnert eine Tafel an dessen einstige Bestimmung:

Dieses Gebäude diente unseren ehemaligen jüdischen Mitbürgern

bis 1938 als Synagoge und Schule.

 

Wie zahlreiche unterfränkische Kommunen beteiligt sich auch Oberthula am Projekt "DenkOrt Deportationen 1941-1944“ in Würzburg. Während eine aus Kupferblech geschmiedete „Rucksack-Skulptur“ an der zentralen Gedenkstätte in Würzburg platziert wurde, ist 2023 die Aufstellung einer Doublette am ehemaligen Standort der Synagoge in der Ledergasse erfolgt.

Gedenkfeier in Oberthulba

Rucksack-Skulptur in Würzburg und in Oberthulba (Aufn. R. Ries, 2020 und Hilmar Ruppert, 2023)

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 380/381

Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Deportationen Würzburger Juden, in: "Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens", Band 1, Verlag Max Rötter, Bad Neustadt a.d.Saale 1980, S. 270 ff.

Markt Oberthulba (Hrg.), 750 Jahre Markt Oberthulba 1234 – 1984, Bad Kissingen 1984

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2. Aufl., München 1992, S. 111

Oberthulba, in: alemannia-judaica.de (mit diversen, z.g.T. personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 115

Isolde Krapf (Red.), Bad Kissingen. Warum die Erinnerung wichtiger denn je ist, in: „Main-Post“ vom 8.2.2019 (mit Nennung von Oberthulba)

Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Oberthulba, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 239 - 253

Hilmar Ruppert (Red.), Oberthulba. Wo soll der Gedenkort sein? in: „Main-Post“ vom 12.8.2022

Hilmar Ruppert (Red.,), Auf dem Weg ins KZ: Der Rucksack von Regina Berney, in: „Main-Post“ vom 22.1.2023 bzw. 7.11.2023