Oberwaldbehrungen (Unterfranken/Bayern)
Oberwaldbehrungen ist seit 1972 ein Ortsteil der Stadt Ostheim v.d.Rhön im unterfränkischen Landkreis Rhön-Grabfeld (Kartenskizzen 'Unterfranken', aus: bezirk-unterfranken.de und 'Landkreis Rhön-Grabfeld', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der jüdischen Gemeindeangehörigen ihren Höchststand, zeitweilig machte der mosaische Bevölkerungsteil damals ca. 40% der Dorfeinwohnerschaft aus.
Die Ansiedlung der ersten Juden im Pfarrdorf Oberwaldbehrungen wurde im 17.Jahrhundert von den Freiherren von Thann gefördert. Als die napoleonische Zeit endete und Oberwaldbehrungen an Bayern fiel, siedelten sich im Dorf zahlreiche Juden an; viele von ihnen waren mittellos.
Laut der Matrikellisten von 1817 waren für Oberwaldbehrungen 27 jüdische Familienvorstände genannt, die vorwiegend vom Klein- und Schnittwarenhandel ihren kargen Lebenserwerb bestritten; einige betrieben eine kleine Landwirtschaft. Im Laufe der Jahrzehnte soll sich die Sozialstruktur der jüdischen Gemeinde deutlich geändert haben; verantwortlich dafür war der zunehmend gewinnbringende Handel mit Vieh und Landesprodukten wie Getreide, Felle und Leder.
Seit gegen Mitte des 18.Jahrhunderts soll die Judenschaft Oberwaldbehrungens über eine Synagoge verfügt haben, die vermutlich einen in einem Privathause untergebrachten Betraum ersetzte. Zu den religiös-rituellen Einrichtungen zählte auch eine Keller-Mikwe, die erst jüngst in einem aus dem 17.Jahrhundert stammenden Gebäude freigelegt wurde. Um 1825 ließ die Gemeinde ein neues Badehaus erstellen
Seit 1837 bestand am Ort eine jüdische Elementarschule, die aus einer älteren Religionsschule erwuchs und dann bis ins beginnende 20.Jahrhundert existierte; seit 1911 besuchten die wenigen jüdischen Kinder wieder die öffentliche Ortsschule. Das Schulgebäude verkaufte die Kultusgemeinde im Jahre 1923 an eine Privatperson.
Stellenanzeigen aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 10. Sept. 1879, 27.Aug. 1900 und 6.Juni 1907
Etwa einen Kilometer nordwestlich des Dorfes ("Flur Hübig") stand den Gemeindeangehörigen ab den 1840er Jahren ein Begräbnisgelände zur Verfügung; zuvor waren Verstorbene auf dem Friedhof in Willmars, manche auch in Kleinbardorf bzw. in Neustädtles beerdigt worden.
Die kleine Gemeinde gehörte zum Distriktrabbinat Bad Kissingen.
Juden in Oberwaldbehrungen:
--- 1699 ....................... 6 jüdische Familien,
--- 1731 ....................... 6 " " ,
--- um 1815 .................... 197 Juden (in 32 Familien),* *andere Angabe: ca. 125 Pers.
--- 1837 ....................... 130 “ (ca. 39% d. Bevölk.),
--- 1848 ....................... 110 " (in 28 Familien)
--- 1873 ....................... 73 “ ,* *andere Angabe: 85 Pers.
--- 1890 ....................... 64 “ ,
--- 1900 ....................... 50 “ (ca. 20% d. Bevölk.),
--- 1910 ....................... 28 “ ,
--- 1920 ....................... 6 jüdische Familien,
--- 1925 ....................... 11 Juden,
--- 1933 ....................... 8 " ,
--- 1936 (Mai) ................. 4 " ,
--- 1938 (Nov.) ................ keine.
Angaben aus: Dorfchronik von Oberwaldbehrungen
und W. Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, S. 853
Nachdem durch Ab- und Auswanderung die Zahl der jüdischen Familien stark gesunken war und sich fast nur noch alte Menschen im Dorf aufhielten, löste sich 1934/1935 - gegen den Willen der noch verbliebenen Juden - die schon längere Zeit personell ausgezehrte Gemeinde auf. Bereits schon Jahre zuvor war die in einem schlechten baulichen Zustand befindliche Synagoge nicht mehr benutzt worden, da kein Minjan mehr erreicht wurde.
aus: "Bayerische Israelitische Gemeindezeitung" vom 1.Januar 1935
Die wenigen Juden Oberwaldbehrungens wurden der Kultusgemeinde Mellrichstadt angeschlossen. Die letzte jüdische Bewohnerin wanderte 1938 in die Schweiz aus. Bereits in den 1920er Jahren war das Synagogengebäude kaum mehr benutzt worden; 1935 wurde das Grundstück verkauft und das Gebäude teilweise abgerissen; den Thoraschrein und die Ritualien hatte man zuvor nach Mellrichstadt gebracht, wo diese während des Novemberpogroms von 1938 vernichtet wurden.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden elf gebürtige bzw. länger in Oberwaldbehrungen lebende jüdische Bewohner Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/oberwaldbehrungen_synagoge.htm).
Am einstigen Standort des Synagogengebäudes - auf seinen Grundmauern steht heute ein Wohnhaus - ist eine Tafel mit den Worten angebracht:
Dieses Gebäude diente der jüdischen Kultusgemeinde Oberwaldbehrungen bis 1935 als Synagoge.
Zur Erinnerung und Mahnung
Das von einer Steinmauer umfriedete, nahezu 3.000 m² große Begräbnisareal der ehemaligen jüdischen Gemeinde von Oberwaldbehrungen liegt auf einer bewaldeten Anhöhe nordwestlich des Ortes; dort haben ca. 130 Grabsteine aus dem 18. bis 20.Jahrhundert - einige allerdings unlesbar - die Zeiten überdauert.
Jüdischer Friedhof (Aufn. S., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und Reinhold Albert, 2014, aus: hdbg.eu/juedisches_leben)
Die ersten sog. „Stolpersteine“ in Unterfranken wurden 2003 in Ostheim (Marktstraße) verlegt; sie erinnern an das jüdische Ehepaar Regina und Siegmund Neumaier, die bis 1938 als einzige jüdische Familie im Ort gelebt hatte. Nach dem Novemberpogrom war diese nach Marktbreit übergesiedelt; vor dort erfolgte ihre Deportation nach Theresienstadt.
Weitere Informationen:
Walter Stiel, Oberwaldbehrungen und seine Heimatgeschichte, Ostheim v.d.Rhön 1985
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 111
Michael Trüger, Der jüdische Friedhof in Oberwaldbehrungen, in: "Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern", 11. Jg., No. 69/1996, S. 18
Angaben aus der Dorfchronik
Oberwaldbehrungen mit Ostheim vor der Rhön, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 117/118
Lothar Mayer, Jüdische Friedhöfe in Unterfranken. Michael Imhof Verlag, Petersberg 2010, S. 142 − 145
Reinhold Albert, Jüdische Friedhöfe im Landkreis Rhön-Grabfeld, in: "Schriftenreihe der Kulturagentur des Landkreises Rhön-Grabfeld", Heft 1/2015
Gerhard Gronauer/Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Oberwaldbehrungen, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … - Synagogengedenkband Bayern, Teilband III/2.1: Unterfranken, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 839 - 856