Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern)

 Landkreis Ueckermünde - WikiwandVorpommern-Greifswald Karte Pasewalk ist eine Kleinstadt mit derzeit ca. 10.000 Einwohnern im Landkreis Vorpommern-Greifswald – zwischen Neubrandenburg und Stettin (Szszecin) gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Vorpommern-Greifswald', aus: ortsdienst.de/mecklenburg-vorpommern/vorpommern-greifswald/).

Pasewalk um 1610/15 in der Stralsunder Bilderhandschrift (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Pasewalk war im 19. und in den ersten beiden Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts eines der Zentren jüdischen Lebens in Vorpommern; gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Gemeinde mit mehr als 300 Angehörigen ihren personellen Zenit.

Bereits im späten Mittelalter sollen vereinzelt jüdische Familien in Pasewalk gelebt haben; erstmals wurden Juden 1320 in Pasewalk erwähnt, als ihnen der Markgraf Ludwig d. Ältere von Brandenburg Schutzrechte gewährte. Über ihr Schicksal ist nichts bekannt; sicher ist nur, dass die wenigen jüdischen Familien 1492 Pasewalk verlassen mussten.

Erst 1812 ließen sich Juden wieder dauerhaft in der Stadt nieder. Auf Grund des Ediktes Friedrich Wilhelms III. „betreffend der bürgerlichen Verhältnisse der Juden in dem Preußischen Staate” zogen vermehrt Juden aus östlichen Gebieten in diese Region. Seit 1820 bestand in Pasewalk eine eigene Synagogengemeinde, die im Oktober 1834 in einem Hinterhof in der Grabenstraße ihre Synagoge einweihte. Die Existenz einer Synagoge förderte die Ansiedlung weiterer jüdischer Familien in Pasewalk. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts stellte Pasewalk nach Stettin die größte jüdische Gemeinde Vorpommerns. Ein Regierungsbeschluss von 1848 erklärte die jüdische Gemeinde Pasewalk zur „Synagogen-Bezirks-Gemeinde”. Ab 1856 gehörten zur Pasewalker Synagogengemeinde auch alle Juden der umliegenden ländlichen Orten Alt- und Neu-Rothenmühl, Belling, Coblenz, Dargitz, Eichhof, Fahrenwalde, Ferdinandshof, Friedrichshagen, Hammer, Heinrichsruh, Heinrichswalde, Jatznick, Krugsdorf, Liepe, Löcknitz, Müggenburg, Rossow, Sandförde, Sandkrug, Schönwalde, Stolzeburg, Viereck und Zerrenthin. Dabei wohnten in den meisten Dörfern keine jüdischen Familien. Um 1885 löste sich der Synagogenbezirk Pasewalk wieder auf; die Juden der Stadt bildeten daraufhin eine eigenständige Gemeinde. Seit den 1850er Jahren existierte in Pasewalk eine zweiklassige jüdische Religionsschule, die aber in den folgenden Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung verlor. Weitere gemeindliche Einrichtungen waren eine Armenkasse, ein Wohltätigkeits- und ein Frauenverein.

Ein jüdischer Friedhof mit einer kleinen Kapelle wurde gegen Ende der 1850er Jahre an der Löcknitzer Straße, in unmittelbarer Nähe des christlichen Friedhofs, angelegt.

Juden in Pasewalk:

         --- 1816 ........................ ca.  30 Juden,

    --- 1820 ........................ ca.  60   “  ,

    --- 1830 ........................ ca. 140   “  ,

    --- 1843 ............................ 226   “  ,

    --- 1855 ............................ 286   “  (ca. 4% d. Bevölk.),

             ............................ 314   “  ,**       ** gesamte Gemeinde

    --- 1861/62 ......................... 284   “  ,*

    --- 1880 ............................ 242   “  ,*

    --- 1900 ............................ 162   “  ,

    --- 1910 ............................ 106   “  ,

    --- 1925 ............................  73   “  ,

    --- 1933 ............................  41   “  ,

    --- 1937 ............................  36   “  ,

    --- 1939 ............................  16   “  ,

    --- 1940 ............................   9   “  ,

    --- 1941 ............................   keine.

* Bei diesen Angaben dürfte es sich um die Zahl aller Gemeindemitglieder handeln, die in den umliegenden Ortschaften lebten (= Synagogenbezirk Pasewalk).

Angaben aus:  Irene Dieckmann (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Mecklenburg-Vorpommern

und                  Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Band III, S. 1164 f.

Ak Pasewalk in Mecklenburg Vorpommern, MarktstraßeMarktstraße in Pasewalk (Abb. aus: akpool.de)

 

Gegen Ende des 19./Anfang des 20.Jahrhunderts nahm die jüdischen Bevölkerung in Pasewalk deutlich ab - Folge der Überalterung und der Abwanderung in deutsche Großstädte bzw. Emigration nach Übersee.

Trotz des zahlenmäßigen Rückgangs des jüdischen Bevölkerungsanteils gab es in der Zeit der Weimarer Republik in der Stadt noch eine Reihe in jüdischem Besitz stehende Gewerbebetriebe, so zwei Kaufhäuser, vier Konfektionsgeschäfte, je zwei Schuh- und Kurzwarengeschäfte, je ein Möbel-, Uhren- und Kolonialwarengeschäft und eine Fleischerei, zudem einen Pferde-, Vieh-, Getreide- und Altstoffhandel. Von besonderer ökonomischer Bedeutung für Pasewalk war die Eisengießerei und Landmaschinenfabrik von Paul Behrendt; dieses 1872 von Hirsch Behrendt gegründete Unternehmen beschäftigte um die Jahrhundertwende immerhin etwa 120 Menschen.

https://neuesvonney.files.wordpress.com/2020/02/h.-behrendt-pasewalk.jpg Noch heute erinnern in Pasewalk und zahlreichen anderen Orten Deutschlands Gullydeckel mit der Aufschrift "H. Behrendt Pasewalk" an den ehemaligen jüdischen Fabrikanten.

Anm.: Paul Behrendt  (1860-1933) war über viele Jahre hinweg Stadtverordneter und Ratsmitglied in Pasewalk; er erwarb sich auch Verdienste durch den Bau der Städtischen Gasanstalt und die Gründung der Städtischen Sparkasse.

 

Mit Beginn der NS-Zeit - die jüdische Gemeinde hatte sich inzwischen weiter verkleinert - verließen weitere jüdische Bewohner die Kleinstadt und gingen zumeist in die Emigration. Letzter Höhepunkt gemeindlichen Lebens war die Feier zum 100-jährigen Bestehen der Synagoge im Oktober 1934.

Während des November-Pogroms von 1938 wurde die Pasewalker Synagoge in Brand gesetzt und völlig zerstört; nach Augenzeugenberichten durfte die lokale Feuerwehr den Brandherd nicht bekämpfen, sondern sollte nur ein Übergreifen der Flammen auf die Nachbargebäude verhindern.

Auch der östlich der Löcknitzer Straße gelegene jüdische Friedhof wurde verwüstet: Gräber geschändet, Grabsteine umgeworfen und die kleine Kapelle niedergebrannt. Wenig später wurde das Areal völlig abgeräumt.

Mitte Februar 1940 wurden neun Juden aus Pasewalk - zusammen mit anderen aus dem Kreise Ueckermünde und des Regierungsbezirkes Stettin - via Stettin - nach Lublin deportiert; keiner von ihnen soll überlebt haben.

 

In den 1950er Jahren wurde der verwüstete jüdische Friedhof - so gut es eben ging - wiederhergerichtet; teilweise mit Hilfe von Geldspenden von Emigranten und Pasewalker Bürger und Betriebe wurden Friedhofskapelle und -gelände in eine Gedenkstätte umgewandelt. Die Jüdische Landesgemeinde Mecklenburg ließ einen großen Gedenkstein aufstellen; unter einem Davistern befindet sich eine kurzgefasste Inschrift in deutscher und hebräischer Sprache.

 undefinedJüdischer Friedhof Pasewalk in Pasewalk, Mecklenburg-Vorpommern - Find a  Grave Cemetery

Friedhofseingang und Gedenkstein (Aufn. P., 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)  und  Gedenkstein (T. Peppel, 2924, aus: findagrave.com/cemetery)

1997 wurde neben der Friedhofspforte eine Tafel mit einigen Angaben über die Geschichte der Pasewalker Juden angebracht.

Seit 2023 erinnern auf dem Friedhofsgelände auch zwei von den Nachfahren gestiftete Gedenktafeln an die Familie Loewe; die seit Generationen in der Stadt ansässig war und in der Ueckerstraße ein Kolonialwarengeschäft betrieben hatte.

An den ehemaligen jüdischen Fabrikbesitzer und Stadtverordneten Paul Behrendt erinnert seit 1956 ein Gedenkstein nahe der Mühlenstraße.

Zum 50.Jahrestag der Pogromnacht brachte die Stadt Pasewalk unweit der einstigen Synagoge (an der Marktstraße) eine schlichte Gedenktafel an, die folgende Inschrift besitzt:

Am 9.November 1938, in der sogenannten Reichskristallnacht,

wurde auch in Pasewalk die Synagoge, 40 Meter von hier, durch Brand zerstört.

                                                                Aufn. P., 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0

80 Jahre nach dem Novemberpogrom erinnert die Stadt Pasewalk am ehemaligen Standort der Synagoge mit einem Gedenkstein - einem schwarzen Granitblock - an das zerstörte Gotteshaus und an die Verbrechen der Pogromnacht.

Im Jahre 2005 wurden die ersten sog. „Stolpersteine“ in Pasewalk verlegt; damit war Pasewalk die erste Stadt in Vorpommern, die an diesem von Gunter Demnig ins Leben gerufenen Projekt teilnahm. Mittlerweile erinnern ca. 80 dieser in den Gehweg eingelassenen Gedenktäfelchen an jüdische Opfer der NS-Herrschaft (Stand 2024).

Stolperstein Josef,Gertrud,Bernhard Brezinski , Else Flatau.jpgStolperstein Siegfried Loewe, Martha Nathansohn.jpgHEUMANN, ERNA Aufn. Zellmer, 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

 

 

 

Weitere Informationen:

Egon Krüger, Über die Juden in Pasewalk nach 1933, in: Das faschistische Pogrom vom 9./10.November 1938 - Zur Geschichte der Juden in Pommern. Kolloquium der Sektionen Geschichtswissenschaft und Theologie der Universität Greifswald am 2.Nov. 1988, Greifswald 1989, S. 124 f.

Helmut Eschwege, Geschichte der Juden im Territorium der ehemaligen DDR, Dresden 1990, Band III, S.1164 f.

Zeugnisse jüdischer Kultur - Erinnerungsstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Berlin, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, Tourist Verlag GmbH, Berlin 1992, S. 45/46

M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg, Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland (Neue Bundesländer/DDR und Berlin), in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Hrg. Peter v.d.Osten-Sacken, Band 22, Berlin 1994, S. 544/545

E.Krüger/W.Wilhelmus, Juden in Pasewalk und Umgebung, in: M.Heitmann/J.H.Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem ganzen Land jedes Verderben ...” Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich 1995, S. 173 f.

Wolfgang Wilhelmus (Bearb.), Juden in Vorpommern im 19.Jahrhundert, in: M.Heitmann/J.H.Schoeps (Hrg.), “Halte fern dem ganzen Land jedes Verderben ...”, Geschichte und Kultur der Juden in Pommern, Georg Olms Verlag, Hildesheim/Zürich 1995, S. 99 ff.

Wolfgang Wilhelmus (Bearb.), Juden in Vorpommern, in: Reihe Geschichte Mecklenburg-Vorpommern No.8/1996, S. 29 f., hrg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Mecklenburg-Vorpommern 1996

Egon Krüger (Bearb.), Die jüdische Gemeinde in Pasewalk, in: Irene Dieckmann (Hrg.), Wegweiser durch das jüdische Mecklenburg-Vorpommern, Verlag für Berlin Brandenburg, Potsdam 1998, S. 167 ff.

Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation II, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 448/449

Angela Stegemann, Nur wenig erinnert heute an die Juden von Pasewalk, in: "Nordkurier" (unter Lokales) vom 9.11.2001

Wolfgang Wilhelmus, Geschichte der Juden in Pommern, Ingo Koch Verlag, Rostock 2004

Wolfgang Wilhelmus, Juden in Vorpommern, in: „Beiträge zur Geschichte Mecklenburg-Vorpommern“, No. 8, Schwerin 2007

Susann Nelle, Zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Pasewalk. Von den Anfängen bis 1940, Schkeuditzer Buchverlag, Schkeuditz 2008

Die jüdische Familie Lewin in Pasewalk, aus: „Pasewalker Nachrichten“, Ausg. 01 – 02/2008

Egon Krüger, Jüdisches Leben in Pasewalk: Familiengeschichten – Familienschicksale – Stolpersteine, Schibri-Verlag, Uckerland 2009

Angela Stegemann (Red.), Ein Stolperstein für jedes Opfer: Pasewalks Senioren helfen dabei, in: „Nordkurier“ vom 31.5.2013

Angela Stegemann (Red.), Letzte Stolpersteine in Pasewalk verlegt, in: „Nordkurier“ vom 27.9.2016

Auflistung der in Pasewalk verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Pasewalk

Egon Krüger, Zur Geschichte der jüdischen Bürger in Pasewalk: in Bildern, Dokumenten, Urkunden, Annoncen und Stolpersteinen, Schibri-Verlag Strasburg/Berlin 2017

Stadt Pasewalk (Hrg.), Stolpersteine in Pasewalk - Flyer (2018), als PDF-Datei abrufbar 

N.N. (Red.), Pasewalk: Gedenkstein für niedergebrannte Synagoge, in: „SVZ - Schweriner Volkszeitung“ vom 4.11.2018

Egon Krüger, Stammbäume jüdischer Familien in Pasewalk, Schibri-Verlag Strasburg/Berlin 2019

Fred Lucius (Red.), Pasewalk widmet jüdischer Geschichte eine Festwoche, in: „Nordkurier“ vom 3.9.2021

Susanne Böhm (Red.), „Die Nazis testeten die Deportation in Pasewalk, und alle schauten weg“, in: Nordkurier“ vom 12.2.2022

Mathias Scherfling (Red.), Gedenktafeln sollen Erinnerung an jüdische Familie in Pasewalk wachhalten, in: „Nordkurier“ vom 30.6.2023

Mahias Scherfling (Red.), Nachfahren erinnern an ihre jüdischen Vorfahren aus Pasewalk, in: „Nordkurier“ vom 26.7.2023 (betr. Familie Loewe)