Peckelsheim (Nordrhein-Westfalen)
Peckelsheim mit derzeit ca. 1.800 Einwohnern ist heute ein Stadtteil von Willebadessen - im östlichen Westfalen am Nordrand der Warburger Börde ca. 30 Kilometer südöstlich von Paderborn gelegen (Kartenskizzen 'Kreis Höxter' mit Willebadessen rot markiert und 'Ortsteile von Willebadessen', TUBS 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Region um Peckelsheim – hist. Karte von 1850/60 (Abb. aus: wiki-de.genealogy.net/distrikt_Peckelsheim)
Im 19.Jahrhundert machte der jüdische Anteil an der Ortsbevölkerung zeitweilig mehr als 10% aus.
Juden siedelten sich erstmalig vermutlich gegen Mitte des 16.Jahrhunderts in Peckelsheim an. Für jüdische Händler war im 18./19.Jahrhundert das kleine an der alten Handelsstraße Warburg-Brakel-Hameln-Herford gelegene Landstädtchen wegen seines Handels - besonders mit landwirtschaftlichen Produkten - recht attraktiv. Wegen ihres Wohlstandes wurden die hiesigen Juden vom Gros der übrigen Bevölkerung beneidet; dies mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass es im Frühjahr 1848 zu pogromartigen Ausschreitungen gegen die Peckelsheimer Juden kam, als eine Horde Landwehrmänner, die sich hier zum Appell aus den umliegenden Dörfern versammelt hatten, mit der Parole „Es lebe der König von Preußen – nieder mit den Juden!“ lärmend durch die Straßen zog. Darüber berichtete die „Allgemeine Zeitung des Judenthums” am 10.4.1848:
„ In hiesiger Stadt war gestern große Unruhe. 600 Landwehrmänner aus den umliegenden Ortschaften versammelten sich zum Appell; nachdem dieser beendet war, kam eine Horde von diesen Landwehrmännern in die Stadt, durchzog lärmend die Straßen, drang in die jüdischen Häuser, plünderte und raubte, was da war, warf die Fensterscheiben ein und zertrümmerte die Möbel. Obgleich nur zur Dämpfung dieses Unfuges 100 Mann genügt hätten, so sahen ... die hiesigen Bürger es ruhig und lachend mit an, wie von Auswärtigen ihren jüdischen Mitbrüdern Alles zertrümmert wurde. ...”
1856 konstituierte sich offiziell die Synagogengemeinde Peckelsheim, zu der auch zahlreiche kleinere Ortschaften des Umlandes zählten, so Altenheerse, Neuenheerse, Gehrden, Fölsen, Niessen und auch Willebadessen. In den 1780er Jahren ließ die Gemeinde eine Fachwerksynagoge auf einem Gartengrundstück eines Hauses in der langen Straße errichten. Nach deren etwa 80jähriger Nutzung wurde in unmittelbarer Nähe, an der Rosenstraße, ein neues Synagogen- und Schulgebäude errichtet. Das zunächst eingeschossige Gebäude wurde in den 1920er Jahren aufgestockt.
In Peckelsheim wurde vermutlich um 1800 an der Wassertorstraße eine eigene jüdische Begräbnisstätte angelegt; der älteste vorhandene Grabstein trägt die Jahreszahl 1846.
Jüdischer Friedhof (Aufn. Marco Janzen, 2014)
Juden in Peckelsheim:
--- um 1650 ...................... 8 jüdische Familien,
--- 1681 ......................... 13 “ “ ,
--- 1719 ......................... 10 “ “ ,
--- 1778 ......................... 21 “ “ ,
--- 1802 ......................... 131 Juden (ca. 12% d. Bevölk.),
--- 1843 ......................... 178 “ ,
--- 1871 ......................... 138 “ ,
--- 1888 ......................... 147 “ ,
--- 1895 ......................... 88 “ ,
--- 1909 ......................... 22 “ ,
--- 1925 ......................... 27 “ (in 6 Familien),
--- 1932 ......................... 11 “ ,
--- 1938 ......................... 2 jüdische Familien.
Angaben aus: Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938, S. 426 und S. 644
und Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Reg.bez. Detmold, S. 234
Marktplatz in Peckelsheim - hist. Postkarte (Abb. aus: pv-wb-ph.de/)
Gegen Ende des 19.Jahrhunderts zählten die meisten Angehörigen der Kultusgemeinde zu den wohlhabenderen Einwohnern Peckelsheims. Bereits im letzten Jahrzehnt des 19.Jahrhunderts setzte eine Abwanderungswelle ein, die sich bis zum Ersten Weltkrieg noch verstärkte. Innerhalb von nur zwei Jahrzehnten wurde die Gemeinde fast völlig bedeutungslos. Zur Zeit der Weimarer Republik wohnten nur noch sechs jüdische Familien in der Stadt; Anfang der 1930er Jahre waren es nur noch sehr wenige Personen.
Beim Novemberpogrom von 1938 wurde der ehemalige Betraum „beschädigt und unbrauchbar gemacht“, Kultgegenstände wurden entwendet und eine Thorarolle in den Schmutz geworfen; das Gebäude selbst blieb aber erhalten. Die Familie Sostheim, die am Ort ein Kaufhaus betrieb, verließ unmittelbar nach dem Pogrom die Stadt (und emigrierte in die USA). Danach lebte nur noch ein einziger Jude in Peckelsheim, der 83jährige Witwer Israel Löwenstein, ein ehemaliger Textilkaufmann; 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert, wo er verstarb.
Der jüdische Friedhof, der im Laufe der NS-Zeit schwer geschändet und dessen Grabsteine fast völlig zerstört worden waren, wurde um 1950 wieder instandgesetzt. Die noch vorhandenen Grabsteinfragmente integrierte man in ein quaderförmiges Mahnmal, das folgende Inschrift trägt:
Dahingeschiedene - verzeihet dass Brüche Euerer Grabsteine hier Verwendung fanden -
nur durch diesen Bau konnte Euch eine Genugtuung gegeben werden.
Mahnmal (Aufn. Marco Janzen, 2014, aus: peckelsheim.org)
Nach Kriegsende wurde das ehemalige Synagogengebäude von der örtlichen Realschule genutzt; danach diente es als Lagerhaus für Getreide. Anfang der 1990er Jahre wurde es zu einem Wohnhaus umgebaut.
In Löwen, einem anderen Ortsteil Willebadessens, gab es auch eine kleine jüdische Gemeinschaft aus nur sehr wenigen Familien. Erstmalige Erwähnung zweier Schutzjuden ist hier für das Jahr 1652 nachgewiesen. Gegen Mitte des 18.Jahrhunderts ist im Dorf ein Betraum erwähnt; seit ca. 1810 suchten die wenigen jüdischen Personen die Synagoge in Peckelsheim auf.
In Willebadessen - später zum Synagogenbezirk Peckelsheim gehörig – reicht der Nachweis jüdischer Anwesenheit bis in die Zeit um 1600 zurück. Im 19.Jahrhundert zählte die hiesige Judenschaft maximal kaum 40 Angehörige. Erst um 1900 wurde in Willebadessen ein jüdischer Friedhof angelegt; zuvor waren Verstorbene in Peckelsheim bzw. in Dringenberg begraben worden.
Auf dem am Greienberg liegenden jüdischen Friedhof von Willebadessen sind sieben Grabsteine vorhanden.
Aufn. Ts., 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In der Willebadessener Ortschaft Altenheerse wurden 2023 zwei „Stolpersteine“ verlegt, die an das jüdische Ehepaar Julius u. Mina Löwenstein erinnern, die im Ghetto Theresienstadt ums Leben kamen
verlegt in Altenheerse (Aufn. I.Scharlau, 2023, aus: wiwkipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Adalbert Kleinert, Abriß einer Geschichte der jüdischen Bürger in der mittelalterlichen Stadt Peckelsheim, Maschinenmanuskript , o.J.
Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Regierungsbezirk Detmold, J.P.Bachem Verlag, Köln 1998, S. 233 - 238
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 425/426
Dina van Fassen, “Das Geleit ist kündbar”. Quellen und Aufsätze zum jüdischen Leben im Hochstift Paderborn von der Mitte des 17.Jahrhunderts bis 1802, in: "Historische Schriften des Kreismuseums Wewelsburg", Band 3, Klartext-Verlag, Essen 1999, S. 116/117 und S. 163/164
Stefan Baumeier/Heinrich Stiewe (Hrg.), Die vergessenen Nachbarn. Juden auf dem Lande im östlichen Westfalen, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2006
Sandra Wamers, Die vergessenen Nachbarn - 70. Jahrestag der Pogromnacht: Erinnerung an jüdische Mitbürger in Peckelsheim, in: "Warburger Zeitung/Neue Westfälische" vom 8.11.2008
Margit Naarmann (Bearb.), Willebadessen-Peckelsheim, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Detmold, Ardey-Verlag, Münster 2013, S. 787 - 807
Burkhard Battran (Red.), Willebadessen verlegt erste Stolpersteine in einem Dorf, in:: “NW – Neue Westfälische” vom 23.10.2023
Silnia Schonheim (Red.), “Stolpersteine” erinnern in Altenheerse bald an zwei ermordete Juden, in: “Westfalen-Blatt” vom 30.10.2023