Piesling (Mähren)
Piesling, eine kleine Ortschaft im südwestlichen Mähren in Grenznähe zu Österreich, ist das heutige tschechische Písečné u Slavonic mit derzeit ca. 500 Einwohnern unweit von Datschitz/Dačice gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, P. im Südwesten gelegen, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Tschechien' mit Písečné u Slavonic rot markiert, aus: commons.wikimedia.org, CCO).
Jüdische Familien sollen sich in Piesling - einem Marktflecken in Südmähren - gegen Ende des 17.Jahrhunderts angesiedelt haben; dabei handelte es sich um Juden, die aus Wien und Niederösterreich von Kaiser Leopold I. vertrieben worden waren. Ein Steuerverzeichnis aus dem Jahre 1727 belegt erstmals deren Ansässigkeit. Die Pieslinger Juden waren der hiesigen Gutsherrschaft, dem Grafen von Hartig, zu Schutzgeldzahlungen verpflichtet. Ihren kärglichen Lebensunterhalt sollen die meisten u.a. durch die Herstellung von Schwarzbrot verdient haben.
Um 1770 wurde im Dorf eine Synagoge gebaut. Nachweislich war Piesling von etwa 1810 bis 1901 Sitz eines Rabbinats. Seit den 1780er Jahren bestand am Ort eine „jüdisch-deutsche Trivialschule“.
Vermutlich in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts wurde der jüdische Friedhof angelegt; das älteste lesbare Grabmal datiert aus dem Jahre 1733.
Juden in Piesling:
--- um 1760/70 ...................... 25 jüdische Familien,
--- 1782 ............................ 32 “ “ ,
--- 1798 ............................ 52 “ “ ,
--- 1839 ............................ 62 “ “ ,
--- 1848 ............................ 333 Juden,
--- 1869 ............................ 122 “ ,
--- 1880 ............................ 106 “ ,
--- 1890 ............................ 111 " ,
--- 1900 ............................ 64 “ ,
--- 1921 ............................ 23 “ ,
--- 1930 ............................ 15 “ .
Angaben aus: Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, S. 101
und Rudolf Hruschka, Geschichte der Juden in Piesling, S. 458
Von einem Großbrand (1840) und einer Überschwemmung (1867) war auch die Pieslinger Judenschaft stark betroffen; andere mährischen Judengemeinden halfen der Gemeinde von Piesling in ihrer Not.
Bis 1919/1920 existierte in Piesling eine politisch selbstständige Judengemeinde. Als die Zahl der jüdischen Bewohner in Piesling kontinuierlich zurückging, musste auch das Rabbinat aufgegeben werden; seit ca. 1905 versah der Rabbiner von Jamnitz diese Funktionen. Seit 1928 gehörte Piesling mit seinen nur noch sehr wenigen jüdischen Bewohnern dem Rabbinat von Triesch an.
Wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das ehemalige Judenviertel mitsamt der inzwischen in einem maroden Zustand befindlichen Synagoge abgerissen.
Nur der jüdische Friedhof mit mehr als 400 Gräbern ist noch erhalten; die Vegetation bemächtigt sich immer mehr des Areals. Das aus dem frühen 19.Jahrhundert stammende Taharahaus wurde um 2000 restauriert.
Jüdischer Friedhof in Písečné u Slavonic (Aufn. Fojsinek, 2009, aus: commons.wikimedia.org)
Alte Grabsteine und Taharahaus (Aufn. Wolfgang Sauber, 2018, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Zu den bekanntesten Angehörigen der Pieslinger Gemeinde gehörte der 1832 geborene Alexander von Eiss, der im Laufe seiner militärischen Karriere in der K.u.K.-Armee zu einem hohen Offizier aufstieg und zahlreiche Verdienstorden erhielt. Alexander Ritter von Eiss war glühender Zionist und mit Theodor Herzl persönlich befreundet.
Die wenigen Mitglieder der zunächst autonomen Kultusgemeinde Markwaretz (tsch. Markvarec, derzeit kaum mehr als 100 Einw.) gehörten ab 1888 der Pieslinger Gemeinde an. Erste Ansässigkeit jüdischer Familien ist aus der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts nachweisbar. Aus der Zeit um 1785/1795 stammen Synagoge und der Friedhof, der sich weit außerhalb des Dorfes befand. Noch bis Mitte des 19.Jahrhunderts hatte die jüdische Gemeinde Markwaretz mehr als 200 Personen umfasst. Die letzte jüdische Familie verließ das Dorf Ende der 1920er Jahre.
Um 1915 wurde das Synagogengebäude abgerissen. Der Friedhof mit ca. 200 Grabsteinen ist bis auf den heutigen Tag erhalten.
Jüdischer Friedhof in Markvarec (beide Aufn. Daniel Baránek, 2010, aus: commons.wikimedia.org)
In dem in der Grenzregion zu Österreich südwestmährischen Ort Zlabings (tsch. Slavonice, derzeit ca. 2.500 Einw.) durften sich Juden bis Anfang des 19.Jahrhunderts nicht niederlassen; zeitweise war ihnen vom Magistrat sogar das Betreten der Stadt untersagt, sodass Handelsgeschäfte vor der Stadt – auf der sog. „Judenwiese“ – getätigt wurden. Erst ab den 1840er Jahren setzte eine nennenswerte Zuwanderung ein; um 1900 lebten im Dorfe knapp 80 Juden, die der Kultusgemeinde Piesling angehörten. Eine eigene Synagoge - im Stile des Klassizismus errichtet - ist seit 1895 bezeugt. Über ein eigenes Beerdigungsgelände verfügten die Zlabinger Familien nicht; Verstorbene wurden in Altstadt (Böhmen), Piesling oder Wölking begraben. Anfang der 1930er Jahre lebten in Zlabings noch ca. 50 Bewohner mosaischen Glaubens. Etwa die Hälfte von ihnen wurde Opfer der Shoa.
Das profanierte Synagogengebäude in den Langengasse ist seit Ende der 1950er Jahre ein geschütztes Baudenkmal; es dient heute Wohnzwecken. Jüngst wurde das äußerlich kaum veränderte Gebäude restauriert.
Ehem. Synagogengebäudes (Aufn. Jan Dudik, 2012 und Fojsinek, 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Weitere Informationen:
Rudolf Hruschka (Bearb.), Geschichte der Juden in Piesling, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Buch- und Kunstverlag, Brünn 1929, S. 457 – 476
Rudolf Hruschka (Bearb.), Geschichte der Juden in Zlabings, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Mährens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Buch- und Kunstverlag, Brünn 1929, S. 577/578
Hugo Gold, Gedenkbuch der untergegangenen Judengemeinden Mährens, Olamenu-Verlag, Tel Aviv 1974, S. 80/81, S. 101 und S.118
P.Ehl/A.Parík/Jirí Fiedler, Alte Judenfriedhöfe Böhmens und Mährens, Paseka-Verlag, Prag 1991, S. 164
Židovský hřbitov u Písečné (Jüdischer Friedhof in Piesling), online abrufbar unter: srdceceskekanady.cz/zidovsky-hrbitov-u-pisecne (in tschechischer Sprache)
Jewish Families from Markvarec (Markwaretz) Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Markvarec-Markwaretz-Bohemia-Czech-Republic/45139