Pinne (Posen)

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a3/Pniewy_polozenie.JPGPinne wurde gegen Ende des 13.Jahrhunderts erstmalig urkundlich erwähnt und stand zunächst unter wechselnden Herrschaften adliger Familien. Die früher zum Kreis Samter gehörende Kleinstadt heißt heute Pniewy (in der polnischen Woiwodschaft Poznan), weist derzeit ca. 8.000 Einwohner auf und liegt ca. 50 Kilometer westlich der Bezirkshauptstadt Poznan (Ausschnitt aus hist. Karte, Pinne am rechten Kartenrand, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Pniewy rot markiert, Y. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

In den Jahrzehnten vor und nach der Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die israelitische Gemeinde ihren personellen Zenit; zeitweise machte der jüdische Anteil an der Bevölkerung mehr als 35% aus.

Mitte des 16.Jahrhunderts wurde erstmals die Existenz von Juden in Pinne urkundlich erwähnt; vermutlich waren es Familien, die aus Prag vertrieben wurden und hier vom Grundherrn/Stadtherrn Schutz erhielten. Ein jüdischer Begräbnisplatz in Pinne soll aber bereits aus dem 14.Jahrhundert stammen (?).

Ende des 17.Jahrhunderts muss es in Pinne bereits eine relativ große jüdische Gemeinde gegeben haben. Aus dem Jahre 1789 ist ein Dokument überliefert, das in diversen Artikeln die Rechte und Pflichten der Pinner Juden aufführt; vorrangig ging es dabei um Handelsrechte und Besteuerung der jüdischen Bewohner.

Als der Ort 1793 an Preußen fiel, lebten in dem kleinen, etwa 800 Einwohner zählenden Landstädtchen mehr als 200 Juden; die Judenschaft stellte so etwa ein Viertel der Bevölkerung; sie lebte zumeist vom Kleinhandel und Handwerk. Es gab vor allem viele Schneider unter ihnen; später konnten einige jüdische Familien aus ihrem Schneider-Handwerk kleine Industriebetriebe aufbauen. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts nahm die Zahl der jüdischen Bewohner in Pinne rasch zu und erreichte um 1870 fast 900 Personen; nur 30 Jahre später hatte sich ihre Anzahl stark verringert und war danach weiter rückläufig. Gegen Mitte der 1820er Jahre hatte die Gemeinde eine Synagoge errichten lassen. Knapp ein Jahrhundert später (1912/1913) wurde diese durch ein neues Gotteshaus ersetzt.

            neue Synagoge in Pinne (hist. Aufn., 1913, aus: Ostdeutsche Bauzeitung)

Etwa ein Jahrzehnt später wurde eine jüdische Schule und ein Hospital gegründet. Die neuen gemeindlichen Einrichtungen überforderten aber finanziell die Gemeinde. Sie war nun sehr verschuldet.

In Pinne existierten Ende des 19.Jahrhunderts mehrere jüdische Vereine. 

Das zuletzt in Nutzung gewesene Begräbnisgelände lag mehr als einen Kilometer vor der Stadt.

Juden in Pinne:

         --- 1793 ...................... ca.  220 Juden (ca. 27% d. Bevölk.),

    --- 1827 ...................... ca.  350   “  ,

    --- 1835 ..........................  713   “  ,

    --- 1840 ..........................  694   “    (ca. 35% d. Bevölk.),

    --- 1855 ..........................  740   “  ,

    --- 1867 ..........................  847   “  ,

    --- 1871 ..........................  672   “  ,

    --- 1895 ..........................  376   “  ,

    --- 1903 ..........................  369   “  ,

    --- 1911 ..........................  190   “  ,

    --- 1921 ..........................   99   “  (ca. 4% d. Bevölk.).

Angaben aus: A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden ..., S. 692

 

Im Gefolge der 1848er-Revolution brachen antijüdische Unruhen aus, die viele Familien zwangen, die Stadt zu verlassen. Diese kehrten aber schnell wieder nach Pinne zurück. Ab den 1870er Jahren wanderten dann aber vermehrt Juden aus Pinne ab. Nach dem Ersten Weltkrieg lebten nur noch ca. 100 Personen mosaischen Glaubens in Pinne.

Die wenigen Juden, die im Herbst 1939 noch im Ort wohnten, wurden von den deutschen Besatzungsbehörden ins „Generalgouvernement umgesiedelt“.

Vom während des Zweiten Weltkrieges total zerstörten Friedhofs sind heute keinerlei Relikte mehr vorhanden. Das Synagogengebäude wurde nach 1945 über mehrere Jahrzehnte als Kino genutzt; später dann diente es unterschiedlichen kommerziellen Zwecken.

 

 Aus der Pinner Gemeinde gingen zahlreiche jüdische Gelehrte und Rabbiner hervor. Einer von ihnen war der 1827 geborene Gustav Gottheil, der in Posen ausgebildet wurde; dem folgte ein Universitätsstudium in Berlin und Halle. Um 1860 folgte er einem Ruf nach Manchester; Mitte der 1870er Jahre ging Gottheil in die USA, wo er das Rabbinat am Tempel Emanu-El in New York übernahm, und drückte dem Reformjudentum dort seinen Stempel auf. Auf dem Ersten Zionistenkongress 1897 in Basel war Gustav Gottheil der prominenteste Teilnehmer aus Amerika; er war einer der Mitbegründer der „Federation of American Zionists“. Er verstarb 1903 in New York.

 

 

 

Weitere Informationen:

Louis Lewin, Aus der Vergangenheit der jüdischen Gemeinde zu Pinne, Pinne 1903

A.Heppner/J.Herzberg, Aus Vergangenheit und Gegenwart der Juden und der jüdischen Gemeinden in den Posener Landen, Koschmin - Bromberg 1909, S. 682 – 693

Alfred Marcus, Die Synagoge zu Pinne: Ein Blatt zur Erinnerung an ihren Umbau im Jahre 1912/13, o.O. 1913

Sophia Kemlein, Die Emanzipation der Juden im Großherzogtum Posen 1815 - 1848, Magisterarbeit Christian-Albrechts-Universität Kiel 1987

The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 1005

Pniewy, in: sztetl.org.pl