Preußisch Stargard (Westpreußen)
Das während der 1.Teilung Polens (1772) an Preußen gefallene Stargard ist das polnische Starogard Gdańsk mit derzeit ca. 47.500 Einwohnern - etwa 40 Kilometer südlich von Danzig gelegen (Ausschnitt aus hist Karte 'Landkreis Stargard', aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Polen' mit Starogard Gdańsk rot markiert, Y. 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts war nahezu jeder 5.Einwohner von Preußisch-Stargard mosaischen Glaubens.
Bis ca. 1775 waren im gesamten Kreise Preußisch-Stargard nur knapp 300 und in der Stadt selbst überhaupt keine Juden ansässig. Nach 1800 stieg dann die Zahl jüdischer Bewohner erheblich an; 1871 waren es im Kreisgebiet Preußisch-Stargard mehr als 1.500 Personen; Hauptursache für die wachsende jüdische Bevölkerung war die zunehmende Industrialisierung, die auf wirtschaftliche Prosperität hoffen ließ.
Aus dem Amtsblatt der Kgl. Regierung zu Danzig No. 699 (aus dem Jahre 1843): "Der Neubau einer Synagoge am hiesigen Orte, circa 76 Fuß lang, 48 Fuß tief, 23 Fuß im Lichten hoch, im gothischen Style, soll in Entreprise an den Mindestfordernden ausgethan werden und haben wir hierzu einen Termin auf Freitag den 27. Octbr. c. Mittags 12 Uhr in der Wohnung des Herrn Kaufmann Lehmann hieselbst angesetzt. Wir ersuchen sichere und cautionsfähige Unternehmer, den Termin wahrzunehmen, und bemerken dabei, daß jederzeit der Bauplatz angesehen und von der Zeichnung, den Baubedingungen, sowie den überschläglichen Kostenermittlungen Kenntnis genommen werden kann. Stargardt, am 13. October 1843 "
Synagoge - Zeichnung (Abb. aus: starogard.pl)
Gegen Ende der 1840er Jahre ließ die jüdische Gemeinde - mit tatkräftiger finanzieller Unterstützung des Tabakfabrikanten Ari Goldfarb und anderer wohlhabender Juden - eine neue Synagoge in der Ritterstraße erbauen; etwa zeitgleich wurde eine jüdische Elementarschule eröffnet.
In den 1840er Jahren legte die Gemeinde auch einen eigenen Friedhof an.
Juden in Preuß. Stargard:
--- 1771 .......................... keine Juden,
--- 1816 .......................... 450 “ ,
--- 1840 .......................... 597 " ,
--- 1846 .......................... 687 “ (ca. 18% d. Bevölk.)
--- 1871 .......................... 802 “ (ca. 14% d. Bevölk.),
--- 1885 .......................... 529 “ (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1895 .......................... 402 “ (ca. 5% d. Bevölk.),
--- 1910 .......................... 275 “ ,
--- 1921 .......................... 125 “ (ca. 1% d. Bevölk.),
--- 1928 .......................... 56 “ ,
--- 1931 .......................... 123 “ ,
.......................... 228 " ,* * im Landkreis
--- 1935 .......................... 136 “ (ca. 1% d. Bevölk.),
--- 1939 ...................... ca. 40 “ .
Angaben aus: Max Aschkewitz, Zur Geschichte der Juden in Westpreußen, S. 15 und S. 201
und Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken - Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Teillband 1 S. 170
Marktplatz - hist. Postkarte (aus:deutsche-schutzgebiete.de)
Von 1872 bis 1885 ging der jüdische Bevölkerungsanteil hier um etwa ein Drittel zurück; diese Tendenz setzte sich in den kommenden Jahrzehnten weiter fort. Nach Ende des Ersten Weltkrieges zählte die hiesige Gemeinde kaum mehr als 120 Angehörige. Nach der Angliederung des westpreußischen Gebiets an den polnischen Staat 1920 wanderten Juden unvermindert ab. Ein Hauptgrund für die fortgesetzte Abwanderung war auch die zunehmende antisemitische Hetze, die sich nach 1930 verstärkte und von Kreisen der polnisch-nationaldemokratischen Partei getragen wurde. Verbunden war die antijüdische Kampagne mit tätlichen Attacken und Zerstörungen von Schaufensterscheiben.
Die Besetzung durch deutsche Truppen im September 1939 beendete die Geschichte der Juden in Westpreußen; während ein Teil der Juden noch vor dem deutschen Einmarsch das Land verlassen hatte, fiel der Rest den Verfolgungen des NS-Staates zum Opfer. Ein Jahr nach der Besetzung lebten in Preuß. Stargard keine jüdischen Bewohner mehr.
Anm. Während der Kriegsjahre benutzten die deutschen Besatzer das Synagogengebäude als Haftanstalt und Hinrichtungsstätte.
Am ehemaligen Synagogengebäude erinnert heute eine kleine Tafel an dessen einstige Funktion.
Ehem. Synagogengebäude und Gedenktafel (Aufn. Krzyscoed, 2012, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0)
Vom jüdischen Friedhof, der während der NS-Zeit weitgehend zerstört worden war, sind nur noch Grabsteinrelikte vorhanden.
Weitere Informationen:
Max Aschkewitz, der Anteil der Juden am wirtschaftlichen Leben Westpreußens um die Mitte des 19.Jahrhunderts, in: "Zeitschrift für Ostforschung", No.11/1962, S. 482 ff.
Max Aschkewitz, Zur Geschichte der Juden in Westpreußen, in: "Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ost-Mitteleuropas", hrg. vom Johann Gottfried Herder-Institut No. 81, Marburg 1967
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 3), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 1237
Siegfried Drews, Die jüdische Gemeinde in Pr.-Stargard, in: "Berenter Kreisbote", 9/2006
Gerhard Salinger, Zur Erinnerung und zum Gedenken - Die einstigen jüdischen Gemeinden Westpreußens, Teillband 1 (Regierungsbezirk Danzig), New York 2009, S. 153 – 207
Starogard Gdanski, in: sztetl.org.pl
K. Bielawski (Red.), Starogard Gdanski, in: kirkuty.xip.pl
Kommune Starogard Gdanski (Red.), Starogardzka synagoga pozydowska, online unter: starogard.pl/starogardzka-synagoga-pozydowska/