Redwitz a.d. Rodach (Oberfranken/Bayern)

Datei:Redwitz an der Rodach in LIF.svg Redwitz a.d.Rodach ist heute eine Kommune mit derzeit ca. 3.400 Einwohnern im Landkreis Lichtenfels und Sitz der Verwaltungsgemeinschaft Redwitz an der Rodach (Kartenskizze 'Landkreis Lichtenfels', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Im ersten Viertel des 19.Jahrhunderts stellten die jüdischen Bewohner etwa ein Fünftel der Dorfbevölkerung.

Um 1600 wurde erstmals ein Jude in Redwitz urkundlich erwähnt. In der Ortschaft haben sich dann seit dem frühen 18.Jahrhundert Juden dauerhaft niedergelassen; bald entstand eine Kultusgemeinde. Auf Grund materieller Interessen der reichsritterschaftlichen Schutzherrschaft (Adelsfamilie v. Redwitz) durften sich jüdische Familien hier ansiedeln; neben der Zahlung eines jährlichen Schutzgeldes war für eine Niederlassung im Dorf ein sog. "Einzugsgeld" zu entrichten. Zudem mussten bis 1881 sog. "Neujahrsgelder" an den Ortspfarrer entrichtet werden. Leibzoll, Totenzoll und allgemeine Steuern und Abgaben kamen noch hinzu, so dass die finanziellen Belastungen für die jüdischen Familien im Dorf recht groß waren. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie bis ins 19.Jahrhundert fast ausschließlich im Handel mit landwirtschaftlichen Produkten; neben wenigen zu Wohlstand gekommenen Familien lebten die Redwitzer Juden zumeist in recht bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Meist mussten mehrere Familien in einem Haus leben. Ende des 18.Jahrhunderts gab es in Redwitz auch eine jüdische Herberge für vagabundierende ‚Betteljuden’; diese "Judenherberge" war im Privathaus des Händlers Simon Seligmann eingerichtet.

Zu Beginn des 18.Jahrhunderts befand sich der Betsaal in einem Privathause. Die Erlaubnis zum Bau einer Synagoge erteilte der Dorfherr Heinrich von Redwitz im Jahre 1741. Das an der Hauptstraße liegende Gebäude bot Platz für jeweils ca. 30 Männer und Frauen (auf der Empore). Eine Mikwe befand sich im Hause des Vorbeters. Auch eine jüdische Schule existierte in Redwitz, allerdings nur für wenige Jahre (aufgegeben 1879).

1823 stellten die Behörden fest, dass „die Juden ihren Gottesdienst jetzt noch wie ehedem in der Synagoge ausüben, und daß dabei die Stelle des Religionslehrers ein unwissender, nicht einmal der deutschen Sprache kundiger ... Schaechter versiehet”. Der Redwitzer Gemeinde wurde nun die Auflage erteilt, umgehend für Abhilfe zu sorgen. Wenige Jahre später (1827) stellte man einen Rabbiner ein; es war Moses Gutmann, der als erster Rabbiner Bayerns über eine akademische Ausbildung verfügte und nun in Redwitz gegen die "noch herrschenden Vorurteile und veralteten Mißbräuche" und "dagegen mit deutschen Ansprachen in den Synagogen" eintrat.

Redwitz war für fast vier Jahrzehnte (von 1826 bis 1862) Sitz eines Distriktrabbinats, dem die Kultusgemeinden Lichtenfels, Kronach und Oberlangenstadt angeschlossen waren. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Redwitzer Kultusgemeinde war - nach Auflösung des Rabbinats - ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war.

Die Verstorbenen wurden auf dem jüdischen Friedhof in Burgkunstadt am Ebnether Berg beerdigt; zuvor diente vermutlich der Judenfriedhof in Küps als Begräbnisstelle. Die Anlage eines eigenen Friedhofs scheiterte um 1830 am Widerstand der konservativ eingestellten Gemeindemitglieder.

Seit 1863 waren die wenigen Juden von Horb/Main der Kultusgemeinde Redwitz angeschlossen.

Juden in Redwitz:

         --- 1675 ........................ 12 Juden,

    --- 1716 ........................  5 jüdische Haushalte,

    --- um 1750 ................. ca. 16     “       “   (ca. 100 Pers.),

    --- 1797 ........................ 33     “       “    ,

    --- 1813 ........................ 38     “       “    ,

    --- 1829 ....................... 196 Juden (ca. 23% d. Dorfbev.),

    --- 1852 ................... ca. 120   “  ,

    --- um 1865 ................ ca.  80   “   (ca. 10% d. Dorfbev.),

    --- 1875 .......................  51   “  ,

    --- 1880 .......................  26   “  ,

    --- 1890 .......................  17   “  ,

    --- 1903 .......................  22   “  ,

    --- 1925 .......................  10   “  ,

    --- 1933 .......................  ein  “ (),

    --- 1936 .......................  keine.

Angaben aus: Günter Dippold, Eine jüdische Gemeinde im ritterschaftlichen Dorf - Beiträge zur Geschichte .., S. 146 f.

und                  Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, S. 234

 

Als 1813 durch die Matrikel die Zahl der jüdischen Familien festgeschrieben wurde, waren in Redwitz 38 Judenfamilien ansässig; diese übten nun auch verschiedene Handwerke aus; nur vier betrieben um 1830 einen Viehhandel. Die hier lebenden jüdischen Familien waren im frühen 19.Jahrhundert die bestimmende wirtschaftliche Kraft in Redwitz. So wurde in einer behördlichen Stellungnahme von 1837 Redwitz wie folgt beschrieben: “... Redwitz ist ein rein adeliges ... Filial-Kirchdorf, das sich lediglich nur durch seine Handelsjudenschaft zu irgendeiner Bedeutenheit in Beziehung auf Bevölkerung, Gewerb und Comsumption erhoben hat.”

Straßenszene um 1890/1900 (Aufn. aus: obermain.de)

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2098/Redwitz%20Israelit%2021071890.jpg  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20193/Redwitz%20Israelit%2021031901.jpg Zwei Lehrstellenangebote von 1890 und 1901

Die Zahl der Gemeindeangehörigen hatte sich ab 1840/1850 durch Ab- und Auswanderung stark dezimiert; die schwierige Erwerbslage hatte vor allem junge Leute entweder in die größeren Städte wie z.B. Bamberg oder in die Emigration nach Nordamerika getrieben. Auch die antijüdischen Ausschreitungen im Revolutionsjahr 1848 - von Juden bewohnte Häuser wurden angegriffen - beschleunigten den Abwanderungsprozess.

                 Aus einem Brief des Redwitzer Bezirksrabbiners Moses Gutmann an die Regierung von Oberfranken vom März 1848:

„ ... arge Ruhestörungen in hiesigem Orte stattfanden, wie namentlich die Israeliten von Seiten des rohen Pöbels mißhandelt, ihr Eigenthum zum Theil geplündert worden, ja selbst ihr Leben von großer Gefahr bedroht gewesen sei, wenn sie den verübten Gewaltthätigkeiten Widerstand geleistet hätten. In Folge dessen, und da bei der herrschenden Erbitterung eines Theils der christlichen Bevölkerung über die militärische Besetzung des Ortes noch immerfort die heftigsten Drohungen gegen die jüdischen Einwohner laut werden, sind viele, und gerade die angesehensten jüdischen Familien entschlossen, den hiesigen Ort zu verlaßen, wo sie ihr Eigenthum und ihr Leben nicht mehr für sicher halten. ...”

  Anzeige von 1891

Zu Beginn des 20.Jahrhunderts lebten nur noch wenige jüdische Familien am Ort. Schließlich löste sich die Kultusgemeinde nach dem Ersten Weltkrieg auf; bereits Jahrzehnte zuvor waren Schul- und Vorsängerhaus verkauft worden, 1927 dann auch das schon lange unbenutzte Synagogengebäude. Die sehr wenigen Redwitzer Juden wurden 1921 der Kultusgemeinde Burgkunstadt angeschlossen. 1933 lebte in Redwitz nur noch ein einziger Bewohner mosaischen Glaubens; mit seinem Tode 1936 endete jegliches jüdisches Leben in Redwitz.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden insgesamt neun aus Redwitz stammende jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/redwitz_synagoge.htm).

Von den einstigen jüdischen Gemeindeeinrichtungen sind heute keine baulichen Überreste mehr vorhanden.

 

In jüngster Vergangenheit wurden - im Rahmen „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ - auf einer Freifläche (am Standort der ehemaligen Synagoge) eine kleine Gedenkstätte eingeweiht; daneben informieren nun auch zwei vom "Bürgerverein Lebendiges Redwitz e.V." geschaffene Schautafeln - in Text und Bild - über die jüdische Geschichte des Dorfes und der dort wohnhaft gewesenen Familien mosaischen Glaubens.

                       https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20468/Redwitz%20Hauptstrasse%201%20S%2003.jpgstählernes Denkmal (Aufn. Jürgen Hanke, 2021, aus: alemannia-judaica.de)

                    Zwei Beispiele zu Biografien jüdischen Familien von Redwitz (Aufn. Jürgen Hanke, 2021/2022):

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20466/Redwitz%20Am%20Markt%205%20fr.%2074%20Hinweistafel.jpghttps://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20468/Redwitz%20Hauptstrasse%2029%20S%2002%20Tafel.jpg

 

 

 

Weitere Informationen:

Baruch Z.Ophir/F.Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München 1979

Josef Motschmann, Als aus Juden Nachbarn und aus Nachbarn Juden wurden. Jüdische Gemeinden im 19. und 20.Jahrhundert, in: G.Dippold/J.Urban (Hrg.), Im oberen Maintal, auf dem Jura, an Rodach und Itz. Landschaft, Geschichte, Kultur, Lichtenfels 1990, S. 303 - 335

Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation, Hrg. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Bayern, München 1992, S. 234

Günter Dippold, Eine jüdische Gemeinde im ritterschaftlichen Dorf - Beiträge zur Geschichte der Juden in Redwitz, in: 750 Jahre Redwitz a.d.Rodach und Unterlangenstadt - Geschichte und Geschichten, Rolf Kneipp Verlag, Trainau 2000, S. 143 – 171 und S. 422 f.

Redwitz a.d.Rodach, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)