Reichenau a.d. Knieschna (Böhmen)
Das ostböhmische Reichenau - am Fuße des Adler-Gebirges gelegen - ist das heutige tschechische Rychnov nad Kněžnou mit derzeit ca. 11.000 Einwohnern (Kartenskizzen 'Tschechien' mit Eintrag von Rychnov nad Kněžnou rot markiert und aus: holocaust.cz).
Reichenau im 18.Jahrh. (Abb. aus: R.C., aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Die Wurzeln einer jüdischen Gemeinde liegen Anfang des 16.Jahrhunderts, als sich hier einige wenige Familien ansiedelten. Im Laufe der Zeit war ein langsames, aber stetes Wachstum der Gemeinde zu verzeichnen, die gegen Mitte des 19.Jahrhunderts ihren zahlenmäßigen Höchststand erreichte. Zahlreiche von Juden bewohnte Häuser wurden bei zwei Großbränden 1782 und 1830 zerstört.
Um 1780 ließ die hiesige Judenschaft eine neue Synagoge im klassizistischen Stil einrichten, die einen aus dem 17.Jahrhundert stammenden durch Brand stark beschädigten Bau ersetzte; nach einem erneuten Schadensfeuer (1830) wurde das Gebäude wiederhergestellt.
Ein Friedhof wurde vermutlich gegen Ende des 16.Jahrhunderts angelegt; die ältesten Grabsteine datieren aus dem Jahre 1690.
Grabstätten mit teilweise in den Boden eingesunkenen Grabsteinen (Aufn. aus: kralovehradeckyregion.cz, 2005)
Juden in Reichenau:
--- 1569 ............................ 5 jüdische Familien,
--- 1650 ............................ 14 “ “ ,
--- 1654 ............................ 22 “ “ ,
--- um 1740/60 .................. ca. 45 “ “ ,
--- 1836 ............................ 50 “ “ ,
--- 1890 ............................ 216 Juden (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1930 ............................ 71 “ .
Angaben aus: Jiri Fiedler, Jewish sights of bohemia and Moravia, S. 164
Die Ende des 19.Jahrhunderts einsetzende Abwanderung führte dazu, dass Anfang der 1930er Jahre nur noch etwa 70 Mitglieder der Gemeinde angehörten. Während der deutschen Okkupation wurde die Synagoge geplündert und die Inneneinrichtung völlig zerstört. Der jüdische Friedhof erinnert heute noch daran, dass Reichenau einst Sitz einer israelitischen Gemeinde war.
Ehem. Synagoge (Aufn. 2014, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0)
Im ehemaligen, inzwischen restaurierten Synagogengebäude, das während der kommunistischen Zeit zweckentfremdet genutzt worden war, ist seit Mitte der 1990er Jahre die Karel Poláček-Gedenkstätte untergebracht und eine Dauerausstellung zur jüdischen Geschichte der Region zu sehen. Seit 2002 erinnert hier auch ein Denkmal an die Holocaust-Opfer.
Holocaust-Mahnmal (Aufn. aus: hkregion.cz/dr-de/100610-rychnov-nad-kneznou-synagoge)
Karel Poláček - Prosaschriftsteller, Journalist und Satiriker - wurde als Sohn jüdischer Kaufleute im Jahre 1892 in Reichenau geboren. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil; nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft nahm er eine Tätigkeit als Journalist auf. Mit zahlreichen Romanen und Erzählungen machte Poláček sich einen Namen. Wegen seiner jüdischen Herkunft wurde er 1939 aus seinem Arbeitsverhältnis entlassen, vier Jahre später über Theresienstadt nach Auschwitz deportiert, wo er ermordet wurde.
In Daudleb an der Adler (tsch. Doudleby nad Orlicì) - ca. acht Kilometer von Reichenau entfernt - gab es auch eine jüdische Gemeinde.
vgl. Daudleb a.d.Adler (Böhmen)
In Rokitnitz im Adlergebirge (tsch. Rokytnice v Orlických horách) - einer Ortschaft mit derzeit ca. 2.000 Bewohnern wenige Kilometer östlich von Reichenau - siedelten sich jüdische Familien gegen Ende des 17.Jahrhunderts an; Schutzgeldzahlungen waren alljährlich an die Gutsherrschaft zu entrichten. Um 1715/1720 wurde ein hölzernes Bethaus errichtet; etwa zur gleichen Zeit hatte man ein kleines Beerdigungsareal angelegt. Nachdem 1861 ein Brand das Bethaus - hier war auch das Schulzimmer untergebracht - zerstört hatte, ließ die Judenschaft an gleicher Stelle ein steinernes Synagogengebäude errichten. Anfang der 1890er Jahre löste sich die Kultusgemeinde in Rokitnitz auf; die verbliebenen Angehörigen schlossen sich vermutlich der Gemeinde in Senftenberg an.
Das an einem Abhang liegende jüdische Friedhofsgelände, das während der Zeit des Zweiten Weltkrieges weitgehend zerstört worden war, weist heute nur wenige Grabsteine auf.
Aufn. Petr Hudousek, 2003, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0
Im Dorf Niederbirchicht (tsch. Podbřezí, derzeit ca. 500 Einw.) - ca. zehn Kilometer nordwestlich von Reichenau - ist eine jüdische Gemeinde seit den 1720er Jahren existent; um 1840 erreichte die Zahl ihrer Angehörigen mit ca. 150 Personen ihren Höchststand. Neben einer kleinen Synagoge gehörte auch ein um 1700 angelegter Friedhof zu den Gemeindeeinrichtungen. Mit der Abwanderung der jüdischen Familien löste sich die Gemeinde gegen Ende des 19.Jahrhunderts auf; die Synagoge wurde letztmalig 1888 benutzt. Die letzte jüdische Familie verließ 1924 das Dorf.
Der älteste noch lesbare Grabstein auf dem jüdischen Friedhofsgelände datiert von 1725. Das 1988 als "schützenswertes Kulturdenkmal" eingestufte Areal liegt in einem lichten Waldgebiet.
Jüdischer Friedhof in Podbřezí (beide Aufn. Prazak, 2006, aus: commons.wikimedia.org, CC BY 2.5)
Weitere Informationen:
Jaroslav Polák-Rokycana (Bearb.), Reichenau, in: Hugo Gold (Hrg.), Židé a židovské obce v Cechách v minulosti a prítomnosti, Židovské nakladatelství, Brno - Praha 1934, S. 528/529
Karl Hostovsky (Bearb.), Die Juden von Rokitnitz, in: Hugo Gold (Hrg.), Židé a židovské obce v Cechách v minulosti a prítomnosti, Židovské nakladatelství, Brno - Praha 1934, S. 570/571
Jiri Fiedler, Jewish sights of bohemia and Moravia, Prag 1991, S. 164/165 (Reichenau) und S. 134 (Podbřezí)
Jewish Families from Rychnov nad Kněžnou (Reichenau), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Rychnov-nad-Kn%25C4%259B%25C5%25BEnou-Reichenau-Bohemia-Czech-Republic/15213
Jewish Families from Rokytnice v Orlických horách (Rokitnitz im Adlergebirge), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Rokytnice-v-Orlick%25C3%25BDch-hor%25C3%25A1ch-Rokitnitz-im-Adlergebirge-Bohemia-Czech-Republic/15212