Ruchheim (Rheinland-Pfalz)
Ruchheim ist seit 1974 ein Stadtteil und einer von zehn Stadtbezirken der kreisfreien Stadt Ludwigshafen am Rhein (Kartenskizzen 'Metropol-Region Rhein-Neckar' und 'Stadtteile Ludwigshafen', I. Giel, 2005, asus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts erreichte die jüdische Kultusgemeinde ihren personellen Höchststand; zeitweise gehörte jeder achte Bewohner dem mosaischen Glauben an.
In dem unter der Herrschaft der Grafen von Leiningen stehenden Dorf Ruchheim siedelten sich vermutlich nach dem Dreißigjährigen Krieg die ersten jüdischen Familien an. Nach dem Übergang der Grundherrschaft auf die Freiherrn von Hallberg wurden die Familien auch namentlich erwähnt, so erstmals 1706. In der fast 20jährigen Herrschaft Frankreichs über Ruchheim verbesserte sich der Status der jüdischen Bewohner; 1816 fiel Ruchheim unter bayrische Herrschaft. Bis zum Untergang der jüdischen Gemeinde in der NS-Zeit hat es in Ruchheim durchgehend Ansiedlungen von Juden gegeben. Zu Beginn des 18.Jahrhunderts bildete die Judenschaft von Ruchheim u. Assenheim zusammen mit der von Fußgönheim eine Gemeinde; Gottesdienste wurden zunächst in der Synagoge von Fußgönheim abgehalten; spätestens ab 1802 hat es in Ruchheim ein Synagogen- und Schulgebäude gegeben. Aber erst seit 1850 war die Gemeinde von Ruchheim offiziell eine selbstständige Kultusgemeinde.
Nachdem in den 1870er Jahren das baufällig gewordene Synagogengebäude in der Fußgönheimer Straße abgerissen worden war, ließ die jüdische Gemeinde vermutlich 1881 an gleicher Stelle einen Neubau errichten, der 60 Männer- und ca. 35 Frauenplätze auf der Empore besaß. Der im Erdgeschoss gelegene Betraum soll eine blaue, mit goldenen Sternen verzierte Decke gehabt haben. Spätestens ab 1906 sollen in der Ruchheimer Synagoge nicht mehr regelmäßig Gottesdienste stattgefunden haben; nur an Feiertagen - unter Teilnahme auswärtiger Juden - konnten noch Gottesdienste abgehalten werden. Zu den rituellen Einrichtungen der Gemeinde zählte auch eine Mikwe, die vermutlich zunächst im Keller eines jüdischen Anwesens untergebracht war.
Anzeige von 1904
Seit Mitte der 1830er Jahre gab es in Ruchheim eine jüdische Elementarschule. Diese Schule bestand mit kurzen Unterbrechungen bis in die 1890er Jahre, wurde allerdings damals nur noch von sehr wenigen Schülern besucht, die dann auf die katholische Ortsschule überwechselten.
Zunächst begrub die Ruchheimer Judenschaft ihre Verstorbenen auf dem alten „Judenfriedhof“ in Wachenheim. Auf Grund der weiten Entfernung und des beschwerlichen Leichentransportes zum Wachenheimer Beerdigungsgelände nutzte man ab etwa 1820 den jüdischen Verbandsfriedhof in Fußgönheim. Auf die Anlage eines eigenen Friedhofs verzichtete man, nachdem sich ein deutlicher Rückgang der Gemeindemitglieder abzeichnete. Die Ruchheimer Kultusgemeinde gehörte zum Bezirksrabbinat Frankenthal.
Juden in Ruchheim:
--- 1706 ......................... 2 jüdische Familien,
--- 1732 ......................... 10 “ “ ,
--- 1795 ......................... 10 “ “ ,
--- 1808 ......................... 75 Juden,
--- 1825 ......................... 100 “ (11,5% d. Dorfbev.),
--- 1846 ......................... 160 “ ,
--- 1861 ......................... 141 “ ,
--- 1880 ......................... 87 “ ,
--- 1900 ......................... 40 “ ,
--- 1910 ......................... 26 “ ,
--- 1925 ......................... 18 “ ,
--- 1934 ......................... 9 “ ,
--- 1938 (Juli) .................. 3 “ ,
--- 1941 ......................... keine.
Angaben aus: Bernhard Kukatzki, Juden in Ruchheim - Spuren ihrer Geschichte 1706 - 1940, S. 58/59
Lebten die Ruchheimer Juden zu Beginn des 19.Jahrhunderts zumeist noch in ärmlichen Verhältnissen, so verbesserte sich ihre ökonomisch-soziale Situation im Laufe der folgenden Jahrzehnten erheblich. Um 1850 war die Erwerbsstruktur geprägt vom Handel und Gewerbe; nur zwei Familien betrieben damals eine Landwirtschaft. Eines der größten jüdischen Handelsunternehmen in Ruchheim war der Viehhandel der Gebrüder Leva, der weit über die Region ausstrahlte.
Lehrstellenangebot des Manufaktur- u. Kolonialwarengeschäftes W. Loew von 1906
Zu Beginn der 1930er Jahre lebten sehr wenige jüdische Familien in Ruchheim; 1936 waren es nur noch sieben ältere Menschen. In den Novembertagen des Jahres 1938 sollte auch das Synagogengebäude in Ruchheim in Flammen aufgehen; wegen der Gefährdung der Nachbargebäude wurde aber davon Abstand genommen; so zertrümmerte man ‚nur’ die Inneneinrichtung. An den Ausschreitungen sollen nicht nur SA-Angehörige, sondern auch einheimische Schüler aktiv beteiligt gewesen sein; diese warfen das aus der Synagoge herausgeschleppte Inventar mitsamt der Ritualien auf einen Haufen und steckten es in Brand.
Kinder mit „erbeuteten“ Gegenständen aus dem Gebetsraum (Nov. 1938)
Auch die Wohnungen der betagten jüdischen Einwohner wurden demoliert. Die letzten beiden jüdischen Bewohner Ruchheims wurden im Oktober 1940 nach Gurs deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 24 aus Ruchheim stammende jüdische Bewohner Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/ruchheim_synagoge.htm).
Im Sommer 1939 war das ehemalige Synagogengebäude von der Kommune übernommen worden; während der Kriegsjahre diente es als Gefangenenunterkunft und als Lagerraum. Seit 1953 ist das Gebäude im Besitz der evangelischen Kirchengemeinde. Seit 1985 ist hier eine bronzene Gedenktafel - eingerahmt von einem Relief einer Menora und eines Kreuzes - angebracht, die an die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes erinnert:
Die Evang. Kirchengemeinde hat - im Angedenken an die ermordeten Ruchheimer Juden - eine schlichte Gedenkstele des Künstlers Günter Hutter im Hof des Gemeindehauses aufstellen lassen, die namentlich alle Shoa-Opfer aufführt.
2008 wurden erstmals in Ruchheim sog. „Stolpersteine“ für die aus dem Ort umgekommenen jüdischen Einwohner gesetzt. Zudem erinnern einige messingfarbene Steinquader auch an in die Emigration getriebene Personen.
verlegte „Stolpersteine“ in der Fußgönheimer Straße (alle Aufn. Oliver Orschied, 2018, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
in der Mutterstädter Straße
vgl.. Ludwigshafen und Rheingönheim (Rheinland-Pfalz)]
Weitere Informationen:
Friedrich Barth, Die Juden in Ruchheim, in: ders., Ruchheim gestern und heute, Ruchheim 1974, S. 93 - 104
Friedrich Barth, Die Geschichte der Juden in Ruchheim, Ludwigshafen 1985
Kurt Kreiselmaier, Geschichte der Juden in Ruchheim, Ludwigshafen-Ruchheim 1994
Ruchheim, in: alemannia-judaica.de (mit wenigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Bernhard Kukatzki, Juden in Ruchheim - Spuren ihrer Geschichte 1706 - 1940, Ludwigshafen-Rheingönheim 2002
Stefan Fischbach/Ingrid Westerhoff, Synagogen. Rheinland-Pfalz und Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz, Verlag Ph. von Zabern, Mainz 2005, S. 239/240
Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute. Unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 137/138
Evang. Kirchengemeinde Ruchheim (Hrg.), Gedanken zum Gedenken. Ein Beitrag zur Heimatgeschichte von Ruchheim, Llux Verlag, Ludwigshafen 2008
Willi Kern, Kein Vergessen - Gedenkstele für die Ruchheimer Juden, hrg. vom Prot. Pfarramt Ruchheim, 2009
Auflistung aller in Ludwigshafen und seinen Stadtteilen verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Ludwigshafen_am_Rhein
Stolpersteine in Ludwigshafen-Ruchheim, online abrufbar unter: ludwigshafen-setzt-stolpersteine.de/gedenkbuch
Gidon Lev, Internet, Facebook und ein Brief aus 1927 machen es möglich: Entdeckungen über jüdische Familien aus Ludwigshafen-Ruchheim in Südamerika (Vortrag), aus: ludwigshafen-setzt-stolpersteine.de/