Salzkotten (Nordrhein-Westfalen)
Salzkotten ist eine Stadt mit derzeit ca. 25.000 Einwohnern im nordrhein-westfälischen Kreis Paderborn – knapp 15 Kilometer südwestlich der Kreisstadt gelegen (Kartenskizzen 'Kreis Paderborn', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0 und 'Ortsteile von Salzkotten', TUBS 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Durch die kommunale Gebietsreform entstand im Jahre 1975 die „neue“ Stadt Salzkotten als Zusammenschluss des „alten“ Salzkotten und den Gemeinden Mantinghausen, Niederntudorf, Oberntudorf, Scharmede, Schwelle, Thüle, Upsprunge, Verlar und Verne.
Salzkotten und Dörfer im Umkreis um 1800 (Abb. aus: wikipedia.org, CCO)
Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts erreichte die Zahl der Angehörigen der jüdischen Gemeinde ihren Höchststand.
Die ersten Juden siedelten sich in Salzkotten vermutlich während des Dreißigjährigen Krieges an; als Schutzjuden unterstanden sie bis 1802 den Paderborner Fürstbischöfen; dabei mussten sie sich der vom Domkapitel erlassenen „Judenordnung“ von 1719 unterwerfen. Die politisch-rechtliche Situation der Juden war - bedingt durch einen mehrfachen Wechsel der territorialen Verhältnisse im 19. Jahrhundert - ebenfalls einem ständigen Wandel unterworfen. Um 1800 ernährten sich alle Juden, die in Salzkotten und in den umliegenden Dörfern lebten, „einzig und allein durch den Handel”. Diese Hausiererei sicherte den Familien meist nur ein Leben am Rande des Existenzminimums.
Nachdem die kleine jüdische Gemeinschaft ihre Gottesdienste lange Jahre in Privaträumen abgehalten hatte, wurde 1824 (oder 1835) auf einem Grundstück an der Vielser Straße, dem heutigen Isaak-Auerbach-Platz, das neue Synagogengebäude errichtet.
Synagoge in Salzkotten - zweites Haus von rechts (Rekonstruktionszeichnung Toni Kemper)
In einer Beschreibung der Synagoge in Salzkotten heißt es: „ (Der Aron Hakodesch) befand sich ... an der Ostwand zwischen den beiden Fenstern, sprang halbkreisförmig vor und war ... über das davorliegende Vorbeterpodest mit zwei seitlichen Treppen zugänglich. ... Während der Gottesdienste saßen die Männer auf der Ebene des Erdgeschosses in zwei rechtwinklig einander zugeordneten Sitzreihen von Ost nach West und Nord nach Süd; jedes hatte ein eigenes Betpult - insgesamt waren es wohl 64 - mit Platz für das Gebetbuch und den Gebetsmantel, der beim Morgengottesdienst angelegt wird. Auf der Empore ... nahmen die Frauen Platz. Ihnen standen in Salzkotten insgesamt etwa 36 Plätze zur Verfügung ... In der Synagoge stand ein Harmonium, das auch während der Gottesdienste benutzt wurde.” (aus: Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, S. 473)
Ein Statut von 1856 regelte in 92 Paragraphen alle wesentlichen Belange der Gemeinde. In der Synagoge befand sich auch ein Schulzimmer; ab 1828 gab es in Salzkotten - mit Unterbrechungen - eine jüdische Elementarschule, die allerdings nicht von allen jüdischen Kindern besucht wurde. 1938 wurde die jüdische Schule in Salzkotten endgültig geschlossen.
Der alte Judenfriedhof neben der Mühle wurde Ende der 1820er Jahre durch die Anlage eines neuen Begräbnisplatzes an der Schützenstraße abgelöst; dieser lag direkt vor der alten Stadtmauer. Die liberale Synagogengemeinde Salzkotten umfasste auch die umliegenden kleinen Dörfer Niedern- und Oberntudorf, Scharmede, Thüle, Upsprunge und Verne.
Juden in Salzkotten:
--- um 1650 ........................ 4 jüdische Familien,
--- 1778 ........................... 16 “ “ ,
--- 1803 ........................... 24 “ “ ,
--- 1816 ........................... 83 Juden (ca. 8% d. Bevölk.),
--- 1834 ........................... 103 “ ,
--- 1843 ........................... 115 “ ,
--- 1852 ........................... 128 “ ,
--- 1863 ........................... 143 “ ,
--- 1875 ........................... 117 “ ,
--- 1895 ........................... 98 “ ,
--- 1910 ........................... 83 “ ,
--- 1925 ........................... 92 “ ,
--- 1933 ........................... 50 “ (in 22 Familien),
--- 1935 ........................... 69 “ ,
--- 1938 (Dez.) .................... 49 “ ,
--- 1941 ........................... 31 “ ,
--- 1942 (Herbst) .................. keine.
Angaben aus: D. Strathmann, Vom Schutzverwandten des Fürstbischofs zu Deutschen jüdischen Glaubens ..., S. 754
und B. Wacker/M.Theres, ... verfolgt, verjagt, deportiert - Juden in Salzkotten 1933 - 1942, S. 49
Osternstraße in Salzkotten - hist. Postkarte (Abb. aus: akpool.de)
Um 1930 verdienten die Juden Salzkottens ihren Lebensunterhalt im Vieh- und Handel mit landwirtschaftlichen Gütern sowie im Handel mit Textilwaren.
Bereits im Sommer 1934 wurden von SA-Angehörigen die Fenster des Synagogengebäudes und die einiger Häuser jüdischer Bewohner eingeworfen.
Im August 1935 berichtete die „Geseker Zeitung”:
... Im Kampf gegen die Juden unternahm der Sturm 5/158 Salzkotten am Sonntag, den 25. Aug. eine Fahrt durch den gesamten Sturmbereich. ... Die SA-Männer haben nichts unterlassen, um den deutschen Volksgenossen den Juden zu schildern und gleichzeitig ermahnt, nichts mehr von den Juden zu kaufen, da dieselben unser Unglück in Deutschland sind. Auch sind vor allem die Judenknechte und Judenzuhälter, der wir hier noch so viele haben, als Volksverräter und Lumpen gebrandmarkt worden. ... Der Sturm 5/158 hat es sich nunmehr zu seiner besonderen Aufgabe gemacht, hier im Amt Boke-Salzkotten durch Aufhängen von Schildern mit den Aufschriften: Juden und deren Zuhälter sind unerwünscht und Betreten die Gehöfte dieser Ortschaft auf eigene Gefahr ... die Volksgenossen aufzuklären ...
Trotz dieser Ausgrenzungsversuche verließen bis 1936/1937 nur sehr wenige jüdische Bewohner die Stadt Salzkotten. In der Nacht zum 10.November 1938 demolierten SA-Angehörige die Inneneinrichtung der Synagoge vollständig. Da der erste Versuch, die Synagoge einzureißen, scheiterte, setzte man nun das Fachwerkgebäude in Brand; um die Nachbaranwesen zu schützen, stand die Feuerwehr bereit.
Brennendes Synagogengebäude (hist. Aufn. aus: NRW-Landesarchiv)
Wenige Monate später ging das Synagogengrundstück in Kommunalbesitz über; das Gelände blieb danach unbebaut. Auch zu Plünderungen jüdischer Privathäuser und dreier Geschäfte war es während des Pogroms gekommen; das geplünderte Hab und Gut wurde der NSV „zur Verwertung“ übergeben. Ebenfalls wurde der jüdische Friedhof verwüstet, Grabsteine und -tafeln zerschlagen. Etwa 15 jüdische Männer wurden in Haft genommen und zunächst in die „SS-Schule, Haus Wewelsburg”, danach ins KZ Buchenwald überstellt. Alle jüdischen Einwohner mussten 1939 zwangsweise in „Judenhäuser“ ziehen. Ab Ende 1941 begannen für die Juden Salzkottens die Deportationen; die letzte fand Ende Juli 1942 statt; unter den Deportierten waren auch Isaak Auerbach, der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde Salzkottens, seine Frau und sein Bruder. Im August 1942 wurde Salzkotten dann als „judenfrei” gemeldet.
Den Deportationen fielen insgesamt 30 Salzkottener Juden zum Opfer; nur drei von ihnen überlebten.
Seit 1986 erinnert ein Mahnmal an dem ehemaligen Standort der Synagoge in der Vielser Straße an die einstige jüdische Gemeinde Salzkottens; das Areal trägt heute die Bezeichnung „Isaak-Auerbach-Platz”. Der angesehene Kaufmann Isaak Auerbach war der letzte Vorsteher der hiesigen jüdischen Gemeinde gewesen. Seine Familie und neun weitere Personen wurden mit dem letzten Transport am 28. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert.
Mahnmal (Aufn. aus: judentum-in-salzkotten.de)
Eine Inschriftentafel trägt unter dem Davidstern den folgenden Text:
Der Ort, auf dem Du stehst, ist heiliger Boden.
Exodus 3,5
Hier stand die 1825 erbaute Synagoge der Israelitischen Gemeinde Salzkotten,
die am 9./10.November 1938 von Nationalsozialisten zerstört wurde.
Stadt Salzkotten
Shalom
Mitte der 1980er Jahre bildete sich am Ort der Arbeitskreis „Juden in Salzkotten”, der fünf Jahre später zum „Verein Juden in Salzkotten e.V.” umgewandelt wurde; dank seiner Initiative intensivierte sich nun die Beschäftigung mit der jüdischen Lokalgeschichte.
Seit 2009 erinnern ca. 30 sog. „Stolpersteine“ an ehemalige jüdische Bewohner Salzkottens, die Opfer der NS-Verfolgung wurden.
verlegt für Angehörige der Fam. Kleeberg, Auf den Küten
verlegt in der Langen Straße und Marktstraße (alle Aufn. T., 2017, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Der jüdische Friedhof an der Schützenstraße mit seinen ca. 85 erhalten gebliebenen Grabsteinen steht seit 1985 unter Denkmalschutz. Eine Informationstafel zur Geschichte dieser Begräbnisstätte und deren Belegung findet man am Eingang.
Ansicht des jüdischen Friedhofs in Salzkotten (Aufn. Ath, 2015, aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)
Aufn. GZakatta, 2022, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0
Anm.: Vom älteren jüdischen Begräbnisgelände – vermutlich vom 17. bis Anfang des 19.Jahrhunderts in Nutzung – gibt es heute keine Spuren mehr; die Grabsteine sind „verschwunden“.
Im heutigen Salzkottener Stadtteil Niederntudorf lebten von ca. 1720 bis Anfang des 20.Jahrhunderts jüdische Familien; um 1855 hatte ihre Anzahl mehr als 65 Personen betragen. Die kleine jüdische Gemeinschaft verfügte über eine schlichte Fachwerk-Synagoge, die 1907 durch Brandstiftung schwer beschädigt wurde. Auch ein kleines Begräbnisgelände am Wasserberg stand seit der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts zur Verfügung; auf dem Gelände findet man heute noch sieben Grabsteine.
In Oberntudorf schienen nur kurzzeitig jüdische Familien gewohnt zu haben.
Jakob Loewenberg wurde 1856 in Niederntudorf als Sohn eines Hausierers geboren. Nach seiner Ausbildung zum Elementarlehrer besaß er mehrere kurzzeitige Anstellungen. Nach Auslandsaufenthalten begann er ein Studium in Marburg und Heidelberg und schloss dieses mit seiner Promotion ab. - 1891 gehörte Jakob Loewenberg zu den Gründern der „Literarischen Gesellschaft Hamburg“; durch zahlreiche Publikationen machte er sich einen Namen. Im Alter von 73 Jahren verstarb Jakob Loewenberg; er wurde auf dem jüdischen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf begraben.
Weitere Informationen:
Ernst Loewenberg, Jakob Loewenberg. Lebensbild eines deutschen Juden, in: "Jahrbuch für jüdische Geschichte und Literatur", 29/1931, S. 99 - 151
Bernhard Kößmeier, Das Schicksal der Salzkottener Juden in der Zeit des Dritten Reiches, Examensarbeit zur 1.Prüfung für das Lehramt an Grund- u. Hauptschulen an der Universität-Gesamthochschule Paderborn 1976
B. Wacker/M.Th.Wacker, ... verfolgt, verjagt, deportiert - Juden in Salzkotten 1933 - 1942. Eine Dokumentation aus Anlaß des 50.Jahrestages der “Reichskristallnacht” vom 9./10.November 1938, Hrg. Arbeitskreis “Juden in Salzkotten”, Salzkotten 1988
Stadt Salzkotten/’Gedenken in Salzkotten e.V.’ (Hrg.), Ehemalige jüdische Bürger besuchen Salzkotten, Eigenverlag 1992
W.Kempf/B.Wacker, Jakob Loewenberg 1856 - 1929. Erinnerungen an sein Leben und Werk, Eigenverlag 1992
Donate Strathmann, Vom Schutzverwandten des Fürstbischofs zu Deutschen jüdischen Glaubens - Ausschnitte aus der Geschichte der jüdischen Gemeinde Salzkotten (1803 - 1870/71), in: 750 Jahre Stadt Salzkotten, Paderborn 1996, S. 753 - 781
A. Westmark/U. Fahle, Das Schulwesen in der Stadt Salzkotten - 3. Die jüdische Schule, in: 750 Jahre Salzkotten - Geschichte einer westfälischen Stadt, Hrg. Stadt Salzkotten, Paderborn 1997, S. 1010 - 1017
Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Regierungsbezirk Detmold, J.P.Bachem Verlag, Köln 1998, S. 472 - 477
G. Birkmann/H. Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen u. Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 196/197
Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 472/473
Diethard Aschoff, Händler und Hausierer. Zum Judenbild in Salzkotten im 19.Jahrhundert, in: "Salzkotten. Salzkottener Heimatblätter", 7/1999
Bernd Wacker/Marie-Theres Wacker, “Ausgelöscht. Erinnerung an die jüdische Gemeinde Salzkotten”, Hrg. Judentum in Salzkotten e.V., Eigenverlag 2002 (Anm.: hier auch ausführliche Darstellung des Friedhofs)
Margit Naarmann, Ende und Neuanfang. Zum Schicksal der ländlichen Juden im Hochstift Paderborn 1933 – 1945, in: Stefan Baumeier/Heinrich Stiewe (Hrg.), Die vergessenen Nachbarn. Juden auf dem Lande im östlichen Westfalen, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2006, S. 237 ff.
Bernd Wacker (Bearb.), Salzkotten, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Detmold, Ardey-Verlag, Münster 2013, S. 680 – 693 (incl. Niederntudorf)
Zur Geschichte der Juden in Salzkotten siehe: Internetportal des Arbeitskreises “Juden in Salzkotten”, online unter: judentum-in-salzkotten.de
Karl Finke (Red.), Ehemaliger jüdischer Friedhof in Salzkotten erfordert Umplanung, in: “NW - Neue Westfälische” vom 2.4.2017
Auflistung der in Salzkotten verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Salzkotten
Johannes Büttner (Red.), Heimatverein will den jüdischen Friedhof in Niederntudorf würdevoller gestalten, in: “NW – Neue Westfälische” vom 28.8.2024
Hanne Hagelgans (Red.), Heimatverein Niederntudorf erinnert an jüdischen Musiker Alfred Rose, in: “Wesrfalen-Blatt” vom 22.11.2024