Schermbeck (Nordrhein-Westfalen)

Jüdische Gemeinde - Wesel/Niederrhein (Nordrhein-Westfalen) Datei:Schermbeck in WES.svg Die Kommune Schermbeck mit derzeit fast 14.000 Einwohnern (Kreis Wesel) liegt zwischen der Region Niederrhein und dem westfälischen Münsterland – ca. 15 Kilometer östlich von Wesel (Ausschnitt aus hist. Karte von ca. 1795 ohne Eintrag von Schermbeck, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Kreis Wesel', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Der älteste vorhandene namentliche Hinweis auf den Aufenthalt eines Juden in Schermbeck stammt aus einer Eintragung im Kirchenbuch der evangelischen Gemeinde des Jahres 1676. Bis in die ersten Jahrzehnte des 19.Jahrhunderts blieb die Gemeinde stets sehr klein (maximal vier Familien); erst danach nahm die Zahl der hier ansässigen jüdischen Familien zu und erreichte um 1850/1860 mit knapp 100 Angehörigen ihren Höchststand; damit war die jüdische Gemeinde in Schermbeck damals die größte Landgemeinde am Niederrhein.

Gottesdienstliche Zusammenkünfte der religiös-orthodox eingestellten Familien fanden zunächst in einem Privathause statt; 1810 errichtete die kleine Gemeinde mitten im Ort, an der Georgstraße, ein Synagogengebäude.

Synagoge in Schermbeck (hist. Aufn., repro Scheffler)

In einem Privathaus unmittelbar neben der Synagoge waren Schulraum und Mikwe untergebracht. Die jüdischen Familien von Krudenburg suchten zeitweilig auch die Schermbecker Synagoge auf; noch heute erinnert der sog. „Judenpfad“ an den Weg der Juden zum Gottesdienst nach Schermbeck. Nachweislich seit 1793 wurden jüdische Kinder von einem Privatlehrer unterwiesen; eine 1840 gegründete private Schule schloss bereits nach zwei Jahrzehnten wieder; danach besuchten die Kinder die Evangelische Volksschule am Ort.

Eine jüdische Begräbnisstätte existierte bereits seit der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts; wahrscheinlich handelte es sich dabei um den noch heute existierenden Friedhof an der Gartenstraße. Der erste urkundliche Nachweis für die Bestattung eines jüdischen Mädchens in Schermbeck stammt aus dem 17. Jahrhundert; so belegt eine Notiz im Kirchenbuch der evangelischen-lutherischen Kirchengemeinde, dass am 30. August 1678 das Kind des Juden Isaac auf "dem bösen bergh" beerdigt wurde. 

Juden in Schermbeck:

         --- um 1650/80 .....................   3 jüdische Familien,

    --- 1812 ...........................   6     “        “   ,

    --- 1845 ....................... ca.  18     “        “   ,                          

    --- 1855 ...........................  97 Juden (ca. 11% d. Einw.),

    --- 1927 ...........................  13   “  ,

    --- 1939 ...........................   6   “  ,

    --- 1942 ...........................   keine.

Angaben aus: Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Reg.bez. Düsseldorf, S. 607/608

Auf einer Skulptur des Stadtbrunnens ist der frühneuzeitliche historische Ort Schermbeck dargestellt (Aufn. Uwe Barghaan, 2015, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Die Mehrzahl der jüdischen Familien Schermbecks lebte vom Viehhandel, einige übten nebenher den Beruf des Metzgers ein, wieder andere betrieben Kleinhandel. Ende des 19.Jahrhunderts setzte eine starke Abwanderung ein, die die Gemeinde innerhalb weniger Jahrzehnte stark dezimierte; um 1925 lebten nur noch etwa 15 Bewohner jüdischen Glaubens in Schermbeck.

Das bis in die Mitte der 1930er Jahre sporadisch genutzte Synagogengebäude wurde während des Novemberpogroms von 1938 von Angehörigen von SS und HJ verwüstet. Eine Brandlegung des Synagogengebäudes unterblieb wegen der Nähe anderer Gebäude; die Inneneinrichtung und die Kultgegenstände wurden aber ins Freie getragen und dort verbrannt. Auch Anwesen jüdischer Bewohner wurden beschädigt. Nur wenig später verließ die jüdische Familie Adelsheimer ihren Heimatort Schermbeck. Die sechs zurückgebliebenen jüdische Bewohner wurden vermutlich 1942 von hier aus deportiert. 

In den letzten Kriegswochen wurde das ehemalige Synagogengebäude durch einen Luftangriff zerstört.

Seit dem Jahre 1934 existierte nahe Schermbeck das vom „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“ eingerichtete überregionale Bildungs- und Freizeitzentrum „Haus Bertha”; es entwickelte sich zu einer Haschara-Ausbildungsstätte für emigrationswillige Jugendliche, die hier für ihr künftiges Leben in Palästina geschult wurden. 1937 wurde das Haus von der Gestapo geschlossen und ein Jahr später zerstört.

 

Der jüdische Friedhof - heute ein parkähnliches Gelände - befindet sich mitten im Wohngebiet in der Gartenstraße an der höchsten Stelle auf dem Bösenberg, unweit vom oberen Mühlenteich. Der älteste von ca. 30 noch vorhandenen Grabstein datiert von 1801.

In der Nähe des Eingangs stehen zwei Gedenksteine, die an jene jüdischen Bürger Schermbecks erinnern, die während der NS-Gewaltherrschaft deportiert und ermordet wurden.

Bildergebnis für jüdischer friedhof schermbeck geschichtsverein https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/ee/Schermbeck_Baudenkmal_34_Juedischer_Friedhof_2020-05-16.jpg/800px-Schermbeck_Baudenkmal_34_Juedischer_Friedhof_2020-05-16.jpg

jüdischer Friedhof (Aufn. Heimat- u. Geschichtsverein Schermbeck  und  W.Strickling, 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Eine Gedenktafel erinnert heute an den Standort des einstigen Synagogengebäudes und an die frühere jüdische Gemeinde.

 Seit 2010 gehört Schermbeck zu den Orten, in denen sog. „Stolpersteine“ verlegt wurden (Aufn. Berthold Fehmer); in der Georgsstraße liegen vier messingfarbene Steinquader, die Angehörigen der jüdischen Familie Schönbach gewidmet sind.

 

 

 

Im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts lebten in Krudenburg (heute ein Ortsteil von Hünxe) angeblich vier jüdische Familien, die die etwa zehn Kilometer entfernte Synagoge in Schermbeck aufsuchten und dazu den sog. "Judenweg" nutzten. Bestattungen fanden aber auf einem kleinen Areal in Krudenburg statt. Auf Grund der nur kurzzeitigen Nutzung des Geländes sind kaum Grabrelikte vorhanden. Ein Gedenkstein ist Verstorbenen der Familien Seligmann Wolf und Aaroin Wolf gewidmet.

Datei:Hünxe Baudenkmal 41 Jüdischer Friedhof Krudenburger Weg 2230.jpgjüdischer Begräbnisplatz in Krudenburg (Aufn. W.Strickling, 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

Hinweis: Auf dem Krudenburger Friedhof sind 1920 sieben 'Rotfrontkämpfer' beerdigt worden, die während des Spartakistenaufstandes in Drevenack ums Leben gekommen waren.

 

 

 

Weitere Informationen:

Wolfgang Bornebusch, Die Geschichte der jüdischen Gemeinde - 200 Jahre jüdisches Leben in Schermbeck, in: "Gemeindebrief der Evang. Kirchengemeinde Schermbeck", Juni 1980 u. Oktober 1981

Andrea Kammeier, Die ehemalige jüdische Gemeinde in Schermbeck, in: "Beilage zum Gemeindebrief der Evang. Kirchengemeinde Schermbeck", Okt. 1982

Andrea Kammeier/Wolfgang Bornebusch, Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Schermbeck, in: "Heimatkalender des Kreises Wesel", 9/1988, S. 122 - 129

Erhard Roy Wiehn/Marga L. Randall, Als sei es erst gestern geschehen. Jüdische Schicksale aus Schermbeck 1930 - 1997, Konstanz 1997

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 474/475

C. Friemond, Erinnerung an verdienten Schermbecker: Gedenkstein für jüdische Familie, in: "NRZ - Neue Ruhr-Zeitung" vom 20.12.2000

Elfi Pracht-Jörns, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil II: Regierungsbezirk Düsseldorf, J.P. Bachem Verlag, Köln 2000, S. 607 - 610

hs (Red.), Erinnerungen an die jüdische Gemeinde, in: rp-online.de vom 30.9.2017

Andrea Kammeier-Nebel/Walter Schiffer (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Schermbeck. Ein kleiner Leitfaden, Dorsten 2017

Petra Bosse (Red.), Jüdisches Museum Dorsten entwickelte einen Geocache zum jüdischen Friedhof Schermbeck, in: dorsten-online.de vom 22.3.2019

Jüdischer Friedhof Krudenburg, online abrufbar unter: kuladig.de/Objektansicht/KLD-273482

Tobias Harmeling (Red.), Schermbeck: Ein Blick in die Vergangenheit auf dem Böseberg, in: „NRZ – Neue Ruhr-Zeitung“ vom 31.3.2021

Helmut Scheffler (Red.), Zu Fuß zur letzten Ruhestätte, in: rp-online.de vom 3.11.2021 (betr. jüdischer Friedhof Hünxe-Krudenburg)

Harald Lordick (Bearb.), " ...eine richtige Hachschara“ - Das jüdische Ferienheim ‚Haus Berta‘ bei Schermbeck 1934/35, in: Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte aus dem Salomon Ludwig Steinheim-Institut an der Universität Duisburg-Essen, Heft 2-4 (2022)