Schwanfeld (Unterfranken/Bayern)
Schwanfeld ist eine kleine Kommune mit derzeit ca. 1.800 Einwohnern im unterfränkischen Landkreis Schweinfurt – ca. 20 Kilometer südlich von Schweinfurt gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Schweinfurt', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im Dorfe Schwanfeld gab es im Mittelalter eine jüdische Gemeinde; diese wurde 1298 während der sog. „Rindfleisch-Verfolgungen“ ausgelöscht, als marodierende Bauern die „Judischheit” wegen ihres „Frevels am Leib und Blut Christi” ermordeten; über die Opfer unter den Schwanfelder Juden berichten die Memorbücher von Nürnberg und Mainz.
Erst um 1540 lebte dann nachweislich wieder ein Schutzjude in Schwanfeld. Mit dem Ende der Dorfherrschaft des Hochstifts Würzburg (1554) übten Reichsritter in den Folgejahrzehnten hier die Grundherrschaft aus, die eine relativ judenfreundliche Politik betrieben, indem sie ihren jüdischen Bewohnern gewisse Freiheiten gewährten (Anlage eines Friedhofs, eigene Gerichtsbarkeit, u.a.).
Eine neue israelitische Gemeinde bildete sich gegen Ende des 16.Jahrhunderts heraus, die kontinuierlich bis in die NS-Zeit fortbestand; vermutlich waren es aus Würzburg ausgewiesene Juden, die sich im verkehrsgünstig gelegenen Schwanfeld - mit Genehmigung des dortigen Grundherrn – niedergelassen hatten. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte eine 1784 errichtete "Schul" (Synagoge) in der heutigen Wipfelder Straße; auch ein rituelles Bad war hier vorhanden. Doch bereits um 1570 soll die Ortsherrschaft die Einrichtung einer Betstube gestattet haben.
Anzeigen von 1909 und 1925
1579 war auf einem Hügel südöstlich des Ortes eine Begräbnisstätte angelegt worden. Das Grundstück war den Juden vom damaligen Grundherrn, Konrad von Grumbach, gegen festgelegte Zahlungen zur Verfügung gestellt worden. So wurde beim Begräbnis eines Kindes ein halber Gulden, bei dem eines Erwachsenen ein Gulden fällig. Den Schwanfelder Bezirksfriedhof benutzten bis 1940 die folgenden Gemeinden: Bibergau, Dettelbach, Estenfeld, Gochsheim, Rimpar, Schwebheim, Theilheim, Untereisenheim und auch Zeilitzheim. Auf dem Friedhofsgelände gab es ein zweigeschossiges Tahara-Haus, das seit 1712 von der örtlichen Chewra Kadischa in Nutzung war. Die Bestattungen erfolgten zumeist in nach Geschlchtern abgetrennten Sektionen.
weitläufiges Friedhofsgelände (hist. Aufn., um 1925/1930)
Die jüdische Gemeinde Schwanfeld unterstand Anfang der 1930er Jahre dem Bezirksrabbinat Schweinfurt.
Juden in Schwanfeld:
--- 1604 ........................ 8 jüdische Familien,
--- 1621 ........................ 12 " " ,
--- 1675 ........................ 7 " " ,
--- 1725 ........................ 13 " " ,
--- 1763 ........................ 6 " " ,
--- 1816 ......................... 230 Juden (ca. 35% d. Dorfbev.),
--- 1832 ......................... 194 “ ,
--- 1867 ......................... 170 " (ca. 18% d. Dorfbev.),
--- 1880 ......................... 150 " ,
--- 1885 ......................... 185 “ ,
--- 1890 ......................... 152 “ ,
--- 1910 ......................... 114 “ (ca. 12% d. Dorfbev.),
--- 1925 ......................... 81 “ ,
--- 1933 ......................... 58 “ ,
--- 1935 ......................... 55 “ ,
--- 1939 ........................ 14 " ,
--- 1942 (Febr.) ................. 10 “ ,
(Okt.) .................. keine.
Angaben aus: Baruch Z.Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 397
und W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, S. 1545
Das Zusammenleben christlicher und jüdischer Familien in Schwanfeld war im ausgehenden 18.Jahrhundert zeitweise von "Bedrängnissen und Excessen" geprägt; um Abhilfe zu schaffen, erging ein fürstbischöfliches Dekret, das den betroffenen Juden einen Schutz ihres Eigentum garantierte. Innerhalb der Schwanfelder Judenschaft gab es deutliche soziale Unterschiede; so gehörten die drei als Viehhändler tätigen Gebrüder Schlom (später: Gattmann) zu den wohlhabenden Gemeindeangehörigen.
Die jüdische Gemeinde in Schwanfeld erreichte Anfang des 19.Jahrhunderts ihren zahlenmäßigen Höchststand. Für den Ort waren insgesamt 34 Matrikelstellen ausgewiesen. Als Lebenserwerb der eingetragenen Familienvorstände war zumeist „Warenhandel“ angegeben. Zu dieser Zeit war jeder dritte Dorfbewohner mosaischen Glaubens.
1866 soll es in Schwanfeld zu pogromartigen Ausschreitungen gekommen sein, bei denen Juden misshandelt und Eigentum zerstört bzw. beschädigt wurde.
aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 23. Mai 1866
Ab den 1880er Jahren setzte eine starke Abwanderung von Juden ein; die Zahl der Gemeindeangehörigen nahm rapide ab; zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch knapp 60 Juden in Schwanfeld.
Während des Novemberpogroms von 1938 wurden Einrichtung und Ritualgegenstände der Synagoge vollständig zerstört; das Gebäude blieb erhalten. Auch Wohnungen jüdischer Familien wurden demoliert; für die Ausschreitungen im Dorf sollen auswärtige SA-Angehörige verantwortlich gewesen sein. In den folgenden Wochen wurden die Schwanfelder Juden gezwungen, ihren Grundbesitz weit unter Wert zu verkaufen. Zwischen 1936 und 1940 verließen 40 jüdische Dorfbewohner ihren Heimatort; die allermeisten emigrierten in die USA, etwa zehn zogen in deutsche Städte.
Die zehn in Schwanfeld verbliebenen Juden wurden im April 1942 - via Würzburg - nach Izbica bei Lublin bzw. im September 1942 nach Theresienstadt deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...“ sind 55 aus Schwanfeld stammende bzw. längere Zeit hier wohnhaft gewesene jüdische Bürger Opfer des Holocaust geworden (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe. alemannia-judaica.de/schwanfeld_synagoge.htm).
Das ehemalige Synagogengebäude wurde nach 1945 über längere Zeit als Kino genutzt; später diente es als Wohnhaus; heute ist hier ein Jugendheim untergebracht. Auch das Gebäude der einstigen jüdischen Schule blieb erhalten; es ging später in Privatbesitz über.
Gedenkstätte (Aufn. aus: Schwanfeld.Bavaria.Germany, kehilalinks.jewishgen.org)
Eine Stele der im Jahre 2006 eingeweihten kleinen Gedenkstätte trägt die Inschrift: „Die Gemeinde Schwanfeld gedenkt ihrer ehemaligen jüdischen Mitbürger - Zur Erinnerung und Mahnung“. Im Rahmen des Projektes „DenkOrt Deportationen 1941-1944“ erinnert die Kommune Schwanfeld mit einer steinernen „Rucksack-Skulptur“ an die Deportationen ehemaliger jüdischer Bewohner; diese Sandstein-Skulptur wurde in die bestehende Gedenkstätte integriert; deren Doublette ist Teil des zentralen Mahnmals in Würzburg.
"Rucksack-Skulptur" (Aufn. Michael Stolz, 2020, aus: denkort-deportationen.de)
Auf Beschluss des Gemeinderates (2020) sollen künftig insgesamt 17 sog. "Stolpersteine" in Schwanfeld verlegt werden.
Ein eindrucksvolles Zeugnis für die jüdische Geschichte Schwanfelds und seiner Umgebung legt der großflächige, ca. 17.500 m² umfassende jüdische Friedhof mit seinen ca. 2.200 Grabsteinen ab; bis auf den heutigen Tag sind noch sehr viele alte Grabsteine vorhanden. Die unter Denkmalschutz stehende Anlage macht einen sehr gepflegten Eindruck. Am zweigeschossigen Tahara-Haus (im Obergeschoss war ein Betsaal untergebracht) ist eine Gedenkplatte mit folgender Inschrift angebracht:
In der Gemeinde SCHWANFELD lebten seit 1298 zahlreiche jüdische Familien.
Seit 1579 bestand eine Jüdische Kultusgemeindemit Gericht, Schule, Synagoge und Friedhof.
ZUR ERINNERUNG UND MAHNUNG.
Im Erdgeschoss des Tahara-Hauses befindet sich heute noch ein steinerner Waschtisch, der einst zur Durchführung der rituellen Reinigung diente; auch ein Brunnen innerhalb des Gebäudes ist zudem noch vorhanden.
Taharahaus und steinerner Waschtisch (Aufn. Tilmann, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Teilansichten des jüdischen Friedhofs (Aufn. Tilman, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
In Erinnerung an einen aus Schwanfeld stammenden jüdischen Viehhändler trägt heute der Weg, der zum jüdischen Friedhof führt, den Namen „Ludwig-Gutmann-Weg”
Ludwig Gutmann (geb. 1902) konnte auf ein äußerst bewegtes Leben zurückblicken, das ihn über Jahre hinweg über NS-Konzentrationslager (hier gelang ihm die Flucht) auch in verschiedene Straf- und Zwangsarbeitslager in der Sowjetunion führte, wo er wegen angeblicher "Spionage" festgesetzt worden war. Bereits 1942 waren seine Frau und sein Sohn nach ihrer Deportation nach Jungfernhof ermordet worden. Ludwig Gutmann - inzwischen in Deutschland amtlich für tot erklärt - kehrte erst 1955 aus der UdSSR zurück. Seine Restitutionsansprüche konnte er – nach langwierigen Prozessen – aber nicht durchsetzen, da die Fristen abgelaufen waren !
Anmerkung: Im letzten Viertel des 18.Jahrhunderts zogen – unter der vormundschaftlichen Regentschaft von Herzogin Anna Amalia - einige wenige jüdische Familien nach Weimar; eine war die Händlerfamilie von Jakob Elkan aus Schwanfeld, aus der später das Bankhaus seines Sohnes Elkan hervorging, der 1833 zum Großherzoglicvh Sächsisch-Weimarischen Hofbankier aufstieg.
Jacob Elkan, der 1742 in Schwanfeld geboren wurde, war 1770 zum „Hofjuden“ der Fürsten von Sachsen-Weimar ernannt worden. Im Hause der Fam. Elkan stand für die wenigen jüdischen Bewohner Weimars ein Betraum zur Verfügung, Zudem erwarb man ein Grundstück und legte um 1775 hier einen Begräbnisplatz für ihre Familie an.
Etwa drei Kilometer nördlich Schwanfelds existierte in Theilheim, einem heutigen Ortsteil von Waigolshausen, eine jüdische Gemeinde.
[vgl. Theilheim (Bayern)]
In Untereisenheim/Main - heute Ortsteil des Marktes Eisenheim südlich von Schwanfeld gelegen - gab es bis 1938 auch eine sehr kleine israelitische Gemeinde, deren Wurzeln im 18.Jahrhundert liegen. Die Zahl der Gemeindeangehörigen erreichte aber zu keiner Zeit mehr als 50 Personen. Die Untereisenheimer Juden gehörten dem Distriktrabbinat Kitzingen an. Verstorbene wurden auf dem jüdischen Friedhof in Schwanfeld begraben. Ein Ende der 1860er Jahre erbautes Synagogengebäude wurde nur wenige Jahrzehnte regelmäßig genutzt; nach 1900 fanden gottesdienstliche Zusammenkünfte nur noch selten statt.
Um 1930 zählte die kleine Gemeinschaft nur noch zehn Personen. Noch vor dem Novemberpogrom von 1938 wurde das 1868 errichtete Synagogengebäude verkauft und anschließend als Getreidespeicher genutzt; es wurde Anfang der 1970er Jahre abgerissen. Namentlich sind neun aus Untereisenheim stammende jüdische Bewohner bekannt, die Opfer der „Endlösung“ geworden sind.
[vgl. Untereisenheim (Unterfranken/Bayern)]
In Öttershausen – einem Weiler auf der Gemarkung des Volkacher Ortsteils Gaibach – bestand eine aus nur wenigen Familien sich zusammensetzende israelitische Gemeinde bis ca. 1875, die eng mit der Gemeinde von Zeilitzheim verbunden war; ihre Entstehung geht vermutlich ins 18.Jahrhundert zurück. Angeblich sollen sich bereits in der zweiten Hälfte des 15.Jahrhunderts in der unmittelbaren Region Juden aufgehalten bzw. zeitweilig hier gelebt haben.Um 1815 lebten in dem Weiler acht jüdische Familien mit ca. 40 Personen; ihren Lebenserwerb bestritten sie mehrheitlich die Familien von Viehhandel und der Landwirtschaft. Trotz der geringen Zahl der Gemeindemitglieder erstellte die Gemeinschaft um 1860 einen Mehrzweckbau, in dem sich der Betraum mit Religionsschule befand.Einen eigenen Friedhof schien es hier nicht gegeben zu haben. Aufgelöst wurde die Gemeinde um 1875, als nur noch zwei Familien im Dorfe lebten..
Weitere Informationen:
N.N. (Red.), Spätheimkehrer. Es mag eine Härte sein, in: „Der SPIEGEL“ vom 30.4.1957 (betr. Ludwig Gutmann aus Schwanfeld)
Baruch Z.Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, Oldenbourg-Verlag, München 1979, S. 397/398
Armin Römmelt, Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Schwanfeld - Judenfriedhof Schwanfeld, Selbstverlag der Gemeinde Schwanfeld, o.J.
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 1992, S. 118/119 und S. 127
Armin Römmelt, Dorfchronik von Schwanfeld, 2.Aufl., Schwanfeld 1999
Schwanfeld, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Untereisenheim, in: alemannia-judaica.de
Öttershausen, in: alemannia-judaica.de
Dirk Rosenstock (Bearb.), Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg", Band 13, Würzburg 2008, S. 240/241
Ulrich Knufinke, Bauwerke jüdischer Friedhöfe in Deutschland, in: "Schriftenreihe der Bet-Tfila-Forschungsstelle für Jüdische Architektur in Europa", No. 3, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2007, S. 80/81 (betr. Taharahaus in Schwanfeld)
Lothar Mayer, Jüdische Friedhöfe in Unterfranken, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2010, S. 162 − 167
Kommune Schwanfeld (Hrg.), Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Schwanfeld, online abrufbar unter: schwanfeld.de/Die_Geschichte_der_juedischen_Gemeinde_Schwanfeld.html
Schwanfeld, in: Jüdische Friedhöfe in Bayern, hgr. vom Haus der Bayrischen Geschichte, online abrufbar unter: hdbg.de/juedische-friedhoefe/friedhoefe/friedhof_schwanfeld.php (mit zahlreichen Aufnahmen vom Friedhof)
Uwe Eichler (Red.), Schwanfeld. Wie der jüdische Landiwrt Ludwig Gutmann aus Schwanfeld das KZ überlebte, in: „Main-Post“ vom 21.5.2015
Ursula Lux (Red.), Schwanfeld: Der israelitische Friedhof: versunken im Gras – Zeichen der Endlichkeit, in: „Main-Post“ vom 3.11.2016
Hans-Peter Hepp (Red.), Schwanfeld erinnert an die Deportation jüdischer Mitbürger, in: „Main-Post“ vom 12.3.2020
Hans-Peter Hepp (Red.), Gedenken an jüdische Mitbürger, in: „Main-Post“ vom 14.4.2020
Daniele Schneider (Red.), Schwanfeld. Ein DenkOrt der Erinnerung für Schwanfeld, in: „Main-Post“ vom 11.5.2020
Gerhard Gronauer/Hans-Christof Haas/Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Schwanfeld mit Untereisenheim, in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine … Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 1518 - 1553
Uwe Eichler (Red.), Schwanfeld. Auf der Spur der Steine, in: "Main-Post“ vom 29.9.2022