Schweinfurt (Unterfranken/Bayern)

Reichsstadt Schweinfurt umgeben vom Hochstift Würzburg, 18. Jh. Schweinfurt am Main mit derzeit ca. 55.000 Einwohnern ist heute die wichtigste Industriestadt in Nordbayern – ca. 35 Kilometer nordöstlich von Würzburg gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte aus dem 18.Jahrh., Lubiesque 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und Karte der Umgebung von Schweinfurt, M. Bemmerl 2018, aus: wikipedia.org, CCO).

 

Der erste urkundliche Beleg für den Aufenthalt eines Juden in der Reichsstadt Schweinfurt stammt aus dem Jahre 1212; auch in der Folgezeit lassen sich vereinzelt jüdische Familien in der Stadt nachweisen, die sowohl von den „Rindfleisch-Verfolgungen“ von 1298 als auch vom Pestpogrom von 1348/1349 betroffen waren.

1368 erhielt die Stadt Schweinfurt vom Kaiser Karl IV. das Privileg, in ihren Mauern erneut Juden aufnehmen zu dürfen. In der Folgezeit konnten die Juden, die sich in Schweinfurt niederließen, gegen Zahlung hoher Steuern relativ frei und sicher leben. Die Familien wohnten nahe des Marktplatzes im südlichen Viertel der Altstadt; hier befand sich auch ihre Betstube und ihr Tauchbad.

Die mittelalterliche jüdische Gemeinde Schweinfurt fand ihr Ende 1554/1555; damals bestand sie aus etwa 15 Familien, die ihren Lebensunterhalt im Geldverleih, aber auch im Handel, besonders mit Wein, bestritten. Ein Jahr später erhielt die Stadt Schweinfurt vom damaligen Kaiser Karl V. das Privileg, dass hinfuro wider iren Willen ainichenJuden oder Judin bey inen in die Stat Schweinfurt oder derselben zuhegörigen Vogteyen, Pflegen, Herrschafften, Ampten, Flecken, Dorffern und Guetern einzunemen, einzukommen und haußlich daselbst wonen zulassen, nit schuldig sein, noch darzue getrungen oder gehalten werden, in kain Weise, sonnder gentzlich davon gefreyt, entledigt und entbunden seyn sollen.

Das Motiv für das Vorgehen der Schweinfurter war die Tatsache, dass sie bei den Juden stark verschuldet waren und sich auf diesem Wege ihrer finanziellen Verpflichtungen entledigen wollten.

Reichsstadt Schweinfurt 1648.Beide Bilder: Matthäus Merian, Frankfurt a. M.

Schweinfurt – Stich von M. Merian, um 1650 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

Im Laufe des 17. und 18.Jahrhunderts wurde nur denjenigen Juden ein dauerhaftes Aufenthalts- bzw. Wohnrecht in Schweinfurt zugestanden, die sich zu einer Konvertierung zum christlichen Glauben bereit erklärten; hierbei handelte es sich aber nur um wenige Einzelpersonen. Jüdischen Händlern aus dem dörflichen Umland war allerdings des Betreten der Stadt - versehen mit einem "gelben Abzeichen" - zu den hier stattfindenden Märkten erlaubt gegen Entrichtung eines am Stadttor fälligen Leibzolls; am Abend mussten sie allerdings die Stadt wieder verlassen. Doch während des Dreißigjährigen Krieges wurde diese restriktive Anordnung von den Bürgern nicht immer befolgt, da diese - trotz Androhung von Strafen durch den Magistrat - jüdische Personen in ihren Häusern gegen Entrichtung einer Mietzahlung beherbergten.

Erst nach etwa 250 Jahren durften sich erneut jüdische Familien - mit landesherrschaftlicher Erlaubnis - in Schweinfurt niederlassen; dies erregte Unwillen insbesondere bei den Zünften und Gilden, die die jüdische Konkurrenz fürchteten.

Gegen die ablehnende Haltung der Schweinfurter Bevölkerung richteten Juden am 1.7. 1814 eine Petition an die Königliche Landesdirektion in Würzburg, in der es u.a. hieß:

“ ... Durch die allerhöchste Gnade des vorigen Landesherrn ist uns gestattet worden, unsere ... Wohnsitze nach Schweinfurth zu verlegen. Alls dises in Schweinfurth bekannt wurde, traten, aufgereizt durch Zunftmeister ganze Versammlungen übergesinnter Menschen, die einen theils aus der Conkurrenz, die rücksichtlich kaufmännische Geschäfte unserem Einzuge in Schweinfurth entstehen würde, Nachtheile wittern, anderen theils von einem schändlichen Eifer für Religion ... beseelt sind, zusammen, reizten die zum Theile von ihnen abhängige niedere Volksclasse auf, droheten auf den Fall, daß wir würcklich einzuziehen wagen sollten, laut Rebellion, Blutvergiesung und Mord und brachten es würcklich schon so weit, das jeder Jud der sich in das Städtchen Schweinfurth begibt - mit Steinen geworffen wird, und wir ... ohne Lebensgefahr nicht nach Hause kommen können.”

Nach dem Wegfall des sog. ‚Matrikelparagraphen’ 1861 siedelten sich auch in Schweinfurt vermehrt jüdische Familien an. Bereits 1863 gründeten sie hier eine Gemeinde. Etwa gleichzeitig wurde der Sitz des Rabbinatsbezirks von Niederwerrn nach Schweinfurt verlegt; erster Rabbiner wurde der seit 1840 in Niederwerrn tätige Distriktrabbiner Mayer (Maier) Lebrecht (1808-1890).

Ihren ersten Gottesdienst hielten die Juden Schweinfurts im Herbst 1862 in einem Gartenlokal in der Johannisgasse ab. Im September 1874 weihten sie in der Siebenbrückleinsgasse ihre Synagoge ein; zunächst wurden Gottesdienste in liberaler Form, später in traditionell-religiöser Form abgehalten.

                 Über die Einweihung berichtete das „Schweinfurter Tageblatt” am 5. September 1874:

Schweinfurt, 5.Sept. Gestern Nachmittags halb 5 Uhr anfangend ging die bereits angekündigte Einweihung der neuerbauten Synagoge in würdiger, ernstvoller Weise vor sich. Damit der Andrang nicht zu groß und die Räumlichkeiten nicht zu sehr überfüllt würden, wurden Einlaßkarten ausgegeben, ohne welche Niemand Zutritt hatte. An der Einweihung nahmen christlicherseits Theil der Magistrat, die Gemeindebevollmächtigten, die protest. Geistlichkeit und viele sonstige Bewohner der Stadt, ... Die Einweihungsfeier wurde programmgemäß mit Chor- und Sologesängen in Begleitung der Orgel, abwechselnd mit Gebeten, durchgeführt, an welche sich dann eine Festrede von dem Rabbiner Herrn Lebrecht anschloß. ... Das Gebäude, das einen erhebenden Eindruck auf den Beschauer macht, das über der Eingangspforte die hebräischen Worte: “Gesegnet, der da kommt im Namen des Ewigen ! Wir aus dem Hause des Ewigen grüßen Euch !” (Psalm 118 Vers 26) trägt und das im Innern sehr geschmackvoll eingerichtet ist, war am Eingang und im Innern mit Blumen und Gewächsen geziert und ist das erste in Bayern, das eine Orgel hat. - An diesen Bericht schließen wir noch den Wunsch an, daß in unserm Schweinfurt nicht durch Auswüchse des Fanatismus die Eintracht, die trotz der verschiedenen Glaubensgemeinschaften dennoch unter uns besteht, jemals gestört werde, sondern daß Alle als Söhne eines Gottes, als Menschen und Brüder friedlich nebeneinander leben mögen.

 Innenraum der Schweinfurter Synagoge (hist. Aufn.)

  Das berühmte Gemälde „In der Synagoge“ von Carl Spitzweg soll um 1855/1860 in Schweinfurt entstanden sein.

Das jüdische Gemeindehaus wurde 1888 vor der Synagoge in der Siebenbrückleinsgasse errichtet.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2099/Schweinfurt%20Israelit%2018041877.jpg      http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20211/Schweinfurt%20Israelit%2011081902.jpg

Empfehlung für einen Beschneider (Anzeige von 1877) und einen Thora-Schreiber aus Schweinfurt (Anzeige von 1902)

Anzeige aus der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 3.12.1925   http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20185/Schweinfurt%20Israelit%2003121925.jpg

Zu den Einrichtungen der Gemeinde gehörten seit Mitte der 1870er Jahre auch ein Friedhof (Gräberfeld auf dem kommunalen Friedhof) und eine Mikwe; in den Jahrzehnten zuvor waren Schweinfurter Juden in Euerbach, Gerolzhofen, Kleinsteinach und Schwanfeld begraben worden.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2099/Schweinfurt%20FrfIsrFambl%20%2031071908.jpg aus: "Frankfurter Israelitisches Familienblatt" vom 31.7.1908

Auf einer mittelalterlichen jüdischen Begräbnisstätte, die ursprünglich westlich vor den Toren Schweinfurts - nach der Stadterweiterung (um 1440) innerhalb des Mauerrings (im Bereich der heutigen Straße „Am Jägersbrunnen) - lag, sollen auch auswärtige Juden begraben worden sein. Der älteste noch vorhandene Grabstein datiert aus dem Jahre 1446. Von diesem mittelalterlichen Friedhof sind heute so gut wie keine Spuren vorhanden.

Juden in Schweinfurt:

         --- um 1540 ........................   6 jüdische Familien (ca. 55 Pers.),

    --- 1797 ...........................   4     "       "    ,

    --- um 1805 ........................   keine

    --- 1837 ...........................   16 Juden,

    --- 1852 ...........................   27   "  ,

    --- 1863 ...........................   14 jüdische Familien,

    --- 1867 ...........................  200 Juden (in 46 Familien, ca. 2% d. Bevölk.),

    --- 1875 ...........................  380   "   (in 72 Familien),

    --- 1880 ....................... ca.  410   “   (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1890 ...........................  352   “  ,

    --- 1900 ...........................  415   “  ,

    --- 1910 ...........................  428   “  ,

    --- 1925 ...........................  414   “  ,

    --- 1933 ...........................  363   “  ,

    --- 1935 (April) ...................  318   “  ,

    --- 1937 (Jan.) ....................  308   “  ,

    --- 1938 (Jan.) ....................  260   “  ,

    --- 1939 ...........................  120   “  ,

    --- 1940 (Jan.) ....................   67   “  ,

    --- 1942 (Nov.) ....................    3   “  .

Angaben aus: Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 398/399

und                 Uwe Müller (Hrg.), Dokumente jüdischen Lebens in Schweinfurt, S. 75

und                 W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, S. 1601

 

Geschäftsanzeigen jüdischer Gewerbebetriebe (um die Jahrhundertwende):

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2099/Schweinfurt%20Israelit%2012011885.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20304/Schweinfurt%20Israelit%2018061903.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20298/Schweinfurt%20Israelit%2007111901.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20211/Schweinfurt%20Israelit%2007091903.jpg

                       

                              Schuhfabrik Emil Heimann (Cramerstraße)                                             Schuhfabrik Silberstein & Neumann

                              Weinbrennerei L.Hirsch (Briefkopf) 

Zu Beginn der 1930er Jahre lebten knapp 400 jüdische Bewohner in Schweinfurt, die im Wirtschaftsleben der Stadt eine bedeutende Rolle spielten.

                 Aus dem „Schweinfurter Tageblatt” vom 2.April 1933:

Die Boykottbewegung in Schweinfurt

Kundgebung des Kampfbundes des gewerblichen Mittelstandes

Die Boykottbewegung gegen das Judentum setzte hier bereits Freitag nachmittag ein. SA-Posten nahmen mit Plakaten, welche als Aufschrift die Worte “Wer hier kauft, begeht Landesverrat !” trugen, vor einzelnen jüdischen Geschäften Aufstellung. Es kam in den Straßen der inneren Stadt zu großen Menschenansammlungen. Für Freitag abend hatte die NSDAP und der Kampfbund des gewerblichen Mittelstandes zu einer Kundgebung in den Saalbau eingeladen, die einen Massenbesuch aufzuweisen hatte. ... sprach der Kreisleiter der NSDAP Hedler, welcher in längeren Ausführungen darlegte, welchen ungeheuren Einfluß das Judentum im Laufe der Jahrzehnte in Deutschland erringen konnte. Es gelte nun, das Lebensrecht des deutschen Volkes zu erkämpfen, wobei in der Brechung der Machtstellung des Judentums ebenfalls ein Abwehrkampf zu erblicken sei. .... Die Ausführungen sämtlicher Redner wurden mit großem Beifall aufgenommen. Der Gesang einer Strophe des Horst-Wessel-Liedes beschloß die Kundgebung.

Nach der NS-Machtübernahme 1933 verstärkte sich die antisemitische Propaganda, die 1935 auch zu vereinzelten Gewaltakten führte. Im gleichen Jahre verstärkten die Kommunalbehörden die Aktion „Juden unerwünscht” und ließen entsprechende Schilder an Ortseingängen und öffentlichen Einrichtungen aufstellen.

 Nach mehr als vier Jahrzehnten, in denen Dr. Salomon Stein (1866-1938) als Bezirksrabbiner für insgesamt 25 Kultusgemeinden tätig war, wurde im Frühjahr 1934 dessen Stelle ausgeschrieben. 

            aus: "Bayerische Israelitische Gemeindezeitung" vom 15.1.1934

Nachfolger Dr. Steins als Bezirksrabbiner wurde Dr. Max Köhler (1899-1987), der dann 1939 nach England emigrierte.

Im Juli 1935 untersagte der Stadtrat allen Juden die Nutzung der städtischen Bäder. Trotz des Wirtschaftsboykotts gelang es vielen ansässigen Juden bis 1937, ihre traditionell starke Position im Viehhandel zu behaupten; erst Ende 1937 wurden sie vermehrt zur Aufgabe ihrer Geschäfte gezwungen.

Unmittelbar vor dem Novemberpogrom von 1938 fand auf dem Schweinfurter Marktplatz eine NSDAP-Großkundgebung statt. Auf Weisung der Gauleitung gingen SA-Leute in Zivil in den frühen Morgenstunden des 10.11.1938 ausgesprochen brutal gegen die Juden in Schweinfurt vor; vor aller Augen und unter Polizeiaufsicht wurden jüdische Bewohner aus ihren Häusern geschleppt und unter Beifall und Steinwürfen der Menschenmenge aus der Stadt getrieben; die etwa 20 Ladenschäfte und ihre Wohnungen waren inzwischen demoliert worden. In der Synagoge zertrümmerten die Täter sämtliche Einrichtungsgegenstände, einschließlich der Kultgeräte; wertvolle Bücher wurden in die brennende Synagoge geworfen. Im Synagogenhof hängte man eine Schlinge an einen Baum und rief dazu: „Daran wollen wir den Rabbi hängen!” Im Gemeindehaus wurden die Schulräume verwüstet, das Ritualbad zerstört.

            aus: „Schweinfurter Tageblatt” vom 11.11.1938

Aktiv an den Ausschreitungen beteiligt waren der Bürgermeister, der NSDAP-Kreisleiter und der Gauleiter. Etwa 30 jüdische Männer wurden in Haft genommen und ins KZ Dachau abtransportiert.

                 Über die Vorgänge berichtete der Oberbürgermeister der Stadt an die Staatspolizeistelle Würzburg:

Schweinfurt, den 7.Dezember 1938

.......

Unter Bezugnahme ... wird berichtet, daß bei der Aktion gegen die Juden in der Stadt Schweinfurt am 10.November 1938 etwa 33 jüdische Wohnungen zum Teil demoliert wurden. Die Demonstrationen bildeten sich im Laufe der Mittagszeit und setzten sich bis zum Eintritt der Dunkelheit fort. Unter den Demonstranten befanden sich Arbeiter, Angestellte usw. Auf welche Art und Weise sich diese Demonstranten zusammenfanden, ist nicht bekannt geworden. Die Polizei versah den üblichen Dienst und hat im übrigen dafür Sorge getragen, daß keine Mißhandlungen, Brandstiftungen und Plünderungen vorkamen. Es trifft somit auch nicht zu, daß schwerkranke, 80jährige Menschen auf die Straße getrieben wurden; man hat auch nicht wehrlose Frauen und Kinder im Viehhof zusammen getrieben und diese Juden mit Steinen beworfen. Die Hitlerjugend war nicht unterwegs. Daß sich derartigen Demonstrationen Jugend anschließt, ist selbstverständlich und nicht ohne Weiteres zu unterbinden. Mit Steinen wurden aber die Juden auch von diesen Jugendlichen nicht beworfen. Es ist auch nicht richtig, daß zerfetzte Betten auf den Strassen umherlagen, .... Die Demonstrationen am 10.11.1938 gegen die Juden verliefen ohne Störung des Verkehrs, dgl. Plünderungen und Brandstiftungen sind nicht zu verzeichnen. Die in den jüdischen Wohnungen offen vorhanden gewesenen Geldkassetten und Geldbeträge, sowie Wertgegenstände, wurden von der Polizei sicher gestellt. ... Die Aktion gegen die Juden wurde vom größten Teil der Bevölkerung gebilligt.

                                                                                           Der Oberbürgermeister         gez.   P ö s l  

(aus: Uwe Müller (Hrg.), Dokumente jüdischen Lebens in Schweinfurt, S. 57/58)

Im Frühjahr 1939 musste die jüdische Gemeinde Synagogengebäude und Gemeindehaus an die Stadt Schweinfurt verkaufen - weit unter Verkehrswert; beide Gebäude wurden später als Feuerwehrgerätehäuser benutzt.

Zwischen 1933 und 1941 hatten mehr als 200 Juden ihre Heimatstadt Schweinfurt verlassen und waren in andere deutsche Großstädte verzogen; im gleichen Zeitraum gingen nochmals mehr als 200 jüdische Bewohner Schweinfurts in die Emigration. 1942 wurde die Gemeinde aufgelöst; nun begannen die Deportationen der in Schweinfurt verbliebenen Juden und der aus den kleinen ländlichen Nachbargemeinden; direkt aus Schweinfurt wurden 52 Personen mosaischen Glaubens verschleppt. Ziele der Deportationen waren im April 1942 Izbica bei Lublin und im September 1942 Theresienstadt.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem sind insgesamt etwa 200 aus Schweinfurt stammende bzw. längere Zeit hier ansässig gewesene jüdische Personen bekannt, die der NS-Gewaltherrschaft zum Opfer gefallen sind; 52 Personen wurden direkt aus Schweinfurt via Würzburg deportiert (namentlich Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/schweinfurt_synagoge.htm).

Nur drei „in Mischehe“ verheiratete Juden überlebten die NS-Zeit in Schweinfurt.

Vier Jahre nach Kriegsende standen die Hauptverantwortlichen für die Pogromaktionen in Schweinfurt vor Gericht; mehrere ehem. NSDAP-Angehörige wurden zu kurzzeitigen Gefängnisstrafen verurteilt; andere gingen gegen die gefällten Urteile in Berufung und wurden schließlich nach jahrelangen Prozessen in den 1950er Jahren freigesprochen.

 

Am Standort des ehemaligen Synagogegebäudes in der Siebenbrückleinsgasse befindet sich heute ein Parkplatz; seit 1973 erinnert dort ein Gedenkstein an die einstige Synagoge Schweinfurts:

Hier stand die Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde unserer Stadt.

Sie wurde am 9.November 1938 ein Opfer des Rassenwahns -

Den Toten zum ehrenden Gedenken - Den Lebenden zur Erinnerung und Mahnung.

 Seit 2008 ergänzt eine Informationstafel den Gedenkstein (Aufn. J. Hahn, 2007).

2013 wurde diese kleine Gedenkstätte neu gestaltet, indem hier nun zusätzlich vier Stelen mit Informationen zur jüdischen Geschichte Schweinfurts aufgestellt wurden.

 

Jüdische Gräber auf dem Kommunalfriedhof (Aufn. Tilman, 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Auf dem jüdischen Friedhofsgelände - Teil des kommunalen Schweinfurter Hauptfriedhofes - erinnert seit 1991 ein Denkmal mit folgendem Text an die jüdischen Opfer des NS-Regimes:

Shalom - Friede

In den Jahren von 1933 bis 1945 wurde den jüdischen Menschen auch in Schweinfurt viel Leid und Unheil zugefügt. Viele mußten als Opfer der Naziherrschaft in Konzentrationslagern ihr Leben lassen.

Wir werden ihnen ein ehrenvolles Andenken bewahren.

Schweinfurt, den 21.Juli 1991 Shalom - Friede

Die Stadt Schweinfurt beteiligt sich - wie zahlreiche andere unterfränkische Kommunen - am Projekt "DenkOrt Deportationen 1941-1944" (vorher: „DenkOrt Aumühle“), das an die Verschleppung unterfränkischer Juden in die "Lager des Ostens" erinnert (vgl. dazu:  Würzburg).

Die Gepäckstücke - DenkOrt Aumühle Das künstlerisch gestaltete Gepäckstück - eine aus Beton gefertigte Koffer-Skulptur (Abb. aus: denkort-deportationen.de) - hat als Doublette an der Synagogen-Gedenkstätte in der Siebenbrückleinsgasse seinen Platz gefunden.

Künftig soll mitten in der Stadt ein Mahnmal an 75 deportierte und ermordete jüdische Schweinfurter Bürger erinnern (2024); für dieses Erinnerungsprojekt setzt sich die „Initiative gegen das Vergessen“ ein.

Schweinfurts erste Stolpersteine sind verlegt: Drei Steine erinnern an die  Familie Adler Seit 2022 nimmt auch Schweinfurt am europaweiten „Stolperstein“-Projekt teil; begonnen wurde mit der Verlegung von drei messingfarbenen Steinen in der Siebenbrückleinsgasse, die an Angehörige der Familie Adler* erinnern (Aufn. Désirée Schneider, aus. "Main-Post" vom 25.11.2022).

*Bernhard Adler (geb. 1869) war Religionslehrer und Gründer der ersten Privat-Handelsschule in Schweinfurt.

Weitere vier Steinquader erínnern an Angehörige der jüdischen Familie Tittel.Die Zerstörung der Schweinfurter Familie Tittel(Aufn. U. Eichler)

 

 

Auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Schweinfurt bestanden eine Reihe von jüdischen Gemeinden:

In Schonungen - wenige Kilometer mainaufwärts von Schweinfurt gelegen - gab es bis 1941 eine jüdische Gemeinde; ihre Anfänge lagen im 18.Jahrhundert, als die Herren von Thundorf hier einige jüdische Familien Ansässigkeit gewährten. Die Zahl der Gemeindeangehörigen war im 19.Jahrhundert mit etwa 60 bis 70 Personen nahezu konstant. Zu den Kultuseinrichtungen zählten eine 1856 in der Bachstraße erbaute Synagoge, ein Gemeindehaus mit Schulräumen und eine Mikwe. Beerdigungen fanden auf dem jüdischen Friedhof in Kleinsteinach statt. Ende des 19.Jahrhunderts führte Abwanderung dazu, dass sich die Zahl der jüdischen Bewohner in etwa halbierte; 1925 lebten noch etwa 35 Personen hier.

Während des Novemberpogroms von 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge vollständig zerstört. Mindestens acht Juden Schonungens wurden Opfer des Holocaust. Heute erinnert eine Gedenktafel - angebracht am ehemaligen Synagogengebäude - an die einstige Nutzung des Hauses. Dem Gebäude gegenüber steht ein Gedenkstein, dessen Inschrift zur Toleranz und Menschlichkeit mahnt.

vgl. Schonungen (Unterfranken/Bayern)

 

 

Im nur wenige Kilometer westlich Schweinfurts gelegenen Geldersheim existierte eine jüdische Landgemeinde von Mitte des 17.Jahrhunderts bis 1901. Zu den Kultuseinrichtungen gehörten eine eigene Synagoge und Mikwe; ein eigenes Beerdigungsgelände stand aber nicht zur Verfügung; so wurden verstorbene jüdische Dorfbewohner - zusammen mit denen aus Obbach und Kützberg - auf dem Euerbacher Friedhof bestattet

vgl. Geldersheim (Unterfranken/Bayern)

 

 

 

In Werneck – wenige Kilometer südwestlich Schweinfurts – gab es bis um 1900 eine kleine jüdische Kultusgemeinde, die im Laufe des 19.Jahrhunderts kaum mehr als 40 Angehörige besessen hat. Sie verfügte über einen Betsaal (mit Schulraum) und eine Mikwe. Nachdem sich die letzten Gemeindeangehörigen der Schweinfurter Gemeinde angeschlossen hatten, wurde der hiesige gemeindliche Besitz an Privatleute verkauft; das zu einem Wohnhaus umgebaute Synagogengebäude wurde in den 1970er Jahren abgerissen. 

vgl. Werneck (Unterfranken/Bayern)

 

 

 

Weitere Informationen:

Salomon Stein,* Zur Geschichte der Juden in Schweinfurt, in: "Blätter für jüdische Geschichte und Literatur", März 1902, S. 1 - 5

Salomon Stein, Zur Geschichte der Austreibung der Juden aus Schweinfurt, in: Archiv für Stadt und Bezirksamt Schweinfurt, 1906, S. 107 f.

Salomon Stein, Die Israelitische Kultusgemeinde zu Schweinfurt a.M. seit ihrer Neubegründung 1864 - 1914. Eine Jubiläumsschrift, Schweinfurt 1914

Salomon Stein, Die israelitische Kultusgemeinde Schweinfurt, II.Teil 1914 - 1930, Würzburg 1931

Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 398 - 401

Christine Horn, Das letzte Jahrhundert der reichsstädtisch-Schweinfurter Judengemeinde (1450 - 1555) . Ein Beitrag zur Geschichte der Juden im Spätmittelalter und am Beginn der Neuzeit, Diplomarbeit (unveröffentl.) Bamberg 1984

Doris Badel, Schweinfurt in der NS-Zeit. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in den Jahren 1933 - 1939, Magisterarbeit an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (unveröffentlicht), Würzburg 1985

Karl-Werner Hoppe, Beiträge zur Geschichte der Israelitischen Kultusgemeinde Schweinfurt, hrg. vom Stadtarchiv Schweinfurt, 1986

Martin Seibert, Reichskristallnacht in Schweinfurt - Facharbeit an der Staatlichen Fachoberschule Schweinfurt, Schweinfurt 1986

Heidi Barthel, Die jüdische Familie Mohrenwitz und ihre Verdrängung aus dem Wirtschaftsleben der Stadt Schweinfurt in der Zeit des Nationalsozialistischen Staates, Facharbeit an der Städtische Fachoberschule Schweinfurt, 1986

Harm-Hinrich Brandt (Hrg.), Zwischen Schutzherrschaft und Emanzipation. Studien zur Geschichte der mainfränkischen Juden im 19.Jahrhundert, in: "Mainfränkische Studien", No. 39, Würzburg 1987

Willy Adler, Eine Jugend in Schweinfurt - Erinnerungen eines ehemaligen jüdischen Mitbürgers an seine Heimatstadt Schweinfurt aus den Jahren 1904 bis 1934, in: "Veröffentlichungen des Historischen Vereins Schweinfurt", Sonderreihe Heft 12, Schweinfurt 1987 (2. Aufl., 2021)

Roland Flade, Der Novemberpogrom von 1938 in Unterfranken. Vorgeschichte - Verlauf – Augenzeugenberichte, Würzburg 1988, S. 84 f.

Bernward Deneke (Hrg.), “Siehe, der Stein schreit aus der Mauer”. Geschichte und Kultur der Juden in Bayern, Ausstellungskataloge des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg 1988

Uwe Müller, Salomon Stein (1866 - 1938) Distriktrabbiner von Schweinfurt, in: M.Treml/W.Weigang (Hrg.), Geschichte und Kultur der Juden in Bayern. Lebensläufe, "Veröffentlichungen zur Bayrischen Geschichte u. Kultur", 18/1988, München 1988, S. 231 - 234

Verschickt und verschollen ... 1942. Reichspogromnacht 1938 und Judenverfolgung in Schweinfurt, Hrg. DGB-Bildungswerk e.V. Kreis Schweinfurt, Schweinfurt 1989

U. Müller/B. Strobl (Hrg.), Dokumente jüdischen Lebens in Schweinfurt - Ausstellung des Stadtarchivs Schweinfurt aus Anlaß des Gedenkens an den 50.Jahrestag des Judenpogroms vom November 1988, in: "Veröffentlichungen des Stadtarchivs", 4/1990, Schweinfurt 1990

Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern - Eine Dokumentation, Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2.Aufl., München 1992, S. 60, S. 118, S. 120/121 und S. 135

Germania Judaica, Band III/2, Tübingen 1995, S. 1353/1360

Theodor Harburger, Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, Band 3: Markt Berolzheim - Zeckendorf, Hrg. Jüdisches Museum Franken - Fürth & Schnaiitach, Fürth 1998, S. 703 - 705

Michael Trüger, Der jüdische Friedhof Schweinfurt, in: "Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern", No. 82/2000, S. 14

Elisabeth Böhrer/Klaus Kurre, Friedhof Schweinfurt Cemetery, Abteilung 10 / Section 10, Namensliste / Name list, in: "Schweinfurter Mainleite - Sonderheft 2009", hrg. vom Historischen Verein Schweinfurt e.V., 2009  (Broschüre) 

Schweinfurt, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen Dokumenten zur jüdischen Gemeindehistorie)

Siegfried Bergler (Red.), Jüdisches Schweinfurt, Hrg. Evang.- Luth.Dekanat Schweinfurt (2006), online abrufbar unter: schweinfurt-evangelisch.de

Lothar Mayer, Jüdische Friedhöfe in Unterfranken, Petersberg 2010, S. 168 - 171

Stadt Schweinfurt (Hrg.), Margarita Calvary, geb. Silberstein – Geschichte einer Schweinfurter Jüdin, online abrufbar unter: schweinfurtfuehrer.de/persönlichkeiten/margarita-calvary-geschichte-einer-schweinfurter-jüdin/

Elisabeth Böhrer (Red.), Geschichte des jüdischen Lebens in Schweinfurt, online abrufbar unter: schweinfurtfuehrer.de/geschichte/geschichte-des-jüdischen-lebens-in-schweinfurt/

Hannes Helferich (Red.), Schweinfurt.  22.April 1942: Keiner überlebte die Deportation, in: „Main-Post“ vom 26.4.2017

Katja Beringer (Red.), Stadt beteiligt sich an Projekt DenkOrt Aumühle, in: „Main-Post“ vom 2.4.2019

Lena Berger (Red.), Initiative gegen das Vergesseb wünscht eine offene Diskussion, in: „Main-Post“ vom 10.7.2020

Elisabeth Böhrer/Klaus Kurre, Jüdischer Friedhof Schweinfurt – Namensliste und Belegungsplan, 2020 (Neuauflage der Broschüre von 2009 in englischer Fassung unter: "Jewish Cemetery Schweinfurt: Name list and plan")

Norbert Steiche/BR24 (Red.), DenkOrt für deportierte Juden auch in Schweinfurt gefordert, in: br.de/nachrichten/bayern vom 13.7.2020

Lena Berger (Red.), Leserforum: Eine Schande für Schweinfurt, in: „Main-Post“ vom 13.10.2020 (betr. Standort der Koffer-Skulptur)

Irene Spiegel (Red.), Koffermahnmal steht verloren an der Synagogen-Gedenkstätte, in: „Main-Post“ vom 15.12.2020

Nicolas Bettinger (Red.), Erinnerungskultur: Warum Schweinfurt Stolpersteine setzt, in: „Main-Post“ vom 27.3.2021

Gerhard Gronauer/Hans-Christof Haas (Bearb.), Schweinfurt mit Obereuerheim und Werneck , in: W.Kraus/H.-Chr. Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine Synagogengedenkband Bayern, Unterfranken, Teilband III/2.2, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2021, S. 1554 - 1611

Gerhard Gronauer (Red.), „Daran wollen wir den Rabbi hängen!“ Wie die Novemberpogrome 1930 in Schweinfurt jüdisches Leben vernichteten, in: „Sonntagsblatt 360° evangelisch“ vom 7.11.2021

Katharina Kraus (Red.), Erinnerung an NS-Opfer: Zum ersten Male Stolpersteinverlegung in Schweinfurt, in: „Schweinfurt City – Ausgabe der Main-Post“ vom 17.11.2022

Irene Spiegel (Red.), Stolpersteinverlegung in Schweinfurt: Eine E-Mail aus Berlin sorgt für Aufregung und Verwirrung, in: „Main-Post“ vom 1.11.2023

Uwe Eichler (Red.), Die Zerstörung der Schweinfurter Familie Tittel, in: „Main-Post“ vom 6.11.2023

Désirée Schneider (Red.), Schweinfurt bekommt ein Mahnmal für ermordete Jüdinnen und Juden: wo das „Denkzeichen“ entstehen soll, in: „Main-Posr“ vom 8.2.2024