Sprendlingen (Hessen)
Seit 1977 gehört Sprendlingen zur neu gegründeten Stadt Dreieich (Landkreis Offenbach), die mit ca. 40.000 Einwohnern zweitgrößte Kommune im Landkreis ist – sie liegt südlich von Frankfurt/Main (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Offenbach', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die Ersterwähnung eines Juden am Ort liegt aus den Jahren 1563/1564 vor, als „Seligmann, Jud zu Sprendlingen“ in den Akten der Grafen von Isenburg genannt wird. Erste Hinweise auf dauerhaftes jüdisches Leben in Sprendlingen datieren aus der Zeit um 1770; die dortigen Juden standen unter dem Schutz der Fürsten Ysenburg-Birstein. Die Synagoge in Sprendlingen wurde 1830/1831 erbaut und befand sich in der Hauptstraße. Zur Besorgung der rituell-religiösen Aufgaben war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war. Wie die zahlreichen Stellenangebote in der Zeitschrift "Der Israelit" zeigen, war die Lehrerstelle einer ständigen Fluktuation unterworden.
Anzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 2.Febr. 1869, 18.Sept.1878 und 4.Febr. 1892
... und vom 10.Juni 1903 und 21.März 1929
Langjähriger Lehrer/Vorsänger der jüdischen Gemeinde in Sprendlingen war Leopold Strauss (1848-1916).
Das 60jährige Synagogenjubiläum wurde seitens der jüdischen Gemeinde festlich begangen.
Anzeige aus: „Langener Wochenblatt“ vom 6.9.1890
Zu Beginn der 1830er Jahre konnte ein eigener Friedhof angelegt werden, der auch von Juden aus Neu-Isenburg, Dreieichenhain und Götzenhain mitgenutzt wurde; zuvor hatte Sprendlingen zum Friedhofsverband Offenbach gehört.
Ab 1875 stand in Dreieichenhain ein eigener Friedhof zur Verfügung, der auch Verstorbene aus Götzenhain und Offenthal aufnahm.
Die Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Offenbach.
Juden in Sprendlingen:
--- 1807 ......................... 13 jüdische Familien,
--- um 1830 ...................... 55 Juden,
--- 1861 ......................... 106 “ ,
--- 1871 ......................... 112 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1890 ......................... 89 “ ,
--- 1905 ......................... 77 “ ,
--- um 1920 ...................... 174 “ ,* * mit Neu-Isenburg
--- 1925 ......................... 39 “ ,
--- 1933/34 .................. ca. 100 “ (in ca. 30 Familien),*
--- 1939 ......................... 25 “ ,** ** andere Angabe: 15 Pers.
--- 1942 (Okt.) .................. keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 265
Im Zusammenhang der Hundertjahrfeier der Synagoge (1931) wurde mit hohen Kostenaufwand das Gebäude renoviert. In einem Artikel der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 10.9.1931 wurde über die Festlichkeit wie folgt berichtet: "Sprendlingen (Krs Offenbach), 7. Sept. Unsere unter großen finanziellen Opfern renovierte Synagoge kann in diesem Jahre auf ihr 100jähriges Bestehen zurückblicken. Am vergangenen Schabbat, dem Tage, an dem vor 100 Jahren die Einweihung stattgefunden hatte, konnte sie ihrer Bestimmung wieder zugeführt werden. Schon am Freitagabend hatte sich die gesamte Gemeinde, Männer und Frauen, in festlicher Stimmung im G‘tteshause zusammengefunden. Unter der Leitung des Herrn Kantor Schwarz brachte der Kinderchor mehrere Gesänge in prächtiger Weise zu Gehör. Der erste Vorsteher, Herr Lehrer Kaufmann, gedachte der Väter, die im Jahre 1831, auch einem Jahre wirtschaftlicher Not und Bedrängnis, unser G‘tteshaus errichtet und ermahnte, im Sinne der heimgegangenen Geschlechter das Vätererbe zu hüten. Im Verlauf des Morgeng‘ttesdienstes hielt Herr Kaufmann eine längere Ansprache, in der er sich über die Bedeutung des jüdischen G‘tteshauses ausließ und der Gemeinde die Aufgabe vor Augen stellte, sich als eine Stütze des gesetzestreuen Judentums zu bewähren. Außer der mehr internen Feier wird voraussichtlich noch eine offizielle Feier kurz nach den Feiertagen stattfinden."
Die jüdischen Familien Sprendlingens betrieben diverse Gewerbebetriebe, so einige Manufakturwarengeschäfte und Handwerkerbetriebe, zudem zwei Viehhandlungen. Die meisten in Sprendlingen lebenden Juden verließen bereits in den ersten Jahren der NS-Diktatur den Ort; ein Teil zog in deutsche Großstädte, zumeist nach Frankfurt/M.; mehr als 50 Personen emigrierten ins sichere Ausland.
Während des Novemberpogroms von 1938 setzten NS-Täter das Synagogengebäude in Brand, das völlig ausbrannte. Im September 1942 wurden die letzten 15 jüdischen Bewohner Sprendlingens - sie waren zuvor in zwei Häusern in der Hauptstraße zusammengelegt worden - ins besetzte Osteuropa deportiert; über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sollen 32 gebürtige bzw. längere Zeit in Sprendlingen ansässig gewesene jüdische Bewohner Opfer der Shoa geworden sein (namentliche Nennung siehe: alemannia-judaica.de/sprendlingen_of_synagoge.htm).
Auf Initiative der „Freunde Sprendlingens“ wurde 1979 am Rathaus eine Gedenktafel angebracht, die an die zerstörte Synagoge erinnert. Ihre Inschrift lautet:
Zur Erinnerung an die Synagoge der jüdischen Gemeinde in Sprendlingen.
Sie stand im Hof gegenüber und wurde am 10. November 1938 von Nationalsozialisten niedergebrannt.
Das jüdische Begräbnisgelände am Lacheweg - unmittelbar an den Kommunalfriedhof angrenzend - weist noch ca. 100 Grabsteine auf.
Jüdischer Friedhof (Grim 2021, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)
Seit 1988 befindet sich hier ein Mahnmal, das an die jüdischen NS-Opfer von Sprendlingen erinnert.
Mahnmal für die Opfer der Shoa (Aufn. J. Hahn, 2008)
Eine dort 2016 aufgestellte Info-Tafel nennt namentlich die aus Sprendlingen deportierten jüdischen Bewohner.
(Aufn. Chr. Bühler, 2000) Die ehemalige Mikwe der jüdischen Gemeinde befand sich in einem Kellergewölbe auf einem landwirtschaftlichen Anwesen in der Hellgasse; das vermutlich aus dem 18.Jahrhundert stammende rituelle Bad - es war in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts zugeschüttet worden - wurde Ende der 1970er Jahre wiederentdeckt. Nach Restaurierung des Beckens wurde es 1995 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Anlässlich des 70.Jahrestages der Reichspogromnacht wurde in der ehemaligen Synagoge in Sprendlingen eine Gedenktafel enthüllt, die an die 27 jüdischen NS-Opfer der einstigen Gemeinde erinnert.
Derzeit werden in Sprendlingen Vorbereitungen für die Verlegung von 16 sog. "Stolpersteinen" getroffen", die künftig ins Gehwegpflaster eingefügt werden und die zwei bereits verlegten Steine ergänzen sollen.
Im Stadtteil Dreieichenhain wurden bereits 2006 die ersten sog. „Stolpersteine“ (insgesamt 17) verlegt.
vgl. Dreieichenhain (Hessen)
Ein lang verlorengeglaubter Kultgegenstand der ehemaligen Sprendlinger Synagoge – ein Thoraschrein-Vorhang - ist seit 2021 als Dauerleihgabe in der Stadtbücherei Dreieich zu finden.
vgl. Neu-Isenburg (Hessen)
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 265 - 267
Heinrich Runkel, Zur Ausgrabung des "Judenbades" (Hellgasse 15), in: "Informationen aus dem kulturellen Geschehen des Kreises Offenbach am Main", 1982, S. 9 ff.
Arno Baumbusch (Bearb.), Die Sprendlinger Juden, Dreieich 1983
Thorwald Ritter, Die Synagoge der jüdischen Gemeinde von Klein-Krotzenburg, bloch-Verlag, Frankfurt/M. 1997, S. 38
Sprendlingen (Hessen), in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichen, zumeist personenbezogenen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen. Was geschah seit 1945?, Königstein/Taunus 2007, S. 364/365
Bernhard Brühl, Erinnerung an jüdische Opfer – Neue Gedenktafel listet Namen von 27 Deportierten aus Sprendlingen auf, in: "Allgemeine Zeitung Mainz" vom 10.11.2008
Christian Endecott (Red.), Einmalige Konstruktiuon, in: op-online.de vom 27.5.2010 (betr. Mikwe in Sprendlingen)
Christopher Hees (Red.), Stolpersteine in Sprendlingen – Gedenken auf Schritt und Tritt, in: op-online.de vom 10.2.2015
N.N. (Red.), „Glücksfall für die Lokalgeschichte“: Neuer Platz für verschollenen Thoraschrein-Vorhang, in: op-online.de vom 20.11.2021
Nicole Jost (Red.), Dreieicher Initiative will Erinnerung an Opfer sichtbar machern, in: op-online vom 17.7.2024