Steinhart (Schwaben/Bayern)

Datei:Hainsfarth in DON.svg Steinhart (oder auch Steinhard) ist heute ein von nur ca. 200 Menschen bewohnter Ortsteil der Kommune Hainsfarth im Nordteil des bayrisch-schwäbischen Landkreises Donau-Ries - zwischen Nördlingen und Gunzenhausen gelegen (Kartenskizze 'Landkreis Donau-Ries', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Zu Beginn des 19.Jahrhunderts machte in Steinhart der Anteil der jüdischen Dorfbevölkerung etwa 40% der Gesamteinwohnerschaft aus.

In dem kleinen Dorfe Steinhart war von der Mitte des 16.Jahrhunderts bis zu Beginn der 1880er Jahre eine israelitische Gemeinde beheimatet. Anfänglich standen die wenigen jüdischen Familien unter dem Schutz des damaligen Ortsherrn Georg Daniel von Gundolzheim. Nach vorübergehender Ausweisung durch die gräfliche Herrschaft durften sie nach einigen Jahren wieder ins Dorf zurückkehren. Die hier lebenden jüdischen Familien standen im 17.Jahrhundert unter dem Schutz der beiden Freiherren von Crailsheim und von Wildenstein. Anfang des 19.Jahrhunderts stellten die jüdischen Bewohner mehr als 40% (!) der dörflichen Bevölkerung. Vor allem vom Handel mit Vieh und Landesprodukten lebten die hiesigen jüdischen Familien; einige waren auch als Hausierer unterwegs.

Zu den gemeindlichen Kultuseinrichtungen zählten eine Synagoge, eine Schule und ein 1847 eingerichtetes Ritualbad. Zur Besorgung religiöser Aufgaben war seitens der Gemeinde ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schochet tätig war.

Das Schulgebäude war 1842 durch eine Schenkung bzw. Stiftung eines in London lebenden, aus Steinhart stammenden Juden der Gemeinde übertragen worden.

            aus: „Allgemeine Zeitung des Judentums“ vom 21.5.1842      

Der Friedhof lag außerhalb der Ortschaft, auf dem Gelände einer verfallenen mittelalterlichen Burganlage; er wurde vermutlich Ende des 17./Anfang des 18.Jahrhunderts angelegt.

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2038/Steinhart%20Friedhof%20105.jpg 

Blick auf das Friedhofsgelände im Winter und Sommer (Aufn. J. Hahn, 2004 und aus: juedische-friedhoefe.info.de)  

Heute sind auf dem Areal - der Burghügel mit dem alten Friedhof wurde auch 'Judenbuck' genannt - sind noch ca. 100 Grabsteine zu finden.

Die jüdische Gemeinde war ab 1799 dem Rabbinat Oettingen, ab 1856 dem Bezirksrabbinat Wallerstein zugeordnet.

Juden in Steinhart:

         --- um 1560 .......................   6 jüdische Familien,

    --- 1625 ..........................  23     “       “   (ca. 100 Pers.),

    --- um 1660 .......................  12     “       “    ,

    --- um 1790 .......................  17 ‘Judenhäuser’,

    --- um 1810 ................... ca. 150 Juden (ca. 40% d. Bevölk.),

    --- 1867 ...................... ca.  90   “   (ca. 27% d. Bevölk.),

    --- 1880 ..........................  26   “  ,

    --- um 1900 .......................  keine.

Angaben aus: L. Müller, Aus fünf Jahrhunderten: Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinden im Ries, S. 181

 

Die ehemals große Landgemeinde löste sich nach Wegfall der letzten Restriktionen des Judenedikts schließlich in relativ kurzer Zeit auf; die wenigen verbliebenen Juden schlossen sich 1883 der Gemeinde Oettingen an.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind acht aus Steinhart stammende Personen mosaischen Glaubens Opfer der Shoa geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/steinhart_synagoge.htm).

 

Das ehemalige jüdische Schul- u. Gemeindehaus - vom aus Steinhart stammenden nach England ausgewanderten Kaufmann Joel Emanuel finanziert - ist bis heute erhalten und dient seit vielen Jahrzehnten Wohnzwecken.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2038/Steinhart%20Schule%20101.jpg Ehem. jüdisches Schulhaus (Aufn. J. Hahn, 2004)

 

Ein berühmter Sohn der jüdischen Gemeinde Steinhart war der 1845 geborene Jakob Obermeyer. Er machte sich als Orientforscher einen Namen. Im Alter von 25 Jahren wurde er Lehrer an einer jüdischen Schule in Bagdad; wenige Jahre später war er mit der Erziehung des aus seinem Lande geflohenen persischen Thronfolger beauftragt, den er 1881 bei seiner Rückkehr nach Persien begleitete. Seine bekannteste Publikation erschien 1929 unter dem Titel „Die Landschaft Babyloniens im Zeitalter des Talmuds und des Gaonats“. 1935 verstarb Jakob Obermeyer im Alter von 90 Jahren.

 

[vgl. Hainsfarth (Bayern)]                                     

 

 

 

Weitere Informationen:

Ludwig Müller, Aus fünf Jahrhunderten: Beiträge zur Geschichte der jüdischen Gemeinden im Ries, in: "Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg", Band 26/1899, S. 81 - 182

Gernot Römer, Schwäbische Juden. Leben und Leistungen aus zwei Jahrhunderten. In Selbstzeugnissen, Berichten und Bildern, Augsburg 1990, S. 37 ff. (Familie Heymann aus Steinhart)

Israel Schwierz, Steinerne Zeugen jüdischen Lebens in Bayern, Hrg. Landeszentrale für politische Bildungsarbeit in Bayern, München 1992, S. 277

Michael Trüger, Der jüdische Friedhof in Steinhart/Schwaben, in: "Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern", 11.Jg., Juni 1997, S. 17 f.

Steinhart, in: alemannia-judaica.de

Matrikelliste der jüdischen Familien von Steinhart von 1817 (Abschrift in: alemannia-judaica.de)

Gunther Reese (Hrg.), Spuren jüdischen Lebens rund um den Hesselberg, in: "Kleine Schriftenreihe Region Hesselberg", Band 6, Unterschwaningen 2011

Jüdisch historischer Verein Augsburg (Hrg.), Die Juden von Steinhart bei Hainsfarth/Oettingen (online abrufbar unter: jhva.wordpress.com)

Gerhard Beck (Red.), Judentum im Ries: Neue Erkenntnisse über das damalige Leben, in: „Augsburger Allgemeine“ vom 21.10.2022