Versmold (Nordrhein-Westfalen)

County of Lippe, late 18th century.jpg Datei:Versmold in GT.svg Versmold ist eine Stadt mit derzeit ca. 22.000 Einwohnern im Kreis Gütersloh – ca. 30 Kilometer westlich von Bielefeld bzw. südlich von Osnabrück gelegen (hist. Karte 'Grafschaft Lippe' von 1808, Lubisque, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und Kartenskizze 'Kreis Gütersloh', TUBS 2008, aus: commons.wikimedia.org CC BY-SA 3.0).

 

Gegen Ende des 17.Jahrhunderts ließ sich die erste jüdische Familie im Amt Versmold nieder; erst Anfang des 19.Jahrhunderts nahm ihre Zahl hier zu, so dass sich eine kleine Gemeinde herausbilden konnte. Um 1855/1860 erreichte sie mit etwa 65 Personen ihren zahlenmäßigen Höchststand. Ihre Angehörigen verdienten ihren bescheidenen Lebensunterhalt im ambulanten Klein- und Viehhandel und im Metzgereigewerbe; nach 1860 ging das Hausiergewerbe zurück. Als größtes jüdisches Geschäft in Versmold galt um 1900/1920 das Warenhaus Eduard Bergfeld.

                               

                                             Warenhaus Eduard Bergfeld in Versmold und eine Geschäftsanzeige von 1913

Seit den 1830er Jahren verfügte die Gemeinde über einen Betraum in einem angemieteten zweistöckigen Fachwerkgebäude. Diesen Raum nutzte die Judenschaft bis zur Einweihung ihrer neuen Synagoge im September 1900. Diese lag in der heutigen Mittelstraße und bot nur etwa 30 Personen Platz. Während des Synagogenbaus verhängten die Behörden einen Baustop. Darauf verbreitete sich in der Versmolder Bevölkerung das Gerücht, die Synagoge könne nicht weiter gebaut werden, weil dazu Christenblut benötigt würde.(!) Dieses Gerücht führte zu Belästigungen von jüdischen Bewohnern und teilweise zum Boykott des jüdischen Warenhauses in Versmold.

Wegen der geringen Familienzahl gab es in Versmold keine jüdische Elementarschule; die wenigen Kinder besuchten deshalb die christliche Schule am Ort; nur Religionsunterricht wurde durch sog. Wanderlehrer erteilt, allerdings nicht immer regelmäßig.

Die Synagogengemeinden von Borgholzhausen und Versmold unterhielten seit Mitte des 18.Jahrhunderts auf dem Nollbrink in Borgholzhausen einen gemeinsamen Friedhof.

Zur Versmolder Gemeinde gehörten zeitweilig auch die wenigen jüdischen Familien aus Bockhorst und Hesselteich.

Juden im Amt Versmold:

         --- um 1720 ........................  2 jüdische Familien,

    --- 1818 ...........................  3     “       “    ,

    --- 1829 ...........................  6     “       “    ,

    --- um 1850 .................... ca. 45 Juden (in 8 Familien),

    --- 1858 ........................... 43   “  ,

             ........................... 65   “  ,*      * im Amt Versmold

    --- 1875 ........................... 43   “  ,

    --- 1890 ........................... 48   “  ,

    --- 1905 ........................... 50   “  ,

    --- 1925 ........................... 30   “  ,

    --- 1933 ........................... 30   “  ,

    --- 1936 ........................... 22   “  ,

    --- 1942 (Mai) .....................  3   “  ,

             (Aug.) ....................  keine.

Angaben aus: Volker Beckmann, Jüdische Bürger im Amt Versmold, S. 25

 

Der Einfluss der NSDAP in der Versmolder Bevölkerung war schon zu Beginn der 1930er Jahre relativ groß. Gleich nach der NS-Machtübernahme 1933 kam es am Ort zu ersten gewalttätigen Ausschreitungen gegen das Eigentum jüdischer Bewohner. 1935 verschärfte sich der Boykott gegen hiesige jüdische Geschäfte; so wurden an den Geschäften Plakate angebracht, die Aufschriften trugen wie „Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter” bzw. „Der Jude siegt mit der Lüge und stirbt mit der Wahrheit”. Auch wurden diejenigen „Volksgenossen“ öffentlich diffamiert, die weiterhin jüdische Geschäfte betraten. Geschäftsaufgaben und Ab- bzw. Auswanderung Versmolder Juden - vor allem in die USA - waren die Folge; nur eine einzige jüdische Familie blieb noch in Versmold.

Im Sommer 1936 waren Schüler in die Synagoge eingedrungen und hatten dort den Innenraum beschmutzt.

Am Abend des 10.11.1938 wurde die Versmolder Synagoge bis auf die Umfassungsmauern niedergebrannt.

                 Im „Haller Kreisblatt” vom 12.11.1938 war folgender Artikel zu lesen:

Die spontanen Kundgebungen ... wurden auch im Kreise Halle i.W. bemerkbar. In Werther ging dabei eine Reihe von Fensterscheiben an jüdischen Geschäften und Besitzungen in Trümmer, in Versmold brannte der Versammlungsraum der Juden aus, in Brockhagen richtete sich die Empörung gegen ein jüdisches Wohnhaus, das vernichtet wurde. Dadurch hat auch die Bevölkerung des Kreises Halle i.W. ihre Empörung Ausdruck gegeben, denn bei aller Duldsamkeit der deutschen Bevölkerung war die letzte Herausforderung des Judentums so, daß solche Aktionen nicht ausbleiben konnten.

Synagogenruine von Versmold nach dem Pogrom (Aufn. Stadtarchiv)

Die letzten drei Versmolder Jüdinnen wurden Ende Juli 1942 nach Theresienstadt und von dort in die Ghettos/Vernichtungslager im besetzten Osteuropa deportiert.

 

Im September 2000 enthüllte man in Anwesenheit von Paul Spiegel, dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, das „Erinnerungszeichen“ an die ausgelöschte jüdische Gemeinde Versmolds; der Entwurf - ein wiederaustreibender Baumstumpf zwischen zwei Stelen - stammt von zwei Schülerinnen des Versmolder Gymnasiums.

Die Inschriften auf den Stelen lauten: "Die Frucht der Gerechtigkeit ist der Baum des Lebens“ und „Zur Erinnerung an die jüdische Gemeinde in Versmold und die während des Nationalsozialismus ermordeten jüdischen Bürgerinnen und Bürger“.

Mahnmal für die ehem. jüdische Gemeinde Versmold (Aufn. Hagar66, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

2018 wurden an drei Standorten neun sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige von drei jüdischen Familien (Blein, Spiegel und Steinfeld) erinnern sollen, die deportiert und ermordet wurden. Weitere Steine wurden zwei bzw. drei Jahre später in die Gehwegpflasterung eingefügt; auch im Stadtteil Bockhorst (Dorfstraße) sind fünf messingfarbene Gedenkquader zu finden.

Nathan Spiegel.jpgLina Spiegel.jpgLeo Spiegel.jpg verlegt in der Gestermannstr. (Aufn. M. 2021, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

und in der Wiesenstraße Julie Steinfeld.jpg Selma Steinfeld.jpg Bernhard Steinfeld.jpg Alma Alena Steinfeld.jpg

Auf dem gemeinsam von den ehemaligen Gemeinden Borgholzhausen und Versmold betriebenen jüdischen Friedhof auf der Nollheide – einem ca. 2.000 m² großen Areal - sind heute noch 127 Grabsteine (in drei Gräberfeldern angeordnet) erhalten.

 Jüdischer Friedhof in Borgholzhausen (Aufn. Sibrev 2017, in: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)

vgl.  Borgholzhausen (Nordrhein-Westfalen)

 

 

 

Weitere Informationen:

Hermann Stratmann/Günter Birkmann, Jüdische Friedhöfe in Westfalen und Lippe, Düsseldorf 1987, S. 9 (Borgholzhausen)

Rolf Westheider, Versmold. Eine Stadt auf dem Weg ins 20.Jahrhundert, Bielefeld 1994

Helmut Gatzen, “ ... und vergib uns unsere Schuld. Die letzten Juden in Versmold”, in: Rolf Westheider (Hrg.), 1096 - 1996. 900 Jahre kirchliches Leben in Versmold, Bielefeld 1996, S. 124 - 139

Volker Beckmann, Jüdische Bürger im Amt Versmold. Deutsch-jüdische Geschichte im westlichen Ravensberger Land, Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 1998

Elfi Pracht, Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Teil III: Regierungsbezirk Detmold, Köln 1998, S. 81 - 83

Günter Birkmann/Hartmut Stratmann, Bedenke vor wem du stehst - 300 Synagogen und ihre Geschichte in Westfalen und Lippe, Klartext Verlag, Essen 1998, S. 140 - 142

Käthe und Horst Uthe, “Um Deine Erziehung in den historischen Gebieten zu vergrößern.” Dokumentation und Erinnerungen. Ein Beitrag zur Geschichte jüdischer Familien in Versmold, Versmold 1998 (Anm. Schwerpunkt der Publikation ist der jüdische Friedhof Borgholzhausen)

Michael Brocke (Hrg.), Feuer an dein Heiligtum gelegt - Zerstörte Synagogen 1938 Nordrhein-Westfalen, Ludwig Steinheim-Institut, Kamp Verlag, Bochum 1999, S. 524/525

Volker Beckmann, Die jüdische Bevölkerung der Landkreise Lübbecke und Halle i.W. - Vom Vormärz bis zur Befreiung vom Faschismus (1815 - 1945), Dissertation Universität Bielefeld 2000/2001 (2015 überarb. als PDF-Datei vorl. S. 116 - 121 u.a.)

Heike Plaß (Bearb.), Versmold, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften in Westfalen und Lippe. Die Ortschaften und Territorien im heutigen Regierungsbezirk Detmold, Ardey-Verlag, Münster 2013, S. 724 -730

Richard Sautmann, Enteignet,vertrieben und umgebracht. Die so genannte „Arisierung“ jüdischen Eigentums , 2013 (Aufsatz)

Richard Sautmann, Der jüdische Friedhof in Borgholzhausen, 2013 (Aufsatz)

Johannes Geldermann (Bearb.), "Alles geregelt - Gesetzliche Regelungen zur Judenverfolgung" in der Ausstellung im Foyer des Rathauses in Versmold, 2013

Stadt Versmold (Hrg.), Erinnerungszeichen an die jüdische Gemeinde in Versmold, online abrufbar unter: bad-driburg.teutoburgerwald.de/ausflugsziel/erinnerungszeichen-an-die-juedische-gemeinde-in-versmold

Silke Derkum-Homburg (Red.), Neun Stolpersteine für Nazi-Opfer in Versmold, in: "Haller Kreisblatt" vom 21.5.2018

Silke Derkum-Homburg (Red.), Stolpersteine: Versmold ist nun Teil des größten Mahnmals der Welt, in: "Haller Kreisblatt" vom 12.12.2018

Auflistung der in Versmold verlegten Stolpersteine, in: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Versmold (Stand 2020)

Stadt Versmold (Red.), Stolpersteinverlegung mit Gedenkrundgang, in: versmold.de vom 3.11.2021