Wehen (Hessen)
Wehen mit seinen derzeit ca. 6.500 Einwohnern ist ein Stadtteil von Taunusstein (Rheingau-Taunus-Kreis) – knapp 15 Kilometer nördlich der Landeshauptstadt gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Rheingau-Taunus-Kreis', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die Existenz eines Juden in Wehen wird erstmals um 1330 erwähnt; dem Grafen Gerlach I. von Nassau-Weilburg hatte wenige Jahre zuvor Kaiser Ludwig IV. die Stadtrechte für Wehen verliehen und damit auch das Privileg zugesprochen, Juden innerhalb der Stadtgrenzen anzusiedeln; damit waren dem Landesherrn regelmäßige Schutzgelder sicher. Ob während der Pest-Pogrome jüdische Bewohner Wehens betroffen waren, kann nicht nachgewiesen werden.
Jahrhundertelang finden sich dann nur äußerst spärliche Quellen über jüdische Bewohner in Wehen. Erneute gesicherte urkundliche Hinweise auf jüdisches Leben in Wehen stammen erst wieder aus dem beginnenden 18.Jahrhundert, so z.B. in einem 1713 von Fürst Georg August ausgestellten Schutzbrief für Nathan, Jude zu Wehen. Eine Synagoge wurde um 1800 eingerichtet; dabei muss es sich um ein schlichtes zweigeschossiges Gebäude gehandelt haben, das insgesamt ca. 40 Männer- und Frauenplätze besaß.
Modell der Wehener Synagoge (Arthur Villmer)
Gewisse Schwierigkeiten, weiterhin Gottesdienste in Wehen abzuhalten, ergaben sich Anfang der 1840er Jahre, als die der Kultusgemeinde angeschlossen Juden aus Bleidenstadt den Versuch unternahmen, sich mit der Einrichtung eines eigenen Betraums selbstständig zu machen und damit den geforderten Minjan zur Abhaltung von Gottesdiensten in Wehen in Frage stellten.
Zur Besorgung religiös-ritueller Aufgaben hatte die Gemeinde - zumindest zeitweise in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – einen Lehrer angestellt.
Stellenangebot aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 25.6.1885
Bereits Mitte des 14.Jahrhunderts wurde am nördlichen Ortsrand („Am Halberg“) der jüdische Friedhof angelegt, auf dem bis 1749 Verstorbene aus der weiteren Region und auch aus Wiesbaden beerdigt wurden. Für das Recht, an dieser Stätte Glaubensgenossen begraben zu dürfen, musste jährlich eine Pacht an die Nassauische Landesherrschaft gezahlt werden. Als die Wehener Judenschaft um 1725 das Begräbnisgelände mit einer Mauer umgeben wollte, wurde dies mit dem Hinweis untersagt, dass der jüdische Friedhof nicht schöner als der christliche sein dürfe!
ältere Grabsteine (Aufn. aus: taunusstein.de)
Zur jüdischen Gemeinde Wehen gehörten auch die jüdischen Familien aus Bleidenstadt, zeitweilig auch die Familien aus Kemel.
Die kleine Gemeinde gehörte zum Rabbinatsbezirk Wiesbaden.
Juden in Wehen:
--- 1843 .......................... 43 Juden,* * einschl. Bleidenstadt
--- 1874 .......................... 46 “ (ca. 4% d. Bevölk.),
--- 1885 .......................... 26 " ,
--- 1895 .......................... 33 " ,
--- 1905 .......................... 38 “ (ca. 2% d. Bevölk.),*
--- 1925 .......................... 12 " ,
--- 1933 .......................... 19 " (in 4 Familien),*
--- 1938 .......................... 3 jüdische Familien,
--- 1939 .......................... 8 Juden,
--- 1942 (Juli) ................... keine.
Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 2, S. 346
Die jüdischen Familien von Wehen lebten um 1900 vom Viehhandel, der Metzgerei und der Landwirtschaft im Nebenerwerb.
Zu Beginn der 1930er Jahre wohnten drei jüdische Familien in Wehen, eine in Bleidenstadt.
Das Synagogengebäude wurde im November 1938 geplündert und zerstört; seit Jahren waren hier keine Gottesdienste mehr abgehalten worden. Verantwortlich für die Zerstörung war ein Trupp auswärtiger SA-Angehöriger, der von Teilen der Bevölkerung in seinem Tun unterstützt wurde. Die letzten jüdischen Bewohner wurden 1941/1942 deportiert.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden 17 gebürtige bzw. länger in Wehen lebende jüdische Bewohner Opfer der „Endlösung“ (namentliche Nennung der Opfer siehe: alemannia-judaica.de/wehen_synagoge.htm).
Der mehr als 600 Jahre alte jüdische Friedhof am Halberg hat die NS-Zeit unbeschadet überstanden; heute findet man hier noch ca. 60 Grabstätten/-steine mit z.T. starken Verwitterungsspuren; der älteste Stein stammt von 1694. Die Instanthaltung des Gräberfeldes obliegt der Kommune.
jüdischer Friedhof Wehen (Aufn. J., 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Vor dem Wehener Schloss wurde 1983 ein Gedenkstein mit bronzener Gedenktafel angebracht:
Stadt Taunusstein.
Zum Gedenken an unsere während der nationalsozialistischen Herrschaft
ermordeten und vertriebenen Mitbürger.
Zur täglichen Mahnung uns allen 1933 1945 1983.
Die Gedenktafel wurde inzwischen vom Wehener Schloss auf den jüdischen Friedhof versetzt.
Seit 2015 weist eine Tafel vor dem Haus Weiherstraße 15 auf den Standort der ehemaligen Synagoge hin, die dort - etwas von der Straßenfront zurückversetzt - bis zum 9. November 1938 stand. Die Idee für die Anbringung einer Gedenktafel entstand im Rahmen des Projektes „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, das Schüler/innen der IGS Obere Aar in Hahn bearbeiteten.
Diese Tafel wurde jüngst zerstört (Aufn. Stadt Taunusstein, 2015).
Auf die Verlegung von sog. „Stolpersteinen“ in Wehen wollte die Kommune Taunusstein - nach jahrelangen Diskussionen darüber - verzichten; dagegen soll die neu errichtete Gedenkstele vor dem Wehener Schloss an die einstige jüdische Gemeinde und ihre verfolgten und ermordeten Angehörigen gedenken. Vor der schwarzen Stele ist ebenerdig eine Informationstafel eingelassen, die an die ehemalige Kultusgemeinde Wehen erinnert.
Gedenkstele (Aufn. Stadt Taunusstein, 2020)
Gegen diese ablehnende Haltung gegenüber "Stolpersteinen" regte sich Widerstand, der vor allem von kirchlicher Seite getragen wurde; dieser war erfolgreich, denn 2021 beschloss die Stadtverordnetenversammlung einstimmig, diese Erinnerungstäfelchen im Stadtgebiet doch zuzulassen.
In der aus zehn Stadtteilen bestehenden Kommune Taunusstein wurden jüngst in Wehen erstmals fünf sog. „Stolpersteine“ verlegt; die in der dortigen Weiherstraße an Angehörige der jüdischen Familie Nassauer erinnern (Stand 2022).
verlegt für Fam. Nassauer (Aufn. A.Tewes, 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In Bleidenstadt (ebenfalls Ortsteil von Taunusstein) wurden im gleichen Jahr in der Stiftstraße vier „Stolpersteine“ für Angehörige der Familie Kahn verlegt, die ihr Leben durch die Emigration nach Argentinien retten konnte.
verlegt in der Stiftstraße für Familie Kahn (Aufn. A.Tewes, 2023, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 346 - 348
Juden in Taunusstein - Eine Sonderausstellung des Heimatmuseums Taunusstein (Wehener Schloss), 1983/1984
Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945, Hessen I - Regierungsbezirk Darmstadt, 1995, S. 307
Wehen mit Bleidenstadt und Hahn (Stadt Taunusstein), in: alemannia-judaica.de
Magistrat der Stadt Taunusstein (Hrg.), Der jüdische Friedhof am Halberg - Die Jüdische Cultusgemeinde von Wehen, Taunusstein 2003
Harald Lubasch/Birgit Sachs (Red.), Der jüdische Friedhof am Halberg - Die jüdische Culturgemeinde Wehen, hrg. vom Magistrat der Stadt Taunusstein, Taunusstein 2015 (erw. Neuauflage)
Die jüdische Cultusgemeinde von Wehen, online abrufbar unter: wehen-taunus.heinzwilhelmi.com/Cultusgemeinde.html
Magistrat der Stadt Taunusstein (Hrg.), Die jüdische Cultusgemeinde Wehen und der historische Friedhof am Halberg, online abrufbar unter: taunusstein.de/portal/seiten/die-juedische-cultusgemeinde-wehen-und-der-historische-juedische-friedhof-am-halberg-900000504-29880.html
Magistrat der Stadt Taunusstein (Hrg.), Die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner während des Nationalsozialismus, online abrufbar unter: taunusstein.de/portal/seiten/die-juedischen-bewohnerinnen-und-bewohner-waehrend-des-nationalsozialismus-900000506-29880.html (mit biografischen Angaben zu den einzelnen Personen)
Magistrat der Stadt Taunusstein (Hrg.), Die Übersetzung der Grabinschriften auf dem jüdischen Friedhof am Halberg, online abrufbar unter: taunusstein.de/portal/seiten/die-uebersetzung-der-grabinschriften-auf-dem-juedischen-friedhof-am-halberg-900000505-29880.html
Mathias Gubo (Red.), Keine Erinnerung an die Juden von Wehen, in: „Wiesbadener Kurier“ vom 9.11.2018
Mathias Gubo (Red.), Würdiges Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus in Taunusstein, in: „Wiesbadener Kurier“ vom 18.2.2019
Mathias Gubo (Red.), Keine Stolpersteine in Taunusstein, in: „Wiesbadener Tagblatt“ vom 28.8.2019
Stadt Taunusstein (Hrg.), Der Gedenkort – die Stele, online abrufbar unter: taunusstein.de/portal/seiten/der-gedenkort-die-stele
Hendrik Jung (Red.), Klares Signal: Taunussteiner Kirchen sind für Stolpersteine, in: „Wiesbadener Kurier“ vom 26.11.2020
Mathias Gubo (Red.), Letzte Spuren Taunussteiner Juden, in: „Wiesbadener Kurier“ vom 25.2.2021
Mathias Gubo (Red.), Stolpersteine in Taunusstein, in: „Wiesbadener Kurier“ vom 27.2.2021
Sascha Kircher (Red.), Stadtparlament Taunusstein steht hinter den Stolpersteinen, in: "Wiesbadener Kurier“ vom 30.11.2021
N.N. (Red.), Erste Verlegung von Stolpersteinen in Taunusstein steht an, in: „Wiesbadener Kurier“ vom 11.6.2022 (betr. Wehen)
Hendrik Jung (Red.), Erinnerung an jüdisches Leben in Bleidenstadt, in: „Wiesbadener Kurier“ vom 28.11.2022