Worfelden (Hessen)
Worfelden ist mit derzeit ca. 4.500 Einwohnern ein Ortsteil der Kommune Büttelborn im hessischen Landkreis Groß-Gerau – etwa 15 Kilometer nordwestlich von Darmstadt gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte ohne Eintrag von Worfelden, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Groß-Gerau', aus: ortsdienst.de/hessen/gross-gerau).
In Worfelden bestand eine sehr kleine jüdische Gemeinde bis 1937/1938. Ihre Entstehung geht in die Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts zurück. Zur jüdischen Gemeinde Worfelden, die sich stets nur aus wenigen Familien zusammensetzte, gehörten auch die jüdischen Einwohner von Klein-Gerau, die in den 1820/1830er Jahren fast 30 Personen zählten. Worfelden mit Klein-Gerau gehörte als Filialgemeinde verwaltungsmäßig zur Israelitischen Gemeinde von Mörfelden.
Ein 1893 errichtetes kleines Bethaus mit Schulzimmer und ein rituelles Bad waren gemeindliches Eigentum.
Über die Einweihung berichtete die "Allgemeine Zeitung des Judentums" vom 15.Sept. 1893: "Worfelden, 7. September. Gestern wurde hier die neu erbaute Synagoge feierlichst eingeweiht. Es ist anzuerkennen, daß die nur aus sieben Familien bestehende hiesige israelitische Gemeinde durch großen Opfermuth die Errichtung eines würdigen Gotteshauses herbeiführte. Der Bau ist, den Verhältnissen entsprechend, nicht groß, aber sehr schmuck und würdig ausgestattet. Die Feier der Einweihung wurde durch Herrn Rabbiner Dr. Selver aus Darmstadt vollzogen, welcher durch das Weihegebet, sowie darauf folgende Predigt mit Gebet für Kaiser, Großherzog und Vaterland die versammelte Gemeinde in feierlichste Stimmung versetzte. An der Feier betheiligte sich die christliche Bevölkerung sehr stark, wobei insbesondere die Anwesenheit des Bürgermeisters mit dem Ortsvorstand, des Baumeisters und der beiden evangelischen Lehrer erwähnt werden soll. Der evangelische Pfarrer gab in einem Schreiben an den Vorstand seinem Bedauern Ausdruck, durch die auf gestern anberaumt gewesene Dekanats-Konferenz an der Theilnahme verhindert zu sein. Ein erfreuliches Bild lieferte die Einweihung von der Eintracht, welche unter den Bekennern der verschiedenen Konfessionen herrscht."
Baupläne für die Synagoge in Worfelden (erstellt 1893 von Johannes Lohr)
Verstorbene wurden in Groß-Gerau beerdigt.
Juden in Worfelden:
--- 1830 ......................... 27 Juden,* * nur Klein-Gerau
--- 1854 ......................... 10 Juden,
--- 1878 ......................... 21 “ ,
--- 1895 ......................... 31 “ ,
--- 1905 ......................... 27 “ ,
......................... 12 “ ,*
--- 1925 ..................... ca. 25 “ ,
--- 1938 (Jan.) .............. ca. 10 “ .
Angaben aus: Angelika Schleindl, Verschwundene Nachbarn - Jüdische Gemeinden und Synagogen..., S. 190
Werbeanzeige eines Wurstfabrikanten aus Klein-Gerau (1924)
Kaufhaus Kahn in Groß-Gerau
Im Jahre 1920 hatte Gustav Kahn zusammen mit seinem Cousin Leopold K. ein Kaufhaus in Groß-Gerau eröffnet.
Nach 1933 verließ ein Teil der jüdischen Gemeindemitglieder auf Grund zunehmender Repressalien seinen Heimatort. Das im Jahre 1937 an Privatleute veräußerte Synagogengebäude entging den Zerstörungen der Novembertage 1938.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." fielen zwölf aus Worfelden stammende bzw. länger am Ort wohnhaft gewesene jüdische Bewohner der NS-Gewaltherrschaft zum Opfer; aus Klein-Gerau sind sechs Personen mosaischen Glaubens gewaltsam ums Leben gekommen (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/worfelden_synagoge.htm).
Seit 1988 erinnert eine Gedenktafel an die während der NS-Zeit ermordeten jüdischen Bewohner Worfeldens.
2019 wurden im Büttelborner Ortsteil Worfelden an zwei Standorten insgesamt zehn sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige der jüdischen Familien Max u. Rosa Kahn (Borngasse) und Karl u. Gerda Kahn (Neustraße) erinnern.
vgl. dazu: Büttelborn (Hessen)
In Klein-Gerau, einem anderen Ortsteil der Kommune Büttelborn, erinnert in der Hauptstraße eine Gedenkmauer mit -tafel an die jüdischen Opfer wie folgt: „Am 9. November 1938 begann mit der Reichspogromnacht die Verfolgung und Vernichtung der Menschen jüdischen Glaubens und jüdischer Abstammlung. Bis 1945 fielen der staatlichen organisierten Verfolgung über sechs Millionen Menschen zum Opfer. 1933 lebten in Klein-Gerau: Von der Familie Gottschall: Hermann und Frau Rebekka, Herbert und Arthur. Von der Familie Feist Hirsch: Johanna Hirsch, Willy Kugelmann und Frau Auguste geb. Hirsch, Freddy, Arthur und Harold. Wir gedenken aller Opfer aus unserer Gemeinde. Hermann Gottschall, deportiert nach Auschwitz, für tot erklärt, Rebekka Gottschall, verschollen. 9. November 1988" .
Ganz in der Nähe wurden einige „Stolpersteine“ verlegt.
für Familie Gottschall (Aufn. Lisette Eijsbouts, 2017, aus: alemannia-judaica.de)
Weitere Informationen:
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 2, S. 90f.
Annie Bardon, Synagogen in Hessen um 1900, in: "Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen VI, Neunhundert Jahre Geschichte der Juden in Hessen", Wiesbaden 1983, S. 354 - 356
Angelika Schleindl, Verschwundene Nachbarn - Jüdische Gemeinden und Synagogen im Kreis Groß-Gerau, Hrg. Kreisausschuß des Kreises Groß-Gerau, Groß-Gerau 1990, S. 96 – 100
Angelika Schleindl, Der Jüdische Friedhof in Groß-Gerau. Ein Beitrag zur Geschichte der Landjuden in Südhessen, Justus von Liebig Verlag, Darmstadt 1993
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945, Hessen I: Regierungsbezirk Darmstadt, VAS-Verlag, Frankfurt/M. 1995, S. 155/156
Worfelden mit Klein-Gerau (Hessen), in: alemannia-judaica.de
Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen. Was geschah seit 1945, Dokumentation und Analyse aus …, Die Blauen Bücher, Königstein/Taunus 2007, S. 92
Gemeinde Büttelborn, Jubiläumsschrift - 800 Jahre Büttelborn - Klein-Gerau - Worfelden. 1211 – 2011, hrg. vom Heimat- und Geschichtsverein Büttelborn, Heimatpflege Klein-Gerau, Heimat- und Geschichtsverein Worfelden (darin: Israeliten in Worfelden. Die Worfelder Kahn-Familie, S. 60/61)
Kommune Büttelborn (Hrg.), Letzte Stolpersteinverlegung in Büttelborn - Flyer: Gegen das Vergessen – Stolpersteine in Büttelborn - 8. Verlegung, (Okt. 2018)
Gegen das Vergessen – Stolpersteine in Büttelborn, Flyer zur Verlegung am 26.10.2019 (betr. Fam. Kahn, Borngasse - abrufbar unter: buettelborn.de)
Daniel Kroiß (Red.), Worfelden: Zehn Stolpersteine für die Familien Kahn, in: "ECHO" vom 28.10.2019