Alsbach (Hessen)
Die Kommunalgemeinde Alsbach-Hähnlein an der Bergstraße mit derzeit ca. 9.500 Einwohnern entstand im Jahr 1977 durch den Zusammenschluss der ehemals autonomen Gemeinden Alsbach und Hähnlein - gelegen im äußersten Südwesten des Landkreises Darmstadt-Dieburg ca. 25 Kilometer südlich von Darmstadt gelegen (Kartenskizze 'Kreis Darmstadt-Dieburg', Hagar 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Die erste urkundliche Erwähnung von in Alsbach lebenden Juden stammt aus der ersten Hälfte des 15.Jahrhunderts; in den folgenden Jahrhunderten haben zeitweilig nur wenige Familien hier gelebt. Seit dem 18.Jahrhundert bildeten die Juden von Alsbach, Zwingenberg, Bickenbach, Hähnlein, Jugenheim und Seeheim gemeinsam eine Religionsgemeinschaft. In einem angekauften Haus in der Hauptstraße richtete die Judenschaft um 1780 eine Synagoge ein; zuvor scheint schon ein Betsaal bestanden zu haben. 1864 ließ die Gemeinde ihre Synagoge renovieren.
Innenansicht der Synagoge (hist. Aufn., aus: P. Arnsberg)
Zur Verrichtung religiös-ritueller Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der als Vorsänger, Schächter und zudem auch als Friedhofsaufseher des Verbandsfriedhofes fungierte.
Stellenausschreibungen in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 4.Jan. 1865 und 7.Febr. 1889
Der jüdische Friedhof Alsbach-Bickenbach - zu Beginn des 16.Jahrhunderts (oder eventuell noch früher) angelegt (die ersten schriftlichen Hinweise über den Friedhof finden sich aus den Jahren 1423 und 1563 in alten Alsbacher Rechnungsbüchern) und in der Folgezeit mehrfach erweitert (auf eine Fläche von insgesamt ca. 22.600 m²) - ist mit mehr als 2.100 Grabsteinen der größte jüdische Begräbnisplatz im früheren Großherzogtum Hessen. Hier fanden seit dem frühen 18.Jahrhundert verstorbene Juden aus etwa 30 südhessischen Ortschaften im Umkreis von ca. 25 bis 30 Kilometern ihre letzte Ruhestätte. Da es sich um einen „orthodoxen" Friedhof handelte, zeigen die allermeisten Grabmale des älteren Bereichs keine oder nur wenige Schmuckelemente. Eines der ältesten Gräber ist das von Rabbi Samuel Ben Isaak Bacharach, der Oberrabbiner von Worms und kaiserlicher Rabbiner von Deutschland war, 1615 im Zuge der Judenvertreibung aus Worms flüchten musste und bald darauf in Gernsheim verstarb. Etwa 100 Jahre nach seinem Tod wurde ihm ein Grabstein gesetzt, der seine Verdienste würdigte.
Ältester Friedhofsteil (Aufn. Th. Pusch, 2008, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Zur jüdischen Gemeinde Alsbach gehörten auch die wenigen jüdischen Familien aus Bickenbach, Hähnlein, Zwingenberg (bis 1861), Jugenheim und Seeheim (bis 1866).
Alsbach gehörte zum orthodoxen Rabbinat Darmstadt.
Juden in Alsbach:
--- um 1795 ....................... 4 jüdische Familien,
--- 1830 .......................... 31 Juden,
--- 1867 .......................... 32 “ ,
--- 1880 .......................... 34 “ ,
--- 1905 .......................... 51 “ ,
--- 1925 .......................... 58 “ ,* * andere Angabe: 27 Pers.
--- 1930 ...................... ca. 25 “ ,
--- 1936 .......................... 20 “ ,
.......................... 32 “ ,* * Kultusgemeinde
--- 1939 .......................... 6 " ,
--- 1942 .......................... keine.
Angaben aus: P. Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S.28
Die Angehörigen der israelitischen Gemeinde in Alsbach betrieben Vieh-, Getreide- und Manufakturwarenhandel. Mitte der 1920er Jahre wanderten viele jüdische Einwohner ab, und die Zahl der Gemeindeangehörigen halbierte sich.
Während des Novemberpogroms verwüsteten SA-Angehörige aus Starkenburg die beiden noch von Juden bewohnten Häuser und die Inneneinrichtung des Alsbacher Gebetshauses. Nach 1938 kaufte ein Nachbar das Synagogen- und Schulgebäude und nutzte es bis in die 1960er Jahre als Lagerraum; nach einem Totalumbau dient das Gebäude seitdem Wohn- u. Geschäftszwecken.
Auch der Friedhof und das Taharahaus wurden von Nationalsozialisten aus Alsbach, Bickenbach und Hähnlein verwüstet, Hunderte von Grabsteinen wurden umgeworfen oder für Bauzwecke zweckentfremdet. In diesem Zusammenhang gingen alle damals noch vorhandenen Totenregister verloren.
Zwölf gebürtige Alsbacher Juden wurden nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der Personen siehe: alemannia-judaica.de/alsbach_synagoge.htm). Weitere insgesamt ca. 20 jüdische Bewohner aus den zur Synagogegemeinde zählenden Ortschaften (Bickenbach, Hähnlein, Jugenheim) fielen ebenfalls der "Endlösung" zum Opfer.
Im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit wurde im Frühjahr 1991 am Alsbacher Bürgerhaus eine bronzene Gedenktafel des Darmstädter Künstlers Gotthelf Schlotter der Öffentlichkeit übergeben; diese Arbeit verweist auf die Geschichte der Alsbacher Juden bis hin zu ihrer Vernichtung in der NS-Zeit. Eine Namenstafel für die ehemaligen jüdischen Bewohner aus Alsbach und Hähnlein ergänzte Jahre später die Gedenkstätte.
Namenstafel am Bürgerhaus (Aufn. M. Ohmsen)
Eine weitere Tafel trägt den Text:
Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.
(Spr. 31, V. 8)
Dem Angedenken der jüdischen Nachbarn, die durch den Nationalsozialismus 1933 – 1945 in Alsbach und Hähnlein gelebt und gelitten haben.
Für die ehemaligen Alsbacher Familien David und Sußmann wurden 2015 in der Hauptstraße bzw. Bickenbacher Straße fünf sog. „Stolpersteine“ verlegt; weitere 15 Steine folgten zwei Jahre später. Die meisten jüdischen Bewohner konnten ihr Leben durch die Emigration (USA) retten.
verlegt in der Hauptstraße
... und in der Bickenbacher Straße (alle Aufn. G., 2019, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
In einer Aktion (2022) wurden acht weitere messingfarbene Steinquader verlegt.
Unmittelbar nach Kriegsende wurde der jüdische Friedhof in Alsbach auf Anordnung der US-Besatzungsbehörden wiederhergestellt; bei diesen Instantsetzungsarbeiten wurden hiesige ehemalige NSDAP-Angehörige eingesetzt. Im ältesten Teil des Friedhofs konnten jedoch zahlreiche Grabstätten nicht mehr rekonstruiert werden. Initiator dieses Vorhabens war ein US-Soldat, dessen Eltern auf dem Friedhof beigesetzt sind.
Jüdischer Friedhof Alsbach (Aufn. Weinbach, aus: "Bergsträßer Anzeiger" und Th. Pusch, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Gedenktafel von 1988 (Aufn. Thomas Pusch, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Zur Erinnerung an die Schändung während des Pogroms von 1938 ist im Jahre 1988 eine zweisprachig abgefasste Gedenktafel an der Friedhofsmauer angebracht worden.
In jüngerer Vergangenheit wurde der Friedhof mehrfach von „Unbekannten“ mit NS-Symbolen beschmiert.
Von 1911 bis 1919 lebte der bedeutende jüdische Künstler Benno Elkan (1877-1960) mit seiner Familie in Alsbach. Durch sein Werk „Große Menorah“, das heute vor der Knesset in Jerusalem steht, wurde er weltbekannt. Das von Großbritannien an den jungen Staat Israel übereignete Relief erzählt die Glaubensgeschichte des jüdischen Volkes (Aufn. D., 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0).
Im Jahre 2012 wurde in Alsbach die „Benno-Elkan-Allee“ eingeweiht.
Die Zahl der in Hähnlein lebenden Juden, zumeist in Händlerberufen tätig, erreichte nie mehr als 30 Personen; der Versuch, zusammen mit den Schwanheimer Juden eine eigene Gemeinde zu bilden, scheiterte.
Die jüdischen Bewohner von Seeheim bildeten ab 1866 eine eigene Kultusgemeinde und konnten zwei Jahre nach deren Konstituierung ihre Synagoge einweihen. Zur damaligen Zeit bestand die Gemeinde aus 15 Familien mit ca. 65 Personen.
[vgl. Seeheim-Jugenheim (Hessen)]
[vgl. Zwingenberg (Hessen)]
Weitere Informationen:
Fried Lübbecke, Benno Elkan – Alsbach i.H., in: "Deutsche Kunst und Dekoration", No. 30/1912, S. 21 – 28
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1 S. 28 f.
Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Bilder - Dokumente, Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1973, S. 9
Thea Altaras, Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? Königstein i.Ts. 1988, S. 124/125
Robert Bertsch, Juden in Seeheim und Jugenheim, hrg. im Auftrag der Gemeinde Seeheim-Jugenheim, Seeheim-Jugenheim 1992, S. 210 - 223
Karl Schemel, Die Geschichte der Juden in Bickenbach und im südhessischen Raum, in: Bickenbach uffm Sand - Ortschronik der Gemeinde Bickenbach, Band II, Matchball-Verlag Tomas Klang, Bickenbach 1993, S. 162 - 174
Thea Altaras, Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? Teil II, Königstein i.Ts. 1994, S. 110
Thomas Lange (Hrg.), “L’chajim” - Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg, hrg. vom Landkreis Darmstadt-Dieburg, 1997, S. 84/85 und S. 218
Hartmut Heinemann, Die jüdischen Friedhöfe im Landkreis Darmstadt-Dieburg, in: Thomas Lange (Hrg.), ‘L’chajim’ - Die Geschichte der Juden im Landkreis Darmstadt-Dieburg, hrg. vom Landkreis Darmstadt-Dieburg, Reinheim 1997, S. 122 - 132
Hartmut Heinemann/Christa Wiesner, Der jüdische Friedhof in Alsbach an der Bergstraße (Bilddokumentation), in: "Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen", No. 18, Wiesbaden, 2001
Hartmut Heinemann, „Wohltätigkeit rettet vor dem Tod“. Die Beerdigungsbruderschaften des Friedhofs in Alsbach an der Bergstraße und ihre Pokale, in: "Aschkenas", 12/2002, S. 115 - 125
Daniel Krochmalnik, Die jüdische Freiheitsstatue. Zum Bildprogramm der Großen Menora von Benno Elkan, in: Michael Graetz (Hrg.), Ein Leben für die jüdische Kunst. Gedenkband für Hannelore Künzl (Schriften der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg), 2003, S. 215 – 233
Johannes Mingo, Haus der Ewigkeit: Gang über den jüdischen Friedhof in Alsbach an der Bergstraße, hrg. vom Arbeitskreis Zwingenberger Synagoge e.V., 3. Aufl., Zwingenberg 2010
Alsbach-Hähnlein, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Textdokumenten)
Der jüdische Friedhof in Alsbach-Hähnlein, in: alemannia-judaica.de (mit zahlreichem Bildmaterial)
Evang. Gemeindenetz Nördliche Bergstraße (Hrg.), Die ersten Stolpersteine in Alsbach-Hähnlein, Ausg. vom 1.10.2015
Gemeinde Alsbach-Hähnlein erinnert an Benno Elkan, in: „Bergsträßer Anzeiger“ vom 8.10.2012
Kreis Darmstadt-Dieburg: Jüdischer Friedhof in Alsbach besteht seit 400 Jahren, in: echo-online vom 11.5.2016
"400 Jahre jüdischer Friedhof Alsbach - BEWAHREN - ERINNERN - GEDENKEN", Sonderausstellung im Museum Alsbach-Hähnlein, 2016
N.N. (Red.), Ausflug zu dem Haus des Lebens, in: "Mannheimer Morgen“ vom 3.5.2017
N.N. (Red.), Am Samstag 15 Stolpersteine für Alsbach, in: „Echo-Online“ vom 12.5.2017
Auflistung der in Alsbach-Hähnlein verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Alsbach-Hähnlein
Claudia Stehle (Red.), Ortsgeschichte(n): Einblick in den jüdischen Friedhof in Alsbach, in: „Echo“ vom 24.7.2021
Claudia Stehle (Red.), Acht weitere Stolpersteine in Alsbach-Hähnlien, in: „Echo“ vom 1.2.2022