Altdorf (Baden-Württemberg)

Datei:Ettenheim in OG.svg Altdorf ist seit der Eingemeindung (1975) ein Stadtteil von Ettenheim im Kreis Lahr - nur wenige Kilometer südlich der Kreisstadt gelegen (Kartenskizze 'Kreis Lahr', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Gegen Ende des 19.Jahrhunderts war fast jeder vierte Einwohner Altdorfs mosaischen Glaubens; die jüdische Kultusgemeinde war damals die zweitgrößte im Landkreis Lahr in Baden.

Die Entstehung der jüdischen Gemeinde in Altdorf geht in die zweite Hälfte des 17.Jahrhunderts zurück; bereits während des Dreißigjährigen Krieges und danach haben sich hier einzelne jüdische Familien aufgehalten. Mit dem Zuzug jüdischer Flüchtlinge aus Ettenheim vergrößerte sich die israelitische Bevölkerung weiter.

Nachdem die alte und zudem bereits baufällige Synagoge die im Laufe der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts wachsende Gemeinde nicht mehr aufzunehmen in der Lage war, sah sich die jüdische Gemeinde veranlasst, einen Neubau zu errichten. Über das Aussehen der alten Synagoge liegen keine Angaben vor; sie stand vermutlich an der Wallburger Straße, der heutigen Eugen-Lacroix-Straße. Nach mehr als 25 Jahren Vorbereitungszeit und vielen Streitigkeiten bei der Finanzierung konnte die jüdische Gemeinde 1868 ihre neue Synagoge im neo-islamischen Stil einweihen. Über den Eingangsbögen befanden sich hebräische Inschriften wie: „Dies ist das Tor zum Ewigen, Gerechte ziehen durch es hinein“ und „Wie lieblich sind Deine Wohnungen, Ewiger der Heerscharen.“

  Aus dem „Lahrer Wochenblatt” vom 1.März 1868:

Ettenheim, 22. Febr. - Gestern fand die Einweihung der neuerbauten Synagoge in Altdorf in höchst feierlicher Weise statt. Der Gottesdienst sowohl in der alten, wie in der neuen Synagoge war ein sehr würdiger, und hauptsächlich müssen wir die gediegenen Reden des Hrn. Rabbiners von Bühl hervorheben; dieselbst zeugten von echt religiösem Geiste, und wir haben die Wahrnehmung gemacht, daß die bei dieser Feier betheiligten Mitbürger christlichen Bekenntnisses sich an diesen Vorträgen gleichfalls sehr erbauten. Es ist sehr schade, daß keiner der fanatischen kathol. Geistlichen unter den Festtheilnehmern anwesend war; sie hätten aus diesen gediegenen Reden etwas lernen können, namentlich wie man, statt auf der Kanzel zu schimpfen und Haß und Zwietracht zu predigen, nur Worte des Friedens im Munde führen soll.

Gleichzeitig gab sich die jüdische Gemeinde eine Synagogenordnung, in der es hieß:

Synagogenordnung

1. Während des Gottesdienstes ist das Verweilen vor der Synagoge strenge untersagt.

2. Während desselben hat jeder Anwesende eine anständige und ehrfurchtsvolle Stellung zu beobachten.

3. Jede Störung der Andacht wird strenge geahndet.

4. Das Erscheinen in Pantoffeln beim Gottesdienst ist untersagt.

5. Das störende Thürenzuschlagen, sowie das unanständige Auftreten oder Treten beim Eingehen in die Synagoge ist untersagt.

6. Derjenige welcher kommt, nach dem man schon Nischmat* gesagt hat, hat bei der Thüre stehen zu bleiben und darf nicht weiter, als biß zu den Schülerbänken vorwärts gehen.

7. Das Eingehen während die Thora vorgelesen wird, ist untersagt.

8. Am Sabbath ... hat jeder Verehelichte, der dem Gottesdienst anwohnen will, das Haupt mit schwarzem Cylinderhut bedeckt, zu erscheinen.

9. Es darf kein hiesiger auf einem Synagogenplatz stehen, den er nicht gekauft oder gemiethet hat, wenn er nicht spezielle Erlaubniß von dem Eigenthümer vorweisen kann. Ausnahmen machen hiervor: des Vaters Platz für den Sohn, der des Sohnes für den Vater und Bruder.

10. Kinder die noch nicht schulpflichtig sind und Mädchen die noch nicht geläufig im Gebetbuche lesen können, ist der Besuch am Gottesdienste untersagt.

11. Derjenige, welcher beim Aufrufen zur Thora etwas spenden will, hat ausdrücklich zu bestimmen, wieviel und zu welcher Kasse er gelobt. Sollte er Letzteres nicht ausdrücklich bestimmen, so fließt solche Spende in die Armenkasse.

12. Das Ablegen des Talith sowie das Entfernen von seinem Platze vor völliger Beendigung des Gottesdienstes ist untersagt.

Das Übertreten vorerwähnter Verordnungen und Zuwiderhandeln gegen dieselbe, wird nach Ermessen des Synagogenraths von 12 x und darüber bestraft werden.

Altdorf den 26ten März 1868

Der Synagogenrath

* Abschlussgebet im Sabbat-Gottesdienst

(aus: Historischer Verein für Mittelbaden e.V. (Hrg.), Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim - Altdorf - Kippenheim - Schmieheim - Rust - Orschweier, Ettenheim 1988, S. 102)

                                                          Synagoge in Altdorf (hist. Aufn., Hanna Meyer-Moses, um 1935)

Ab 1835 gab es am Ort, in der Schmieheimer Straße, etwa 40 Jahre lang eine jüdische Schule, die zeitweise auch von christlichen Kindern besucht wurde. Gegen Ende der 1920er Jahre wurde die Schule geschlossen.

Verstorbene Altdorfer Juden wurden auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Schmieheim beigesetzt.

Juden in Altdorf:

         --- 1809 ...........................  52 jüdische Familien,

    --- 1825 ........................... 244 Juden (ca. 20% d. Bevölk.),

    --- 1839 ........................... 289   “  ,

    --- 1855 ........................... 313   “  ,

    --- 1871 ........................... 253   “  ,

    --- 1885 ........................... 255   “   (ca. 25% d. Bevölk.),

    --- 1900 ........................... 177   “   (ca. 16% d. Bevölk.)

    --- 1890 ........................... 223   “  ,

    --- 1905 ........................... 135   “  ,

    --- 1925 ...........................  68   “   (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1933 ...........................  51   “  ,

    --- 1936 ...........................  39   “  ,

    --- 1940 (Jan.) ................ ca.  15   “  .

Angaben aus: Volkszählungen in Baden, in: Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim - Altdorf - Kippenheim - Schmieheim - Rust - Orschweier, Ettenheim 1988, S. 441


hist. Bildpostkarte, um 1895 mit Abb. der Synagoge (aus: wikipedia.org, CCO)

 

Das Zentrum der jüdischen Gemeinde Altdorf war der Sonnenplatz, im Ortskern gelegen. Hier befanden sich auch die koschere Gastwirtschaft „Der Hirsch”, eine koschere Metzgerei und die Mazzen-Bäckerei. Bis in die 1930er Jahre wurde in Altdorf religiös-jüdisches Leben gepflegt. Ihren Lebenserwerb verdienten die jüdischen Familien im Handel: als Metzger und Viehhändler und als Textilwaren- und Branntweinhändler.

Anzeigen jüdischer Viehhändler

... und zwei Lehrstellenangebote der Bäckerei Löwenstein:

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20209/Altdorf%20Israelit%2011081902.jpg http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20209/Altdorf%20FrfIsrFambl%2005051905.jpg von 1901 und 1905

Das Zusammenleben mit der christlichen Nachbarschaft verlief damals insgesamt spannungsfrei und freundschaftlich.

Eine im Frühjahr 1936 angelegte „Judenkartei“ erfasste 39 „Volljuden“ in 20 Haushaltungen. Im Nachgang des Novemberpogroms wurden auf Anweisung des NSDAP-Kreisleiters aus Lahr die lokalen Parteiorgane angewiesen, die jüdischen Geschäfte zu demolieren, die Synagoge in Brand zu setzen und die jüdischen Männer zu inhaftieren. Nachdem die SA-Angehörigen bereits im benachbarten Ettenheim Zerstörungen angerichtet hatten, wandten sie sich Altdorf zu und taten hier das gleiche. Schulkinder wurden in die ‚Aktion’ miteinbezogen; sie mussten vor den Judenhäusern des Dorfes Sprechchöre mit den Worten „Wenn das Judenblut vom Säbel spritzt, dann geht’s noch mal so gut” ertönen lassen. Anschließend wurden die Fensterscheiben zerschlagen und Einrichtungsgegenstände zerstört. SA-Angehörige drangen dann in die Synagoge ein und zertrümmerten die Inneneinrichtung. Die den Giebel schmückenden steinernen Gesetzestafeln wurden abgeschlagen und zerschmettert. Später, während des Zweiten Weltkrieges, diente das Gebäude als Gefangenenunterkunft. Nach 1945 erwarb es die Kommune, und nach einem Umbau war in ihm zunächst eine Fabrik untergebracht, danach wurde es als Lagerraum genutzt.

Nachdem die marodierende SA die wenigen, von Juden bewohnten Häuser verwüstet hatte, wandte sie sich dem Nachbarort Schmieheim zu. Da in Schmieheim die meisten ehemaligen „Judenhäuser“ bereits in „arischer“ Hand waren, kam es am Ortseingang zum Streit. Die SA wurde abgewehrt, und dadurch gab es im Ort selbst keinerlei Gewalttätigkeiten.

 [vgl. Schmieheim (Baden-Württemberg)]

Die in Altdorf aus ihren Häusern getriebenen jüdischen Männer wurden in den kleinen Hof hinter dem alten Altdorfer Rathaus am Sonnenplatz gebracht, und auch die Verhafteten aus Ettenheim kamen zunächst hierher. Von hier aus wurden sie nach Kippenheim zu einer Sammelstelle für die Juden der umliegenden Ortschaften und dann über Lahr ins KZ Dachau gebracht. Die zurückbleibenden Angehörigen mussten den Winter in ihren zerstörten Wohnungen zubringen. Im Oktober 1940 wurden die zwölf noch in Altdorf lebenden jüdischen Bewohner ins südfranzösische Gurs deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden 48 aus Altdorf stammende bzw. hier längere Zeit ansässig gewesene Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/altdorf_synagoge.htm).

 

Am 60.Jahrestag der Pogromnacht wurde eine Gedenktafel an dem Gebäude angebracht, in dem sich einst die Synagoge befand:

In diesem Gebäude befand sich die

SYNAGOGE

der jüdischen Gemeinde Altdorf von 1868 bis 1938.

Am 10.November 1938 wurde sie unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entweiht und verwüstet.

Jüdische Wohnungen wurden zerstört und ihre Bewohner gedemütigt.

Für die Juden begannen Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung.

Den Opfern zum Gedenken

den Lebenden zur Mahnung

November 1998

Ortschaft Altdorf   Kath. Pfarrgemeinde Altdorf   Historischer Verein Ettenheim

Das zunächst lange Jahre als Firmensitz einer Chemischen Fabrik zweckentfremdete Gebäude wurde 1998 von einem Künstler-Ehepaar erworben und mühevoll restauriert; es ist heute eine Kunsthalle. Nach Gründung des Fördervereins zur Erhaltung des ehemaligen Synagogengebäudes (2018) wurde die Außenfront des Gebäudes mit hohen Kostenaufwand saniert.

   Ehemalige Synagoge Altdorf Rückseite.jpgsaniertes ehem. Synagogengebäude (Aufn. B., 2020, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 4.0)

Überlegungen des jüngst gegründeten "Fördervereins ehemalige Synagoge heute Kunsthalle Altdorf" sind darauf ausgerichtet, das denkmalgeschützte ehem. Synagogengebäude im Ortskern zu erhalten und einer Restaurierung zuzuführen (Stand 2018).

https://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20196/Altdorf%20Denkmal%20N01.jpg Ein von Schüler/innen des Städtischen Gymnasiums Ettenheim entworfener Gedenkstein, der an die Oktober-Deportationen von 1940 erinnert und als ihr Beitrag beim Memorialprojekt in Neckarzimmern steht, hat als Doublette seinen Platz vor dem Rathaus gefunden (Aufn. aus: mahnmal-neckarzimmern.de).

2023 wurden neben der Altendorfer Kunsthalle - der früheren Synagoge -  zwei sog. "Stolpersteine" verlegt, die an Leopold Dreyfuß und seine Tochter Alice erinnern, beide wurden Opfer der Shoa.

 

Aus Altdorf stammte Moses Elias Präger (geb. 1817), Sohn des Rabbiners Elias Präger, der nach seiner Ausbildung an den Jeschiwot Karlsruhe und Mannheim ein Studium in Heidelberg absolvierte. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er in den Jahren 1847 bis 1854 dessen Amt des Rabbiners in Bruchsal;, danach wirkte er bis zu seinem Tode (1861) als Stadt- und Bezirksrabbiner in Mannheim. Während seiner Tätigkeit publizierte Präger Gebets- und Erbauungsschriften sowie Predigttexte; er veröffentlichte 1855 ein neues israelitisches Gebetbuch, das aber von religiös-orthodoxen Kreisen abgelehnt wurde.

 

[vgl. Ettenheim (Baden-Württemberg)]

 

Hinweis: Im gleichnamigen pfälzischen Altdorf an der Südlichen Weinstraße gab es auch eine jüdische Landgemeinde. In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts zählte sie immerhin ca. 100 Angehörige. [vgl. Altdorf (Rheinland-Pfalz)]

 

 

Weitere Informationen:

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, Hrg. Archivdirektion Stuttgart, Stuttgart 1968, S. 35/36

Historischer Verein für Mittelbaden e.V. (Hrg.), Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim - Altdorf - Kippenheim - Schmieheim - Rust - Orschweier, Ettenheim 1988

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 398/399

Dieter Weis, Synagogen im ehemaligen Amtsbezirk Ettenheim: Ettenheim, Altdorf, Kippenheim, Schmieheim und Rust, in: Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden 1938 - 1988, Ettenheim 1988, S. 68 - 157

Maria Schwab, Erinnerungen an jüdisches Leben in Altdorf, aus: Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim - Altdorf - Kippenheim - Schmieheim - Rust - Orschweier, Ettenheim 1988, S. 285 f.

Maria Schwab, Jüdische Häuser und Erinnerungen an einige jüdische Familien von Altdorf und deren Schicksale, aus: Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim - Altdorf - Kippenheim - Schmieheim - Rust - Orschweier, Ettenheim 1988, S. 297 f.

Franz Oswald, Die Geschichte der Altdorfer Judenschule, aus: Schicksal und Geschichte der jüdischen Gemeinden Ettenheim - Altdorf - Kippenheim - Schmieheim - Rust - Orschweier, Ettenheim 1988, S. 312 f.

Dieter Weis, Zur Geschichte der Altdorfer Synagoge, in: "Ettenheimer Stadtanzeiger" vom 12.11.1998

Ulrich Baumann, Zerstörte Nachbarschaften. Christen und Juden in badischen Landgemeinden 1862 – 1940. Studien zur jüdischen Geschichte Band 7, Dölling und Galitz Verlag, Hamburg 2001

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 116 – 119 und S. 305

Altdorf, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Text- und Bilddokumenten)

Christiane Twiehaus, Synagogen im Großherzogtum Baden (1806-1918). Eine Untersuchung zu ihrer Rezeption in den öffentlichen Medien, in: "Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg", Heidelberg 2012, S. 70 - 72

Sandra Decoux-Kone (Red.), Schon 42 Unterstützer dabei, in: "Lahrer Zeitung" vom 23.5.2018

Klaus Schade (Red.), Ettenheim: 90.000 Euro für alte Synagoge, in: "Lahrer Zeitung" vom 29.6.2018

Erika Sieberts (Red.), Geschichte bewusst machen, aber die Gegenwart leben, in: „Badische Zeitung“ vom 26.1.2019

Erika Sieberts (Red.), Kunsthalle Altdorf erhält eine neue Fassede, in: „Badische Zeitung“ vom 11.6.2019

Klaus Schade (Red.), Altdorf gedenkt mit zwei Stolpersteinen jüdischen Mitbürgern, in: „Lahrer Zeitung“ vom 24.5.2023