Altenstadt (Hessen)

Jüdische Gemeinde - Staden/Wetterau (Hessen) Bildergebnis für wetteraukreis karte  Altenstadt (Nidder) ist eine Kommune mit derzeit ca. 12.500 Einwohnern in der südlichen Wetterau in Hessen – ca. 35 Kilometer nordöstlich von Frankfurt/Main gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 ohne Eintrag von Altenstadt, aus: wikipedia.org, gemeinfrei  und  Kartenskizze 'Wetteraukreis', aus: ortsdienst.de/hessen/wetteraukreis).

 

Früheste Nachrichten über die Anwesenheit von Juden in Altenstadt stammen aus dem ausgehenden 17.Jahrhundert. Seit der Mitte des 18.Jahrhunderts gab es hier eine jüdische Gemeinde. Ihr Mittelpunkt war die kleine Synagoge in der Quergasse, die in einem alten Fachwerkgebäude untergebracht war und vermutlich seit 1780 oder - anderen Angaben zufolge - erst seit 1820 bestand. Zu den gemeindlichen Einrichtungen gehörte auch eine Mikwe, die sich ebenfalls in einem kleinen Fachwerkgebäude am Bachstaden befand und bis in die 1930er Jahre genutzt wurde.

  Mikwe kurz vor dem Abbruch (hist. Aufn., Gemeindearchiv)http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20239/Altenstadt%20Mikwe%20120.jpg

Die rituellen Verrichtungen wurden von einem seitens der Gemeinde angestellten Lehrer vorgenommen. Die Stelle der Religionsschule war bis Anfang der 1920er Jahre besetzt.

        Stellenangebote von 1872 und 1891

Nachdem 1922 der langjährig tätige Lehrer Heinemann Neumark verstorben war, wurde die Stelle vermutlich nicht mehr besetzt; Unterricht übernahmen nun auswärtige Lehrer; den Vorbeterdienst in der Synagoge führten ehrenamtlich Gemeindeglieder aus.

Der jüdische Friedhof - angelegt Ende der 1830er Jahre - lag westlich von Altenstadt in Richtung Höchst a.d. Nidder; zuvor waren die Verstorbenen auf dem jüdischen Friedhof in Hainchen begraben worden.

Zur Gemeinde Altenstadt, die zuletzt zum liberalen Rabbinat Darmstadt (vorher zum orthodoxen Rabbinat Gießen) gehörte, zählten seit ca. 1810 auch die wenigen Juden aus Engelthal.

Juden in Altenstadt:

         --- 1834 ...........................  57 Juden,

    --- 1843 ...........................  79   “  ,

    --- 1858 ........................... 102   “  ,

    --- 1895 ...........................  87   “  ,

    --- 1905 ...........................  67   “   (ca. 6% d. Bevölk.),

    --- 1916 ...........................  82   “  ,

    --- 1924 ...........................  74   “  ,

    --- 1933 ....................... ca.  75   “  ,

    --- 1936 ...........................  44   “  ,

    --- 1938 (Mitte Nov.) ..............   7   “  ,

    --- 1939 (Mai) .....................  ein  “ (),*    *andere Angabe: 11 Pers.

    --- 1942 (Jan.) ....................  eine Familie (3 Pers.)

             (Dez.) .................... keine.

Angaben aus: Elisabeth Johann, Unsere jüdischen Nachbarn - Ein fast vergessener Teil der Ortsgeschichte ..., S. 31

 

Neben Vieh- und Pferdehandel betrieben die Altenstädter Juden einige Einzelhandelsgeschäfte; auch eine Gastwirtschaft hatte einen jüdischen Besitzer. Zu Beginn der NS-Zeit gab es sieben jüdische Geschäfte im Ort und 80 jüdische Bewohner, bei Kriegsbeginn hingegen soll Lina Lich die einzige noch verbliebene Jüdin in Altenstadt gewesen sein. 1933/1934 kam es im Ort mehrmals zu pogromartigen Ausschreitungen, bei denen ortsansässige NSDAP/SA-Angehörige einzelne jüdische Bewohner misshandelten und deren Wohnungen demolierten. Derartige Gewalttätigkeiten wiederholten sich dann im Frühherbst 1938.

Bereits im Februar 1938 hatte sich die jüdische Kultusgemeinde aufgelöst.

Während des Novemberpogroms wurde die Synagoge beschädigt, aber nicht zerstört und das Inventar zum Friedhof geschleppt und dort in Brand gesetzt. Nach dem Krieg wurde das Synagogengebäude abgerissen.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." wurden nachweislich mindestens zwölf gebürtige jüdische Ortsbewohner Opfer der NS-Verfolgung (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/altenstadt_fb_synagoge.htm).

 

In den 1980er Jahren wurde der jüdische Friedhof von Altenstadt nach einer testamentarisch zur Verfügung gestellten Spende wieder in einen würdigen Zustand versetzt. Die Kommunalgemeinde Altenstadt ließ eine Bronzetafel mit folgendem Text aufstellen:

Im Gedenken an den Altenstädter Ortsbürger

          Hermann Stern

geb. 7.7.1914, gest. 19.2.1986

der als Verfolgter des Nazi-Regimes im Jahre 1937 Deutschland verlassen mußte und nach New York, USA emigrierte.

Seine Spende hilft, diesen Friedhof zu pflegen.

                    Jüdischer Friedhof Altenstadt, Teilansicht (Aufn. J. Hahn, 2008) 

Jüngst wurden Bestrebungen verwirklicht, auch in den Straßen von Altenstadt sog. „Stolpersteine“ zu verlegen (Stand 2023): So wurden an verschiedenen Standorten insgesamt zwölf messingfarbene Steinquader in die Gehwegpflasterung eingelassen, die an Angehörige der jüdischen Familien Adler und Siesel (Quergasse) und der Familie Bamberger (Mönchsgasse) erinnern. Zeitgleich wurden auch im Stadtteil Höchst fünf „Stolpersteine“ verlegt.

Hinweis: Die ersten sieben Gedenktäfelchen wurden bereits 2022 im Ortsteil Lindheim verlegt (vgl. Lindheim/Hessen).

 

 

Im heutigen Ortsteil Höchst a.d. Nidder gab es nachweislich seit Mitte des 18.Jahrhunderts eine kleine jüdische Gemeinde. Im ersten Viertel des 19.Jahrhunderts erreichte die Gemeinde mit ca. 80 Angehörigen ihren personellen Zenit; zu Beginn des 20.Jahrhunderts lebten im Dorf nur noch wenige jüdische Familien. Neben einer Betstube verfügte sie ab den 1820er Jahren über einen eigenen Friedhof. Die Gemeinde, die dem orthodoxen Provinzialrabbinat von Gießen unterstanden hatte, wurde Anfang der 1930er Jahre aufgelöst. Die beiden letzten jüdischen Bewohner verließen 1939 ihren Heimatort. 

vgl. Höchst a.d. Nidder (Hessen)

 

 

Im wenige Kilometer östlich von Altenstadt gelegenen Lindheim (ebenfalls Ortsteil Altenstadts) gab es eine kleine jüdische Kultusgemeinde, die zu einer der ältesten in der Wetterau zählte. Dieser gehörten auch zeitweise die wenigen Familien aus Hainchen an. Bereits im 18.Jahrhundert sollen acht bis zehn jüdische Familien in Lindheim gelebt haben.

In Lindheim wurden die ersten sieben „Stolpersteine der Kommune Altenstadt verlegt; so erinnern in der Düdelsheimer und Altenstädter Straße die messingfarbenen Steine an Angehörige der jüdischen Familien Lindheimer, von denen sich nur die jüngeren in die Emigration retten konnten

vgl. Lindheim (Hessen)

 

 

Im wenige Kilometer südöstlich gelegenen Dorf Himbach (heute Teil der Kommune Limeshain) gründete sich eine jüdische Kultusgemeinde erst um 1850. Zu ihr zählten zunächst auch die wenigen Familien aus Hainchen. Die Zahl der Gemeindemitglieder betrug zu keiner Zeit mehr als 50 Personen. Gottesdienstliche Treffen fanden in einer winzigen, um 1830 eingerichteten Synagoge in der Erbsengasse statt. Verstorbene wurden auf dem Friedhofsgelände in Eckartshausen bzw. auch in Hainchen bestattet. - Die meisten Himbacher Juden betrieben Viehhandel oder führten kleine Geschäfte. Von den sieben jüdischen Familien, die zu Beginn der 1930er Jahre hier lebten, verließen die meisten den Ort bis 1939. Die kleine Synagoge war im November 1938 niedergebrannt worden. 

vgl. Himbach (Hessen)

 

In der Kommune Limeshain erinnert seit 2024 eine Gedenktafel mit den Namen der jüdischen NS-Opfer.

 

 

In dem ca. zehn Kilometer nördlich von Altenstadt liegenden Nieder Mockstadt gründete sich zu Beginn des 19.Jahrhunderts eine jüdische Kultusgemeinde, zu der in den Anfangsjahrzehnten auch die Familien aus Ranstadt gehörten. Eine umgebaute Scheune diente als Betraum, und auch ein kleines Beerdigungsgelände war vorhanden. Zu Beginn des 20.Jahrhunderts lebten ca. 35 jüdische Bewohner am Ort; die meisten verließen Nieder Mockstadt in den 1930er Jahren. Während des Novemberpogroms wurde die Inneneinrichtung der Synagoge zerstört, danach diente das Gebäude als Feuerwehrgerätehaus. 

vgl. Nieder Mockstadt (Hessen)

 

 

Auch im Dorf Ober Mockstadt gab es eine jüdische Gemeinde, die aber stets nur sehr wenige Familien zählte. Seit ca. 1850 gehörten auch die Juden aus Ranstadt zu dieser Gemeinde. Neben einem in einem älteren Fachwerkhause untergebrachten Betraum in der Untergasse stand auch ein kleines, erst um 1895 angelegtes Friedhofsgelände zur Verfügung. Ende der 1930er Jahre löste sich die Gemeinde auf. Der Verbleib der letzten jüdischen Bewohner von Ober Mockstadt ist unbekannt.

vgl. Ober Mockstadt (Hessen)

 

 

 

Weitere Informationen:

Paul Arnsberg, Zur Geschichte der Juden in Altenstadt, in: 1200 Jahre Altenstadt, Selters 1967

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 36/37 (Altenstadt), S. 368/369 (Himbach) , S. 375 (Höchst a.d.Niidder) und Band 2, S. 139 (Nieder Mockstadt) und 153/154 (Ober Mockstadt)

Wolf-Arno Kropat, Kristallnacht in Hessen - Der Judenpogrom vom November 1938, in: "Schriften der Kommission für die Geschichte der Juden in Hessen", Wiesbaden 1988

Elisabeth Johann, Unsere jüdischen Nachbarn - Ein fast vergessener Teil der Ortsgeschichte von Altenstadt, Höchst an der Nidder und Lindheim 14. - 20. Jahrhundert, Hrg. Vorstand der Gemeinde Altenstadt 1991, S. 30 ff.

Thea Altaras, Das jüdische Rituelle Tauchbad und: Synagogen in Hessen. Was geschah seit 1945? Teil II, Königstein i. Ts.1994, S.145 (Neubearbeitung 2007)

Altenstadt (Wetteraukreis/Hessen) mit Engenthal, in: alemannia-judaica.de (mit einigen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Susanne Gerschlauer, Katalog der Synagogen, in: Ulrich Schütte (Hrg.), Kirchen und Synagogen in den Dörfern der Wetterau, in: "Wetterauer Geschichtsblätter - Beiträge zur Geschichte u. Landeskunde", Band 53, Friedberg (Hessen) 2004, S. 568

Jüdisches Familienleben in Altenstadt (Hessen) – historische Fotografien, in: vor-dem-holocaust.de

Ingeborg Schneider (Red.), Wieder einen Platz in der Erinnerung bekommen, in: „Frankfurter Neue Presse“ vom 2.9.2023