Amschelberg (Böhmen)
Amschelberg - eine der ältesten Siedlungen Böhmens - ist das tschechische Kosova Hora mit derzeit ca. 1.400 Einwohnern - etwa 60 Kilometer südlich von Prag bzw. nur wenige Kilometer östlich von Sedlčany/dt. Seltschan bzw. Selcan gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: europe1900.eu und Kartenskizze 'Tschechien' mit Kosova Hora markiert, aus: kurzy.cz).
Um 1860/1870 erreichte die jüdische Gemeinde von Amschelberg ihren personellen Zenit; damals gehörte jeder dritte Bewohner dem mosaischen Glaubens an.
Die Anwesenheit jüdischer Familien, die unter wechselnden Herrschaften in Amschelberg leben konnten, ist schon im beginnenden 16. Jahrhundert urkundlich nachweisbar. So soll der jüdische Friedhof in Amschelberg 1580 angelegt worden sein; die ältesten lesbaren Grabsteine datieren aber erst aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Eine israelitische Gemeinde bildete sich in Amschelberg aber erst einige Jahrzehnte nach Ende des Dreißigjährigen Krieges.
Seit dem 18.Jahrhundert gab es ein jüdisches Viertel, dessen Häuser römische Ziffern trugen. Auch die Synagoge befand sich hier. Nach einem Brand im Jahr 1740 ließ die Gemeinde einen Neubau errichten, der bis gegen Ende des 19.Jahrhunderts genutzt wurde.
Synagoge (hist. Aufn., aus: zanikleobce.cz)
Im Laufe des 18. und 19.Jahrhunderts entwickelte sich die Gemeinde immer mehr und erreichte um 1870 mit nahezu 400 Mitgliedern ihren Höchststand. Der Unternehmergeist jüdischer Familien brachte der Stadt ein spürbares Wirtschaftwachstum. Doch innerhalb von nur drei Jahrzehnten schrumpfte die Zahl der jüdischen Bewohner infolge von Abwanderung um 75%.
Juden in Amschelberg:
--- um 1655 ......................... 8 jüdische Familien,
--- 1674 ............................ 18 “ “ ,
--- 1724 ............................ 22 " " ,
--- 1793 ........................ ca. 150 Juden (in 24 Familien),
--- 1846 ............................ 37 jüdische Familien,
--- 1870 ........................ ca. 400 Juden (ca. 35% d. Bevölk.),
--- 1876 ............................ 268 “ ,
--- 1880 ........................ ca. 180 “ ,
--- 1900 ............................ 114 “ (ca. 10% d. Bevölk.),
--- 1921 ............................ 47 “ ,
--- 1930 ............................ 32 “ .
Angaben aus: Jaroslav Rokycana, Geschichte der Juden in Amschelberg und Seltschan
Teilansicht von Amschelberg (hist. Postkarte)
Nach der Auflösung der jüdischen Gemeinde in Amschelberg (1893) suchten die hier noch verbliebenen Juden die Gottesdienste im drei Kilometer entfernten Seltschan, dem heutigen Sedlcany, auf.
Von den während der deutschen Okkupation nach Theresienstadt und danach nach Auschwitz verschleppten jüdischen Bewohnern überlebten nur wenige.
Vom ehemaligen Ghetto, das sich im nordwestlichen Teil des Ortes befand, sind die meisten Häuser, ein kleiner Marktplatz, die ehemalige Schule und die barocke Synagoge aus der Zeit nach 1740 erhalten. Dank einer privaten Initiative konnte jüngst das ehemalige, bereits dem Verfall anheim gefallene Synagogengebäude umfassend saniert werden; in seinen Räumen soll es künftig auch eine Dokumentation der Geschichte der jüdischen Gemeinde Amschelbergs geben.
Ehemaliges Synagogengebäude vor der Sanierung (Aufn. aus: Kosovahora.cz) und nach der Sanierung (Aufn. Milos Hlávká, 2011)
Innenraum des sanierten Synagogengebäudes mit Thoraschrein (beide Aufn. L. Faigl, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)
Vom jüdischen Friedhof haben sich bis in die Gegenwart einige sehr alte Grabsteine erhalten, die angeblich aus der zweiten Hälfte des 16.Jahrhundert datieren sollen (Anm.: Die Beschriftungen sind nicht mehr lesbar). Die meisten Grabmäler stammen aus der Zeit nach 1780.
Taharahaus und jüngere Begräbnisstätten (Aufn. Ladilav Faigl, 2012, aus: wikipedia.org, CC BY 3.0)
Friedrich Adler, als Sohn eines jüdischen Gastwirts und Seifensieders 1857 in Amschelberg geboren, gehörte später zu den führenden deutschsprachigen Schriftstellern des Prags der Jahrhundertwende. Nach einem Sprachenstudium absolvierte er anschließend ein Politik- u. Jurastudium, das er mit der Promotion abschloss; 1891 eröffnete er in Prag eine eigene Kanzlei. Neben der Juristrei war Adler vielseitig tätig: so als Lehrbeauftragter für romanische Philologie an der Deutschen Universität in Prag, Kunst- und Theaterreferent der Bohemia und Lehrer für Spanisch an der Deutschen Handelsakademie in Prag. Adler schrieb auch Gedichte und Dramen und trat als Übersetzer und Bearbeiter tschechischer und spanischer Autoren hervor. Nach dem Ersten Weltkrieg leitete Adler die Übersetzebureaus der Tschechischen Nationalversammlung. Fast zeitgleich wurde er zum Mitglied der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft Kunst und Literatur in Böhmen gewählt. Adler verstarb 1938 in Prag.
Im nahegelegenen Seltschan (tsch. Sedlcany mit derzeit 7.200 Einw., am rechten Ufer des Vitava-Flusses gelegen), in dem bis um die Mitte des 19.Jahrhunderts nur vereinzelt jüdische Familien lebten, begann nennenswerte Zuwanderung erst nach 1848; doch bis 1890 wuchs die jüdische Gemeinschaft auf ca. 180 Personen an, so dass 1888 eine selbstständige Kultusgemeinde ins Leben gerufen werden konnte. Anders als allgemein in böhmischen Orten üblich sprachen die hiesigen Juden nicht deutsch, sondern wie ihre christlichen Nachbarn tschechisch.
Gottesdienste fanden in einem Saal eines Gasthauses statt; das Gebäude hatte die Judenschaft erworben und diente auch weiterhin als Gasthaus und zudem als gottesdienstlicher Versammlungsraum. Die Ritualien wurden von der inzwischen geschlossenen Synagoge Amschelbergs übernommen.
Gasthof/Synagoge Seltschan (hist. Aufn., aus: zanikleobce.cz)
Im ausgehenden 19. und in den ersten beiden Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts ging auch in Sedlcany die Zahl der jüdischen Bewohner deutlich zurück; so hatte sich von 1890 bis 1921 die jüdische Bevölkerungszahl auf 88 Personen halbiert. Trotzdem konnte das religiöse Leben bis 1939 noch aufrecht erhalten werden, da Juden aus den umliegenden kleinen Dörfern (und auch aus Amschelberg) die Gemeinde stärkten.
Die Gemeinde verfügte über diverse Kultgegenstände (Tora-Rollen), die nach Auflösung umliegender kleiner Landgemeinden hierher gebracht worden waren.
Weitere Informationen:
Rudolf Rosenzweig, Die Familianten von Amschelberg und Rothradek (Kosová Hora a Hrádek Cerveny), in: "Zeitschrift für die Geschichte der Juden in der Tschechoslowakei 3", Heft 1/1933, S. 61 - 71
Jaroslav Rokycana (Bearb.), Geschichte der Juden in Amschelberg und Seltschan, in: Hugo Gold (Hrg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Brünn/Prag 1934, S. 6 - 11
Suzanne Sadowsky, The Woodacre Torah (Chapter 8: Amschelberg/Sedlcany), o.O. 1989
Renate Heuer (Hrg.), Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Band 1, Saur-Verlag, München 1992, S. 39 – 42
Jewish families from Kosova Hora (Amschelberg), Bohemia, Czech Republic, online abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-Families-from-Kosova-Hora-Amschelberg-Central-Bohemia-Czech-Republic/13941
Jewish families from Sedlčany, Příbram District, Central Bohemian Region, Czech Republic, omline abrufbar unter: geni.com/projects/Jewish-families-from-Sedlčany-Příbram-District-Central-Bohemian-Region-Czech-Republic/15256