Bartfeld/Bardejov (Slowakei)
Das slowakische Bardejov (ung. Bartfa) liegt im Nordosten des Landes. Die Stadt weist heute noch typische Merkmale eines Siedlungsortes der deutschen Ostkolonisation auf, wie z.B. die planmäßige rechteckige Form des Marktplatzes. Die derzeit ca. 31.000 Einwohner zählende Stadt besitzt zahlreiche Kulturdenkmäler in seinem vollständig intakten mittelalterlichen Stadtkern; sie gehört heute zum UNESCO-Weltkulturerbe (Karte aus: familipadia.wikia.com/wiki/Bardejov).
Eine vorübergehende Anwesenheit von Juden in der Stadt lässt sich bis ins hohe Mittelalter nachweisen. Kurzzeitig sollen sich jüdische Familien während des 16. und beginnenden 17.Jahrhunderts hier aufgehalten haben; 1631 erfolgte ihre Vertreibung. Erst gegen Mitte des 18.Jahrhunderts wurden wieder jüdische Familien in Bartfeld ansässig; es waren aus Galizien stammende Juden; dabei handelte es sich allerdings um nur wenige privilegierte Familien.
Eine organisierte jüdische Gemeinde gründete sich erst im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Bereits nach 1800 war eine Synagoge am westlichen Stadtrand erbaut worden; um diese entstand schrittweise ein jüdisch-geprägter Vorort (das sog. Suburbium); hier gab es zudem eine Schule, eine Mikwe, ein Versammlungs- und Wirtschaftsgebäude, einen rituellen Schlachthof sowie einen Friedhof.
sog."Suburbium" in Bardejov - Modell (Abb. aus: archinfo.sk/diela/rekonstrukcia ...)
Ein größerer Synagogenbau (im Stile der Neu-Gotik) wurde nach sechsjähriger Bauzeit 1836 eingeweiht.
In der Folgezeit schuf die schnell wachsende, traditionell orthodox-chassidisch geprägte Gemeinde - die Zuwanderer kamen vornehmlich aus den polnischen Gebieten Galiziens - eine Religions- und Elementarschule; zudem gab es eine Jeschiwa.
Anmerkung: Bartfeld war im 19./beginnenden 20.Jahrhundert eines der Zentren jüdischen Buchdrucks in der Slowakei; die beiden großen Druckereien (Blayer und Horovitz) veröffentlichten mehr als 100 Buchtitel (bis 1939).
Zu Beginn des 20.Jahrhunderts war Bartfeld Sitz eines Regionalrabbinats, dem 40 kleinere Ortschaften der Umgebung unterstanden.
1929 wurde ein weiteres Bethaus eingeweiht: die Bikur-Cholim-Synagoge.
hist. Aufn., aus: jewishgen.org/yizkor/pinkas_slovakia/slo112
Juden in Bartfeld:
--- 1716 ........................... 2 jüdische Familien,
--- um 1745 ........................ eine jüdische Familie,
--- 1767 ........................... 17 Juden,
--- 1782 ........................... 43 " ,
--- 1828 ........................... 146 " ,
--- 1835 ........................... 131 “ ,
--- 1851 ........................... 185 “ ,
--- 1869 ........................... 1.011 “ (ca. 20% d. Bevölk.),
--- 1880 ........................... 1.113 " ,
--- 1900 ........................... 1.715 " ,
--- 1910 ....................... ca. 1.500 “ ,
--- 1919 ........................... 2.119 “ (ca. 30% d. Bevölk.),
--- 1929 ........................... 2.745 “ ,
--- 1940 ........................... 2.441 “ (ca. 29% d. Bevölk.),
--- 1949 ....................... ca. 200 “ .
Angaben aus: Maros Borský, Synagogue Architecture in Slovakia towards creating a memorial landscape of lost community, Dissertation; Heidelberg, 2005, S. 77
und Yehoshua Robert Buchler/Ruth Shashak (Übers.), Bardejov” – Encyclopaedia of Jewish communities, Slovakia (Bardejov, Slovakia)
Ab Mitte des 19.Jahrhunderts setzte ein enormes Wachstum der israelitischen Gemeinde ein. Ihr Wohngebiet war nun nicht mehr auf die „Vorstadt“ begrenzt, sondern fortan ließen sich die jüdischen Zuwanderer in der ganzen Stadt nieder. Ein Großteil des lokalen Wirtschaftslebens lag in den Händen jüdischer Familien; so gab es in Bartfeld ca. 220 Geschäfte und ca. 90 Handwerkerbetriebe, die jüdische Besitzer hatten. Auch im Kommunalleben spielten Juden in Bartfeld eine gewichtige Rolle: fast die Hälfte der Stadtverordneten setzte sich aus Bürgern mosaischen Glaubens zusammen (1935).
Ab ca. 1900 gewann zionistisches Gedankengut in der Bartfelder Gemeinde immer mehr Gehör; verschiedene Organisationen versuchten hier ihre Anhängerschaft zu vergrößern.
Mit der Gründung des slowakischen Nationalstaates setzten Entrechtung und Verfolgung ein. Der Verlust ihrer Wirtschaftsgrundlage ("Arisierung") ging einher mit ersten Einsätzen zur Zwangsarbeit. Im Frühjahr 1942 begannen die Deportationen; auch Juden aus der Region, die die Behörden in Bartfeld konzentrierten, und jüdische Flüchtlinge aus Polen wurden in Ghetto- und Vernichtungslager auf polnischen Boden abtransportiert; insgesamt sollen es mehr als 2.500 Menschen gewesen sein. Nur wenige hundert Juden, die man als Arbeitskräfte benötigte, wurden zunächst von einer Deportation zurückgestellt; im September 1944 wurden die meisten von ihnen auch Opfer der Vernichtungspolitik.
Nach Kriegsende konnte sich in Bardejov zunächst wieder eine kleine Gemeinde etablieren, der auch ca. 30 überlebende Juden der Vorkriegsgemeinde angehörten; in den Folgejahren verließen fast alle die Stadt und emigrierten.
Der mit fast 1.300 Grabsteinen besetzte jüdische Friedhof – sie stammen aus dem 18. bis 20.Jahrhundert – erinnert heute an die ehemals zahlenmäßig große israelitische Gemeinde der Stadt. Nach 2005 begann man mit der Restaurierung von Grabsteinen.
Bis heute erhalten geblieben ist auch die sog. jüdische Vorstadt (Suburbium).
Seit 2010 wird das Gebäude der hier stehenden „Alten Synagoge“ restauriert; es soll mit seinen z.T. erhaltenen Fresken an die Blütezeit der Gemeinde erinnern.
Fresken-Malerei in der Alten Synagoge (Aufn. aus: bardejov.org/a/jewish-bardejov/jewish-suburbia/old-synagogue/
Als eine der wenigen Synagogen in der Slowakei hat die 1929 erstellte Bikur Cholim Synagoge fast unbeschadet die Kriegs- und Nachkriegszeit überstanden.
Bikur Cholim Synagoge und Blick in den Innenraum (Aufn. aus: The Slovak Jewish Heritage Center und aus: bardejov.travel
Das sog. „Bardejov Holocaust Memorial“ wurde 2014 eingeweiht; es ist die Gedenkstätte für Bardejows ehemalige jüdische Gemeinde und deren Angehörige. Das Denkmal – von dem international renommierten Denkmalarchitekten Giora Solar entworfen – ist ein begehbares „Bauwerk“, das in seinem Innern auf 14 schwarzen granitenen Tafeln die Namen von 3.392 Opfern des Holocaust trägt.
Aufn. aus: olejar-architect.ca/holocaust-memorial-bardejov.html
Im späten 18.Jahrhundert fand sich im Dorfe Kurima – etwa 20 Kilometer südöstlich von Bartfeld/Bardejov - eine kleine jüdische Gemeinde zusammen, die 1810 ihre aus Holz gebaute Synagoge einweihte. Jüdische (chassidische) Einwanderer aus Galizien, die in den 1820er Jahren hier eine Bleibe fanden, bestimmten fortan das religiöse Leben in der Gemeinde.
Eine im Dorf zunächst bestehende Religionsschule wurde später in eine Elementarschule umgewandelt.
Juden in Kurima:
--- 1880 ................. ca. 400 Juden (ca. 30% d. Bevölk.)
--- 1940 .................... 188 “ .
Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), S. 691
Kleine Ladenbesitzer und Händler, die Landesprodukte vermarkteten, bestimmten die berufliche Struktur innerhalb der Judenschaft.
Für die knapp 200 jüdischen Bewohner in Kurima setzte mit der slowakischen Staatsgründung die Verfolgung ein: ab 1940 mussten sie ihre Geschäfte schließen und wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet; ab Frühjahr 1942 setzten Deportationen ein, die die Ghetto- und Vernichtungslager zum Ziele hatten.
Insgesamt sollen ca. 180 Juden aus Kurima Opfer des Holocaust geworden sein.
In Zborov (ung. Zboro) – etwa zehn Kilometer nördlich von Bartfeld/Bardejov - bildete sich im Laufe des 18.Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde, die chassidisch geprägt war; zu Beginn es 20.Jahrhundert waren ca. 650 jüdische Bewohner im Dorf ansässig. Nach 1900 ließ die Judenschaft ein neues Synagogengebäude errichten; es wurde im Laufe des Ersten Weltkrieges zerstört; an dessen Stelle entstand ein Beth Midrash.
Eine eigene Elementarschule sorgte für die Bildung der jüdischen Kinder.
Juden in Zborov:
--- 1828 ................... ca. 200 Juden,
--- 1850 ................... ca. 340 “ ,
--- 1900 ....................... 645 “ ,
--- 1921 ................... ca. 800 " ,
--- 1940 ................... ca. 480 “ .
Angaben aus: The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 2), S. 691
Jüdische Familien bestimmten während der Zwischenkriegszeit im Dorf weitgehend das Wirtschaftsgeschehen.
Nachdem 1941 alle jüdischen Gewerbetreibenden aus dem Wirtschaftsleben ausgeschaltet waren, setzten ein Jahr später die Deportationen ein; während die ersten ca. 40 Jüdinnen nach Auschwitz-Birkenau verschleppt wurden, mussten männliche Juden den Weg in das Vernichtungslager Majdanek antreten. Insgesamt fiel den Deportationen fast die gesamte jüdische Einwohnerschaft zum Opfer.
Reste des jüdischen Friedhofs und das einstige Lehrhaus (Beth Midrash) erinnern noch heute an die ehemalige israelitische Gemeinschaft. Die ältesten Grabsteine auf dem recht ungepflegten Gelände datieren von ca. 1815; Männer und Frauen wurden hier getrennt beerdigt.
Weitere Informationen:
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 89/90, Vol. 2, S. 691 (Kurima) und Vol. 3, S. 1495 (Zborov)
Yehoshua Robert Buchler/Ruth Shashak (Übers.), Bardejov” – Encyclopaedia of Jewish communities, Slovakia (Bardejov, Slovakia), online abrufbar unter: jewishgen.org/yizkor/pinkas_slovakia/slo112.
Maros Borský, Synagogue Architecture in Slovakia towards creating a memorial landscape of lost community, Dissertation (Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg), 2005, S. 77 ff. und S. 169f.
Bardejows jüdische Geschichte, online abrufbar unter: bardejov.org/a/jewish-bardejov/bardejov-jewish-history/ (mit umfangreichen Informationen historischer Art und mit aktuellem Bezug)
Angaben der Stadtverwaltung Bardejov
Židovské suburbium Bardejov, online abrufbar unter: suburbiumbardejov.sk/en/zidovsky-bardejov/
The Jewish Community of Zborov, Hrg. Beit Hatfutsot – The Museum of the Jewish People, online abrufbar unter: dbs.bh.org.il/place/zborov-slovakia