Aschaffenburg (Unterfranken/Bayern)
Aschaffenburg mit derzeit ca. 73.000 Einwohnern ist eine kreisfreie Stadt im äußersten Westen des bayerischen Regierungsbezirks Unterfranken und Teil der Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main - ca. 35 Kilometer südöstlich von Frankfurt/M. gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte von 1905 mit A. am rechten oberen Kartenrand, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Aschaffenburg', aus: ortsdienst.de/bayern/aschaffenburg).
"Cent Bachgaw“ - Stich von Nicolaus Person, 1695 (Abb. aus: commons.wikimedia.org, CCO)
Das erste sichere Zeugnis für das Vorhandensein einer jüdischen Gemeinde in Aschaffenburg findet sich im Totenbuch des Stifts St. Peter und Alexander; für Mitte des 13.Jahrhunderts ist dort eine "Judenschule" bzw. Synagoge belegt, die in der damaligen Hauptstraße (heute: Ecke Dalbergstraße/Rathausgasse) stand und 1429 während eines Pogroms niedergebrannt worden sein soll. Doch bereits 1464 wurde am selben Standort eine neue errichtet. Eine Mikwe - erstmals 1345 erwähnt - lag außerhalb der äußeren Umwallung am quellreichen „Heißen Stein“ – neben den Badehäusern der Stadt und des Stifts. Auf dem „Judenberg“ vor der Fischerpforte soll sich der jüdische Begräbnisplatz befunden haben. Aus dem 14.Jahrhundert sind zahlreiche Schutzbriefe überliefert, in denen der Landesherr, der Erzbischof von Mainz, den Juden Aschaffenburgs jeweils für eine bestimmte Zeit seinen persönlichen Schutz garantierte - allerdings gegen Zahlung z.T. erheblicher Geldbeträge. Doch auch er konnte nicht verhindern, dass von der „Armleder-Verfolgung“ (1337) und den Pestpogromen von 1347/1348 auch Juden aus Aschaffenburg betroffen waren. Den jüdischen Besitz zog daraufhin der Mainzer Erzbischof ein. Für das 15. und 16.Jahrhundert sind wieder einige wenige Juden in Aschaffenburg nachweisbar, die hier zumeist Geld- und Pfandverleih betrieben.
Blick auf Aschaffenburg – Stich von M. Merian, um 1675 (aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die Anzahl der jüdischen Familien blieb dann nach 1600 über einen längeren Zeitraum nahezu konstant: ca. 15 bis 20 Familien bestritten ihren Lebensunterhalt - bis ins 19.Jahrhundert hinein - fast ausschließlich mit Vieh-, Pferde- und Kleinhandel.
Ein Ende des 17.Jahrhunderts in der Treibgasse errichtetes Synagogengebäude diente der Aschaffenburger Judenschaft fast 200 Jahre lang als Gotteshaus, ehe in den 1890er Jahren eine neue, repräsentative Synagoge in der Entengasse errichtet und eingeweiht wurde. Die neue Synagoge war ein repräsentativer, mit maurischen Stilelementen geprägte Bau, dessen Äußeres durch einen Wechsel von gelben und rotem Mauerwerk bestimmt war (siehe Abb. unten). Der Neubau war notwendig geworden, da das alte Synagogengebäude inzwischen baufällig und die Zahl der Gemeindemitglieder stark angewachsen war. Die Gestaltung des Innenraums war zwischen der Gemeinde und dem orthodoxen Distriktrabbiner Simon Bamberger, der die Frauenempore zusätzlich durch Gitter abgetrennt sehen wollte, umstritten. Letztlich konnte sich der Distriktrabbiner mit seiner Auffassung aber nicht durchsetzen.
Innenansichten der Aschaffenburger Synagoge (hist. Aufn., Stadtarchiv bzw. Encyclopedia of Jewish life)
Über die Einweihung der Aschaffenburger Synagoge berichtete die „Allgemeine Zeitung des Judentums” vom 13.Okt. 1893 wie folgt:
Aschaffenburg. Am 30. September erfolgte unter zahlreicher Beteiligung der Gemeindemitglieder und im Beisein von Vertretern der Stadtbehörde und vielen geladenen Gästen die Einweihung unserer neuen Synagoge in feierlicher Weise. Um 4 Uhr Nachmittags wurden die Torarollen ... aus dem Gemeindezimmer abgeholt und in Begleitung der Mitglieder der Kultusverwaltung und der übrigen Gemeindemitglieder nach dem neuen Gotteshause getragen. Vor dem Hauptportale angelangt, sprach Herr Bamberger (Anm.: war Distriktsrabbiner) das ‘Seu schoerim’ (Öffnet die Türe) und ‘Seh haSchaar’ (Das ist das Tor), worauf die Eingangstür sich öffnete und die mit kostbaren Tüchern umkleideten Rollen in den Raum vor dem Vorgang mit der hl. Lade gebracht wurden. Dort sang der Kantor Herr Wetzler mit einem gut eingeschulten Chor von Männern und Knaben das ‘Boruch habo’ (Gesegnet, der da kommt) und ‘Ma tobu’ (Wie schön sind deine Zelte) in mustergültiger Weise. Unter dem Absingen des ‘Jehallele’ (Alleluja) wurde hierauf der Vorhang in die Höhe gezogen und der Rabbiner, Kantor und Kultusdiener hoben die Torarollen in die hl. Lade ein. Dann senkte sich der Vorhang wieder vor dem Heiligtum und der feierlichste Moment der Einweihungs-Zeremonie war damit vorüber. Nachdem Kantor und Rabbiner den 30., 100. und 150. Psalm rezitiert hatten, hielt Herr Rabbiner Bamberger die Festpredigt. ... Mit dem Segenswunsche ‘Und so sei die Huld des Ewigen, unseres Gottes, über uns, und was wir unternehmen zur Ehre seines Namens, das befestige und richte Er auf’ (Ps. 90,17), schloß die Festpredigt. Hierauf sprach der Herr Rabbiner noch das Gebet für das Wohl unseres Königs Otto und des Prinzregenten Luitpold, dann des ganzen königlichen Hauses, ferner für den Regierungspräsidenten, die Würdenträger und Beamten der hiesigen Stadt, die Teilnehmer an der Einweihungsfeier und die ganze Einwohnerschaft. ...
Unmittelbar in der Nähe der Synagoge stand das Schulhaus der jüdischen Gemeinde.
Synagoge und Rabbinatshaus - Postkarte um 1910 (aus: de.wikipedia.org, gemeinfrei)
Synagoge von Aschaffenburg – Gemälde von Alexander Dettmar
Stellenangebote der Gemeinde von Aschaffenburg:
Anzeigen in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 7. März 1877 und vom 4. November 1886
aus der Zeitschrift "Der Israelit" vom 8.Oktober 1901 und vom 18.April 1929
Der alte jüdische Friedhof befand sich „Am Erbig“ im nahen Schweinheim (heute ein Ortsteil von Aschaffenburg); er diente den jüdischen Gemeinden Aschaffenburg, Bessenberg, Eschau, Goldbach, Großostheim, Großwallstadt, Kleinwallstadt, Schöllkrippen und weiteren als Bezirksfriedhof. Die erste Beerdigung auf dieser Anhöhe ist 1735 datiert. Bereits im 18.Jahrhundert soll der Friedhof geschändet worden sein. Eine neue Begräbnisstätte - angelegt 1890 - lag direkt neben dem Städtischen Friedhof (am Ende des Kirchhofweges) und war nur durch einen Zaun von diesem abgegrenzt.
Aschaffenburg, das im 18.Jahrhundert noch dem Rabbinat Mainz unterstellt war, wurde im Laufe des Folgejahrhunderts Sitz eines eigenen Distriktsrabbiners, dem um 1900 etwa 25 jüdische Gemeinden unterstanden, so z.B. Eschau, Fechenbach, Goldbach, Hörstein, Kleineibstadt, Königshofen, Lohr/M., Maroldsweisach, Memmelsdorf, Miltenberg, Mittelsinn u.a.
Anzeige in der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 17. Aug. 1880
Einer der ab 1845 hier tätigen Distriktrabbiner war Abraham Adler (geb. 1808 in Kleinsteinach), der 1860 eine Jeschiwa des Vereins Ben-Zion begründete. Adler starb 1880 in Aschaffenburg.
Der orthodoxe Religionslehrer Raphael Breuer (geb. 1881 in Pápa/Österreich-Ungarn) amtierte von 1909 bis zu seinem Tode als Gemeinderabbiner in Aschaffenburg. Gemeinsam mit seinem Bruder verfasste er zahlreiche Bibelkommentare zu Schriften des Alten Testaments. Mit seiner antizionistisch geprägten Haltung opponierte er gegen die innerhalb des Judentums modernen Strömungen. Raphael Breuer starb 1932 in Aschaffenburg.
Die Aschaffenburger Judenschaft praktizierte - bis auf wenige Ausnahmen - ein religiös-liberales Judentum.
Juden in Aschaffenburg:
--- um 1600 ....................... ca. 15 jüdische Familien,
--- 1634 .............................. 4 " " ,
--- um 1705 ....................... ca. 15 “ “ ,
--- 1740 .............................. 18 " " ,
--- 1763 .............................. 31 " " ,
--- um 1790 ....................... ca. 200 Juden,* * andere Angabe: ca. 100 Pers.
--- 1803 .......................... ca. 35 jüdische Familien,
--- 1814/15 ....................... ca. 170 Juden,
--- 1840 .............................. 207 " ,
--- 1871 .............................. 286 “ ,
--- 1885 .............................. 548 “ ,
--- 1900 .......................... ca. 600 " ,
--- 1910 .......................... ca. 670 “ ,
--- 1925 .............................. 643 “ ,
--- 1932 (Dez.) ....................... 707 “ ,
--- 1933 .............................. 591 “ ,
--- 1936 (Jan.) ....................... 569 “ ,
--- 1938 (Jan.) ....................... 445 “ ,
--- 1939 (Mai) ........................ 290 “ ,
--- 1941 (Jan.) ....................... 183 “ ,
--- 1942 (April) ...................... 192 “ ,
--- 1943 (Sept.) ...................... 12 “ .
Angaben aus: Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945, S. 15 und S. 255
und Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Mehr als Steine ..., S. 45
Ansichten aus Aschaffenburg - Postkarten um 1900/1910 (aus: commons.wikimedia.org, gemeinfrei)
Anzeigen jüdischer Gewerbebetriebe um 1900/1910:
Unmittelbar vor der NS-Machtübernahme zählte die jüdische Gemeinde mehr als 700 Mitglieder; dies entsprach einem Anteil von ca. 2% der gesamten Stadtbevölkerung. Damit war Aschaffenburg die siebtgrößte israelitische Gemeinde Bayerns. Mehr als 100 jüdische Geschäfte und Gewerbebetriebe waren hier ansässig; der Schwerpunkt des jüdischen Handels lag in der Herstallstraße.
Die nach 1933 heftig einsetzende NS-Propaganda verfehlte nicht ihre Wirkung, denn vornehmlich auf wirtschaftlichem Gebiet wirkte sie sich besonders negativ auf in die Aschaffenburg ansässige Textilindustrie aus, die z.T. in jüdischer Hand war. Nach und nach wurden die Juden aus der Produktion gedrängt und ihre Betriebe „arisiert“. Unmittelbare Folge war eine verstärkte Auswanderung, gerade in den Anfangsjahren der NS-Herrschaft. Dass diese Abwanderung in der Bevölkerungsstatistik nicht erkennbar ist, liegt daran, dass gleichzeitig eine Zuwanderung aus dem ländlichen Umland erfolgte. - Im Mai 1934 eröffnete die jüdische Gemeinde eine private vierklassige Volksschule, die im Rabbinatshaus neben der Synagoge untergebracht war. Im April 1942 wurde diese Schule auf behördliche Weisung hin geschlossen.
Im Frühjahr 1934 erfolgte eine weitere planmäßig angelegte Boykottaktion, die sich insbesondere gegen jüdische Kaufhäuser richtete. Hier tätigte vor allem die Bevölkerung des ländlichen Umlandes ihre Einkäufe. Eine mehrhundertköpfige, vor allem aus Jugendlichen bestehende Menschenmenge belagerte förmlich die Kaufhäuser, um allein durch ihre Anwesenheit potenzielle Käufer zu verunsichern bzw. abzuschrecken. Im gesamten Bezirk Aschaffenburg waren in den Jahren 1935/1936 „Belästigungen“ jüdischer Gewerbetreibender zu verzeichnen; auch Anschläge auf jüdische Einrichtungen häuften sich, allerdings ohne dass man den Tätern hätte habhaft werden können.
Während des Novemberpogroms wurden jüdische Geschäfte aufgebrochen, die Warenvorräte z.T. geplündert und Inneneinrichtungen verwüstet. SA-Leute drangen ins Synagogengebäude ein und legten Feuer; dabei gingen die wertvolle Inneneinrichtung und das Archiv in Flammen auf.
Brennende Synagoge in Aschaffenburg 1938 (Aufn. Archiv Eymann)
Die Kosten für die Abbrucharbeiten der völlig ausgebrannten Synagoge musste danach die jüdische Gemeinde tragen.
Anschließend folgten Verhaftungen jüdischer Männer. Nachdem sie verprügelt worden waren - einer von ihnen starb an Schussverletzungen -, verfrachtete man sie teilweise ins KZ Dachau.
Als Ende April 1942 die Deportationen begannen, war es den meisten Aschaffenburger Juden schon gelungen, ins Ausland zu emigrieren. Die Verbliebenen wurden über Würzburg „in den Osten“, nämlich nach Izbica bei Lublin und nach Theresienstadt deportiert.
Über die Verschleppung der letzten Aschaffenburger Juden im Sept./Okt. 1942 schrieb der offizielle Aschaffenburger Chronist: „ ... Die letzten hier noch lebenden Juden wurden nunmehr aus Aschaffenburg evakuiert. Im September erfolgte der Abtransport aller kranken, alten und kriegsbeschädigten Juden nach Theresienstadt an der Eger, einer von anderen Einwohnern freigemachten Stadt im Protektorat, wo sämtliche Juden, die nicht mehr arbeitsfähig sind, aus dem ganzen Reich gemeinsam untergebracht werden sollen. Sie müssen sich dort einkaufen und je Monat 150,- RM bezahlen. Für die Bedürftigen haben die Wohlhabenderen diese Beträge zu entrichten. Die Betreuung geschieht durch die Israelitische Kultusvereinigung in Berlin. In der Nacht vor dem ersten Transport am 9.9. vergifteten sich hier 7 alte Juden, jeder in seiner Wohnung mit Veronal. Im Oktober kamen sodann die 3 letzten Judenfamilien fort, die ... infolge ihrer Einsatzfähigkeit zum Arbeiten nach Polen transportiert wurden. ... Nunmehr verbleiben in Aschaffenburg nur noch die 12 in Mischehe lebenden Juden, die keinen Judenstern zu tragen brauchen. ...”
Nachweislich wurden mindestens 188 gebürtige bzw. längere Zeit in der Stadt ansässig gewesene jüdische Bürger Aschaffenburgs Opfer der Shoa.
Wenige Jahre nach Kriegsende legte die Stadt Aschaffenburg am ehemaligen Standort der Synagoge eine Parkanlage an, in der eine Gedenkstele mit folgenden Worten aufgestellt wurde:
Ach töten könnt Ihr
aber nicht lebendig machen
wenn es die Liebe nicht tut
HÖLDERLIN
Hier stand die Synagoge der Israelitischen Kultusgemeinde, die am 9. November 1938 von Verbrecherhand zerstört wurde.
Denkmal für die ehem. Synagoge (Aufn. Lutz Hartmann, 2012, aus: wikipedia.org)
1986 wurde in Aschaffenburg der Wolfsthal-Platz seiner Bestimmung übergeben (Abb. Sonderstempel anlässlich der Einweihung).
Otto Wolfsthal, geb. 1872 in Bamberg, war ein jüdischer Bankier in Aschaffenburg, der hier gemeinsam mit seiner Frau Stiftungen für wohltätige Zwecke initiiert hat. Obwohl die Familie nach 1933 die Möglichkeit hatte zu emigrieren, blieb sie in Deutschland. Einen Tag vor seiner Deportation im September 1942 nahm sich Otto Wolfsthal zusammen mit seiner Ehefrau und fünf weiteren Glaubensgenossen das Leben.
Markanter Blickfang auf dem Wolfsthal-Platz ist die 1992 geschaffene Brunnenskulptur „Zeitwagen“ des Bildhauers Rainer Stoltz.
Mitte der 1980er Jahre wurde neben dem Standort der ehemaligen Synagoge im ehemaligen Schul- und Rabbinerwohnhaus das „Dokumentationszentrum Wolfsthalplatz” - als Museum jüdischer Geschichte & Kultur - eingeweiht. In dieser Dauerausstellung wird die mehr als 700-jährige Geschichte der Aschaffenburger Juden dokumentiert; eine Gedenktafel trägt die folgende Inschrift:
Zur Erinnerung und zum Gedenken an unsere verfolgten und ermordeten jüdischen Mitbürger.
Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden aus dieser Stadt und aus anderen Orten
über 300 Aschaffenburger Juden in die Vernichtungslager deportiert.
Ihr Schicksal muß uns mahnen und verpflichten.
In der Ausstellung findet man auch ein Modell der Synagoge.(aus: museen-aschaffenburg.de)
Im Jahre 2008 wurden in Aschaffenburg die ersten „Stolpersteine gegen das Vergessen“ verlegt; mittlerweile sind es insgesamt mehr als 150 dieser messingfarbenen Gedenkquader (Stand 2024), die an Angehörige verschiedener NS-Opfergruppen erinnern.
„Stolpersteine“ Herstallstr. 39
„Stolpersteine“ aus dem Aschaffenburger Stadtgebiet (Aufn. E., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
... und Gedenkquader, die an deportierte und ermordete Kinder/Jugendliche erinnern:
(alle Aufn. E., 2014, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Im Jahr 2009 wurden 26 Thorawimpel aus der Zeit von 1787 bis 1933 sowie weitere Textilien und Gegenstände aus dem Umfeld der jüdischen Gemeinde Aschaffenburg wiederentdeckt, die lange Zeit unbeachtet in einem Karton im Depot der Aschaffenburger Museen lagerten. Restauriert werden diese „Funde“ in einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert.
Abb. Teil eines Thora-Mantels
Auf dem mehr als 9.000 m² großen, in einem lichten Waldgebiet liegenden jüdischen Friedhofsareal „Am Erbig“ in Schweinheim, das von einer Mauer umgeben ist, befinden sich heute noch ca. 580 Grabsteine, von denen zwei Drittel noch lesbare Inschriften aufweisen; der älteste vorhandene Stein stammt aus dem Jahre 1735. 1942 wurden in der letzten Beisetzung das Ehepaar Wolfsthal und fünf weitere Personen bestattet, die ihren Freitod der bevorstehenden Deportation vorgezogen hatten.
Aufn. Walter Gößwein, 1996, aus: alemannia-judaica.de und Aufn. e., 2012, commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0
Unmittelbar angrenzend an den kommunalen Hauptfriedhof weist das im Jahre 1890 eingeweihte, ca. 2.200 m² große jüdische Begräbnisgelände noch eine größere Zahl von Grabsteinen auf - trotz mehrerer Schändungen während der NS-Zeit. Neben dem Haupteingangstor befindet sich das aus roten Ziegelsteinen erstellte Taharahaus. An der Stelle des Friedhofs, an der die Thorarollen vergraben wurden, steht heute ein Gedenkstein.
Neuer jüdischer Friedhof (Aufn. A., 2013, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0 und J. Hahn, 2005)
Seit 2010 hat die Staatliche Realschule für Mädchen einen neuen Namen; Namensgeberin ist die Jüdin Ruth Weiss (geb. 1924 in Fürth), die 1936 mit ihren Eltern nach Südafrika emigrierte. Die hochbetagte Ruth Weiss, die als Wirtschaftsjournalistin und auch als Jugendbuchautorin sich einen Namen machte, lebt heute in Lüdinghausen (bei Münster). 2014 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen.
2010 wurde von der Stadt Aschaffenburg und dem „Förderkreis Haus Wolfsthalplatz“ die historische Datenbank „Juden Unterfranken“ der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Diese Datenbank dokumentiert jüdische Friedhöfe am Untermain und enthält umfangreiches biografisches Material; so können Fotos, Lebensdaten oder Angaben zu Auswanderung und Deportation hier abgerufen werden.
Anlässlich des Holocaust-Gedenktages 2011 wurden auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs (heute Regionaler Busbahnhof) – dem Beginn des Leidensweges der zur Deportation vorgesehenen Menschen - drei kleine Gedenktafeln enthüllt; eine trägt die Inschrift: "Zum Gedenken an die in der Zeit des Nationalsozialismus aus Aschaffenburg und Umgebung verschleppten und ermordeten jüdischen Frauen, Männer und Kinder."
Am zentralen Deportationsmahnmal „DenkOrt Deportationen 1941-1944“ nahe des Würzburger Hauptbahnhofs ist auch Aschaffenburg mit einer „Rucksack-Skulptur“ - geschaffen von Auszubildenden der Steinmetzschule - vertreten (Aufn. A. Lippert, 2020, aus: denkort-deportationen.de). Am Aschaffenburg Busbahnhof (ROB) - am früheren Güterbahnhof – erinnert das Duplikat der „Rucksack-Skulptur“ an die Deportation der jüdischen Bewohner, die von hier aus den Weg in den Tod antreten mussten.
Im nahen Markt Hösbach wurden im Jahre 2022 in der Hauptstraße fünf sog. „Stolpersteine“ verlegt, die an Angehörige der jüdischen Familie Löwenthal/Lederer erinnern, die 1942 deportiert und im Transit-Ghetto Krasnyczin ermordet wurden.
In Kleinostheim – nördlich von Aschaffenburg gelegen, derzeit ca. 8.000 Einw. – existierte bis um 1875 eine kleine israelitische Gemeinde, deren Wurzeln bis ins ausgehende 17.Jahrhundert zurückreichen. Bei der 1817/1822 erfolgten Erstellung der Matrikellisten sind für das Dorf insgesamt neun Stellen ausgewiesen; deren Inhaber bestritten ihren Lebenserwerb zumeist mit Vieh- und Kleinhandel (‚Krämerei‘).
Zu den gemeindlichen Einrichtungen zählten ein Bethaus, eine Religionsschule und eine Mikwe. Zeitweise hatte die kleine Gemeinde einen Lehrer verpflichtet, der auch als Vorbeter und Schochet tätig war.
Mit der Abwanderung der jüdischen Dorfbewohner erlosch das Gemeindeleben; 1875 wurde das Synagogengebäude veräußert und später abgebrochen.
Weitere Informationen:
Salomon Bamberger, Historische Berichte über die Juden der Stadt und des ehemaligen Fürstentums Aschaffenburg, Straßburg/Elsaß 1900
Germania Judaica, Band II/1, Tübingen 1968, S. 25/26 und Band III/1, Tübingen 1987, S. 30 - 33
Baruch Z. Ophir/Falk Wiesemann, Die jüdischen Gemeinden in Bayern 1918 - 1945. Geschichte und Zerstörung, Oldenbourg-Verlag, München/Wien 1979, S. 255 - 260
Herbert Schultheis, Juden in Mainfranken 1933 - 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Deportationen Würzburger Juden, in: "Bad Neustädter Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde Frankens", Band 1, Verlag Max Rötter, Bad Neustadt a.d.Saale 1980, S.119 ff.
Harold Hammer-Schenk, Synagogen in Deutschland. Geschichte einer Baugattung im 19. u. 20.Jahrhundert, Hans Christians Verlag, Hamburg 1981,Teil 1, S. 357 und Teil 2, Abb. 271
Bruno Hügel, Israelitischer Religionsunterricht und israelitische Religionslehrer in Aschaffenburg, in: Alfred Englmann, 150 Jahre Friedrich-Dessauer-Gymnasium Aschaffenburg: 1833 – 1983, Aschaffenburg 1983, S. 115 - 123
Peter Körner, Vergangen, nicht vergessen - Sieben Jahrhunderte jüdische Geschichte in Aschaffenburg, Wegweiser durch das Dokumentationszentrum Wolfsthalplatz, Aschaffenburg 1984
Renate Welsch, Vergangenheit bewältigen - Zukunft gestalten. Basisarbeit für eine Dokumentation zum Schicksal der ehemaligen Aschaffenburger Juden ..., in: "Mitteilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg", No. 3/1984, S. 76 ff.
Carsten Pollnick, Die Entwicklung des Nationalsozialismus und Antisemitismus in Aschaffenburg 1919 - 1933, Hrg. Geschichts- und Kunstverein Aschaffenburg e.V., Aschaffenburg 1984
Carsten Pollnick, Die NSDAP und ihre Organisationen in Aschaffenburg 1933 - 1939, Hrg. Geschichts- und Kunstverein Aschaffenburg e.V., 1988
Peter Körner, Der Novemberpogrom 1938 in Aschaffenburg, in: "Mitteilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg", No. 5/1988, S. 170 – 190
Hans-Bernd Spies, Die Reichskristallnacht im Spiegel der Aschaffenburger Presse, in: "Mitteilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg", No. 5/1988, S. 192 - 208
Hans-Peter Schwarz (Hrg.), Die Architektur der Synagoge. Ausstellungskatalog Dt. Architekturmuseum Frankfurt/M., Frankfurt/M. 1988, S. 245
Israel Schwierz, Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayerns - Eine Dokumentation, Hrg. Bayrische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 2. Aufl., München 1992, S. 35 f.
Peter Körner, Biographisches Handbuch der Juden in Stadt und Altkreis Aschaffenburg, in: "Veröffentlichungen des Geschichts- u. Kunstvereins Aschaffenburg e.V.", Band 39, Hrg. Geschichts- und Kunstverein Aschaffenburg e.V., Aschaffenburg 1993
Michael Trüger, Der jüdische Friedhof in Aschaffenburg, in: "Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern", 8.Jg. , No. 58/1993, S. 21
Edna Dähne, Dokumentation des jüdischen Friedhofs ‘am Erbig’, Schweinheim 2000
Edna Dähne, Spuren jüdischer Vergangenheit. Die schwierige Dokumentation eines jüdischen Friedhofs, in: "Geschichte quer. Zeitschrift der bayrischen Geschichtswerkstätten", 8/2000, S. 6 f.
Edna Dähne, Dokumentation des jüdischen Friedhofes "am Erbig"/Schweinheim, 2000 (Stadtarchiv)
Hans-Bernd Spies, Der Beerdigungsort Aschaffenburger Juden in Spätmittelalter und früher Neuzeit, in: "Mitteilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg", 6/2000, S. 165 - 172
Aschaffenburg, in: alemannia-judaica.de (mit einer Vielzahl von Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Kleinostheim, in: alemannia-judaica.de
Dirk Rosenstock: Die unterfränkischen Judenmatrikeln von 1817. Eine namenkundliche und sozialgeschichtliche Quelle, in: Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg Band 13. Würzburg 2008, S. 181 (Kleinostheim)
Dieter Sabiwalski, Das Schicksal der Aschaffenburger Juden im Ghetto Theresienstadt 1942 bis 1945, in: "Aschaffenburger Jahrbuch", Bd. 26, hrg. vom Geschichts- und Kunstverein e.V., Aschaffenburg 2002
Albert Liess (Bearb.), Wege in die Vernichtung. Die Deportation der Juden aus Mainfranken 1941 - 1943. Begleitband zur Ausstellung des Staatsarchivs Würzburg und des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin in Zusammenarbeit mit dem Bezirk Unterfranken, München 2003, S. 52 - 55 (Abb.) [Anm.: Der Band enthält Abbildungen aus einem Fotoalbum, die von der Gestapo zusammengestellt wurden.]
Hans-Bernd Spies, In Aschaffenburg und in Damm wohnende Juden und ihre wirtschaftlichen Verhältnisse (1607 – 1700), in: "Mitteilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg", 7/2002-2004, S. 165 - 185,
Oded Zingher, Ihr werdet uns unvergesslich bleiben. Der jüdische Altstadtfriedhof in Aschaffenburg, in: "Veröffentlichungen des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg e.V.", 59/2008, Aschaffenburg 2008
Dieter Sabiwalsky, Das Schicksal der Aschaffenburger Juden im Ghetto Theresienstadt 1942 bis 1945, in: "Aschaffenburger Jahrbuch für Geschichte, Landeskunde und Kunst des Untermaingebietes", 26/2008, S. 159 - 184
Lothar Mayer, Jüdische Friedhöfe in Unterfranken, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2010, S. 16 - 21
Förderkreis Haus Wolfsthalplatz e.V. (Hrg.), Aschaffenburger Stolpersteine - Flyer, Aschaffenburg o.J.
Förderkreis Haus Wolfsthalplatz e.V. „Juden in Unterfranken“ (Bearb.), Stolpersteine in Aschaffenburg, online abrufbar unter: historisches-unterfranken.uni-wuerzburg.de/friedhoefe/HausWolfsthalplatz (Anm. Chronologie der Verlegungen, u.a. auch mit Kurzbiografien der betroffenen Personen)
Anja Lippert, „Textiles Gedächtnis. Neue Funde zur jüdischen Vergangenheit in Aschaffenburg“, Ausstellung Mai – Sept. 2012
Monika Schmittner, Als die Synagogen brannten. Vor 75 Jahren: Die Reichspogromnacht in Aschaffenburg und Umland, in: "Spessart", 117/2013, S. 3 - 15
„Geborgen ein netter und gelehrter junger Mann“ - Jüdischer Friedhof in Aschaffenburg, in: "Frankfurter Allgemeine – Rhein-Main“ vom 2.8.2013
"... und da saß Mandela". Spiegel-Gespräch mit der Journalistin Ruth Weiss von Klaus Brinkbäumer u. Katja Thimm, in: „Der Spiegel", No. 27 vom 30. Juni 2014, S. 40 – 43
Axel Töllner/Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.), Aschaffenburg, in: W.Kraus/H.-Chr.Dittscheid/G. Schneider-Ludorff (Hrg.), Mehr als Steine ... Synagogengedenkband Bayern, Band III/1 (Unterfranken), Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg/Allgäu 2015, S. 8 - 54
Peter Körner, „Jetzt ist es mit Dir aus ...“ 10. November 1938 in Aschaffenburg: Opfer und Täter, Ahndung und Erinnerung, hrg. vom Stadt- u. Stiftsarchiv Aschaffenburg 2019
Auflistung (mit Abb.) der in Aschaffenburg verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Aschaffenburg
N.N. (Red.), 16 neue Steine erinnern in Aschaffenburg an Nazi-Opfer, in: „Main-Echo“ vom 16.3.2019
Tourismusverband Franken e.V. (Hrg.), Schalom Franken! - Begegnungen mit der jüdischen Kultur - Broschüre, Febr. 2021
N.N. (Red.), Aschaffenburger Busbahnhof: Gepäckstück aus Stein erinnert an Deportation, in: “Main-Echo” vom 25.5.2022
Markt Hösbach (Red.), Gegen das Vergessen – Erstmals Stolpersteine in Hösbach, in: Pressemeldung des Marktes Hösbach (2022)
Auflistung der in Hösbach verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Hösbach
Riccardo Altieri (Red.), “Nun ist zumindestens seine Taschenuhr zurückgekehrt ...”, in: "haGalil.com – Jüdisches Leben online" vom 4.5.2023 (betr. Stolpersteinverlegung in Aschaffenburg)
Bettina Kneller (Red.), Jüdisches Museum Aschaffenburg wird 40 Jahre, in: “Main-Echo” vom 13.5.2024