Arolsen (Hessen)

Landkreis Waldeck-Frankenberg - Öffnungszeiten Arolsen - seit 1997 offiziell Bad Arolsen - ist heute eine Kleinstadt mit derzeit ca. 16.000 Enwohnern im Nordteil des hessischen Landkreises Waldeck-Frankenberg. Die Stadt war von 1655 bis 1918 Residenzstadt der Grafen und Fürsten von Waldeck-Pyrmont (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, CCO  und  Kartenskizze 'Kreis Waldeck-Frankenberg', aus: ortsdienst.de/hessen/waldeck-frankenberg).

 

Arolsen um 1895 - Zeichnung von O. Winkler (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)

 

Die erstmalige Erwähnung einzelner jüdischer Familien in der Residenzstadt Arolsen datiert aus den 1720er Jahren; dabei handelte es sich um sog. „Hofagenten“, die den Herrschern – in diesem Falle den Fürsten von Waldeck und Pyrmont - mit ihren Diensten zur Verfügung standen und dafür bestimmte Privilegien (wie Zollfreiheit) genossen. Die bekannteste Familie war die des Marcus Juda und seine mit ihm verwandte Familie Stieglitz; aus ihr gingen zahlreiche bekannte Persönlichkeiten hervor.

Seit 1727 befand sich im Haus des Hoffaktoren Marcus Juda eine Synagoge (Schlossstraße), die mehr als ein Jahrhundert zu Gottesdiensten zur Verfügung stand.

In den 1760er Jahren kam es zu einer Spaltung der kleinen jüdischen Gemeinschaft in eine liberale und eine religiös-konservative „Fraktion“; jede der beiden Gruppierungen besaß nun einen eigenen Betsaal. Der kleinen gemäßigt-konservativen Gemeinde angeschlossen waren auch die wenigen jüdischen Familien aus Helsen.

Die Spaltung dauerte bis ca. 1800 an. Danach fanden wieder gemeinsame Gottesdienste statt, doch vermutlich wurde nun die Synagoge in Mengeringhausen aufgesucht. Erst ab den 1870er Jahren existierte wieder ein Betraum in Arolsen; er befand sich in einem Gebäudeteil eines Hauses in der Kaulbachstraße. In diesem Gebäude waren auch der Schulraum, die Lehrerwohnung und vermutlich eine rituelles Bad untergebracht. Im 19.Jahrhundert bestand am Ort eine Religionsschule; der von der Gemeinde beauftragte Lehrer war auch für die Verrichtung der religiös-rituellen Dienste tätig.

Der zuletzt benutzte Synagogensaal und eine Lehrerwohnung befanden sich in einem Gebäude in der Mannelstraße.

Neben einem kleinen Begräbnisareal bei Arolsen – es war vermutlich gegen Mitte des 18.Jahrhunderts angelegt worden - existierte ein etwas größerer jüdischer Friedhof in Helsen; und auch auf dem jüdischen Friedhof in Meimbressen finden sich einzelne Gräber von Arolser Juden.

Juden in Arolsen:

    --- um 1760 ..........................  2 jüdische Familien,

    --- 1778 .............................  9     “       “    ,

    --- um 1795 .......................... 10     “       “    ,

    --- 1847 ............................. 11     “       “    ,

    --- 1880 ............................. 69 Juden,

    --- 1885 ............................. 49   “  ,

    --- 1900 ............................. 38   "  ,

    --- 1905 ............................. 48   “  ,

    --- 1925 ............................. 25   “  ,

    --- 1932 ............................. 26   "  ,

--- 1933 ............................. 15   “  ,

--- 1938 (Nov.) ......................  5   "  .

Angaben aus: Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Bd. 1, S. 46

 

Zwei Jahre nach der sog. NS-Machtübernahme fand erstmals der Arolser Viehmarkt ohne Teilnahme jüdischer Händler statt, was in der NSDAP- Ortsgruppe als „vorbildlicher Erfolg“ gefeiert wurde.

Die fünf noch im November 1939 im Ort lebenden jüdischen Bewohner waren den Übergriffen einheimischer NS-Parteigänger ausgesetzt; dabei wurden ihre Wohnungen verwüstet und die Manufakturwarenhandlung Katz geplündert. Die allerletzten jüdischen Bewohner verließen 1939 ihre Heimatstadt Arolsen.

Bereits Jahre zuvor hatte man den Betraum aufgegeben. Während jüngere Familien meist ihr Leben durch Emigration retten konnten, wurden die in andere deutsche Städte verzogenen Arolser Juden Jahre später deportiert und ermordet.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden nachweislich 17 gebürtige bzw. länger in Arolsen lebende Personen mosaischen Glaubens Opfer der NS-Gewaltherrschaft (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/bad_arolsen_synagoge.htm).

Am Rande des Dorfes Külte (wenige Kilometer nordöstlich von Arolsen) existierte in den Jahren 1934 bis 1936 eines der Vorbereitungslager der Hachschara.   

 

Der jüdische Friedhof ist das heute noch verbliebene Relikt ehemaliger jüdischer Ansässigkeit. Auf dem Begräbnisgelände sind etwa 100 Grabsteine vorhanden; seit 1984 erinnert ein Gedenkstein an die Opfer der Shoa.

Anm.: In der epigraphischen Datenbank des Steinheim-Instituts in Essen findet sich eine Dokumentation des jüdischen Friedhofes in Arolsen.

 

Teilansicht des jüdischen Friedhofs in Bad Arolsen und Gedenkstein für die Shoa-Opfer (alle Aufn. J. Hahn, 2008)

  Auffällige Grabsteinornamentik

 

In den Ortsteilen Helsen, Landau und Mengeringhausen gab es ebenfalls kleine jüdische Gemeinschaften; daran erinnern heute noch deren Begräbnisstätten.

 

 

In Landau gab es eine kleine israelitische Gemeinde, deren Entstehung vermutlich im 18.Jahrhundert datiert; doch bereits im 16./17.Jahrhundert sollen einzelne Familie im Dorf gelebt haben. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts gehörten der Gemeinde ca. zehn Familien an. Die Landgemeinde verfügte über alle rituellen Einrichtungen, wie Betraum, Schule, Mikwe und Friedhof. Um 1925 lebten noch ca. zehn Juden im Dorf, 1932 waren es nur noch fünf. Das Synagogengebäude wurden Anfang der 1930er Jahre auf Abbruch verkauft.

Der um 1780 angelegte jüdische Friedhof (im „Jüddengrund“) - an einem Abhang östlich der Ortschaft gelegen - weist heute noch ca. 40 Grabsteine auf.

http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20170/Landau%20HS%20Friedhof%20158.jpg

Jüdischer Friedhof in Landau (Aufn. J. Hahn, 2006)

 

 

 

Die ersten Schutzbriefe für einzelne Juden in Mengeringhausen wurden gegen Mitte des 18.Jahrhunderts ausgestellt. Nach 1850 lebten ca. fünf jüdische Familien im Ort; um die Jahrhundertwende zählte die Gemeinde ca. 35 Personen, zu Beginn der 1930er Jahre waren es nur noch ca. 25 in sieben Familien; bis 1939 waren alle auf Grund zunehmender Entrechtung und der Repressalien abgewandert. Während des Novemberpogroms war das Manufakturwarengeschäft von M. Löwenstern überfallen und demoliert worden.

In einem zweigeschossigen Fachwerkhaus in der Hinteren Straße - es gehörte vier Gemeindemitgliedern und war der Gemeinde zur Verfügung gestellt worden - befand sich seit ca. 1850 der Betraum. Zuvor war er in angemieteten Räumlichkeiten untergebracht. In der winzigen Religionsschule erteilte ein zeitweilig angestellter Lehrer den sehr wenigen Kindern religiöse Unterweisung („Der Dienst ist sehr leicht, da die Gemeinde klein ist und nur ungefähr 4 schulpflichtige Kinder da sind.“)

  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20145/Mengeringhausen%20Israelit%2010101877.jpg

Stellenangebote aus „Allgemeine Zeitung des Judentums“ vom 8.Febr. 1876 und aus „Der Israelit“ vom 10.Okt. 1877

Ein Friedhof war in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts angelegt worden.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des „Gedenkbuches – Opfer der Verfolgung der Juden ...wurden nachweislich 18 gebürtige bzw. länger in Mengeringhausen ansässig gewesene Personen mosaischen Glaubens Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/mengeringhausen_synagoge.htm).

Das Fachwerkgebäude, in dem sich der Betraum befand, steht heute unter Denkmalschutz. Das Haus war 1937 in den Besitz einer christlichen Familie übergegangen.

Gebäude mit dem ehem. Betraum (Aufn. aus: Altaras, 1980er Jahre)  http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20240/Mengeringhausen%20Synagoge%20170.jpg

Auf dem ca. 1.100 m² großen jüdischen Friedhofsgelände an der Weigelstraße Mengeringhausens erinnert seit 2018 ein Gedenkstein an die ehemaligen jüdischen Bewohner des Ortes.

                                         http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20170/Mengeringhausen%20Friedhof%20150.jpgJüdischer Friedhof in Mengeringhausen (Aufn. J. Hahn, 2008)

 

 

 

Weitere Informationen:

Helmut Nicolai, Arolsen - Lebensbild einer deutschen Residenzstadt, o.O. 1954

Paul Arnsberg, Die jüdischen Gemeinden in Hessen. Anfang - Untergang - Neubeginn, Societäts-Verlag, Frankfurt/M. 1971, Bd. 1, S. 46 – 48 (Arolsen), S. 466 (Landau) und Bd. 2, S. 69/70 (Mengeringhausen)

Michael Winkelmann, “ ... auf einmal sind sie weggemacht”. Lebensbilder Arolser Juden im 20.Jahrhundert, Verlag Gesamthochschul-Bibliothek, Kassel 1992

Studienkreis Deutscher Widerstand (Hrg.), Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945. Hessen II - Regierungsbezirke Gießen und Kassel, 1995 S. 208 - 210   

Michael Winkelmann, Die Hachscharah in Külte, in: R. Knigge-Tesche/A. Ulrich (Hrg.), Verfolgung und Widerstand in Hessen 1933 – 1945, Eichborn Verlag, Frankfurt/M. 1996, S. 102 – 112

Bad Arolsen mit Helsen, in: alemannia-judaica.de

Mengeringhausen, in: alemannia-judaica.de

Landau (Stadt Bad Arolsen), in: alemannia-judaica.de

Thea Altaras, Synagogen und jüdische Rituelle Tauchbäder in Hessen – Was geschah seit 1945?, Königstein i.Ts., 2.Aufl. 2007, S. 177 – 179 (Arolsen) und S. 184 (Mengeringhausen)

Armin Haß (Red.), Neuer Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof von Mengeringhausen gegen das Vergessen, in: „Waldeckische Landeszeitung“ vom 5.10.2018

Elmar Schulten (Red.), NS-Geschichte im Arolser Stadtbild sichtbar machen, in: „Waldeckische Landeszeitung“ vom 29.1.2020

Arbeitskreis Jüdisches Leben in Waldeck-Frankenberg (Hrg.), Erinnerung an jüdisches Leben in Waldeck-Frankenberg, online abrufbar unter: synagoge-voehl.de/images/pdf/brosch_lk/Judische_Orte_im_Landkreis_Doppelseiten.pdf (Bad Arolsen S. 12 ff.)