Aschenhausen (Thüringen)
Aschenhausen ist heute eine von kaum 200 Personen bewohnte Ortschaft im Landkreis Schmalkalden-Meiningen im südlichen Thüringen; die Gemeinde gehört der Verwaltungsgemeinschaft Hohe Rhön an; mit weiteren Ortschaften wurde Aschenhausen im Jahre 2019 nach Kaltennordheim eingemeindet (Kartenskizze 'Landkreis Shmalkalden-Meiningen' ohne Eintrag von Aschenhausen, aus: ortsdienst.de/thueringen/schmalkalden-meiningen).
Im Dorf Aschenhausen im Landkreis Schmalkalden-Meiningen gehörten im 19.Jahrhundert zeitweilig bis zu 50% der Bewohner dem jüdischen Glauben an.
Das im reichsritterlichen Besitz der Reichsfreiherren von Speßhardt stehende Dorf Aschenhausen beherbergte gegen Ende des 17.Jahrhunderts seine erste jüdische Familie. Nach Zuzug weiterer Familien entstand wenige Jahrzehnte später die jüdische Gemeinde. Die hiesigen Juden lebten in kleinen Häusern - sog. ‚Herrenhäusern’ - inmitten des Dorfes, die die Freiherren von Speßhardt für sie hatten errichten lassen; zunächst wohnten sie dort zur Miete, später konnten die Häuser käuflich erworben werden. Zur gleichen Zeit, um 1705/1710, erhielt die Judenschaft unweit des Dorfes am Fuße des Leichelberges von der Ortsherrschaft auch einen Begräbnisplatz zugewiesen. Als Gegenleistung musste sie jährlich eine bestimmte Menge Gewürze (!), später dann einen Geldbetrag entrichten. Zudem war bei jeder Beerdigung eine Gebühr fällig. Neben verstorbenen Juden aus Aschenhausen diente der Friedhof auch denen aus Kaltennordheim, Kaltensundheim und Opfershausen als letzte Ruhestätte. Der Friedhof wurde bis in die NS-Zeit genutzt.
Nach mehrjähriger Nutzung eines provisorischen Betraumes über einem Pferdestall errichtete die jüdische Gemeinde 1767 eine eigene Synagoge in der Oberkätzer Straße. Nach einem Brand im Jahre 1841, der auch die Synagoge vernichtete, konnte zwei Jahre später die neue, als Fachwerkbau errichtete Synagoge eingeweiht werden. Spenden hatten den Neubau möglich gemacht.
In mehreren überregionalen Zeitungen erschienen Juni/Juli 1841 Berichte über den Brand und ein Spendenaufruf:
Gesuch und Aufruf.
Der Mittag des 30. April war vorüber. Die meisten männlichen Bewohner unserer Gemeinde waren auswärts. Da stand plötzlich unser Backhaus in hellen Flammen. Schon nach wenigen Minuten, ehe noch Hülfe möglich war, hatte der scharf wehende Ostwind den flackernden Brand unsrer Synagoge, unsrer Schule mitgetheilt. Es geschah alles, was angestrengte Thätigkeit der Ortsbewohner, was von nah und fern herbeieilende Hülfe, bei dem Wassermangel, an dem wir leiden, zu leisten vermochten; ach, demungeachtet sanken unsere Synagoge, unser Schulhaus, die Wohnungen zwei unserer Glaubensgenossen, 2 Scheuern und das Wohnhaus eines christlichen Bewohners in Asche. Fast nichts konnte gerettet werden; doch wir denken dem, der den Elementen gebietet, daß wir den Verlust keines Menschenlebens zu beklagen haben. Aber unsere Gemeinde ist sehr arm, und leider sind sämmliche Gemeindegebäude, welche abbrannten, nach Landesgesetz nur mit 286 Talern in der Assecuranz versichert. Wie soll es also ermöglicht werden, unsere Synagoge wieder aufzurichten, dem wackern Lehrer unserer Kinder ein neues Obdach zur Fortsetzung seines segenbringenden Berufes zu schaffen, und unsere um Hab und Gut gekommenen Glaubensgenossen in ihrer Noth aufzuhelfen, wenn wir nicht die Mildthätigkeit unserer näher und ferner wohnenden Brüder in Anspruch nehmen. An Sie wenden wir uns daher in unsrer tiefen Bedrängniß, und gewiß bitten wir nicht vergebens um Beistand; denn noch belebt warmes Mitgefühl bei fremdem Schmerz die Brust der Söhne Israels, noch ist edle Mildthätigkeit in den zerstreuten Gemeinden Jakobs nicht erloschen, noch steht der feste Glaube an die vergeltende Hand des Ewigen unerschüttert. Ja, er wird die Gaben segnen, mit welchem Ihr Edelmuth unsere Noth zu lindern suchen wird, und die wir mit dankbar gerührtem Herzen empfangen werden.
Die unterzeichneten Vorsteher unserer Gemeinde werden nicht verfehlen, den Empfang der Unterstützungen öffentlich zu bescheinigen und einer Zeit Rechnung darüber abzulegen. Möge der Allmächtige alle unsere Brüder mit gleicher oder ähnlicher Heimsuchung verschonen.
Aschenhausen bei Kaltennordheim im Großherzogthum Sachsen-Weimar den 20. Mai 1841.
Der israelitische Gemeinde-Vorstand: Löser Katzenstein, Abraham Friedemann, Levi Stern, Isaac Cahn.
Der Spendenaufruf war erfolgreich; mit Hilfe der eingegangenen Spendengelder - auch die Großherzoglich-Weimarsche Regierung hatte einen Zuschuss von 400 Talern bereitgestellt - konnte die jüdische Gemeinde im folgenden Jahr ein Grundstück erwerben, auf dem alsbald ein neues Synagogengebäude errichtet wurde; dessen Einweihung erfolgte Ende Juni 1843.
Synagoge von Aschenhausen (links: hist. Aufn., um 1950? - rechts: Modell der Synagoge, Abb. Bet Tfila)
Malereien, etwa Gestirne und Sternenbilder, verzierten das Deckengewölbe, und über drei Seiten des hohen Innenraumes zog sich eine Frauengalerie. Wenige Jahre später schloss sich der Bau des Schulhauses mit Lehrerwohnung an.
In einer Stellenanzeige der "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 5. Okt. 1875 wurde für die „jüdische Abteilung“ der Ortsschule ein Lehrer gesucht:
Die Kultusgemeinde gehörte zum Landrabbinat Sachsen-Weimar-Eisenach.
Juden in Aschenhausen:
--- um 1700 .......................... 2 jüdische Familien,
--- um 1730 .......................... 6 “ “ ,
--- 1808 ............................. 113 Juden (bei insgesamt 247 Dorfbewohnern),
--- 1823 ............................. 184 “ (ca. 50% d. Dorfbev.),
--- 1850 ......................... ca. 50 jüdische Familien,
--- um 1880 .......................... 142 Juden,
--- um 1875 .......................... 45 jüdische Familien,
--- 1895 ............................. 97 Juden (ca. 48% d. Dorfbev.),
--- 1919 ............................. 95 “ ,
--- 1924 ............................. 10 jüdische Familien,
--- 1929 ............................. 10 Juden,
--- 1933 ............................. 3 jüdische Familien,
--- 1942 ............................. 6 Juden,
(Dez.) ....................... keine.
Angaben aus: Stefan Frühauf, Aschenhausen - Entstehen und Vergehen einer jüdischen Landgemeinde
Nachdem die Juden im Jahre 1842 bzw. 1848 von ihren Schutzgeldzahlungen und anderen Lasten befreit worden und zu gleichberechtigten Bürgern avanciert waren, bildeten sie - zusammen mit christlichen Vertretern - den Ortsrat und stellten jeweils den stellvertretenden Bürgermeister. In den Jahrzehnten zuvor hatte die Dorfjudenschaft eine separate jüdische Ortsgemeinde mit einem eigenen Vorsteher („Judenschultheiß“) gestellt.
Um 1880 bestritten die jüdischen Dorfbewohner ihren Lebensunterhalt mit dem Vieh-, Produkten- und Schnittwarenhandel; einige waren auch als Makler tätig. Erste Abwanderungen in die USA erfolgten bereits ab den 1840er Jahren. Besonders in den beiden ersten Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts reduzierte sich die jüdische Dorfbevölkerung deutlich, diesmal vor allem infolge der Abwanderung in deutsche Städte. 1929 lebten im Ort nur noch zehn ältere Menschen mosaischen Glaubens.
Nach der NS-Machtübernahme wurde in Aschenhausen der Boykotttag mit einem NSDAP-Umzug begangen; zu diesem Zeitpunkt lebten nur noch sechs Juden im Dorf. Während des Novemberpogroms blieb die Synagoge von Zerstörungen verschont. Ein von auswärts kommendes SA-Kommando musste von den Dorfbewohnern erst überzeugt werden, dass das Synagogengebäude als Scheune genutzt wurde - der Bau war bereits 1936 an einen „arischen“ Eigentümer übergegangen, unmittelbar nach Auflösung der Gemeinde. Die Kultgegenstände und Thorarollen waren zum Zeitpunkt des Verkaufs unbemerkt auf dem jüdischen Friedhof vergraben worden. Die letzten sechs jüdischen Dorfbewohner wurden im Herbst 1942 nach Theresienstadt deportiert; alle sechs kamen gewaltsam uns Leben.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden nachweislich 33 gebürtige bzw. länger am Ort ansässig gewesene Personen mosaischen Glaubens Opfer der Shoa (namentliche Nennung der betreffenden Personen in: alemannia-judaica.de/aschenhausen_synagoge.htm).
Das erhalten gebliebene Synagogengebäude - es wurde bis 1981 als Scheune genutzt - wurde Ende der 1980er Jahre restauriert und dient seit 1991 als Stätte der Begegnung und Erinnerung wie auch als Veranstaltungsraum der Kommune von Aschenhausen.
Ehem. Synagoge in Aschenhausen (Aufn. J. Hahn, 2005)
Auch der jüdische Friedhof am Leichelberg wurde in den 1990er Jahren wiederhergerichtet; auf dem ca. 5.000 m² großen Gelände sind etwa 150 bis 200 Grabsteine noch erhalten, der älteste stammt aus dem Jahre 1720.
Jüdischer Friedhof Aschenhausen (links: J. Hahn, 2005 und rechts: Aufn. Martin Siepmann, 2008)
Weitere Informationen:
Willy Katz (Stadtlengsfeld), Entstehen und Vergehen einer jüdischen Landgemeinde, in: "Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Kurhessen und Waldeck“ vom 19.4.1929
Jacob Toury, Probleme jüdischer Gleichberechtigung auf lokalbürgerlicher Ebene, in: "Jahrbuch des Instituts für Geschichte", II, Tel Aviv 1973, S. 267 ff.
Günter Köhler, Aschenhausen - eine ‘Insel’ in der Geschichte deutscher jüdischer Gemeinden, in: "Nachrichtenblatt des Verbandes Jüdischer Gemeinden in der DDR", Heft 9/1986, S. 154 ff.
Monika Kahl, Denkmale jüdischer Kultur in Thüringen, in: Kulturgeschichtliche Reihe, Heft 1, Hrg. Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege, Festschrift für Rudolf Zießler 1994, S. 93
M.Brocke/E.Ruthenberg/K.U.Schulenburg (Hrg.), Stein und Name. Die jüdischen Friedhöfe in Ostdeutschland, in: "Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum", Band 22, Berlin 1994, S. 235/236
Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation II, Hrg. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1999, S. 795
Stefan Frühauf/Elke Schwerda, Aschenhausen - Entstehen und Vergehen einer jüdischen Landgemeinde, in: Hans Nothnagel (Hrg.), Juden in Südthüringen geschützt und gejagt, Band 5: Jüdische Gemeinden in der Vorderrhön, Verlag Buchhaus, Suhl 1999, S. 52 - 89
Ulrike Schramm-Häder, Jeder erfreuet sich der Gleichheit vor dem Gesetze, nur nicht der Jude. Die Emanzipation der Juden in Sachsen-Weimar-Eisenach (1823 - 1850), in: "Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen - Kleine Reihe", Band 5, Verlag Urban & Fischer, München/Jena 2001, S. 182 f.
Aliza Cohen-Mushlin/Harmen Thies, Synagogenarchitektur in Deutschland vom Barock zum ‘Neuen Bauen’. Dokumentation zur Ausstellung, Selbstverlag TU Braunschweig, Fachgebiet Baugeschichte, 2002, S. 71/72
Gabriele Olbrisch, Landrabbinate in Thüringen 1811 - 1871. Jüdische Schul- und Kulturreform unter staatlicher Regie, in: "Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen - Kleine Reihe", Band 9, Böhlau Verlag Köln - Weimar - Wien 2003, S. 52/53
Spurensuche nach jüdischem Leben in Thüringen, Hrg. Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien, Bad Berka 2004, S. 98/99
Aschenhausen, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Gerhild Elisabeth Birmann-Dähne, Aschenhausen (Thüringen), in: Jüdische Friedhöfe in der Rhön. Haus des ewigen Lebens, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2019, S. 26 - 29