Bad Dürkheim (Rheinland-Pfalz)
Bad Dürkheim ist eine Kreisstadt mit derzeit ca. 19.000 Einwohnern in der Metropolregion Rhein-Neckar am Rande des Pfälzerwaldes – ca. 25 Kilometer westlich von Mannheim/Ludwigshafen gelegen (aktuelle topografische Karte, Lencer 2008, aus: wikivoyage.org/wiki, GFDL und Kartenskizze 'Landkreis Bad Dürkheim', Lencer 2007, aus: wikipedia.org. CC BY-SA 3.0).
Dürkheim – Stich von Johann Jacob Rieger, um 1780 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Die jüdische Gemeinde in Dürkheim zählte um 1300 zu den ältesten in der Pfalz. In den Folgejahrhunderten sind Nachrichten über jüdisches Leben am Ort sehr spärlich; in einem Rechnungsbuch aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges sind Dürkheimer Juden erwähnt, die zu Schutzgeldzahlungen an die Grafen von Leiningen verpflichtet waren. Im sog. „Stadtrechtsbrief“ von 1700 des Grafen zu Leiningen ist von den Juden Dürkheims ausführlich die Rede: Sie hätten sich an den besten Plätzen der Stadt niedergelassen und so den christlichen Kaufleuten Schaden zugefügt. Deshalb wurde ihnen nun zur Auflage gemacht, ihre Häuser an den Hauptstraßen zu verkaufen und in Nebengassen zu ziehen - was aber gegen Ende des 18.Jahrhunderts nicht mehr eingehalten wurde. Auch der Verkauf von Lebensmitteln war Dürkheimer Juden fortan verwehrt.
Die alte Synagoge in der Entengasse war 1748/1749 erbaut worden, und an gleicher Stelle errichtete die Gemeinde Ende des 19.Jahrhunderts einen Neubau, der über knapp 200 Männerplätze und auf der Empore 90 Plätze für Frauen verfügte. Einer anderen Angabe zufolge soll die alte Synagoge erhalten geblieben und 1848 durch Umbaumaßnahmen vergrößert worden sein.
Stellenausschreibungen von 1884 und 1907
Ausschreibung für die Stelle eines Synagogendieners (1881)
Verstorbene Dürkheimer Juden wurden auf dem jüdischen Verbandsfriedhof bei Wachenheim begraben, der für zahlreiche Ortschaften der Region die zentrale Begräbnisstätte war.
Zur Dürkheimer Kultusgemeinde gehörten auch die jüdischen Familien aus Grethen, Hardenburg und Ungstein, später dann (ab 1900) ebenfalls die aus Friedelsheim, Freinsheim, Gönnheim, Kallstadt, Leistadt und Weisenheim. Da Dürkheim eine der größten Gemeinden der Region war, befand sich hier auch der Sitz des Bezirksrabbinats Frankenthal.
Langjähriger Rabbiner des Bezirksrabbinats Dürkheim-Frankenthal war Adolf Salvendi (geb. 1837 in Waag-Neustadl/Slowakei, gest. 1914 in Karlsruhe). Er bekleidete dieses Amt von 1866 bis 1909. In seiner Haltung war er streng-orthodox geprägt und versuchte sich gegen die Reformbestrebungen seiner Zeit zu stemmen, was ihm auch heftige Kritik der ihm zugeordneten Gemeinden eintrug. Kurz vor seinem Tode (1914 in Karlsruhe) wurde sein besonderes Engagement in einem Artikel im "Frankfurter Israelitischen Familienblatt" vom 31. Dezember 1913 gewürdigt; da hieß es:
Karlsruhe. Der Name Dr. Salvendi hat in allen Kreisen der deutschen Judenheit, wo noch ein Funke jüdisches Interesse glimmt, seit Jahrzehnten einen warmen, verehrungsvollen Klang. Der Träger dieses Namens ist dieser Tage zur anderen Welt hinübergegangen. Im hohen Greisenalter – 77 Jahre alt – hat er uns, der bis zum letzten Augenblick für seine ideale Lebensaufgabe, für Palästinas Zukunft arbeitete, verlassen. Rabbiner Dr. Salvendi wurde in Waag-Neustadl (sc. heute Nové Mesto nad Váhom, Westslowakei) geboren und empfing dort seine gediegene jüdische Grundlage durch den dortigen Rabbiner, den hervorragenden Hebraisten Rabbiner Josef Weiße. Schon jung wurde er Bezirksrabbiner in Dürkheim (Pfalz). Hier konnte er für seinen schöpferischen Arbeitsdrang nicht das nötige Betätigungsfeld finden und so begann er, die Sammlungen für Palästinazwecke in seine Hand zu nehmen. 1 ½ Millionen Mark hat er aufgebracht, - wahrlich eine wundervolle Lebensaufgabe. - Im Verein "Lemaan Zion" und im "Verein zur Erziehung jüdischer Waisen in Palästina", welche beide Vereine bekanntlich in Frankfurt am Main ihren Sitz haben, betätigte er sich stets mit regestem Eifer. Als ihm seine Verehrer bei seinem 70. Geburtstag eine Summe für eine Palästinastiftung zur Verfügung stellten, bestimmte er, dass auf dieser Stiftung, der Salvendi-Kolonie, ein Neubau des Waisenhauses errichtet und mit einem Lehrgute für seine Zöglinge verbunden werde. ...
Juden in (Bad) Dürkheim:
--- 1633 ......................... 2 Juden,
--- 1687 ........................ 4 jüdische Familien,
--- 1708 ........................ 5 “ “ ,
--- um 1785 ..................... 15 “ “ ,
--- 1801/04 ..................... 192 Juden,
--- 1808 ........................ 135 “ ,
--- 1823/25 ..................... 213 “ (5,2% d. Bevölk.),
--- 1848 ........................ 248 “ (in 50 Familien),
--- 1875 ........................ 285 “ ,
--- 1900 ........................ 291 “ ,
--- 1932/33 ..................... 184 “ ,
--- 1936 ........................ 111 “ ,
--- 1937 ........................ 98 “ ,
--- 1938 ........................ 40 “ ,
--- 1940 ........................ 19 “ ,
(Nov.) ................. keine.
Angaben aus: Alfred Hans Kuby (Hrg.), Pfälzisches Judentum gestern und heute, S. 46
und Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden, S. 51
Ab Mitte des 19.Jahrhunderts lebten in Dürkheim neben den jüdischen Händlern auch einige Handwerker, Weingutbesitzer und Angehörige freier Berufe, die in das kleinstädtische Leben voll integriert waren.
Kleinanzeigen aus der Zeitschrift "Der Israelit" von 1860, 1903 und 1912
Um 1900 hatte die israelitische Gemeinde des Ortes mit knapp 300 Mitgliedern ihren personellen Höchststand erreicht.
Wenige Wochen nach der NS-Machtübernahme begann auch in Dürkheim die wirtschaftliche Ausgrenzung der jüdischen Geschäftsleute, und „arische“ Geschäftspartner wurden massiv unter Druck gesetzt, die Geschäftsbeziehungen zu Juden aufzukündigen.
1935 kam es zu ersten Sachbeschädigungen jüdischen Eigentums: Die Fensterscheiben der Synagoge wurden eingeworfen. Im gleichen Jahre untersagte die Stadt Juden das Betreten des Kurparks und verfügte eine Ausweisung der wenigen jüdischen Gäste.
Meldung in der Zeitschrift "Der Israelit" vom 18.7.1935
Der Vorsitzende des Rabbinatsbezirks Bad Dürkheim/Ludwighafen, Ludwig Strauß, schrieb 1937: „ ... Daß ich heute in den späten Herbsttagen meines Lebens noch den Zerfall meiner vormals so blühenden und wohlhabenden Gemeinde erleben muß, das ist für mich eine Betrübnis, die bis an mein Ende an mir haften wird. ... Volk im Aufbruch, Diaspora in Bewegung - das ist die Signatur, die erste in die Augen fallende Kennzeichnung unserer Lage. Auswanderung und Abwanderung - Woche für Woche, Tag für Tag ! ... Die Jugend verläßt uns, eine vergreiste Gemeinde bleibt zurück. Aber je mehr unsere Zahl zusammenschrumpft - um so treuer und fester wollen wir zusammenarbeiten, uns brüderlich und schwesterlich zur Seite stehen. ...”
Während der Pogromnacht verzichtete man darauf, die Synagoge anzuzünden, da die Brandgefahr für die umliegenden Häuser zu groß war; doch die wertvolle Inneneinrichtung sowie Fenster und Türen wurden zerstört. Auf dem Obermarkt verbrannte man dann öffentlich die Thorarollen und den Leichenwagen der jüdischen Gemeinde. Zusammen mit aus Ludwigshafen angereisten SA-Angehörigen plünderten und zerstörten einheimische SA-Leute systematisch zudem etwa 25 Wohnungen und Geschäfte. Bis Ende 1938 waren alle jüdischen Gewerbebetriebe in Bad Dürkheim „arisiert“ bzw. liquidiert. 1940/1941 folgte die Beschlagnahme des gesamten jüdischen Grundbesitzes.
Die Deportation nach Gurs im Oktober 1940 erfasste auch die letzten knapp 20 Mitglieder der jüdischen Gemeinde von Bad Dürkheim.
Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem wurden nachweislich 50 in Bad Dürkheim geborene oder längere Zeit hier ansässig gewesene Juden Opfer des Holocaust (namentliche Nennung der betreffenden Personen siehe: alemannia-judaica.de/bad_duerkheim_synagoge.htm).
Bei einem Luftangriff im März 1945 wurde auch das Synagogengebäude getroffen, ein Jahr später folgte der Abriss.
Synagogenruine (Aufn. 1946, Stadtarchiv Bad Dürkheim)
Fünf Jahre nach Kriegsende fand vor dem Schwurgericht Frankenthal ein Prozess gegen zwei der für die „Aktionen“ während des Novemberpogroms Hauptverantwortlichen statt. Sie wurden „wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ zu einer kurzen Haftstrafe verurteilt.
Am einstigen Standort der Synagoge in der Weinstraße/Leininger Straße brachte man 1989 eine Gedenktafel an (Aufn. H. 2019,aus: wikipedia.org CC BY-SA 4.0), die folgende Inschrift trägt:
Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung
Hier stand das Gotteshaus der Jüdischen Kultusgemeinde unserer Stadt.
Es wurde 1749 erbaut und während des Pogroms in den Morgenstunden des 10.November 1938 durch Nationalsozialisten geschändet.
Damit und mit der späteren Deportation unserer jüdischen Mitbürger endete hier jegliches jüdische Gemeindeleben.
Wir erinnern uns in Trauer und Scham
Die Bürger der Stadt Bad Dürkheim
Seit 2010 findet man eine weitere Gedenktafel, die den ehemaligen jüdischen Bürgern gewidmet ist, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden sind.
Aufn. M. Ohmsen (Abb. aus: alemannia-judaica.de)
Im hiesigen Stadtmuseum erínnern einige Ausstellungsobjekte an die jüdische Lokalgeschichte.
Im Landkreis Bad Dürkheim liegt die heute zur Verbandsgemeinde Hettenleidelheim gehörige Ortschaft Carlsberg, die in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts eine relativ große jüdische Gemeinde besaß. In den 1840er Jahren stellten die Einwohner mosaischen Glaubens mit ca. 180 Personen immerhin einen Anteil von fast 11% der Gesamtbevölkerung. Zur Carlsberger Kultusgemeinde gehörten auch die jüdischen Familien aus dem Dörfchen Hertlingshausen. Doch innerhalb nur dreier Jahrzehnte hatte sich die Zahl der Gemeindeangehörigen infolge von Aus- und Abwanderung auf einige wenige Familien reduziert: 1875 waren es 22, und im Jahr 1900 lebten nur noch vier Juden in Carlsberg. Bereits Ende der 1860er Jahre war die Carlsberger Kultusgemeinde aufgelöst worden und die verbliebenen Angehörigen der Gemeinde Altleiningen, danach der von Wattenheim zugeteilt worden. Der in einem Waldgebiet zwischen Carlsberg und Altleiningen liegende jüdische Friedhof weist nur wenige Grabsteine auf.
vgl. Carlsberg (Rheinland-Pfalz)
Weitere Informationen:
Ludwig Strauss, Die israelitische Kultusgemeinde Bad Dürkheim in der Rheinpfalz, Bad Dürkheim 1920
Nobert Müller, Die einstige israelitische Kultusgemeinde, in: "‘Die Rheinpfalz" (Ausgabe Dürkheim), No. 94 v. 22.4.1964
W. Dautermann/G.Feldmann/u.a., Bad Dürkheim. Chronik einer Salierstadt, Landau 1978, S. 52 – 55 und S. 124 - 129
Hermann Arnold, Juden in der Pfalz - Vom Leben pfälzischer Juden, Pfälzische Verlagsanstalt, Landau/Pfalz 1988, S. 180 f.
Karl Fücks/Michael Jäger, Synagogen der Pfälzer Juden. Vom Untergang ihrer Gotteshäuser und Gemeinden, Hrg. Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Neustadt/Weinstraße 1988, S. 49/50
Alfred Hans Kuby (Hrg.), Pfälzisches Judentum gestern und heute. Beiträge zur Regionalgeschichte des 19./20.Jahrhunderts, Verlag Pfälzische Post, Neustadt a.d.Weinstraße 1992
Georg Feldmann, Die Bedrängnisse der Bad Dürkheimer Juden in der Nazizeit und die Ereignisse in der “Kristallnacht” 1938, in: "Pfälzer Heimat", Heft 41/1990, S. 25 f.
Matthias Nathal, Bad Dürkheimer Stadtgeschichte(n), Hrg. Stadt Bad Dürkheim, pro Message, Ludwigshafen 2000, S. 71 ff.
The Encyclopedia of Jewish Life before and during the Holocaust (Vol. 1), New York University Press, Washington Square, New York 2001, S. 69/70
S. Fischbach/I. Westerhoff (Bearb.), “ ... und dies ist die Pforte des Himmels”. Synagogen Rheinland-Pfalz Saarland, Hrg. Landesamt für Denkmalpflege Rheinland-Pfalz ..., Mainz 2005, S. 85 und S. 131
Otmar Weber, Die Synagogen in der Pfalz von 1800 bis heute: unter besonderer Berücksichtigung der Synagogen in der Südwestpfalz, Hrg. Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Pfalz (Landau), Dahn 2005, S. 44/45 und S. 60 (Carlsberg)
Bad Dürkheim mit Orten der Umgebung, in: alemannia-judaica.de (mit diversen Text- u. Bilddokumenten zur jüdischen Ortshistorie)
Andrea Clemens (Red.), Auf den Spuren jüdischen Lebens. Das Schicksal der Paula Kahn, das von Rödersheim über Bad Dürkheim bis nach Gurs führte, in: „Die Rheinpfalz“ vom 12.11.2019
Förderverein zur Erhaltung des kulturellen Erbes der ehemaligen jüdischen Gemeinden in Wachenheim und Bad Dürkheim (Hrg.), Gegen das Vergessen, online abrufbar unter: gdvev.de
Stadt Bad Dürkheim (Red.), Ausstellung „Sie waren Dürkheimer“ – Jüdisches Leben in Bad Dürkheim. Ausstellung im Stadtmuseum Sept. 2024 - Jan. 2025, aus: Pressemeldung der Stadt Bad Dürkheim vom 19.9.2024