Bad Pyrmont (Niedersachsen)
Bad Pyrmont ist eine Kurstadt mit derzeit ca. 19.500 Einwohnern im niedersächsischen Landkreis Hameln-Pyrmont – unmittelbar an der Landesgrenze zu Nordrhein-Westfalen und ca. 20 Kilometer südwestlich von Hameln gelegen (Ausschnitt aus hist. Karte, aus: wikipedia.org, gemeinfrei und Kartenskizze 'Landkreis Hameln-Pyrmont', TUBS 2009, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).
Kurpromenade in Pyrmont – kolorierter Stich um 1780 (Abb. aus: wikipedia.org, gemeinfrei)
Erstmals sind Juden in der Grafschaft Waldeck-Pyrmont im 16.Jahrhundert erwähnt; in Pyrmont selbst sollen aber erst nach 1720 jüdische Bewohner gelebt haben. Der Ort Pyrmont verdankt seinen Ursprung den Mineralquellen, die Gäste aus nah und fern anzogen, darunter auch wohlhabende Juden. Die Ansiedlung insbesondere vermögender jüdischer Bewohner wurde im ausgehenden 18.Jahrhundert von den Fürsten von Waldeck-Pyrmont gefördert, da die von ihnen erhobenen Schutzgelder halfen, die Kassen des Fürstentums zu füllen. Die Existenz einer jüdischen Gemeinde ist in Pyrmont erst seit 1817 nachweisbar, obwohl bereits drei Jahrzehnte früher ein jüdischer Friedhof existierte.
Die Begräbnisstätte an der Bombergallee - ein Geschenk des Fürsten Friedrich zu Waldeck-Pyrmont an die Judenschaft - ist seit 1788 nachweisbar; diese wurde bis 1934 genutzt und der Gemeinde ein kleines Grundstück „Am Helsen“ zugewiesen.
Gottesdienstlichen Zusammenkünften diente ein Synagogenraum, der in einem umgebauten Gehöft untergebracht war. In dem eingeschossigen Gebäude mit hohem Krüppelwalmdach waren auch ein Schulraum und eine Lehrerwohnung untergebracht. Allerdings ist unbekannt, seit wann die Synagoge tatsächlich genutzt wurde. Obwohl laut einer seit 1823 bestehenden „Verordnung über den Schulunterricht der Judenkinder” der Elementarunterricht in öffentlichen christlichen Schulen erteilt werden sollte, unterrichteten die jüdischen Lehrer bis ca. 1880 neben dem Religions- und Hebräischunterricht auch weiterhin alle übrigen Fächer. Wohlhabendere Eltern schickten ihre Kinder aber auf christliche Schulen.
Ab 1922 unterstand die Judenschaft Pyrmonts in Kultusfragen dem Landesrabbiner von Hannover.
Juden in (Bad) Pyrmont:
--- 1794 ........................... 14 jüdische Familien,* * mit Oesdorf
--- 1819 ........................... 18 “ “ ,
--- 1862 ........................... 148 Juden,
--- 1874 ........................... 26 jüdische Familien,
--- 1911 ........................... 51 Juden,*
--- 1929 ........................... 42 “ ,
--- 1933 ........................... 45 “ ,
--- 1939 (Mai) ..................... 22 “ ,
--- 1942 (Dez.) .................... 4 “ ,
--- 1945 (März) .................... keine.
Angaben aus: Heinrich Rostmann, Aus der Geschichte der Jüdischen Gemeinde
Auf Grund des von der Fürstin Emma 1849 verkündeten „Staatsgrundgesetzes für die Fürstenthümer Waldeck und Pyrmont“ genossen die Juden in Pyrmont Glaubensfreiheit und waren den Christen in staatsbürgerlicher Hinsicht gleichgestellt. Gegen Mitte des 19.Jahrhunderts lebte nur ein Teil der jüdischen Familien Pyrmonts „in guten Vermögensverhältnissen; der größere Teil ist nicht vermögend und sind einige Mitglieder dürftig. ... Die meisten handeln mit Manufaktur, einige betreiben Handwerk, 2 Metzger, ein Schlosser und ein Sattler.” In den Folgejahrzehnten verbesserte sich ihre wirtschaftliche Situation. Allerdings ging seit den 1870er Jahren die Zahl der Gemeindemitglieder stark zurück - eine Folge der Abwanderung in größere Städte bzw. der Auswanderung nach Übersee. Als dieser Trend sich auch nach dem Ersten Weltkrieg noch fortsetzte und die Gemeinde kaum mehr lebensfähig war, legte der letzte Prediger und Lehrer, Marcus de Haas, sein Amt nieder. Fortan waren die ca. 40 bis 50 verbliebenen Gemeindemitglieder der Kultusgemeinde von Hannover unterstellt.
Am Brunnenplatz - hist. Postkarte um 1915 (aus: wikipedia.org, CCO)
Der NS-Boykott jüdischer Geschäfte wurde zwar auch in Pyrmont befolgt, doch blieben gewaltsame Aktionen hier aus. Nach dem Verbot gottesdienstlicher Zusammenkünfte suchten die noch in Bad Pyrmont lebenden jüdischen Bürger sonntags das „Quäkerhaus“ auf, wenn Dr. Otto Buchinger Andacht hielt. Seit etwa 1800 hatte Pyrmont die größte Quäker-Gemeinde auf deutschem Boden, die ganz in Ortsnähe die Siedlung „Friedensthal“ unterhielt. Dr. Buchinger war im Oktober 1938 Zielscheibe eines „Stürmer”-Artikels mit der Überschrift „Der Schandfleck von Pyrmont. Was Dr. Buchinger einem Juden schreibt.” Im Zusammenhang der Ausgrenzungspolitik durften jüdische Gäste ab 1937 die Kur- und Badeanlagen nicht mehr benutzen.
Vorläufiger Höhepunkt der antijüdischen NS-Politik waren auch in Pyrmont die Novembertage des Jahres 1938: Schaufensterscheiben jüdischer Geschäfte wurden eingeschlagen, jüdische Bewohner aus ihren Wohnungen geholt und misshandelt. Einige Männer wurden in Schutzhaft genommen und - über das Polizeigefängnis Hannover - ins KZ Buchenwald verfrachtet; zwei Juden starben an den Folgen hier erlittener Gewalt. Der Synagogenraum blieb unangetastet, da das Gebäude bereits zwei Monate zuvor in „arisches“ Eigentum übergegangen war. Der alte jüdische Friedhof an der Bombergallee war bereits 1934 geschlossen worden. Während des Pogroms wurde das Gelände von SA-Angehörigen geschändet; wenig später ordnete der hiesige Bürgermeister die Einebnung des Geländes an; dabei wurden die meisten Grabsteine vernichtet. Nach diesen Ausschreitungen gelang es noch 18 jüdischen Bewohnern Pyrmonts mit Hilfe einer hier lebenden Quäkerin ins Ausland zu emigrieren. Diejenigen, die in Pyrmont zurückblieben, wurden nun zwangsweise in der sog. „Juden-Villa Lichtenstein“ einquartiert; elf Bewohner wurden von hier aus über Hannover-Ahlem in die Todeslager im besetzten Polen "umgesiedelt". Vier „in Mischehe“ lebende Juden wurden noch im Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert; sie haben überlebt.
Nach Kriegsende hielten sich wieder sieben Bürger jüdischen Glaubens in Bad Pyrmont auf.
Ein ca. 400 m² großes Friedhofsgelände - weit außerhalb der Stadt (in Richtung Norden Am Helsen) – war 1934 als Ersatz für den von der Kommune geschlossenen Friedhof an der Bombergallee neu angelegt worden; das nur drei Jahre genutzte Areal weist vier Grabsteine auf.
Blick auf das Friedhofsgelände "Am Helsen" (Aufn. B., 2011, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)
Auf dem jüdischen Friedhofsgelände an der Bombergallee errichtete die Stadt Bad Pyrmont „Dem Angedenken ihrer jüdischen Mitbürger” ein Denkmal. Auch rund 20 Grabsteine wurden nach Kriegsende wieder aufgerichtet. Mitte der 1990er Jahre konnten weitere aufgefunden und aufgestellt werden, so dass heute auf dem ca. 1.300 m² großen Gelände insgesamt knapp 80 Steine hier zu finden sind.
Jüdischer Friedhof an der Bombergallee (Aufn. Markus Viol 2018, aus: commons.wikimediaö.org, CC BY-SA 4.0)
Eine Informationstafel trägt den folgenden Text:
"Jüdischer Friedhof Bad Pyrmont – nachweisbar seit 1788 – Bis zur Schließung in der Pogromnacht 1938 standen hier etwa 200 Grabsteine. Danach ordnete Bürgermeister Zuchold die „Einebnung“ des Friedhofes an. Nahezu 120 Steine wurden zu Straßenschotter zerschlagen und in der Gustav-Beermann-Straße als Packlage verarbeitet. Die restlichen Steine auf dem Friedhof wurden umgestürzt, zum Teil zerschlagen und mit Erde bedeckt. 1948 stellte man 22 Grabsteine wieder auf, aber nur die zwei jüngsten Steine von 1928 und 1932 blieben auf ihrer ursprünglichen Grabstätte. Die Stadt errichtete den Gedenkstein. In diesem Zustand blieb der Friedhof bis Juli 1996. Bis November 1997 wurden weitere 57 vergrabene Steine des Friedhofes aufgefunden und wieder aufgestellt. Insgesamt sind es nun 79 Steine. Die nach Südosten ausgerichteten Grabsteine stehen an ihren ursprünglichen Standorten, alle anderen konnten nur symbolisch wieder aufgestellt werden.
Dieser Friedhof ist ein Ort des Gedenkens und der Besinnung. Wahret seine Würde."
Vier in der Kurstadt gesetzte sog. "Stolpersteine" erinnern an die Familie Abraham, die ihren Wohnsitz in der Rathausstraße hatte. Weitere Steine wurden 2017 in der Bahnhofstraße für die Familie Lichtenstein und in der Brunnenstraße für die dreiköpfige Familie Heymann verlegt.
Aufn. G., 2020, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Als Reaktion auf die Immigration jüdischer Zuwanderer aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion wurde im Jahre 1998 eine neue Gemeinde (als eingetragener Verein) im Landkreis Hameln-Pyrmont (mit Sitz in Hameln) gegründet, der 2015 etwa 70 Mitglieder angehörten; derzeit zählt die Gemeinde ca. 130 Personen.
In Hämelschenburg – heute Ortsteil der Gemeinde Emmerthal im Landkreis Hameln-Pyrmont – befindet sich am Dorfrand ein winziger jüdischer Friedhof; er stammt aus der Zeit um 1750.
Gegenwärtig lässt das mit Vegetation bestandene Gelände kaum auf einen ehemaligen jüdischen Friedhof schließen. Zwei Grabsteine sollen die die Zeiten überdauert haben.
Jüdischer Friedhof (Aufn. A., 2016, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 4.0)
Weitere Informationen:
W.Mehrdorf/L.Stemler, Chronik von Bad Pyrmont, Bad Pyrmont 1985
Gerhard Wilhelm Daniel Mühlinghaus, Der Synagogenbau des 17. u. 18.Jahrhunderts im aschkenasischen Raum, Dissertation, Philosophische Fakultät Marburg/Lahn, 1986, Band 2, S. 36 - 37
Volker Berbüsse, Geschichte der Juden in Waldeck - Emanzipation und Antisemitismus vor 1900, Wiesbaden 1990
Heinrich Rostmann, Aus der Geschichte der Jüdischen Gemeinde, Maschinenmanuskript, Bad Pyrmont 1999
Heinrich Rostmann, Die Geschichte der beiden jüdischen Friedhöfe in der Stadt Bad Pyrmont, in: Fund-Stücke – Nachrichten und Beiträge zur Geschichte der Juden in Niedersachsen und Bremen 2003, S. 12
Herbert Rostmann (Bearb.), Pyrmont, in: Herbert Obenaus (Hrg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, Band 2, S. 1291 – 1298
"Stolpersteine" sollen an die Opfer erinnern - Am 25. Januar Aktion zur Auschwitz-Befreiung im Rathaussaal mit dem Künstler Gunter Demnig, in: „DEWEZET - Deister- u. Weserzeitung“ vom 20.1.2005
Bernhard Gelderblom, Der jüdische Friedhof in Pyrmont (online abrufbar unter: gelderblom-hameln.de)
Manfred Willeke, … bei dir ist die Quelle des Lebens ... (Psalm 26). Jüdisches Leben in der Grafschaft und dem Fürstenbad Pyrmont, hrg. von der Liberalen jüdischen Gemeinde, Bad Pyrmont 2013
Manfred Willeke, Die Geschichte der Grafschaft Pyrmont, ihrer Ortsteile und ihrer ehemaligen Residenzstadt Lügde, 2015 (online abrufbar unter: archiv-willeke.de)
Klaus Titze (Red.), Stolpersteine werden verlegt. Erinnerung an die Familie Lichtenstein, in: "DEWEZET - Deister- u. Weserzeitung" vom 21.3.2017
Dieter Alfter (Red.), Synagoge wurde Tischlerwerkstatt, in: „DEWEZET – Deister- u. Weserzeitung“ vom 29.1.2018
Auflistung der in Bad Pyrmont verlegten Stolpersteine, online abrufbar unter: wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Bad_Pyrmont
Klaus Titze (Red.), Ehemaliger jüdischer Friedhof Am Helsen erhielt erstmalig eine Informationstafel, in: „DEWEZET – Deister- u. Weserzeitung“ vom 16.9.2021